Zum 3. Friedenspolitischen Ratschlag in Kassel 7.-8.12.96

von Peter Strutynski
Initiativen
Initiativen

Es waren aus meiner Sicht vor allem drei Ziele, die sich die Teilnehme­rinnen und Teilnehmer des zweiten Friedenspolitischen Ratschlags im vergangenen Dezember vorgenommen hatten: Erstens sollte die ganze Breite und Vielfalt friedenspolitischer Themen und Aktionsfelder be­nannt und sollten zugleich konsensuale Positionen herausgearbeitet werden; zweitens sollte der ins Stocken geratene Dialog zwischen Frie­densbewegung und Friedenswissenschaft neu belebt werden; und drit­tens wollte die in Kassel vertretene Friedensbewegung - die selbstre­dend nur einen Ausschnitt der Gesamtbewegung darstellte - wieder po­litische "Handlungsfähigkeit" erreichen, d.h. durch Mobilisierung von Menschen und Meinungen die politische Klasse in Bonn beeindrucken.

Rückblickend kann wohl nur für die er­sten beiden Ziele eine uneingeschränkt positive Bilanz gezogen werden: Die in Kassel begonnenen Diskussionen haben sowohl zahlreiche Nachahmer auf re­gionaler und lokaler Ebene gefunden als auch zu einem lebhaften überregionalen Austausch von Meinungen und Infor­mationen angeregt. Der Dialog mit zahl­reichen Friedensforscher/innen war au­ßerordentlich spannend und fruchtbar für beide Seiten; er wird auf dem 3. "Ratschlag" fortgesetzt. Was indessen die ersehnte Handlungsfähigkeit betrifft, so fällt das Urteil nüchterner aus. Gewiss: Eine partielle Wiederbelebung vorübergehend in den Hintergrund ge­drängter Aktionsanlässe und -formen war 1996 nicht zu verkennen (z.B. Ostermarsch, Hiroshima-Gedenken und Antikriegstag mit jeweils zunehmender Resonanz). Doch die Friedensbewegung ist noch weit entfernt davon, in aktuel­len sicherheitspolitischen Fragen als re­levanter innenpolitischer Faktor gehört, geschweige denn anerkannt zu werden.

Mir scheint, die Wiedergewinnung des öffentlichen Raums ist ein längerer Prozess, der mit der Fähigkeit beginnt, frie­denspolitische Themen offensiv zu be­setzen und in wesentlichen Fragen eine Meinungsführerschaft zu erzielen, und der nicht dabei endet, größere Men­schenmassen "auf die Straße" zu be­kommen. Betrachten wir doch nur ein­mal die großen "Schicksalsfragen", die heute in Bonn entschieden werden, etwa die Frage der Auslandseinsätze der Bundeswehr, die Ausweitung der NATO und die Wiederbelebung der WEU, die Entscheidung über weitrei­chende Rüstungsmammutprogramme (z.B. Eurofighter 2000) oder den immer unverhohleneren Griff der Bundesregie­rung nach einer Mitverfügungsgewalt über Atomwaffen. Gemessen an diesen Herausforderungen waren die überörtli­chen öffentlichen Interventionen der Friedensbewegung alles in allem doch recht bescheiden.

Vorläufiges Programm: (Stand: 10.09.96)

Tagungsort: GHS Kassel, FB E-Technik, Wilhelmshöher Allee 73 (ehem. Inge­nierschule)

Samstag: 7.12.

11-13 Uhr: Anmeldung

13 Uhr: Einführungsreferate im Plenum: Dorothee Permont "Europa rüstet um, nicht ab"; N.N.: "Hat der Pazifismus ausgedient?", Margret Mönig-Raane "Hochrüstung und Sozialabbau - Alte Fragen, neu gestellt; Es nehmen Stellung: N.N. (Mouvement de la paix, Paris / Frankreich), N.N. (Polen?, Tschechische Rep.?, Russland?)

16-19.30 Uhr: parallele Foren:

Forum 1: Pazifismus am Ende? (Zur Psychologie des Krieges und des Friedens; POazifismus als Lebensauffassung und politisches Programm)

Forum 2: Militarisierung der Außenpolitik (Neue Rolle der Bundeswehr; Militär­doktrin im Zeichen der "Globalisierung"; NATO statt OSZE?)

Forum 3: Entdemokratisierung der Innenpolitik (Ökonomische, soziale und poli­tische Folgen des Militärs; Wieviel darf die Bundeswehr kosten? Abbau von De­monkratie)

Forum 4: Wehrpflicht oder Berufsarmee? (Eine Fragestellung für die Friedens­bewegung? Historisches; Ländervergleich; Die aktuelle Debatte; Frauen und Bundeswehr)

Forum 5: Wege zu einer atomwaffenfreien Welt (Zur Qualität des Teststopp-Ab­kommens; Schritte zur nuklearen Abrüstung; Garching II; "zivile" und militäri­sche Nutzung, Ausstiegschancen)

Forum 6: Alternativen und Handlungsmöglichkeiten der Friedensbewegung (Nachhaltige Entwicklung; Abrüstung; friedliche Außenpolitik; Erziehung zum Frieden; Sozialer Friedensdienst; Zivile Konfliktvermeidung und -bearbeitung; Erfolgskriterien politischer Basisbewegungen; zentrale und dezentrale Aktivitä­ten; Friedensbewegung und Friedenswissenschaft; Friedensbewegung und Me­dien)

Jugend-Forum: Workshop: Friedensbewegung und Internet

Abends: Small Talk, Kulutur und Unterhaltung, Café Brückenschlag

Sontag 8.12.

