Zur Erklärung der Tschechischen und Deutschen Friedensgesellschaften für gute Nachbarschaft

von Jiri Sobotka
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Man kann es Schicksal nennen oder ganz einfach Realität. Der tschechisch und deutsch sprechende homo sapiens auf dem europäischen Kontinent leben geographisch und historisch nebeneinander. Und nicht nur nebeneinander als Nationen auf den Gebieten ihrer Nationalstaaten, sondern auch miteinander.

Ich habe hier meine eigenen Erfahrungen. Unsere tschechisch sprechenden Familie hatte freundliche Kontakte mit einer deutsch sprechenden Familie im Norden der Tschechoslowakei nicht nur vor, sondern auch in der Zeit, als die Politik der Regierung Deutschlands nach dem Jahre 1933 zur unabhängigen Tschechoslowakischen Republik ganz feindlich war. Damals sind zu uns in die Tschechoslowakei viele deutsche Demokraten gekommen, die durch dieselbe Regierungspolitik verfolgt waren, einschließlich Willi Brandt. Die deutschen Sozialdemokraten hatten ihr Hauptquartier in Prag errichtet. Das und ähnliches hat mich veranlaßt, Unterschiede zwischen der feindlichen Regierungspolitik Deutschlands und dem freundlichen deutschsprechenden homo sapiens zu machen.
Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges strebt die tschechische Friedensbewegung zusammen mit der deutschen Friedensbewegung den beiderseitigen Frieden im Rahmen des Friedens in Europa und in der ganzen Welt an. Die Kontakte und wiederholte Diskussionen – hauptsächlich in Marianske Lazne (Marienbad) – mit dem Ziel einer guten Nachbarschaft, Freundschaft und beiderseitigen Zusammenarbeit ist Tradition geworden.

Um gute Nachbarschaft zu fördern wurde vereinbart, eine gemeinsame Erklärung mit den Bedingungen für Frieden, Freundschaft und Zusammenarbeit auszuarbeiten und anläßlich des 50. Jahrestages der Beendigung des Krieges im Mai 1995 zu veröffentlichen. Zwei Jahre früher als die tschechisch-deutsche Regierungsdeklaration, die von den Repräsentanten der Außenministerien beider Staaten vorbereitet wurde. Beide Dokumente deklarieren, daß sie gute nachbarschaftliche Beziehungen anstreben. Die Meinungen, wie man das erzielen kann, sind aber nicht dieselben.

Zum Beispiel: Die Vertreter der tschechischen und deutschen Friedensgesellschaften haben die Schlußfolgerung gezogen, daß sie allgemein die Erfahrungen der Vergangenheit in Betracht nehmen, aber sich nicht mit den konkreten Aspekten beschäftigen werden. Wir sind nicht Gesellschaften von Historikern. Und wozu die kaum geheilten Wunden der Vergangenheit neu öffnen? Zitat aus der Erklärung: „Die Fakten der Vergangenheit kann man nicht ändern, aber die Realität der Gegenwart und der Zukunft kann so beeinflußt werden, daß sie zur Realität der friedlichen freundschaftlichen Beziehungen, der gegenseitig vorteilhaften Kontakte und Zusammenarbeit zwischen der Tschechischen Republik und Bundesrepublik wird.“

Die professionellen Politiker der tschechisch-deutschen Regierungserklärung haben das Gegenteil gemacht. Sachlich gehört den Politikern die Gegenwart und die nächste Zukunft. Warum sie meinten, daß sich die Erklärung mit der Geschichte beschäftigen müsse und daß sie dabei im Stande seien, die professionellen Historiker zu ersetzen, wissen nur sie selbst. Die Folge dessen ist allgemein bekannt: eine scharfe Kritik von denen, die die Geschichte miterlebt haben bis zu den Professoren der Universitäten.

Ein weiteres Beispiel: In der Erklärung der Friedensgesellschaften wird allgemein gesagt: „… in der Geschichte … sind zwei Grundlinien aufzuspüren. Einerseits die Linie der Feindschaft, der Kämpfe, des Leidens und des Unrechts. Andererseits die Linie der friedlichen Kontakte und der gleichberechtigten gegenseitig vorteilhaften Zusammenarbeit.“ Die Politiker der Regierungserklärung aber sprechen über Vergangenheit bloß als „Würdigung der langen Geschichte fruchtbaren und friedlichen Zusammenlebens.“ Das veranlaßt dann die Leute zu Fragen und verschiedenen unnötigen Äußerungen wie: aber in der Vit Kathedrale kann man lesen, daß diese von der preußischen Armee im Jahre 1957 beschossen wurde, oder aber die preußische Armee hat im Jahre 1866 und die deutsche Wehrmacht im Jahre 1939 Praha besetzt, Freiheit und Demokratie unterdrückt, alle Männer von Lezaky und Lidice waren ohne Schuld erschossen worden als Teil von 360.000 ermordeten Bürgern der Tschechoslowakei usw.

Und so gibt es auf der tschechischen Seite im Ganzen eine günstige Lage, die Beziehungen einer guten Nachbarschaft aufzubauen. Das sollte man in Betracht der historischen Erfahrungen nicht übersehen.

Die Deklaration der Friedensgruppen aus beiden Ländern sieht keine Notwendigkeit, neue Grundsätze der guten Nachbarschaft auszuarbeiten. Man soll nur Grundsätze der UNO-Charta, der Schlußakte von Helsinki, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die Konvention der politischen, bürgerlichen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Rechte und andere Dokumente des internationalen Völkerrechts als Grundlage des Handelns zu nehmen.

Doch gibt es manche speziellen Aspekte der tschechisch-deutschen Beziehungen, die man in Betracht ziehen sollte und die in der Regierungsdeklaration nicht erwähnt sind. Es ist wichtig, „der Wiederbelebung dessen vorzubeugen, was die tschechisch-deutschen Beziehungen neu belasten könnte“, sagt man hier, was faktisch zur Schwächung der Freiheit und Unabhängigkeit der Tschechischen Republik führte. Und das kann damit beginnen, daß man wie in der Zeit der deutschen Okkupation „Tschechei“ statt „Tschechische Republik“ sagt und schreibt. Oder zum Beispiel die Benutzung der deutschen Übersetzung der Namen der tschechischen Städte, was manchmal bei „Tschitschowitz“ statt „Cicovice“ für die Tschechen ganz komisch ist.

„Die deutsch-tschechischen Beziehungen können sich positiv entwickeln, wenn – ungeachtet der Unterschiede hinsichtlich der territorialen Größe, der Bevölkerungszahl, der ökonomischen und militärischen Macht unserer beiden Länder – das Prinzip der souveränen Gleichheit in der zwischenstaatlichen Beziehungen in den Angelegenheiten der Praxis präzise berücksichtigt wird“, sagt man in der Deklaration der Friedensgesellschaften.

Zum Schluß der gemeinsamen Erklärung von Marienbad heißt es: „Zu den Voraussetzungen einer friedlichen Entwicklung der deutsch-tschechischen Beziehungen gehört auch die innere ökonomische und soziale Stabilität der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik als Bedingung für die Geltendmachung der Demokratie. Ökonomische und soziale Instabilität sowie Einschränkung der Demokratie in unseren Ländern würde ähnlich wie in der Vergangenheit an Bedingungen für nationalen und andersgearteten Haß schaffen.“

Am Ende zeigt die Erklärung der Friedensgesellschaften die Perspektiven: „Die Zukunft der Deutschen und Tschechen gleich wie der anderen europäischen Nationen liegt im vereinigten Europa.“
 

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Ing. Jiri Sobotka gehört zum Vorstand der Tschechischen Friedensgesellschaft.