Zusammenhang zwischen Flucht und Waffenlieferungen

von Alexander Kauz
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"Fluchtbewegungen" haben vielfältige Ursachen. Weder ökonomische Unterentwicklung oder ökologische Fehlentwicklung noch politische, ethnische oder religiöse Konflikte in und zwischen einzelnen Ländern erklären für sich allein, warum Menschen fliehen. Nach Angaben des UNHCR waren Anfang 1999 21,5 Mio. Menschen auf der Flucht.1 Eine nur am Rande beachtete Ursache ist der Zusammenhang zwischen Flucht und Rüstungslieferungen.

Von Asylgruppen und Kritikern von Rüstungsexporten wird seit Jahren auf diesen Zusammenhang aufmerksam gemacht. Vor dem Oktober 1998 wurde zu Recht kritisiert, dass die Bundesre­gierung in der Regel Menschenrechte und die Lebenssituationen der potenti­ellen Flüchtlinge in der Regel wirt­schaftlichen und geopolitischen Interes­sen unterwarf. Zwischen 1994 und 98 exportierte die Bundesrepublik für 7221 Mio. US-$ konventionelle Waffen.2

Die Rot-Grüne Bundesregierung be­schloss inzwischen neue Richtlinien zum Rüstungsexport, die in eine richtige Richtung weisen, ihre Glaubwürdigkeit allerdings noch zu beweisen haben. Problematisch ist die Tatsache, dass das Außenwirtschaftsgesetz nicht entspre­chend restriktiv angepasst wurde. Das Panzergeschäft mit der Türkei ist ein unmittelbar anstehender Gradmesser, welchen Stellenwert Rüstungsexporte in Zukunft aus Deutschland besitzen.

Gewaltige gesellschaftliche Umbrüche in der nachkolonialen Welt und knall­harte Bedingungen einer weltweiten ka­pitalistischen Weltwirtschaft führen zu Transformations-(Bürger)kriegen, in denen alte nachkoloniale Eliten gegen den Industriestaaten ideologisch nahe­stehende Kräfte kämpfen.

In einigen Konfliktregionen z.B. Kurdi­stan, Tschetschenien oder Indonesien werden stellvertretend von den dortigen Regimes unter anderem auch Interessen der Industrienationen, wie der Einfluss auf Rohstoffquellen mit militärischen Mitteln gesichert. Weiter setzen herr­schende Regimes ihre bewaffneten Kräfte zur Verfolgung der Opposition oder zur Vertreibung ethnischer und re­ligiöser Minderheiten ein. Hierbei wer­den Waffen aus den Industrienationen verwandt, in vielen Fällen von Kon­fliktparteien aus beiden Lagern.

Nur wenige Entwicklungsländer sind technologisch und finanziell in der Lage, an diesem Geschäft mit dem Tod zu partizipieren. Opfer dieser mit unvor­stellbarer Grausamkeit geführten Kriege sind Zivilisten, die vor Soldaten oder bewaffneten Banden auf der Flucht sind. Die Geflohenen sind in der Regel Un­schuldige, denen meist nach Ankunft in Europa und Deutschland die Anerken­nung von Asyl verwehrt wird. Rüstungs- und Wirtschaftshilfen der reichen Ex­portnationen zementieren diese Verhält­nisse, da ökonomische Interessen der Exportländer immer über dem Willen rangieren, Menschenrechte mittels poli­tischer Sanktionen wie Handelsboykott, durchzusetzen

Solche Zusammenhänge werden in der Regel von Befürwortern der Rüstungs­exporte und Militärhilfen prinzipiell ab­gestritten. Für die Lobbyisten der Ge­schäfte mit dem Tod hört die Verant­wortung hinter dem Werkstor, späte­stens hinter der Staatsgrenze, auf.