9-11 Uhr: Diskussion: Der Dayton-Prozeß: Bilanz und Perspektiven. Mit An­dreas Buro (Komitee für Grundrechte), Angelika Beer (MdB B90/Die Grünen)

11-13 Uhr: nächste Schritte der Friedensbewegung

Hier gilt es, beim dritten Ratschlag, der am 7. und 8. Dezember wieder in Kassel stattfinden wird, Fortschritte zu erzielen. Gefragt sind eine klare, auf die wesent­lichen Politikfelder zugespitzte und pra­xisrelevante Analyse sicherheitspoliti­scher Gefährdungen und Chancen sowie eine noch bessere politische Kommuni­kation zwischen den lokalen und regio­nalen Initiativen mit dem Ziel, gemein­same Kampagnen zu entwerfen und ent­sprechende Aktionen zu synchronisie­ren. Gelingt das, so wäre dies ein ent­scheidender Schritt nach vorn und ein politisches Signal an all jene, die die Ziele der Friedensbewegung einschließ­lich ihres pazifistischen Prinzips der strikten Gewaltfreiheit nach wie vor teilen, auch wenn sie selbst seit einiger Zeit nicht mehr die Kraft oder Bereit­schaft aufbringen, dafür auch etwas zu tun. Zugleich sollten neue Zugänge zu anderen politischen und sozialen Bewe­gungen, namentlich zu den Gewerk­schaften, gesucht werden. Anders als in den 80er Jahren verhalten sich viele Gewerkschaften und DGB-Gliederun­gen seit geraumer Zeit friedenspolitisch auffallend zurückhaltend bis abstinent. Außen- und sicherheitspolitische Ent­wicklungen der letzten Jahre (größere "Verantwortung" Deutschlands in der Welt, Auslandseinsätze der Bundeswehr und ihre Umrüstung zu einer weltweit einsetzbaren schnellen Eingreiftruppe u.ä.) sind an weiten Teilen der Gewerk­schaften fast unbemerkt vorbeigegangen und von ihnen meist auch unkommen­tiert geblieben. Betriebliche Friedens­aktivitäten z.B. als Bestandteil der Ar­beit von Vertrauensleuten ist fast völlig eingeschlafen. Ich sehe dennoch gute Chancen, etwa das Thema Sozialabbau und Rüstung sowohl für die Gewerk­schafts-, als auch für die Friedensbewe­gung nutzbar zu machen. Erfahrungen vom zurückliegenden Antikriegstag zei­gen, daß sich die Kampagne gegen den "Eurofighter" sehr gut mit gewerk­schaftlichen Positionen gegen die unso­ziale "Sparpolitik" der Bundesregierung verbinden läßt.

In zwei Plenumsveranstaltungen und sechs Foren geht es u.a. um den in Ver­ruf geratenen Begriff des Pazifismus, die "Militarisierung der Außenpolitik", die "Entdemokratisierung" der Innenpo­litik und die "Entsolidarisierung" der Gesellschaft, um die Zukunft der Bun­deswehr (Wehrpflicht- oder Berufsar­mee, Frauen und Bundeswehr), um den schwierigen Weg zu einer atomwaffen­freien Welt und um politische Alternati­ven und Handlungsmöglichkeiten der Friedensbewegung. Neue Zugänge zu Jugendlichen werden in einem eigenen "Jugend-Forum" gesucht, und in einem Spezial-Workshop sollen die Möglich­keiten ausgelotet werden, die der Frie­densbewegung durch die neuen Infor­mations- und Kommunikationstechno­logien geboten werden.

Im Plenum wird u.a. versucht, die Ent­wicklung in Bosnien und den übrigen post-jugoslawischen Staaten ein Jahr nach dem Dayton-Abkommen aus frie­denspolitischer Sicht zu bilanzieren. Auch sollen Friedensfreuninnen und -freunde aus dem Ausland ihre Sicht­weise einbringen.

Das Motto des nächsten bundesweiten "Ratschlags" lautet: "Abrüsten - Armut bekämpfen - Kriegsursachen beseitigen, Entwicklung braucht Frieden".

Wer Interesse am 3. Friedenspoliti­schen Ratschlag hat, sollte sich an das Kasseler Friedensforum, c/o DGB Kassel, Spohrstr. 6, 34117 Kassel wenden. Das endgültige Ta­gungsprogramm wird Anfang Ok­tober vorliegen.

Ausgabe

Rubrik

Initiativen
Peter Strutynski, AG Friedensforschung, Kassel, ist Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag.