Kriegsethik adieu?

Zur ethischen Dimension des Kampfes um Kampfdrohnen

von Albert Fuchs
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Die vom Verteidigungsministerium (BMVg) im ersten Halbjahr 2020 unter den einschränkenden Bedingungen der Corona-Pandemie organisierte Debatte zur Frage der Bewaffnung von Drohnen der Bundeswehr drehte sich weitgehend um den militärisch-operativen Nutzen bewaffneter Drohnen statt gründlich und ergebnisoffen um die ethische  Dimension der Kampfdrohnenproblematik. Da aber Fragen von Krieg und Frieden zur Debatte stehen – Fragen also eines bewussten, absichtsvollen und gezielten Tötens von Mitmenschen –, gehört die ethische Problematik ins Zentrum.

Bei einer Internet-Recherche zu dieser Problematik zeichnet sich bald der wichtigste Bezugsrahmen ab: die in der römischen Antike entstandene und von der nach-konstantinischen lateinischen Kirche übernommene und weiterentwickelte Bellum-iustum (BJ)-Doktrin, die Lehre vom „gerechten“ Krieg. Im Laufe ihrer langen Geschichte hat sie wichtige Änderungen in Reaktion auf politische Entwicklungen erfahren, die wichtigsten wohl bei der sog. Kriteriologie. Als Kriterien, d.h. als Erlaubnis-Bedingungen gelten: rechtfertigender Grund, rechte Absicht, legitime Autorisierung, Ultima-ratio-Charakter (militärischer Maßnahmen), Unterscheidbarkeit (von Kombattant*innen und Nicht-Kombattant*innen), Eignung oder Erfolgswahrscheinlichkeit und Verhältnismäßigkeit (der Mittel und Folgen). Meist wird Recht zum Krieg (Ius ad bellum) von Recht im Krieg (Ius in bello) differenziert. In der Regel gilt der gesamte Katalog als Ius-ad-bellum-relevant; in Bezug auf konkrete Situationen und Maßnahmen werden dem Ius in bello die Kriterien (militärische) Notwendigkeit, Unterscheidung (von Kombattanten und Nicht-Kombattanten) und Verhältnismäßigkeit zugeordnet.

Die BJ-Kriterien sind höchst interpretationsoffen. Brisanter sind aber die Bewährungsfragen: Wie BJ-konform ist typischerweise und kann die Verwendung von Kampfdrohnen überhaupt sein? Und wie wirkt die Drohnenkriegsführung u.U. zurück auf die BJ-Konzeption? Diese Fragen sind zwar analytisch zu trennen, aber kaum sachgerecht getrennt zu erörtern; das soll hier nicht einmal versucht werden. Auch ist diesen Fragen hier nur selektiv nachzugehen.

Bewährungsfragen
Aus der Sicht mancher Debatten-Teilnehmer*innen bieten Drohnen im Vergleich zu herkömmlichen Waffen wie Panzer und Hubschrauber erhebliche ethische Vorteile; es könne sogar eine (moralische) „Pflicht zur Drohne“ bestehen (z.B. Strawser 2010). Dieser Hochschätzung liegt hauptsächlich der viel gepriesene besondere Schutz des eigenen Militärpersonals zugrunde, also ein Aspekt der Kriegführung, der von der BJ-Doktrin kaum als eigens ethisch regelungsbedürftig erfasst wird. Meist wird jedoch damit das Argument verbunden, aufgrund ihrer Präzision ermögliche die Drohne auch die Erfüllung eines zentralen Ius in bello-Kriteriums, eine nahezu perfekte Unterscheidung von Kombattant*innen und Nicht-Kombattant*innen, und in der Folge ein wesentliche Verbesserung des Schutzes der (gegnerischen) Zivilbevölkerung und ziviler Güter im Einsatzgebiet.  

