Zur Friedensdebatte im Bündnis 90/Die Grünen

von Achim Schmillen
Hintergrund
Hintergrund

1.    Bei den GRÜNEN hat es seit dem Fall der Mauer und dem damit ver­bundenen Ende des Ost-West-Kon­fliktes, abgesehen von den teilweise prinzipienlosen und unangemessenen Vorschlägen zum Krieg auf dem Bal­kan, noch keine substantielle Diskus­sion über diese rasante Entwicklung und deren Auswirkungen auf die grüne Programmatik gegeben. Die Orientierungslosigkeit im Hinblick auf Lösungsmöglichkeiten im jugo­slawischen Bürgerkrieg hat zwar an­satzweise eine kleinere Kontroverse über die Frage nach Pazifismus und Gewaltfreiheit ausgelöst, aber Versu­che eine gewisse Systematik in diese Äußerungen zu bringen, sind im An­satz steckengeblieben. Da zurzeit lediglich diese Debatte eine gewisse Rolle spielt, können keine divergen­ten Positionen zu konkreten Einzel­fragen, wie Wehrpflicht vs. Berufs­armee, Allgemeine Dienstpflicht, Blauhelme Ja oder Nein, nicht-militä­rische Konfliktlösungsmöglichkeiten angeführt werden. Als Einzelperson im Bundestagsbetrieb werden einem die Durchhalteparolen der BoA-Kampagne mit auf den Weg gegeben, innergrüne Debatten zu den konkre­ten Einzelthemen gibt es nicht. So hat beispielsweise eine kleinere Ausein­andersetzung zwischen mir und der ami um die Abschaffung der Wehr­pflicht, keine Positionsbestimmung der zuständigen Arbeitszusammen­hänge der GRÜNEN nach sich gezo­gen. Das ist letztlich auch der Grund dafür, daß ich in diesem Artikel nur die Auffassung der Bundestags­gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schildern kann, da sich sonst keine Parteigremien mit diesen Fragen aus­einandersetzen.

2.    Was den Umfang der Bundeswehr betrifft, schlagen wir vor, daß über die Ergebnisse der 2+4-Verhandlun­gen hinaus die Stärke der Bundes­wehr auf 100.000 Soldaten bis zum Jahr 1994 reduziert wird. Wir unter­stützen die Kampagne für einen ver­bindlichen Verzicht von Rüstungsex­porten durch eine entsprechende Än­derung des Grundgesetzes. Wir leh­nen die nukleare Teilhabe der Bun­deswehr ab und sind gegen den Auf­bau einer nationalen operativen Pla­nungsebene (Generalstab). Wegen der umfangreichen Folgeprobleme bei einer weitergehenden Reduzie­rung der Bundeswehr fordern wir, daß im Bundesministerium der Ver­teidigung eine Abteilung für grundle­gende Fragen der Streitkräftereduzie­rung geschaffen wird.

3.    Auf dem Weg zu BoA sieht unser Lösungskonzept mehrere Zwischen­schritte vor. Ein erster Schritt wäre ein Verzicht der Bundeswehr auf alle Waffensysteme, die nicht einer strikten Defensivierung der Streit­kräfte entsprechen. Dazu ist der Stopp von Entwicklung und Beschaffung offensiver Großwaffensysteme un­umgänglich. Auf einen Ausbau der Luft-Boden-Angriffsfähigkeit durch die Entwicklung luftgestützter Ab­standswaffen soll ebenso verzichtet werden, wie auf einen Ausbau der Fähigkeit zur Abwehr ballistischer Flugkörper. Wir lehnen den Aufbau einer Luftkavallerie des Heeres ab, ebenso wie Weiterentwicklung und Optimierung der Fähigkeit Kampf in die Tiefe durch Entwicklung von Aufklärungs- und Kampfdrohnen, MRLS/MARS und zusätzliche Be­schaffung von Tornados aufzugeben. Die Optimierung der maritimen Kriegsführungsfähigkeit durch den Bau von Fregatten der Klasse 123, einer Kamfwertsteigerung der U-Boote Typ 206 und der Entwicklung der U-Boote 212 ist der sicherheits­politschen Lage nicht angemessen. Wir lehnen die Beschaffung einer "abgespeckten" Jäger-90-Version ab.

