Zum Stand des irakischen ABC-Waffenprogramms und der Arbeit von UNMOVIC

von Clemens Ronnefeldt

Für die Entscheidung, ob es einen von US-Seite per Krieg herbeigeführten Regimewechsel in Bagdad gibt oder nicht, stellt die Frage des irakischen Massenvernichtungsprogramms eine nahezu vernachlässigbare Größe dar: Der frühere UN-Generalsekretär Boutros Ghali meint unverblümt undiplomatisch: "Bush will Krieg um jeden Preis. Die Fahndungsergebnisse der Uno-Inspektoren sind ihm völlig egal" (Der Spiegel, 13.1.03).

Nicht egal sind sie allerdings für die Legitimation des Krieges. Daher ist es notwendig, im Sinne einer präventiven Gegenöffentlichkeit, das irakische Massenvernichtungswaffenprogramm näher zu untersuchen, um Propagandaversuchen besser entgegenwirken zu können.

Von den unabhängigen, nicht "Pro- oder Contra-Krieg-interessegeleiteten" Untersuchungen und Studien verdient das von Bernd W. Kubbig, Leiter des Projektes Internationale Raketenabwehrforschung bei der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung, herausgegebene Buch "Brandherd Irak. US-Hegemonieanspruch, die UNO und die Rolle Europas", Frankfurt 2003, besondere Beachtung. In einer zweiteiligen FR-Dokumentation, die vorab Auszüge des Buches unter dem Titel "Wie gefährlich ist Saddams Massenvernichtungsarsenal" veröffentlichte, zogen die fünf Autoren des Buches, Bernd W. Kubbig, Henning Riecke, Oliver Meier, Alexander S. Kekulé, Iris Hunger und Gerhard Piper folgendes Resümee:

"Auf der Grundlage der berücksichtigten maßgeblichen Studien ist der Schluss zulässig, dass Saddam Hussein seine Ambitionen, über Massenvernichtungsmittel zu verfügen, keineswegs aufgegeben hat. ... Für den atomaren Bereich kommen alle ausgewerteten Berichte zu der Einschätzung: Saddam Hussein besitzt keine Nuklearwaffen. Bagdad ist Jahre von einer solchen Fähigkeit entfernt. ... Bei den biologischen und den chemischen Waffen sowie bei den Raketen stellt sich der Befund anders dar. Man weiß, dass der Irak Trägermittel besitzt, und man geht davon aus, dass er im Bereich der biologischen und chemischen Waffen entsprechende Kapazitäten zur Verfügung hat. Dass der Irak über B-Waffen minderer Qualität verfügt, ist sicher. Da es der Führung in Bagdad jedoch an wirksamen Ausbringungsmethoden mangelt, stellt das irakische Biowaffenpotenzial für eine modern ausgerüstete Armee keine besondere Bedrohung dar. Diese einfachen biologischen Waffen lassen sich jedoch als Mittel asymmetrischer Kriegführung gegen die Bevölkerung einsetzen. Intensivere Zivilschutzmaßnahmen wären eine angemessene Antwort auf diese durchaus existente Bedrohung. Diese Einschätzung gilt weitgehend ebenso für die Chemiewaffen. Zwar verfügt die irakische Führung über die technischen Möglichkeiten und das Fachwissen, um diese Waffen herzustellen, beziehungsweise hat sie diese noch in ihren Beständen. Gleichzeitig fehlt es jedoch an Kapazitäten, um sie mit großer Wirkung auszubringen. Dieser Befund wird durch die niedrige Stückzahl und die geringe Treffgenauigkeit der irakischen Raketen unterstrichen. Kurzum, die B-und C-Waffen können nicht undifferenziert als akutes Massenvernichtungspotenzial bezeichnet werden. Sie sind eher Einschüchterungsinstrumente, die sich gegen die zivile Bevölkerung in der Region richten, kaum jedoch gegen gut ausgerüstete Streitkräfte. Aus zentraleuropäischer Sicht stellt sich dieses Problem nicht als akute, sondern als potenzielle Bedrohung. In jedem Falle muss man auf diese Arsenale eine sicherheitspolitische Antwort finden. Trotz der in den Studien zusammengefassten Erkenntnissen bleiben Ungewissheiten bestehen. ... Diese Ungewissheiten müssen, soweit möglich, in gesichertes Wissen umgewandelt werden. Es gibt nur einen Weg, um dies zu erreichen: den UN-Inspektionsteams den ungehinderten Zugang zu allen verdächtigen Orten im Irak zu ermöglichen". Soweit die Zusammenfassung der von Bernd W. Kubbig herausgegebenen Studie.

