Ökonomisches Denken und neue Sicherheitsdefinition als Bausteine zur Militarisierung der Inneren Sicherheit

Zur Ökonomie der Inneren Sicherheit

von Michael Berndt

Auch wenn gerade mal wieder Ruhe in die Diskussion über Bundeswehreinsätze im Inland eingekehrt ist, so darf doch nichts darüber hinwegtäuschen, dass sie zu gegebener Zeit wieder aufflammen wird und sich ihre Protagonisten wieder zu Wort melden werden, um alte Projekte (so das Luftsicherheitsgesetz oder gar ein Seesicherheitsgesetz) weiter voranzutreiben, oder neue Projekte des Ersatzes der Polizei durch das Militär zu entwerfen.

Nun geht es dabei nicht nur um eine Veränderung der im Grundgesetz geregelten Beschränkungen von Bundeswehreinsätzen(1). Hier könnten ja Präzisierungen durchaus notwendig sein. Als Problem erscheint vielmehr, dass diese Veränderungen der grundgesetzlichen Beschränkungen Aufweichungen der Beschränkungen sind.

Während laut Grundgesetz die Bundeswehr in Friedenszeiten im Inland nur zur Unterstützung (Amtshilfe) der Polizei eingesetzt werden darf, zeigte gerade der Einsatz der Bundeswehr beim G8-Gipfel in Heiligendamm, dass von Amtshilfe wenig zu merken war, da die Polizei gar nicht genau wusste, was die Bundeswehr in der Region Heiligendamm so alles trieb.(2)

Die Forderung nach erweiterten Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr im Inneren wird zum einen begründet mit der veränderten Sicherheitslage und zum anderen damit, dass die Bundeswehr über Fähigkeiten verfügt, die die Institutionen, die im Inland für derartige Einsätze zuständig wären - so die Bundespolizei, die Landespolizeien, das THW, die Feuerwehren und die diversen medizinischen Institutionen -, nicht besitzen. Wie beide Diskussionen zusammenspielen, soll im Folgenden diskutiert werden.

Sicherheitsdefinition
Aus Sicht der Bundesregierung hat sich im Angesicht terroristischer Bedrohungen die Sicherheitslage grundsätzlich verändert. So heißt es schon gleich zu Beginn des Weißbuches 2006: "Internationaler Terrorismus ist eine zentrale Herausforderung und bedroht Freiheit und Sicherheit."(3)

Die Definition von "internationalem Terrorismus" als zentraler Sicherheitsgefahr liefert den Ausgangspunkt, um Terroranschläge als kriegerische Akte zu definieren. Und mit ihr kehrt der "Feind"(4) in die sicherheits- und militärpolitischen Planungen zurück(5). Es ist ein benennbarer Feind - wie diffus er auch immer sein mag. Die Definition von Terroranschlägen als Krieg - und nicht mehr als kriminelle Akte(6) - und von Terroristen als Feinde - und nicht Kriminelle -, für die Landesgrenzen keine wesentlichen Schranken mehr darstellen, mündet direkt in die These, dass die Trennung von äußerer und innerer Sicherheit nicht mehr problemadäquat ist. Genau diese These öffnet Tür und Tor zur sukzessiven Aufweichung der grundgesetzlichen Beschränkungen des Bundeswehreinsatzes und zur umfassenden Ausweitung der Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr im In- und Ausland.

Ökonomische Ziel-Mittel-Logik
Um derart definierten Sicherheitsgefahren entgegenzutreten, müssen die Mittel scheinbar optimal eingesetzt werden. In dieser Diskussion zeigt sich, wie ökonomisches Denken Einzug in die sicherheits- und militärpolitischen Planungen genommen hat. Es geht nur noch um die Ziel-Mittel-Frage: auf der einen Seite steht eine verändert definierte Rahmenlage. Auf der anderen Seite stehen bestimmte Mittel zur Reaktion zur Verfügung. Ist das Ziel Schutz vor den neuen Sicherheitsgefahren, so sind die Mittel dazu optimal einzusetzen. Diese verbetriebswirtschaftlichte Sichtweise wird nun auf die gesamte Planung der Bundeswehr angewandt. Schon in der Sprache, in der das Weißbuch 2006 verfasst wurde, kommt sie zum Ausdruck. Da geht es um "Zertifizierung"(7), "innovative Lösungsansätze"(8) und "Optimierungspotenziale"(9). Gegenüber dem seit Frühjahr 2006 im Internet kursierenden Entwurf(10), wurden in der Schlussredaktion einige dieser Begrifflichkeiten wieder in eine mehr militärische Sprache verpackt. So wurde aus der "geltende(n) Geschäftsgrundlage"(11) zwischen NATO und EU eine "Dauervereinbarung"(12) und aus dem "Streitkräfteportfolie"(13) das "Streitkräftedispositiv"(14). Andere Formulierungen blieben aber bestehen, so z.B.: "Die Verzahnung der Fähigkeitskategorien erfordert aber auch, dass neben der Verbesserung der bislang defizitären Teilfähigkeiten genügend Spielraum für Modernisierung in allen Fähigkeitskategorien bleibt, um vorrangig ein breites Spektrum von Grundbefähigungen zu erreichen."(15) Bei solchen Formulierungen vergisst man fast, dass es sich hier nicht um ein Unternehmen, sondern um das militärische Instrument deutscher Politik handelt.

Diese ökonomische Logik findet sich auch wieder im Konzept der Zivil-militärischen Zusammenarbeit in Afghanistan, wie in Deutschland während der Fußballweltmeisterschaft 2006 und schließlich beim G8 Gipfel in Heiligendamm im Sommer 2007. Dass dort die gleichen Tornados zum Einsatz kamen wie in Afghanistan,(16) hatte weniger etwas mit Terrorismusabwehr zu tun. Stattdessen folgt dies der betriebswirtschaftlichen Argumentation eines optimalen Mitteleinsatzes der vorhandenen Fähigkeiten. Da die Bundeswehrtornados, um (auch für Auslandseinsätze) einsatzbereit gehalten zu werden, auch geflogen werden müssen, können sie doch nebenbei auch noch "nützliche" Aufgaben übernehmen(17). Und übernimmt erst einmal die Bundeswehr diese Aufgaben, dann braucht man vielleicht auch perspektivisch weniger Polizeihubschrauber. Und auch weniger Polizisten; so formulierte die Gewerkschaft der Polizei in ihrem Ergebnisbericht zum G8-Gipfel: "Es nährt sich der Verdacht, dass gerade im Sicherheitsbereich weiteres Personal eingespart werden soll, um Wehrpflichtige, die wesentlich weniger kosten, für Sicherheitsaufgaben verwenden zu können."(18) Allerdings ist das Problem solcher Überlegungen nun auf der einen Seite, dass mit der Bundeswehr im Inland die Innere Sicherheit nicht billiger wird. Ganz im Gegenteil, werden Polizeihubschrauber durch Bundeswehrtornados ersetzt, so explodieren die Kosten: eine Stunde Bundespolizeihubschrauber kostet 405 Euro, eine Stunde Bundeswehrtornado 41804 Euro(19). Und übernimmt die Bundeswehr weitere derartige Aufgaben, entsteht ein neuer - nun über die Inlandseinsätze begründeter - Sachzwang, veraltete Flugzeuge durch neue zu ersetzen. Auf der anderen Seite - und dies erscheint wesentlich problematischer - führt dieses Denken in Kategorien des optimalen Mitteleinsatzes und der innovativen Fähigkeitsoptimierung zu einer Desensibilisierung gegenüber dem Militär und dem bisher geltenden Grundsatz der Trennung zwischen Militär und Polizei. Der aus dem Grundgesetz herauslesbare Tenor einer Skepsis gegenüber dem militärischen Instrument, inkl. seiner Ein- und Beschränkungen, geht so verloren und führt zu einer Desensibilisierung gegenüber militärischer Gewalt, womit Militär zu einem normalen - nahezu überall anwendbaren - Instrument wird.

Fazit
Hier schließt sich der Kreis. Angesichts der identifizierten Gefahren und knapper Ressourcen erscheint es politisch eher durchsetzbar, das Militär zur Terrorismusbekämpfung einzusetzen, als im Inland anderen (zivilen) Institutionen entsprechend mehr Mittel zur Verfügung zu stellen oder in weit stärkerem Maße die Ursachen des Terrorismus zu bearbeiten. Indem das Militär zur entscheidenden Kraft im Kampf gegen den Terror erklärt wird, geht man auch der Frage aus dem Wege, ob es nicht adäquater - und langfristig auch kostengünstiger - wäre, die Ursachen des Terrorismus zu bearbeiten, als auf die Folgen zu schießen.

Damit einher geht eine Militarisierung der Inneren (und der Äußeren(20)) Sicherheit, der nicht nur sukzessive die Einsatzbeschränkungen der Bundeswehr, sondern auch grundgesetzlich verbriefte Freiheitsrechte - so bei Vorratsdatenspeicherung(21), Onlinedurchsuchungen und Beschränkungen des Zeugnisverweigerungsrechts - zum Opfer zu fallen drohen.