4.    Diskussion um die Wehrpflicht und Allgemeine Dienstpflicht

      Die Bundestagsgruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordert seit mehr als einem Jahr die Abschaffung der Wehrpflicht. Sie ist aus Gründen der Wehrgerechtigkeit auf lange Sicht nicht zu halten; hier stimmen wir den Ergebnissen der Jacobsen-Kommis­sion ausdrücklich zu. Es ist nicht hin­zunehmen, daß diejenigen jungen Männer, die den Kriegsdienst mit der Waffe verweigern, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen Ersatzdienst leisten, weil es in diesem Bereich einen hinreichenden Bedarf an diesen Leistungen gibt, während die Chance von Wehrdienstpflichten verschont zu bleiben, wesentlich grö­ßer ist, wenn man sich ruhig verhält und auf Losglück hofft. Aus diesem Dilemma gibt es nur drei Auswege. Entweder man reduziert die Wehr­dienstdauer weiter, beispielsweise auf neun oder gar sechs Monate, führt eine allgemeine Dienstpflicht ein oder spricht sich für eine Freiwilli­genorganisation aus. Wie bereits zu verschiedenen Gelegenheiten ausge­führt, spricht sich die Bundestags­gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für eine Sicherheitsorganisation aus, die neben einem geringen Berufska­der ein System zeitlich begrenzter Arbeitsverträge (vier oder fünf Jahre) umfasst. Die Alternative zur Wehr­pflichtarmee ist also keineswegs wie immer behauptet die Berufsarmee oder gar ein Söldnerheer.

      Die Bundestagsgruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lehnt eine Allge­meine Dienstpflicht entschieden ab. Abgesehen davon, daß zu bezweifeln ist, ob zwangsverpflichtete jugendli­che Menschen z.B. überhaupt einen Entwicklungsdienst leisten können, wird durch die allgemeine Dienst­pflicht auch die Frage nach einer all­gemeinen Dienstpflicht für Frauen gestellt. Der Staat sollte keinen Zu­griff auf eine ganze Altersgruppe er­halten.

5.    Internationale gewaltfreie Konfliktlö­sung

      Die Vereinten Nationen (VN) stehen vor einer Vielzahl neuer Herausfor­derungen. Die Diskussion über eine mögliche Beteiligung deutscher Sol­daten an Kampfeinsätzen der VN auf Grundlage des Kapitels VII der Charta verkürzt die Aspekte einer wirkungsvollen Unterstützung der VN auf eine militärische Frage. Si­cherheit und Friedenssicherung ist aber mehr als militärische Sicherheit. Trotz der Erfahrung, daß die VN im Golfkrieg von einer Supermacht für ihre nationalen Interessen instru­mentalisiert werden konnte, setzen wir uns für eine Stärkung der Ver­einten Nationen ein. Bei einer zu­nehmenden Verschärfung der inter- und intranationalen Entwicklungsdis­paritäten darf berechtigte Kritik an der derzeitigen  Verfasstheit der Ver­einten Nationen nicht den Blick auf ihre absolute Existenznotwendigkeit verstellen. Die mangelnde demokrati­sche Verfasstheit bestimmter Organi­sationen der Vereinten Nationen darf eine gewaltfreie und nicht-militäri­sche Einmischung in Konflikte nicht blockieren.

      Wir setzen uns im Deutschen Bun­destag dafür ein, daß die Bundesre­publik ein Kontingent zur Unterstüt­zung von konfliktvermeidenden, prä­ventiven und friedensbewahrenden Maßnahmen der Vereinten Nationen aufzustellt. Das Ziel dieser Be­mühungen ist es eine multifunktio­nale Einheit zu bilden, die nicht unter nationaler Verantwortung, sondern im Rahmen der Vereinten Nationen aufgrund eines Hilfeersuchens nach einem Antrag der Bundesregierung mit der Zustimmung des Bundestages eingesetzt werden kann. Dazu legen wir demnächst einen entsprechenden Antrag vor.

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Achim Schmillen ist Koordinator AK II Außen- und Sicherheitspolitik der Bun­destagsgruppe Bündnis 90/Die Grünen.