Der frühere UNSCOM-Waffeninspekteur Scott Ritter, der von 1991-1998 im Irak in leitender Position tätig war, sieht die Gefährlichkeit der irakischen Massenvernichtungswaffen noch als erheblich geringer an, als dies Bernd W. Kubbig tut. Sein langes Interview mit William Rivers Pitt, Krieg gegen den Irak. Was die Bush-Regierung verschweigt, Köln, 2002, gibt nicht nur einen guten Einblick in das irakische Waffenprogramm mit Stand 1998, sondern auch in die Arbeit der UNSCOM und die Rolle des damaligen letzten Chefs, Richard Butler.

Wie geht es weiter mit UNMOVIC und der Suche nach ABC-Waffen?
Die am 16.1.03 von UN-Waffeninspektoren in der Nähe von Bagdad entdeckten Sprengköpfe lösten hektische diplomatische Initiativen aus. Für die US-Regierung war dies bereits der schwer wiegende Verstoß gegen die UN-Resolution 1441, dem nun "ernsthafte Konsequenzen" folgen sollten.

"Seit Wochenbeginn zeigte sich das Weiße Haus alarmiert von der Ankündigung des schwedischen UN-Chefinspektors, einen weiteren Waffenbericht Ende März vorlegen zu wollen. Blix sehe, wie seine Mission an der Sturheit des irakischen Regimes zu scheitern drohe, warnte die Washington Post. Deswegen versuche er jetzt ´seine Mission und die UN-Resolutionen umzudefinieren`. Diese Angst hat ihre Gründe. Zum einen würde der Rekurs auf UN-Resolution 1248 mit ihren regelmäßigen Berichten jedem realistischen Invasionsplan entgegen laufen; zum anderen könnte nach den Regeln dieses aus dem Jahre 1999 stammenden Beschlusses im Juli sogar die Aufhebung der Sanktionen auf der Tagesordnung erscheinen; ein absolutes ´No` für die hardliner im Pentagon. Deshalb setzten die USA Blix heftig zu. Nach einem informellen Treffen mit US-Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice kündigte der UN-Chefinspektor zunächst seinen übernächsten Waffenbericht schon für Februar an statt wie geplant für März. In der umstrittenen Frage, ob die Vereinten Nationen irakische Wissenschaftler für Befragungen außer Landes bringen dürften, deutete sich ebenfalls ein Nachgeben der UN an. ... Kein Zufall muss es sein, wenn die Inspektoren in den kommenden Tagen weitere Spuren für irakische Verstöße gegen UN-Auflagen entdecken würden. Schließlich könnte die Regierung in Washington den Fortgang der Inspektionen beeinflussen, in dem sie den UN-Kontrolleuren weiteres Material aus US-Geheimdienstquellen zur Verfügung stellt", berichtete die FR, 18.1.03.

