Bundeswehr-Diskurse

Zur derzeitigen Diskussion um die und mit der Bundeswehr

von Ute Finckh-Krämer

 Die Evangelischen Akademien in Deutschland haben - finanziell unterstützt von der Evangelischen Seelsorge in der Bundeswehr - ein außen- und sicherheitspolitisches "Diskursprojekt" unter dem Gesamttitel "…dem Frieden in der Welt zu dienen…" gestartet. Es begann mit einer Veranstaltung am 24.- 25.9.2012 in Berlin und soll eine Bestandsaufnahme deutscher Außen- und Sicherheitspolitik vornehmen und Impulse für "die Erarbeitung eines friedens- und sicherheitspolitischen Gesamtkonzeptes für Deutschland" geben.  Das Diskursprojekt ist ein guter Anlass, um Argumentationslinien und deren Widersprüchlichkeiten  in der offiziellen Debatte über Militär bzw. Sicherheitspolitik zu resümieren.

Als Grundthese wird von offizieller Seite verkündet, dass die Bundeswehr unverzichtbar sei, weil auch und gerade demokratische Staaten die Ultima Ratio des Militärs benötigen. Als Argumente werden - da wir inzwischen bekanntlich von Freunden umgeben sind - die Befreiung Deutschlands durch die Alliierten sowie die Völkermorde in Bosnien und Ruanda angeführt. Dass der Zweite Weltkrieg nicht als Bürgerkrieg begonnen hat und dass in Srebrenica und Ruanda gerade nicht eingegriffen (stattdessen im Vorfeld eine Illusion militärischen Schutzes erzeugt wurde, die sich dann als nicht tragfähig erwies), wird bewusst verschwiegen.

Zusätzlich wird darauf gesetzt, dass "Sicherheitspolitik" von den meisten BundesbürgerInnen mit Verteidigungspolitik gleichgesetzt, also als originäre Aufgabe des Militärs angesehen wird. Soldaten werden als "Fachleute für Sicherheit" dargestellt, die angeblich Sicherheit "herstellen" und damit sowohl die bedrohte Zivilbevölkerung (oft als "unschuldige Zivilisten" bezeichnet) schützen als auch die Voraussetzungen für den Einsatz ausländischer ziviler Fachkräfte schaffen. An diesem Bild stimmt in den meisten konkreten Konflikten zwar so gut wie nichts, es wird aber gerne als scheinbar logisch geglaubt und verbreitet. Wobei nicht mehr so heftig wie vor drei, vier Jahren versucht wird, Nichtregierungsorganisationen für Konzepte der "vernetzten Sicherheit" zu vereinnahmen - das Argument, dass Unbewaffnete als unparteiisch gelten müssen, um direkte Hilfe leisten zu können, ist offensichtlich angekommen, ebenso die Tatsache, dass humanitäre Hilfsorganisationen meist vor eventuellen ausländischen Truppen vor Ort sind bzw. nach ihrem Abzug vor Ort bleiben. Auch der Hype um militärische Aufstandsbekämpfung durch externe Truppen ist relativ schnell einer erheblichen Ernüchterung gewichen, weil schwer zu vermitteln ist, nach welchen Kriterien abwechselnd korrupte und im Umgang mit den eigenen Bürgern autoritäre Regime oder aber die Aufstandsbewegungen gegen derartige Regime unterstützt werden.

Die Formel von der "rechtserhaltenden Gewalt" aus der am 24. Oktober 2007 veröffentlichten Friedensdenkschrift der EKD wird gerne aufgegriffen, um die Existenz der Bundeswehr prinzipiell zu rechtfertigen. Hier müssen wir deutlicher mit einer klaren Analyse gegenhalten, welche Institutionen außer dem Militär Teil des staatlichen Gewaltmonopols sind (Polizei, Justiz) und welche Rolle sie bei der Rechtserhaltung spielen.