Eine kritische Analyse der These von der Drohne als Präzisions-Kriegsmaschine hat Chamayou (2014) vorgelegt. Der Wert der Drohne sei nur gegen den Wert gleichzeitig und für die gleiche taktische Funktion zur Verfügung stehender anderer Mittel adäquat abzuwägen. Bei der Liquidierung von Bin Laden beispielsweise wäre sie zu vergleichen (gewesen) mit dem Einsatzkommando. Nichtberücksichtigung der angemessenen Ordnung des Vergleichs hat irreführende Evidenz zur Folge. Die Bedeutung dieses Sachverhalts erschließt sich bei genauerem Hinsehen auch empirisch. So beschreibt beispielsweise Devereaux (2015) weitgehend auf der Grundlage eigener Analysen des US-Militärs, die zur „Operation Haymaker“ (Januar 2012 bis Februar 2013 im nordöstlichen Grenzgebiet Afghanistans) erarbeitet wurden, wie diese Militäraktion trotz guter Voraussetzungen in vielerlei Hinsicht ein Misserfolg wurde, und wie insbesondere die Drohneneinsätze im Vergleich zu Einsätzen von Sondertruppen am Boden zur „Menschenjagd“ gerieten.

Die Frage eines „ethischen Vorteils“ von Kampfdrohnen wird nach Chamayou noch verwickelter aufgrund einer Konfusion der Begriffe Treffergenauigkeit, Wirkungsradius und Adäquatheit der Zielfindung. So mag ein lasergesteuerter Schlag zwar präzise in dem Sinne sein, dass er das Ziel sicher trifft, aber hoch unpräzise, sofern er nicht nur das Ziel trifft. Ob und wie präzise er im zweiten Sinn ist, hängt entscheidend vom Tötungs- und Verletzungs-Radius ab. Der liegt im Falle der von der US-amerikanischen Predator-Drohne abgeschossenen Hellfire-Raketen bei geschätzt 15 bzw. 20 Metern. Hinzu kommt eine Verwirrung hinsichtlich der technischen Präzision des Waffeneinsatzes und der Eignung der Drohne zur Zielfindung. Die Präzision eines Schlags besagt nichts über die Validität der Identifizierung des Ziels. Als Grundlage der Zielfindung und -auswahl gilt gemeinhin die visuelle Identifizierung. Doch elektronisch in Echtzeit übermittelte Lagebilder als solche beantworten, selbst bei verbesserter Bildwiedergabe oder gestützt auf die Fähigkeit zu Dauerüberwachung, nicht die Frage, woran zu „sehen“ ist, ob eine Person Kombattantenstatus hat oder nicht. Wenn sich der Kombattantenstatus nicht mehr, wie es beim Kampfdrohneneinsatz zur Aufstandsbekämpfung in der Regel der Fall ist, anhand eines konventionellen Unterscheidungszeichens feststellen lässt, bleiben nur noch „direkte Teilnahme an Feindseligkeiten“ und „unmittelbare Bedrohung“. Und selbst die entfallen - abgesehen davon, dass es sich um Interpretations-Konstrukte handelt -, wenn es wie in der US-amerikanischen Drohnenkriegspraxis aufgrund der nahezu ausschließlichen Verwendung der Drohne kaum noch zu lokalisierbaren Auseinandersetzungen kommt, an denen Gegner teilnehmen könnten, und wenn auch keine Bodentruppen mehr vorhanden sind, die zu bedrohen wären. Das besagt, die Drohne bedroht die Anwendbarkeit des Prinzips der Unterscheidung an und für sich.

Um aber den weltweiten war on terror fortsetzen zu können, auch wenn man nicht mehr anhand von Feststellungen sozusagen „in flagranti“ gegen scheinbar allgegenwärtige Feinde vorgehen kann, muss man andere Identifikationstechniken und andere Kategorien der Feindmarkierung mobilisieren. Das führt zur „Militantisierung“ der Gegner und zur „Probabilisierung“ des Kombattantenstatus: Aus feindlichen Kämpfern werden mutmaßliche Extremisten (suspected militants), die anhand kategorialer Zugehörigkeit (Geschlecht, Alter…) oder ihres Verhaltens- oder Lebensmusters aufzuspüren und zu eliminieren sind.