"Wie ´Time` am Donnerstag (9.1.03, Anm.: C.R.) auf seiner Website meldete, wollen die UN-Waffeninspekteure in den kommenden Tagen damit beginnen, die (irakischen, Anm. C.R.) Wissenschaftler nach Zypern einzuladen. ... Die USA sollen angeboten haben, irakische Wissenschaftler und ihren Familien Asyl zu gewähren. Die irakische Regierung hat den USA vorgeworfen, sie wollten die Forscher außer Landes locken und mit Geld zu Falschaussagen bewegen. Nach wochenlangem Zögern haben die USA den Waffeninspekteuren im Irak erstmals Geheimmaterial über mögliche Waffenverstecke und -programme übergeben. Das sagte Außenminister Colin Powell in einem Interview mit der ´Washington Post`. Die wichtigsten Daten würden allerdings noch zurückgehalten, um zu sehen, wie die Inspekteure mit den Informationen umgehen. Ein namentlich nicht genannter UN-Beamter beschrieb die Informationen aus Washington nach Angaben der Zeitung als ´nicht sehr durchsichtig`. Trotz der Brisanz der Informationen ist Washington laut Powell nicht bereit, alle Geheimdienstdaten über Irak auf den Tisch zu legen", so die Welt 10.1.03. Zum "casus belli" könnten neben den am 5.2. vorgelegten Unterlagen der US-Regierung noch die Frage der U-2-Aufklärungsflugzeuge werden, die Bagdad im Dienste der US-Spionage vermutet.

Der Bericht von Hans Blix vom 27.1.03
Bereits schon "vor der geschlossenen Sitzung (des UN-Sicherheitsrates am 9.1.03) klagte Blix darüber, dass der Bericht (12 000-Seiten Bericht Iraks, Anm. C.R.) ´keine Antworten auf zahlreiche Fragen` gebe. Vor allem fehlen nach Einschätzung von Blix und seinen Inspektionsteams Angaben über den Verbleib von 6000 Giftgasbomben sowie weiterer chemischer und biologischer Waffen" (FAZ, 10.1.03).

In seinem Bericht an den UN-Sicherheitsrat vom 27.1.03 fordert Hans Blix den Irak auf "den Verbleib größerer Mengen des Nervengases VX aufzuklären. Auch zu Fragen nach versteckten Massenvernichtungswaffen, darunter größeren Mengen von Milzbrandsporen, sei der Irak überzeugende Antworten schuldig geblieben", so die taz, 28.1.03. Die Süddeutsche Zeitung, 28.1.03, ergänzte in der "Offene-Fragen-Liste" von Blix auch noch "größere Mengen des Milzbranderregers Anthrax".

Die FAZ, 28.1.03, nannte die Stellungnahme von Blix "überraschend kritisch". Wenn man davon ausgehen muss, dass Hans Blix und seine Mission in Absprache auch mit dem UN-Generalsekretär alles daran setzen, eine Eskalation des bereits begonnenen Krieges zu verhindern, konnte der Bericht kaum anders denn als Spagat ausfallen. Hätte Blix einen "irakfreundlicheren" Report abgeliefert, wäre dies von Seiten der US-Regierung als Unfähigkeit der UNMOVIC-Mission ausgelegt worden, der umgehend die militärische "Zwangsabrüstung" gefolgt wäre. Wäre er noch kritischer ausgefallen, hätte die Bush-Administration dies im Sinne der Resolution 1441 als Kriegsgrund ausgelegt.

Mit seinem kritischen "goldenen Mittelweg"-Bericht wollte Blix wohl vor allem eines gewinnen: Zeit. Nur die von ihm als noch offen genannten Punkte rechtfertigen überhaupt, dass die UN-Inspektoren weiter arbeiten. Den Faktor "Zeit" hat auch die FAZ, 28.1.03, zu ihrem Thema im Kommentar gemacht: "Wenn noch Wochen oder Monate inspeziert wird, dann gibt es keinen Krieg, es kommen Frühjahr und Sommer, das Klima-Fenster wäre zugeschlagen - später sieht man weiter. So kann man Washington am Losschlagen hindern".

Apropos Washington: Die Schwäbische Post hatte bereits am 2.1.03 berichtet: "Die amerikanische Regierung hat das irakische Arsenal an chemischen und biologischen Waffen noch stärker mit aufgebaut, als bisher bekannt war. Wie aus jetzt veröffentlichten Dokumenten hervorgeht, ermöglichte Washington selbst die Ausfuhr des Milzbranderregers Anthrax in den Irak. Als Sondervermittler zwischen Washington und Bagdad agierte während der 80ger Jahre der heutige Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, der derzeit die Vorbereitungen für einen Militärschlag anführt".

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Clemens Ronnefeldt ist seit 1992 Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes.