Befindlichkeiten ausländischer Gäste genügen nicht für Versammlungsverbot

Zur Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zum G8-Sternmarsch

von Ulrike Donat
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Für den 07.06.2007 - dem Haupt-Gipfeltag - war ein Sternmarsch auf Heiligendamm mit 6 sternförmigen Routen geplant. Jeder "Strahl" sollte ein eigenes Protestthema gegen das Gipfeltreffen repräsentieren. Das Totalverbot von Kavala wurde vom VG Schwerin teilweise aufgehoben, vom OVG Greifswald wieder hergestellt und vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) für verfassungswidrig erklärt. Trotzdem blieb der Sternmarsch verboten - das BVerfG fürchtete nach den Steinwürfen von Rostock anhaltende Gefahren.

1. Kavala kooperiert nicht - Versammlungsfreiheit wird wegorganisiert

Bereits im Oktober 2006 - noch vor dem Zaunbau - meldete das Sternmarschbündnis einen "Sternmarsch auf Heiligendamm" für den 07.06.2007 bei der zuständigen Versammlungsbehörde an. Die Sonderbehörde Kavala existierte zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Ein einziges "Kooperationsgespräch" fand - nach mehreren vergeblichen Versuchen der Anmelder - erst am 10.05.2007 statt. In diesem Gespräch eröffnete Frau Röttgers - eine aus Lüneburg ausgeliehene "Spezialistin" für fragwürdige Versammlungsverbote bei Castor-Transporten, die seit Jahren die Gerichte mehrerer Instanzen beschäftigen - der Sternmarsch könnte nicht stattfinden. Heiligendamm sei als Ziel unmöglich, weil es innerhalb der "technischen Sperre" liege. Die Straßen außerhalb des Zaunes würden von den Sicherheitskräften benötigt.

Am 16. Mai erging dann ein Verbot des Sternmarsches, begründet mit dem weiträumigen Versammlungsverbot per Allgemeinverfügung, das noch gar nicht veröffentlicht war. Für die Versammlungsrouten außerhalb des Geltungsbereiches der Allgemeinverfügung wurde auf dieselbe Gefahrenprognose verwiesen, ohne weitergehende Begründung. Schwerwiegende Gefahren von "Gewalttätigkeiten" wurden u.a. auf Blockadeaufrufe gestützt. Blockierer agieren bekanntermaßen geordnet gewaltfrei, was Frau Röttgers seit Jahren aus dem Wendland bekannt ist.

Danach - ebenfalls am 16. Mai - erließ Kavala die Allgemeinverfügung mit weiträumigen mehrtägigen Versammlungsverboten, die erst später veröffentlicht, aber den Sternmarschanmeldern am selben Tag per Fax übersandt wurde(1).

Die Versammlungsfreiheit wurde schlicht "wegorganisiert" mit der Allgemeinverfügung. Insgesamt war für mehrere Tage ein Gebiet von über 40 qkm als versammlungsfreie Sonderrechtszone ausgewiesen:

  • die Verbotszone 1: Heiligendamm und das Gebiet innerhalb der "technischen Sperre" zuzüglich 200 m Sicherheitszone rund um den Zaun;
  • die Verbotszone 2: ein weiträumiges Gebiet im Umkreis von 2 bis 5 km rund um den Sicherheitszaun;
  • die Verbotszone 3: weiträumige Gebiete um den Flughafen Rostock-Laage.

Die Aushebelung der Versammlungsfreiheit wurde mit den Sicherheitsbedürfnissen der Gipfelteilnehmer, der Gefahr von Terroranschlägen auf Präsident Bush und die ausländischen Delegationen begründet. Gewalttätige Demonstrationen seien zu erwarten, weil es Brandanschläge auf Fahrzeuge mit Gipfelbezug und Ermittlungen der Bundesanwaltschaft im Gipfelvorfeld gegeben habe. Gewaltindizien wären auch die Blockadeaufrufe von blockG8 und dem dissent-netzwerk. Die Gleichung lautet dummdreist: Blockade - Gewalt - Brandanschlag -Terror.