Militärethiker wie Strawser (2010) argumentieren mehr oder weniger dezidiert und explizit konditional. Man behauptet, wenn (und nur wenn) gerechte Kriegsgründe vorliegen, könne der Kampfdrohneneinsatz ethisch vertretbarer sein als die Verwendung herkömmlicher Waffensysteme. Man lässt aber offen, wann solche Kriegsgründe vorliegen, bzw. unterstellt stillschweigend, dass sie jedenfalls im Falle des US-amerikanischen Drohnenkriegs gegen „Al-Kaida und Genossen“ oder im Falle des israelischen Besatzungskriegs gegen palästinensische „Terroristen“ vorliegen. Auch für das BMVg spielen die damit angesprochenen Fragen des Ius ad bellum kaum eine Rolle. Aber dank des besonderen Schutzes des eigenen Personals beim Kampfdrohneneinsatz braucht die Politik kaum zu befürchten, dass sie die politische Unterstützung der Bevölkerung für einen Rückgriff auf militärische Gewalt verlieren könnte, sobald es zu Verlusten der eigenen Seite kommt. Das führt, unter Vernachlässigung der Ius-ad-bellum-Problematik, nach vorliegender Erfahrung zur Absenkung der mentalen und politischen Hemmschwelle gegen die Anwendung von militärischer Gewalt

Konkreter schlägt diese Problematik zu Buche, wenn man den rechtfertigenden Standard-Kriegsgrund „Selbstverteidigung“ (gem. Art. 51 UN-Charta) in den Blick nimmt. Am Beispiel der US-Drohnenkriegsführung in der Amtszeit von US-Präsident Barack Obama (2009-2017) ist das zu verdeutlichen. Nach einer differenzierten Analyse des Politologen M. Boyle (2015) ist Obamas Programm weniger das Ergebnis der waffentechnologischen Entwicklung per se als ein Ausfluss des seitens der Obama-Administration wiederholt artikulierten Rechtsanspruchs auf weltweite antizipatorische Selbstverteidigung gegen „Al-Kaida und assoziierte Kräfte“, insbesondere auch außerhalb von Gebieten „aktiver Feindseligkeiten“. Diesem Anspruch basiert offensichtlich auf einem wesentlich anderen Begriff von staatlicher Selbstverteidigung als mit Artikel 51 der UN-Charta konstituiert und läuft auf Zersetzung Ius-ad-bellum bezogener Wertmaßstäbe als solchen hinaus. In der der Folge ist Normänderung in dem Maße zu befürchten, wie sich die amerikanische Praxis gezielter „antizipatorischer“ Tötungen, insbesondere auch jenseits erklärter, raum-zeitlich bestimmter bewaffneter Konflikte, als Völkergewohnheitsrecht durchzusetzen droht.

Weitere ungeklärte ethisch relevante Fragen weisen über den Rahmen der BJ -Doktrin hinaus: etwa Fragen zu den psycho-sozialen Auswirkungen der Kampfdrohneneinsätze auf die jeweilige Zivilbevölkerung allgemein in damit heimgesuchten Konfliktgebieten, zu den Folgen für Bemühungen um Friedenskonsolidierung in der Nachkriegssituation, zu der  längst in Gang gekommenen weltweiten Kampfdrohnen-Proliferation und zu der weitgehend ausgesparten Gefahr eines Wettrüstens. Die besonders brisante Frage schließlich, ob die Einführung von Kampfdrohnen auf einen (weiteren) Schritt zur Automatisierung und letztlich zur Autonomisierung der Kriegführung hinausläuft, kommt zwar vielfach zur Sprache, bisher jedoch ohne eine auch nur ansatzweise befriedigende Beantwortung.

Zerrüttung des Fundaments
Der BJ-theoretischen Grundidee legitimer Gegengewalt gegen unrechtmäßigen Gewaltgebrauch liegt ein ähnliches Notwehr-Konstrukt zugrunde wie z.B. den betreffenden Paragraphen des deutschen Strafgesetzbuchs und des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§32 (2) StGB; §227 (2) BGB). Das Individuum-bezogene Notwehrrecht gestattet (unter bestimmten Bedingungen und in angemessener Weise) die Verletzung von Rechtsgütern eines Angreifers und verpflichtet ihn zu deren Duldung. Wenn es aber um die Verteidigung von Leib und Leben geht, ist selbst im Falle individueller Notwehr keineswegs ausgemacht, dass die etwaige Tötung des Angreifers nicht nur juristisch straflos zu stellen ist, sondern auch als moralisch erlaubt (oder gar geboten) gelten kann.

Die traditionelle Berufung auf notwehrhafte, u.U. tödliche, Selbstverteidigung gegen einen ungerechtfertigten Angriff als paradigmatischen Erlaubnisgrund für einen Rückgriff auf letale militärische Gewalt ist bereits eine sehr fragwürdige Konstruktion: Individuelle und kollektive (staatliche) Notwehr werden kategorial gleichgesetzt, und man behauptet, von der (angeblich) unstrittigen ethischen Vertretbarkeit individueller Notwehr auf die Vertretbarkeit kollektiver Notwehr schließen zu können. Die Drohnenkriegsführung unterminiert dieses gewagte Notwehrkonstrukt vollends: Zwischen Drohnenkriegern und den Kombattant*innen der Gegenseite kommt es zu keiner konkreten militärischen Konfrontation in einem territorial und zeitlich umschriebenen „Kriegstheater“. Vielmehr sind die Zielpersonen bar jeder Möglichkeit effektiver Gegenwehr den Drohnenangriffen ausgeliefert. Zu dieser absoluten Macht-Disparität kommt eine ebenso vollständige Informations-Disparität. Die Zielpersonen können nichts von der in Gang gesetzten Gewaltdynamik wissen und auch dem Drohnenpersonal nicht mitteilen, dass sie sich eventuell ergeben und gefangen nehmen lassen  möchten. Und schließlich sind sie schutzlos einer nahezu perfekten Treffergenauigkeit preisgegeben. Die gleichzeitige Realisation dieser drei Bedingungen konstituiert einen ethischen Sonderstatus der Kampfdrohnenverwendung im Vergleich mit herkömmlichen Waffen (Ogburn 2020). Damit entfällt offensichtlich die Grundlage, das Handeln der Drohnenkrieger als Notwehr zu interpretieren und zu rechtfertigen. Das (moralische wie das positive) Recht zu legitimer Verteidigung mittels Kampfdrohnen gerät zur Farce.

„Gezieltes Töten“ (targeted killing) von verdächtigen Personen oder kleinen Personengruppen umschreibt prägnant die typische Einsatzform von Kampfdrohnen, zumindest nach dem maßgeblichen US-Muster. In der jüngsten BMVg-Debatte wurde immer wieder versichert, man werde sich diesbezüglich vor allem von „unserem wichtigsten Verbündeten“, den USA, absetzen. Gleichzeitig aber wird diese Praxis von der Bundesregierung nicht nur toleriert, sondern insbesondere via Air Base Ramstein mit organisiert und implementiert. Weder die Bundesregierung noch eine andere (Nato-) Regierung widerspricht (öffentlich) den Versuchen der USA und Verbündeter, den Drohnenkrieg auf höchster Ebene als Selbstverteidigung - und damit als völkerrechts- und kriegsethik-konform - zu rechtfertigen. Schließlich werden die Ausrüstung der Bundeswehr mit Kampfdrohnen und deren Bewaffnung in enger Kooperation mit Israel betrieben wird, das mit seiner Drohnenkriegspolitik den USA nur insofern nachsteht, als keine weltweiten Ansprüche erkennbar damit verbunden sind. Demnach ist nicht ersichtlich, wie das bundesdeutsche Kampfdrohnenprojekt der skizzierten ethischen Problematik enthoben sein könnte.

Zitierte Literatur
Boyle, M. (2015): The legal and ethical implications of drone warfare. International Journal of Human Rights, Vol. 19 (2), S. 105-126.
Chamayou, G. (2014): Ferngesteuerte Gewalt. Eine Theorie der Drohne. Wien: Passagen.
Devereaux, R. (2015): Manhunting in the Hindu Kush. The Intercept, 15.10.2015.
Metzler, O. & Fuchs, A. (2020): Theorie(n) des gerechten Krieges zur Kriegsdrohnenproblematik. Wissenschaft und Frieden, 38 (2), Dossier 89, S. 6-9.
Ogburn, L. (2020): Drones and war. The impact of advancement in military technology on Just War Theory and the International Law of Armed Conflict. Ethics & International Affairs, September 2020.
Strawser, B.J. (2010): Moral predators: The duty to employ uninhabited aerial vehicles. Journal of Military Ethics, 9 (4), S. 342-368.

Der vorliegende Beitrag beinhaltet sowohl Kürzungen als auch Ergänzungen des Beitrags von Metzler & Fuchs (2020) zur gleichen Thematik; dafür ist allein der Autor verantwortlich.
Prof. Dr. Albert Fuchs war Hochschullehrer für Kognitions- und Sozialpsychologie und psychologische Methodenlehre und ist im Beirat der Zeitschrift Wissenschaft und Frieden und bei pax christi/Kommission Friedenspolitik engagiert.

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