Florenz - ein Brückenschlag

Zum ersten Treffen des Europäischen Sozialforums

von Hugo Braun
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Diese wundervollen Novembertage von Florenz haben vor allem eines bewirkt: den Brückenschlag zwischen der Friedensbewegung und den sozialen Bewegungen. Die drei inhaltlichen Schwerpunkte Krieg und Frieden, Neoliberalismus und eine gerechtere Welt, Kampf für mehr Bürgerrechte und gegen Rassismus haben diese Bewegung geeint.

Das Europäische Sozialforum, das vom 6. bis zum 10. November in der Hauptstadt der Toskana stattfand, markiert eine neue qualitative Entwicklung der europäischen Linken insgesamt. Der unerwartet große Zulauf, die niveauvollen Inhalte, die gute Organisation und nicht zuletzt der friedliche Verlauf unterstreichen die Erfahrung, dass es sich bei diesen neuen sozialen Bewegungen nicht um eine politische Eintagsfliege sondern um eine ernstzunehmende und auf Dauer angelegte breite politische Strömung handelt. Sie wird ihre politische Wirksamkeit aus einem bisher nicht so deutlichen dafür jetzt aber umso engeren Schulterschluss mit den Gewerkschaften und der Friedensbewegung beziehen.

Hier noch einmal die Zahlen: Demonstrationsteilnehmer zwischen 500.000 und 1 Million, 60.000 registrierte Teilnehmer am Forum (das Doppelte der erwarteten Zahl) aus 105 Ländern, 426 Organisationen, Initiativen und Gewerkschaften, 2.000 im Ordnerdienst der Gewerkschaften, 15 Busse und eine Gesamtteilnehmerzahl aus Deutschland um 2.000, 18 Konferenzen, 160 Seminare, 180 Workshops, 75 Kulturveranstaltungen. (Siehe ESF-Programmheft).

Die deutsche Beteiligung war mit rund 2.000 stärker als ursprünglich erwartet. Die größten erkennbaren Teilnehmergruppen waren Attac, junge Gewerkschafter, Linksruck und Studentengruppen um "Education is not for Sale". Allerdings war die Teilnahme aus den Friedensinitiativen und Friedensnetzwerken unseres Landes eher marginal. Insgesamt waren 15 Busse aus Deutschland gefahren. Drei deutsche Teilnehmer wurden auf Grund schwarzer Listen der deutsche Polizei von der italienischen Grenzpolizei zurückgewiesen.

Direkt im Anschluss an das Europäische Sozialforum hat die Versammlung sozialer Bewegungen dann am 10. November zwei Aufrufe zu massiven Mobilisierungen beschlossen. Über 5.000 Menschen aus ganz Europa nahmen an der Versammlung teil. 40 Redner fassten die Ergebnisse des Forums zusammen. Nach der Demonstration von bis zu 1 Million Menschen gegen den Krieg in Florenz rief die Versammlung zu massivem Widerstand gegen den Krieg im Irak auf. Eine Welle von Demonstrationen, Aktionen zivilen Ungehorsams und Konferenzen gegen den Krieg wird über Europa gehen.

In verschiedenen Themenbereichen wurden europaweite Netzwerke gegründet, um die Arbeit der verschiedenen Bewegungen und Organisationen zu koordinieren und zu verstärken. Darunter Netzwerke gegen die GATS-Verhandlungen bei der WTO, gegen die Privatisierung und für die Wiederaneignung öffentlicher Dienstleistungen, gegen Steuerflucht und Steueroasen, prekäre Beschäftigung, für das Recht auf Gesundheit für alle und viele weitere.

Die neue Bewegung ist aus dem Ruch der Gewalt, der seit Genua über ihr lag, herausgetreten. Florenz zeigt einmal mehr, dass dann, wenn tatsächlich große Menschenmengen mobilisiert werden, weder staatliche Provokationen noch die Orientierung auf Militanz durch kleine Gruppen eine Chance haben.

Die Berlusconi-Regierung hatte alles getan, um im Vorfeld des ESF ein Klima von Hysterie und Angst zu erzeugen. Ein zweites Genua wäre ihr gerade recht gekommen, um von innenpolitischen Problemen abzulenken. Berlusconi hatte die Zerstörung von Kunstwerken der Renaissancestadt an die Wand gemalt und vom Verbot des ESF gesprochen. Die neofaschistische Regierungspartei "Forza Italia" hatten wochenlang Stimmung im Stil des "Stürmer" gemacht, z.b. mit Karikaturen von Demonstranten mit Hakennase, in der einen Hand eine Flasche Wodka und in der anderen Hammer und Sichel. Unter diesem Eindruck vernagelten zunächst viele Geschäfte in der historischen Altstadt ihre Schaufenster. So wird mit Florenz auch das Argument hinfällig, dass nur durch Gewaltszenen Medienöffentlichkeit herzustellen sei.

Auf dem Treffen der deutschen Teilnehmer in Florenz wurde der Gedanke vorgestellt, auch bei uns ein Deutsches Sozialforum zu gründen. Die sehr begrenzte Teilnahme etwa der Friedensbewegung und kirchlicher Gruppen an der Vorbereitung für das ESF in den vergangenen Monaten weist allerdings darauf hin, dass dieser politische Prozess zu einem umfassenden gesellschaftlichen Forum aller fortschrittlichen Kräfte noch umsichtiger und einigender Schritte bedarf.

Eines jedoch ist klar: Im nächsten Jahr sind wir wieder dabei, wenn sich das zweite Europäische Sozialforum vom 12. bis 16. November in St. Denis versammelt - dieser durch Kunst und progressiven Geist berühmten "roten" Vorstadt von Paris.

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Hugo Braun ist Mitglied des Attac Koordinierungskreises und der deutschen Vorbereitungsgruppe für das ESF.