Anmerkungen

  1. Siehe dazu: Berndt, Michael; Bundeswehreinsätze im Inneren. Betriebswirtschaftliche Argumentation als Triebfeder, in: Wissenschaft und Frieden 4/2006; S.35-38, und ders.; Einmal Hindukusch und zurück. Bundeswehreinsatz außen und innen, in: Forum Wissenschaft 4/2006; S. 58-61.
  2. Militärische Neben-Polizei, in: Süddeutsche Zeitung 26.9.2007; S. 4. Siehe auch: Gewerkschaft der Polizei/ Bundesfachausschuss Bereitschaftspolizei; Ergebnisbericht - 8 Gipfel Heiligendamm. Gewerkschaftliche Aufbereitung des Polizeieinsatzes; o.O. 1.9.2007; 18 Seiten (http://www.gdp.de/gdp/gdpcms.nsf/id/berichtg8/$file/G8_Bericht_BePo.pdf, Download: 2.1.2008).
  3. Bundesministerium der Verteidigung; Weißbuch 2006 - Zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr; Berlin 2006; S. 9. Im Folgenden zitiert als Weißbuch.
  4. Dies drückt sich u.a. auch in der Diskussion über ein Feindstrafrecht aus. Siehe dazu: Grimm, Dieter; Aus der Balance. Im Kampf gegen den Terrorismus läuft der Staat Gefahr, die Freiheit der Sicherheit zu opfern. Eine Antwort auf Wolfgang Schäuble; in: Die Zeit 49, 29.11.2007; S.14.
  5. Siehe dazu ausführlicher: Berndt; Bundeswehreinsätze im Inneren a.a.O.; S. 36-27.
  6. Dass dies nicht zwangsläufig war, zeigt ein Blick auf Dokumente von EU und UNO, die kurz nach dem 11.9.2001 verabschiedet wurden. So finden sich dort noch sowohl Formulierungen, die die Terroraktionen als "Terrorakte" als auch als "Terrorangriffe" titulieren. Die Titulierung "Angriff" hat sich erst in der Folge durchgesetzt. Siehe dazu: Berndt, Michael; Die "Neue Europäische Sicherheitsarchitektur". Sicherheit in, für und vor Europa?; Wiesbaden 2007; S.181f.
  7. Weißbuch; S.55.
  8. Weißbuch; S.102.
  9. Weißbuch; S.120.
  10. Siehe: http://www.geopowers.com/Machte/Deutschland/doc_ger/vorl._WB_2006.pdf (Download: 2.1.2008). Im Folgenden zitiert als Entwurf.
  11. Entwurf; S.33.
  12. Weißbuch; S. 54.
  13. Entwurf; S.34.
  14. Weißbuch; S.55.
  15. Weißbuch; S.112, Entwurf; S.71.
  16. Siehe: Bundeswehr spähte G-8-Gegner aus, in: Süddeutsche Zeitung 13.6.2007; S.6.
  17. Siehe dazu: Teurer Tornado-Einsatz beim G-8-Gipfel, in: Süddeutsche Zeitung 2.7.2007; S. 6.
  18. Gewerkschaft der Polizei; Ergebnisbericht - 8 Gipfel Heiligendamm a.a.O; S. 14
  19. Siehe dazu: Teurer Tornado-Einsatz beim G-8-Gipfel a.a.O
  20. Siehe dazu z.B.: Berndt, Michael; Deutsche Außenpolitik ist Militärpolitik. Sieben Jahre Rot-Grün: Bilanzen über eine Regierung, in: Forum Wissenschaft 3/2005; S.42-44.
  21. Interessant ist hier, dass "es bei der Vorratsdatenspeicherung längst nicht mehr nur um die Terrorismusbekämpfung geht, sondern auch um Wirtschaftsinteressen", so der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar (Schaar fürchtet Überwachung. Datenschutzbeauftragter plädiert für mehr Privatsphäre, in: Süddeutsche Zeitung 3.1.2007; S. 5). "So wolle die Musik- und Filmindustrie Zugriff auf diese Daten, um der Weitergabe urheberrechtlich geschützter Werke in Internet-Tauschbörsen auf die Spur zu kommen." (ebenda).

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Michael Berndt ist Lehrer, Privatdozent für Politikwissenschaft und Friedensforscher. Er wohnt in Habichtswald bei Kassel.