Da man die Bundeswehr angeblich unbedingt braucht, wird die Debatte um die immensen Ressourcen, die sie Jahr für Jahr erhält, möglichst unterdrückt. Generell wird von Bundeswehrseite immer so lange wie möglich versucht, den Status quo zu rechtfertigen - wobei die Argumente bei überraschenden Entscheidungen von höchster Seite (z.B. der Aussetzung der Wehrpflicht durch Verteidigungsminister Guttenberg) innerhalb kürzester Zeit ausgetauscht werden können. Darin unterscheidet sie sich aber nicht von anderen strukturkonservativen Institutionen.

Gerne wird derzeit über das "freundliche Desinteresse" der Bevölkerung an der Bundeswehr geklagt und darüber, dass mit dem Wegfall der Wehrpflicht endgültig die Kontroverse um "Bundeswehr oder Zivildienst" aus den Schulen und Familien verschwunden ist. Dass diese Debatte über viele Jahre als Diffamierungskampagne gegen "Drückeberger" geführt wurde, wird dabei verschwiegen. Wieso über eine Organisation, der die Bevölkerung angeblich mit Desinteresse begegnet, laufend und ausführlich in sämtlichen deutschen Zeitungen und öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Rundfunksendern berichtet wird, erschließt sich dabei, ehrlich gesagt, nicht. Was sich die Bundeswehr stattdessen wünscht, bleibt nebulös. Veteranenparaden nach US-Vorbild? Oder ist mit dem "freundlichen Desinteresse" in Wirklichkeit das Desinteresse großer Teile der Bevölkerung (insbesondere der bürgerlichen Mittelschicht) an der Bundeswehr als Arbeitgeber gemeint, das mit sinkenden Jahrgangsstärken absehbar zum Problem wird?

Insbesondere wird darüber geklagt, dass die Bundeswehr als Lückenbüßer eingesetzt wird, um fehlende politische Konzepte oder fehlendes ziviles Personal zu ersetzen. Dabei geraten gleich mehrere Dinge aus dem Blick: Die fehlenden Ressourcen für politisches/ziviles Handeln und die systematische Überschätzung, was mit einem Eingreifen von außen überhaupt erreicht werden kann.

Gleichzeitig wird inzwischen von Bundeswehrseite gelegentlich zugegeben, dass militärisches Eingreifen per se ein Eskalationspotenzial hat - oft im Kontext der Debatte um Kriterien dafür, wann ein Einsatz der Bundeswehr in Konfliktregionen erfolgen kann oder darf. Die von de Maizière am 24.9.12 genannten fünf Kriterien sind für diese Debatte exemplarisch (die Rede ist auf der Webseite des BMVG unter Minister – Reden zu finden).

Der erhebliche öffentliche Protest gegen die Formulierung des ehemaligen Bundespräsidenten Köhler, dass "im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege" bzw. die Kritik an vergleichbaren Formulierungen in den Verteidigungspolitischen Richtlinien vom 18. Mai 2011 hat zwar Wirkung gezeigt – gleichzeitig aber die Debatte um "kohärentes Handeln" ziviler und militärischer Akteure, um eine nationale oder gesamtstaatliche Sicherheitsstrategie nicht beendet, im Gegenteil.

Die Behauptung "Militär ist ein unverzichtbares Instrument der Konfliktbearbeitung" nimmt allmählich den Charakter eines Glaubenssatzes an, obwohl es ganz offensichtlich in vielen Konflikten ziviles Eingreifen ohne Militär gab und gibt, aber bis auf einzelne Geiselbefreiungen oder Evakuierungsflüge keine reinen Militäroperationen (und selbst die waren vermutlich irgendwie diplomatisch begleitet).

Beschlüsse von NATO, EU, UNO werden als unveränderliche Rahmenbedingungen dargestellt - gerade so, als ob Deutschland in diesen Organisationen ohne jeden Einfluss ist. In der Umsetzung dieser Beschlüsse wird dann jedoch darauf verwiesen, dass Deutschland als wirtschaftlich und militärisch starkes Land sich seinen Verpflichtungen und seiner Verantwortung nicht entziehen könne. "Bündnissolidarität" wird unversehens zum eigenständigen Ziel, das zusätzlich zu den in den jeweiligen Mandaten genannten Zielen aufgeführt wird. Allerdings spätestens seit Libyen mit gewissen Einschränkungen. Damit bestände eigentlich die Möglichkeit, in Deutschland eine Grundsatzdebatte über die unterschiedliche Rolle des Militärs in den großen NATO-Staaten (insbesondere im Vergleich zu den USA, Großbritannien, Frankreich, aktuell aber auch zur Türkei) zu beginnen. An dieser Diskussion scheint die Bundeswehr allerdings kein großes Interesse zu haben, aus Sicht der Friedensbewegung wäre sie aber sehr sinnvoll - auch und gerade, um den Abzug der letzten US-Atomwaffen aus den europäischen Nicht-Atomwaffenstaaten (der vermutlich nur von einigen osteuropäischen NATO-Mitgliedern blockiert wird) erreichen zu können.

