Terrorismus

Zur Ambivalenz eines Begriffs

von Werner Ruf

Bis heute gibt es keine gültige und allgemein akzeptierte Definition des Begriffs „Terrorismus“. Die Anwendung illegaler Gewalt zwecks Erreichung politischer Ziele wird deshalb auch unter politischen Gesichtspunkten sehr unterschiedlich beurteilt: Den politischen Gewaltakteuren erscheint sie legitim, denen, die die herrschende Ordnung erhalten wollen, erscheint sie illegal und illegitim. Sie sprechen daher von Terrorismus, da bereits der Begriff eine starke moralische Bewertung enthält.(1)

So erklärt sich, dass beispielsweise die amerikanische oder die französische Revolution als fundamentale Akte der Befreiung der Menschen aus einer ungerechten Ordnung und als Fundamente der Demokratie gelten. Robespierre brachte dies auf die Formel „Das Prinzip der demokratischen Regierung ist die Tugend, und das Mittel, sie zur Herrschaft zu bringen, ist der Terror“.(2) Befreiungsbewegungen wie die algerische Befreiungsfront FLN, die Palästinensische Befreiungs-Organisation PLO oder die Irisch-Republikanische Armee IRA setzten Gewalt gezielt auch gegen die Zivilbevölkerung der Gegenseite ein, wurden dann aber als Partner in der Lösung der jeweiligen politischen Konflikte anerkannt – und blieben folgerichtig straffrei. Am deutlichsten bringt der israelische Friedensaktivist Uri Avnery die Ambivalenz des Begriffs auf den Punkt, „dass es eigentlich nur den einen Unterschied zwischen Freiheitskämpfern und Terroristen gibt: Erstere sind auf meiner Seite - letztere auf der gegnerischen“ (3).

Damit stellt sich die dornige Frage nach der Legitimität politischer Gewalt. Gewaltförmiger Widerstand gegen nicht-demokratische, meist als „totalitär“ oder „diktatorisch“ bezeichnete Regime gilt, auch wenn er in solchen politischen Systemen illegal ist, als legitim. Nicht zufällig ist angesichts der deutschen Geschichte im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ein Widerstandsrecht verankert, und die Hitler-Attentäter des 20. Juli 1944 werden als Leuchtfiguren der legitimen Gewaltanwendung gefeiert. Demgegenüber bleibt der kommunistische und sozialdemokratische Widerstand gegen den Hitlerfaschismus in der deutschen Geschichtsschreibung weitgehend ausgeblendet. Dies und weitere historische Beispiele zeigen, dass die Anerkennung der Legitimität extralegaler Gewalt letztlich abhängt vom Scheitern oder Erfolg eines gewaltsam herbeigeführten Systemwandels bzw. von der politischen Positionierung der Akteure.

Die herrschende Staatsmacht wird daher jeden gewaltförmigen Widerstand mit dem moralisch verwerflichen Begriff des Terrorismus bezeichnen, wie das in der US-amerikanischen Debatte über den Begriff schon lange vor dem legendären 9/11 der Fall war.(4) Damit ist unterschwellig die Sicht verbunden, dass Terrorismus stets auf nichtstaatliche Akteure bezogen wird, auch bleiben die Ursachen und Ziele politischer Gewaltanwendung meist unterbelichtet. Wie ambivalent der Begriff des Terrorismus jedoch bleibt, zeigt die völkerrechtliche Definition (vgl. unten), die zwar die Anwendung von Gewalt von Befreiungsbewegungen gegen koloniale Herrschaft als legitim anerkennt (5), so lange diese sich nur gegen den Staatsapparat und seine Organe richtet und damit auf die Kombattanten beider Seiten beschränkt bleibt. Bei dieser legalistisch-positivistischen Definition bleiben aber Fragen offen: Wieviel Gewalt (auch gegen zivile Ziele) muss eine Befreiungsbewegung ausgeübt haben, um als Akteur anerkannt zu werden? Ist es in asymmetrischen Konflikten wie Entkolonisierungskriegen überhaupt möglich, die Gewalt nur auf die repressiven Organe der Kolonial- bzw. Besatzungsmacht zu beschränken?(6) Wann und wo hätte – nach erfolgreicher Dekolonisation – eine Strafverfolgung der Menschenrechtsverletzungen beider Seiten stattgefunden? Wie unscharf der Übergang vom „Freiheitskämpfer“ zum „Terroristen“ ist, illustriert etwa die Vita von Yassir Arafat, der vom Terroristen zum Friedensnobelpreisträger und (zumindest für Israel) zurück zum Terroristen mutierte. Diese Ambivalenz kommt auch in jenem viel beachteten Urteil der italienischen Richterin Clementina Forleo (7) vom 25. Januar 2005 zum Ausdruck, die drei Tunesier und zwei Marokkaner vom Vorwurf der Unterstützung des „internationalen Terrorismus“ freisprach, da diese Personen „Guerillas“ und keine Terroristen seien, die in Kriegszeiten eine (legitime) Aufstandsbewegung im Irak gegen die dortige Besatzungsmacht unterstützten.