Statt auf konkrete Indizien für konkrete, von der Versammlung ausgehende Gefahren - wie dies das BVerfG verlangt - wird das Verbot gestützt auf Vermutungen, Verdrehungen und Diffamierungen. Tatsachen kann man widerlegen, Spekulationen kaum.

2. Gerichtliches Eilverfahren - verspätete Begründung mit Sicherheitskonzept
Das VG Schwerin (1 B 243/07) hob am 25.05.2007 das Verbot für 4 Routen bis zu 200 m an den Zaun auf. Der Zaun wurde als faktische Gegebenheit akzeptiert, jedoch die räumliche Ausdehnung des Sperrgebietes in Zweifel gezogen. Für die "Verbotszone 2" und darüber hinaus sei die Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt(2).

Im Beschwerdeverfahren beschränkte sich das Sternmarschbündnis auf noch 5 Routen(3) und verlangte ersatzweise unter Rücksichtnahme auf Sicherheitsinteressen, mit einer Delegation von 600 Demonstranten bis vor das Tagungshotel zu ziehen.

Am 29.05. fand eine mündliche Erörterung vor dem OVG Greifswald statt. Dieser Termin verdient nähere Betrachtung:

Die Richter ließen sich das "Sicherheitskonzept" von Kavala ausführlich erläutern.

Es fehlte in der schriftlichen Verbotsbegründung und war auch dem Verwaltungsgericht und den Anmeldern nicht bekannt, obwohl Verbote vollständig begründet werden müssen. Es wurde nunmehr überraschend nur mündlich in einem späten Verfahrensstadium vorgetragen und konnte so aktuell "passend gemacht" werden(4).

Nach den Erläuterungen von Kavala war das Sicherheitskonzept nach "den Wünschen der ausländischen Gäste" erstellt, die offenbar keinen Kontakt mit Protest wünschten und zu ihrer (vermeintlichen) Sicherheit nicht nur der Abschottung durch Sicherheitskräfte und Zäune, sondern auch "redundante Rettungswege" mit gesonderten Wegen für Präsident Bush begehrten. Seeweg und Luftweg könnten bei Schlechtwetter problematisch sein.

Die Kontrollstelle Galopprennbahn mit der Route nach Bad Doberan sollte immer freigehalten werden für Polizeifahrzeuge und als Rettungswege ins Krankenhaus sowie das extra dort eingerichtete "medical center". Die Straße durch die Kontrollstelle Hinter Bollhagen sollte für den Anliegerverkehr und ebenfalls für die Polizei freigehalten werden. Die Polizei beanspruchte alle weiteren befahrbaren Straßen außerhalb des Sperrzauns: Einsatzfahrzeuge könnten die Straße innerhalb der Sperre nicht nehmen, weil dann die Tore nicht geschlossen wären. An umfangreichem Kartenmaterial wurde deutlich, dass dennoch einige Wege für den Sternmarsch verbleiben würden. Diese aber lagen der Polizei entweder zu nahe an der Molli-Bahn (Blockadegefahr), waren zu eng für "Seitenbegleitung" oder zu nah an steinigen Stränden (Wurfgeschosse).

Nach diesen erhellenden Ausführungen von Kavala bestätigte das OVG wieder das Totalverbot für den Sternmarsch, kaschiert mit zwei alternativen "Ersatzrouten" auf der B 105 von Retschow und Kröpelin nach Bad Doberan, an denen die Anmelder wegen der fehlenden Öffentlichkeitswirkung ihr mangelndes Interesse deutlich gemacht hatten.

Vom Sternmarsch alternativ angemeldete Ersatzrouten außerhalb der Verbotszone 2 lehnte Kavala ab.

3. BVerfG: Verbot verfassungswidrig - Versammlung verboten
Die Entscheidung des BVerfG vom 06.06.2007(5) ist bemerkenswert:

Die Verbote und die Entscheidung des OVG hält das BVerfG mit einer Begründung von 19 Seiten für verfassungswidrig - dennoch lehnte es den Erlass eines Eilantrages ab. Der Sternmarsch blieb verboten - was war geschehen?