"Militär muss für seinen Gegner unberechenbar sein" - diese tot geglaubte Argumentation aus dem Kalten Krieg taucht zunehmend wieder auf. Welches Eskalationspotenzial darin steckt, wenn beide Konfliktparteien so denken, wird ausgeblendet. Sowohl im Konflikt um Nuklearwaffen zwischen Israel und Iran als auch im Inselstreit zwischen Japan, China und Taiwan wird vieles verständlicher, wenn man annimmt, dass alle Beteiligten diesem Lehrsatz folgen. Es ist vermutlich nur eine Frage der Zeit, wann dies irgendwo zu einem Krieg führt, den rückblickend niemand wirklich gewollt hat.

In der Diskussion um menschliche Sicherheit, Responsibility to Protect (R2P), erweiterte Sicherheitsbegriffe der Exekutive, eine eventuelle "nationale" oder "gesamtstaatliche" Sicherheitsstrategie sind die Fronten sehr unübersichtlich. Nach wie vor wollen Teile der Bundeswehr nichts mit zivilen Akteuren zu tun haben, haben Angst davor, dass dadurch scheinbar unverzichtbare Grundwerte des Militärs (Befehl und Gehorsam, Kameradschaftsprinzip) mittelfristig kritisch hinterfragt und in Frage gestellt werden. R2P und "menschliche Sicherheit" werden dann quasi von rechts kritisiert als Ansätze, das Militär in militärisch nicht sinnvoll führbare Einsätze zu treiben. Gleichzeitig gibt es Tendenzen der Remilitarisierung, Renationalisierung und Reideologisierung der internationalen Politik, die vermutlich auch Teile der Bundeswehr erreicht haben (die ja Teil unserer Gesellschaft ist).

Ähnlich widersprüchlich ist die Debatte um Rüstungsexporte. Die Frage, ob die heutigen Empfänger deutscher Rüstungsgüter nicht vielleicht die militärischen Gegner bei UN-mandatierten Einsätzen von morgen sind, treibt nicht nur die Friedensbewegung um. Im Zweifelsfall wird von der offiziellen Politik aber der kurzfristige Vorteil (Steigerung deutscher Exporte, Rentabilität deutscher Rüstungsunternehmen) höher bewertet als eventuelle mittel- und langfristige Nachteile. Daher ist es wichtig, die Aktion Aufschrei intensiv zu unterstützen und das Thema Rüstungsexporte im Bundestagswahlkampf 2013 zu thematisieren.

Wer versucht, die Bundeswehr als normalen Arbeitgeber zu betrachten und verbesserte Arbeitsbedingungen einzufordern (kostenlosen Internetzugang im Auslandseinsatz? Bessere Kinderbetreuung? Frauenförderpläne?) gerät leicht in eine argumentative Sackgasse und findet sich unversehens als grundsätzlicher Befürworter der Institution Militär (mitsamt ihren Grundrechtseinschränkungen) wieder.

Auch Argumentationen der Form "wir verstehen nicht, warum die Bundesregierung einen Militäreinsatz in X befürwortet, wo doch die humanitäre Katastrophe/die Menschenrechtsverletzungen in Y viel gravierender sind" können einem gewaltig um die Ohren fliegen.

Der Beitrag wurde von der Redaktion gekürzt. Er ist in voller Länge auf der Website des Bunds für Soziale Verteidigung, http://www.soziale-verteidigung.de/news/meldungen/bundeswehr-diskurse/ zu finden.

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