Im Bemühen um eine allgemein gültige Definition des Begriffs hat die vom UN-Generalsekretär eingesetzte Kommission High-Level Panel on Threats, Challenges and Change eine umfassende Definition von Terrorismus vorgelegt.(8) Danach ist Terrorismus jeder Verstoß gegen die Genfer Konventionen und gegen das geltende Völkerrecht. Dieser Bericht bindet das Recht der Gewaltanwendung an die Subjekte des Völkerrechts, also an die Staaten. Er verpflichtet sie auch in ihrem Handeln nach innen auf Rechtsstaatlichkeit und den Respekt internationaler Konventionen. Somit fällt auch jede Gewaltanwendung durch den Staat gegen Zivilisten – sei es nach innen oder außen - unter den Terrorismus-Begriff, insbesondere, wenn Staaten Zivilisten oder Nichtkombattanten töten oder verletzen und eine Bevölkerung oder politische Akteure durch die Anwendung extralegaler Gewalt zu beeinflussen suchen. Problematischer ist die Definition für aufständische Akteure, die gewaltförmigen Widerstand gegen jedwede Art von Staatsgewalt ausüben, und zwar unter drei Gesichtspunkten:

1. In asymmetrischen Konflikten bleibt die Beschränkung der Gewaltanwendung auf staatliche Organe schwierig und meist ineffizient, da damit kaum eine Beeinflussung der öffentlichen Meinung durch Erhöhung des Leidensdrucks auf die Zivilbevölkerung möglich ist.

2. Die internationale Aufmerksamkeit bleibt beschränkt, was wiederum die Erringung  des Kombattantenstatus schwierig macht.

3. Auch die Unterscheidung zwischen zivilen und militärischen Zielen ist nicht immer völlig eindeutig: Ist nicht die Landnahme durch Siedler wie in Kenia, im südlichen Afrika in Algerien oder Palästina Teil der von der Kolonialmacht betriebenen Siedlungspolitik? Sind Familienangehörige des staatlichen Repressionsapparats „nur“ Zivilisten oder Teil von dessen Reproduktion?

Das „legitime Recht auf Widerstand“ versucht auch al Quaida zu reklamieren, wenn Ayman az-Zawahiri, damals „Nr. 2“ und seit der Ermordung Usama bin Ladens neuer Führer des Netzwerks in einer Botschaft zum 2. Jahrestag des 11. September 2001 erklärte: „Wir sind keine Verfechter von Töten und Zerstörung. Mit Hilfe Gottes aber werden wir jede Hand abschlagen, die sich in feindlicher Absicht nach uns streckt. … Wenn Ihr den Islam zurückweist, haltet wenigstens ein in Eurer Feindseligkeit gegen unsere islamische Weltgemeinschaft. Über Jahrzehnte habt Ihr unsere Frauen und Kinder getötet, unseren Wohlstand gestohlen und Tyrannen unterstützt, die unsere Gemeinschaft brutal beherrschen.“(9)