VG und OVG waren von einer friedlichen Konzeption des Sternmarsches ausgegangen. Kavala hatte keine "Tatsachen" für eine "Gewaltprognose" vorgetragen. Im Eilverfahren müssen die Gerichte die "Gefahrenprognose" der Polizei als zutreffend zugrunde legen, wenn und soweit sie auf "konkrete Tatsachen und Indizien" gestützt ist, denn das Gericht hat in der Eile keine eigenen Aufklärungsmöglichkeiten. So ging auch das BVerfG von einer ursprünglich rein friedlichen Sternmarschkonzeption aus.

Beeinflusst durch die Medienbilder einerseits, einen noch weiter zu untersuchenden Schriftsatz von Kavala andererseits nahm das BVerfG nunmehr eine eigene Gefahrenprognose anhand der aktuellen Ereignisse vor. Dies ist ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der versammlungsrechtlichen Eilverfahren vor dem BVerfG. Offenbar hatten die Richter "kalte Füße" und wollten nicht die Verantwortung für das ungewisse versammlungsrechtliche Geschehen rund um Heiligendamm übernehmen.

Kavala hat gegenüber dem BVerfG noch am 05.06.2007 - dem Dienstag - behauptet:

  • 2.500 bis 3.000 Gewalttäter als Verantwortliche der Auseinandersetzungen auf der Samstagsdemo in Rostock.
    Tatsächlich waren es höchstens einige Hundert von 30.000 bis 80.000 Teilnehmern (die Zahlen schwanken); zudem hatten die autonom operierenden BFE- und Sondereinheiten der Polizei eine erhebliche Verantwortung an der Eskalation.
  • Über 400 verletzte Polizeibeamte am 02.06., davon 25 schwer.
    Schon am Sonntag hatte die Presse berichtet, dass nur zwei Polizisten stationär behandelt worden waren, zudem ein ganz erheblicher Anteil der Verletzungen auf Tränengas zurückzuführen war.
  • Bei der Migrationsdemo am Montag sei es nur durch Abbruch der Versammlung nicht zu Ausschreitungen gekommen, es seien 1000 Gewalttäter in der Versammlung gewesen:
    Der örtliche Einsatzleiter aus Bayern hatte gegen die Gesamteinsatzleitung remonstriert, weil er weder Gewalttäter noch Vermummte fand und die Versammlung auch friedlich blieb, während sie von der Polizei auf Anweisung von oben gestoppt wurde, also auch Provokationen keine "Gewalt" auslösten.

Weitere Stimmungsmache betrieb KAVALA gegenüber dem BVerfG mit wilden Behauptungen über gefährliche Gegenstände und Vorbereitung von Straftaten in den Camps und in der Schule ohne jeden Nachweis.

Die Verfassungsrichter konnten nicht ausschließen, dass ein Teil der von der Polizei im Raum Rostock auf über 2.000 geschätzten gewaltbereiten Personen sich an den von anderen als friedlich geplanten Versammlungen beteiligen und gegen den Willen der Veranstalter Gewalttätigkeiten gegen Personen und Sachen begehen könnten. Die anfängliche Sicherheitslage habe sich durch die aktuellen Ereignisse verändert.

Das Verbot wird nunmehr vom VerfG auf eine eigene, neue Gefahrenprognose gestützt, die unkritisch von der Polizei bzw. den Medien übernommen wurde. Veranstalter haben so keine Chance, ihre friedlichen Absichten zu untermauern.

4. Ein Meilenstein in der Geschichte der Versammlungsfreiheit
Der Sternmarsch fand nicht statt, er blieb verboten. Trotzdem ist die unbefriedigende Entscheidung des BVerfG ein Meilenstein für die Versammlungsfreiheit. Das Gericht verreißt die Entscheidung des OVG und betont:

Nicht die Ausübung des Grundrechtes bedarf der Rechtfertigung, sondern der hoheitliche Eingriff in ein Grundrecht. Die Versammlungsfreiheit schützt das Interesse der Veranstalter auf einen Beachtungserfolg in möglichst großer Nähe zum symbolhaltigen Ort, hier zur "technischen Sperre", die aufgrund der Baukosten sowie der optischen Wirkung "das besondere Interesse der Öffentlichkeit und insbesondere der Gipfelkritiker" auf sich zieht.

Die bloße Gefährdung der öffentlichen Ordnung kann ein Versammlungsverbot ebensowenig tragen wie "Empfindlichkeiten ausländischer Politiker", denn die Grundrechte der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen und darin unverändert in ihrer Bedeutung. Der verfassungsrechtliche Schutz von Machtkritik ist nicht auf Kritik an inländischen Machtträgern begrenzt.

Die Überlegungen, die dem Sicherheitskonzept von Kavala zugrunde liegen, tragen dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit nicht Rechnung, denn es ist zumindest objektiv ein gegen die Durchführbarkeit von Versammlungen in der Verbotszone gerichtetes Konzept. Die auch von der Bundeskanzlerin auf einer Pressekonferenz am 18. Mai 2007 in Sankt Petersburg öffentlich unterstützte Möglichkeit, in der Bundesrepublik Deutschland den friedlichen Protest gegen den G8-Gipfel "in wirklich sichtbarer Form" und damit auch demonstrativ und öffentlichkeitswirksam vorzutragen, erhält in dem Sicherheitskonzept keine Verwirklichungschance.

Das BVerfG hält damit an seiner Rechtsprechung zu Art. 8 GG fest. Die Polizei darf eine Demonstration nicht deswegen verbieten oder auflösen, weil eine kleine Gruppe aus der Demonstration heraus gewalttätig wird, während die große Mehrheit der Teilnehmer friedlich ist. Denn andernfalls könnte die Polizei letztlich jeden Gewaltaufruf irgendeiner radikalen Gruppe im Internet als Verbotsgrund heranziehen.

5. Fazit
In propagandistisch aufgeheizten politischen Situationen wird das Versammlungsrecht auf der Straße erobert und verteidigt. Dies haben die vielen bunten Bilder von Demonstranten in Feldern und Blockaden deutlich gezeigt. Gerichte - bis hin zum Bundesverfassungsgericht - unterliegen der Manipulation durch den Sicherheitsapparat.

Trotzdem sind Gerichtsverfahren nicht überflüssig, sondern notwendig: Die gerade vom BVerfG betonten Grundsätze zum Rang und Umfang der Versammlungsfreiheit tragen die Protestszene in der Auseinandersetzung mit der Polizei um Versammlungen und Kriminalisierung "im kleinen". Die Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichtes beweist die Verfassungswidrigkeit der Allgemeinverfügung und "rettet" eine ungezählte Zahl von Aktivisten vor der Strafverfolgung. Der Streit um die Grenzen der Versammlungsfreiheit und die Desinformationspolitik der KAVALA ist nicht zu Ende. In nachträglichen Feststellungsklagen soll die Rechtswidrigkeit der Verbote im Detail festgestellt werden. Dabei ist das Verwaltungsgericht an die Rechtsausführungen des BVerfG gebunden.

Die Ereignisse haben das Recht ohnehin überholt, denn das Volk hat die Versammlungsfreiheit in bunten Blockaden rund um den Zaun erfolgreich verteidigt.

Prozesse kosten Geld. Wir bitten um Spenden auf das Konto Kultur- und Sportclub schw-rot eV " Kontonummer: 8194623, Sparkasse Hanau BLZ: 506 500 23, Verwendungszweck: Klage-Sternmarsch

Anmerkungen

  1. Nachzulesen unter http://gipfelsoli.org/Home/1701.html
  2. Das VG Schwerin erklärte im Laufe des Verfahrens, die Entscheidung würde sowieso das OVG Greifswald treffen und dafür eine mündliche Erörterung anberaumen - dies war offenbar von vornherein abgesprochen.
  3. Die Straße nach Bad Doberan nebst Molli-Bahn war zwischenzeitlich mit Nato-Draht abgezäunt worden, die "innere Sicherheitszone" schien für eine Großdemonstration unangreifbar.
  4. Aufzuklären bleibt, ob dies im Vorweg mit dem OVG so abgesprochen war.
  5. Im Volltext unter www.bundesverfassungsgericht.de/Entscheidungen

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Ulrike Donat ist Rechtsanwältin und Mediatorin.