Der oben erwähnte Bericht des High Level Panel der UN wurde von den Organen der UN nie verabschiedet, ist also nicht Teil des Völkerrechts geworden – vermutlich, weil die Staaten sich der dort formulierten Definition von Terrorismus nicht unterwerfen wollten. So bleiben als letzte wesentliche Referenzpunkt die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UN von 1948 und die Genfer Konventionen, die die Rechte der Menschen ausformulieren und insbesondere den Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten definieren, wie sie im Ansatz bereits 1907 in  der Haager Landkriegsordnung festgehalten worden waren. Als geltender Konsens kann daher festgehalten werden: Terrorismus ist die Anwendung von Gewalt gegen eine Zivilbevölkerung mit der Absicht, diese politische zu beeinflussen, zu demoralisieren oder zu Gewaltanwendung anzustacheln. Wie problematisch die Feststellung dieses Tatbestands im Einzelfall auch sein mag, ist doch gerade die Anwendung politischer Gewalt inhärenter Bestandteil jeder psychologischen Kriegführung im Rahmen der Counter-Insurgency-Konzepte. Zugleich bleibt „Terrorismus“ ein politischer Kampfbegriff, der absichtsvoll zur moralischen Verurteilung des Gegners verwendet wird. Zwischen der Art, wie der „Krieg gegen den Terror“ auch seitens der derzeitigen US-Administration (und Teilen ihrer Alliierten wie auch privater Firmen) geführt wird, und der Zunahme politischer Gewalt seitens ihrer Gegner besteht eine enge wechselseitige Beziehung. Terroristische Kriegführung, die systematisch bestehendes Recht verletzt, provoziert widerständige Gegengewalt seitens der pauschal als Terroristen bezeichneten Gegner.

 

Anmerkungen
1) Honderich, Ted: Nach dem Terror. Neu-Isenburg 2003, S. 153

2) zit. n. Neumann, Franz: „Terrorismus“ in: Drechsler/Hilligen/Neumann (Hrsg.): Gesellschaft und Staat. Lexikon der Politik, 10. Auflage, München 2003, S. 966  - 968, hier S. 967.

3) http://www.uni-kassel.de/fb10/frieden/regionen/Nahost/avnery.html

4) Wilkinson, Paul: “Terrorism” in: Pauling, Linus /Hrsg.): World Encyclopedia of Peace Vol. 2, Oxford 1986, S. 451 – 458. Rapoport, David C.:  “Terrorism” in: Hawkesworth, Mary/Kogan, Maurice (eds.): Encyclopedia of government and Politics Vol. 2, London/New York 1992, S. 1061- 1078. Laqueur, Walter: Postmodern Terrorism, Foreign Affairs Vol. 75, No. 5, Sept./Oct. 1996, S. 24 – 36.

5) Paech, Norman/Stuby, Gerhard: Völkerrecht und Machtpolitik in den internationalen Beziehungen. Hamburg 2001, S. 357 – 360, 488 – 505.

6) So erklärte einer der Führer der algerischen Nationalen Befreiungsfront, Larbi Ben Mhidi kurz vor seiner Ermordung durch französische Agenten: „Ihr werft uns vor, dass wir Bomben in Milchbars werfen und unschuldige Menschen töten. Gebt uns eure Flugzeuge, eure Hubschrauber und eure Panzer: Wir werden keine Bomben mehr in Milchbars werfen.“

7) Frankfurter Allgemeine Zeitung und International Herald Tribune, 26. Januar 2005.

8) A/59/565 O2-12-04 (http://www.un.org/secureworld/ ) vom 2. Dez. 2004, vor allem Ziff. 164.

9) http://www.jihadunspun.com/home.php  [22. Dez. 2003].

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Werner Ruf, geb. 1937, promovierte 1967 im Fach Politikwissenschaft in Freiburg i. Br. Er lehrte an den Universitäten Freiburg, New York University, Université Aix-Marseille III, Universität Essen, und war von 1982 bis 2003 Professor für internationale Beziehungen an der Universität Kassel.