Als bedeutende Empfängerländer von Waffen sollen die Türkei und Indone­sien näher beleuchtet werden. Die Tür­kei ist nach Taiwan und Saudi Arabien mit 6615 Mio. US-$ (1994-98) der dritt­größte Waffenimporteur von konventio­nellen Waffen. Indonesien liegt mit 1713 Mio. US-$ auf dem 20. Platz. Auch das von Krieg und Armut gebeu­telte Sri Lanka importierte im genannten Zeitraum Waffen in Höhe von 356 Mio. US-$.3

Im gleichen Zeitraum kamen aus der Türkei 97040 Flüchtlinge nach Deutschland.4 Die Anerkennungsquote lag allerdings durchschnittlich bei 15,6 Prozent, was im Vergleich zu anderen Herkunftsländern noch relativ hoch er­scheint, aber keinesfalls einer humanen Politik entspricht. Gleichzeitig kamen aus den Nachbarregionen der Türkei 44.000 Flüchtlinge in das Land.5 1998/99 nahm die Türkei unter großem Propagandagetöse noch einmal 4900 Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugo­slawien auf. Über die Zahl der Binnen­flüchtlinge (Kurdenkrieg) gibt es keine Angaben. Vermutlich liegt diese Zahl zwischen 2 und 3 Mio. Diese aus den kurdischen Provinzen, über die der Ausnahmezustand verhängt ist, kom­menden Menschen leben unter schwie­rigsten sozialen Bedingungen in den türkischen Metropolen wie Istanbul, Iz­mir oder Ankara und werden von keiner offiziellen Institution als Flüchtlinge re­gistriert, obwohl der Krieg ihre Lebens­grundlagen in Kurdistan völlig zerstört hat.

Aus Indonesien kommen kaum Flücht­linge nach Europa. Die dort Verfolgten leben meist als Binnenflüchtlinge immer nah am Ort der Verfolgung und haben keine Chance auf Entkommen, wie das Drama in Ost-Timor verdeutlichte. Aus Sri Lanka kommend stellten 1999 1256 Menschen in Deutschland einen Asyl­antrag.

In der Welt bewegen sich allerdings weit größere Flüchtlingsströme, als die genannten Angaben widerspiegeln. Das Internationale Rote Kreuz schätzt welt­weit die Zahl der Flüchtlinge sogar auf 500 Millionen Menschen.6 Davon errei­chen nur die wenigsten überhaupt Eu­ropa. Die größte Last der Flüchtlings­bewegungen haben die armen Staaten der "Dritten Welt" zu tragen, wie die Beispiele Ruanda/Zaire oder die Flücht­lingsrepublik Südkurdistan zeigen.

Im Zusammenhang mit schändlichen Diskussionen über das Asylrecht in Deutschland, die Zahl der Asylbewerber nahm von 438.000 (1992) auf 99.00 (1998)7ab, wird auch über die Beseiti­gung von Fluchtursachen gesprochen. Über den Stand von Sonntagsreden kommt allerdings die offizielle Politik kaum hinaus. Ursachenbekämpfung kann nur bedeuten, sich dringend der Elendsprobleme in der Welt anzuneh­men.

Eine solche Politik erfordert den Willen, mutige neue Wege zu gehen. Dies be­deutet eine generelle Änderung der Au­ßen- und Wirtschaftspolitik der Indu­strienationen. Deshalb müssen für Kriegswaffen die Grenzen geschlossen werden, nicht aber für die Menschen, die vor Kriegen und dadurch bedingter sozialer Not fliehen. Deutschland hätte hierbei die historische Aufgabe, die Vor­reiterrolle zu übernehmen. Die bisherige Politik der rot-grünen Bundesregierung macht eine solche Richtungsänderung bisher nicht deutlich.

Milliarden, die jährlich zur Entwicklung von immer neueren, perfideren Waffen und deren Produktion und der antagoni­stischen Aufrechterhaltung von Armeen ausgegeben werden, fehlen der "Dritten Welt" zur Bewältigung der Probleme. Soziale Not und ökologische Probleme stellen auf jeden Fall eine weitere Art der politischen Verfolgung dar. Bewusst wird übergangen, dass Waffenverkäufe an Entwicklungsländer deren soziale Grundlagen endgültig zerstören bzw. erheblich verschlechtern und sich die Lebensbedingungen der Menschen ex­trem verschärfen.

Die Konsequenz daraus kann einzig eine völlige Restriktion von Waffenexporten zur Folge haben. Entscheidungsgrund­lage darf deshalb in Zukunft nicht ein wie auch immer geartetes Sicher­heitsinteresse Deutschlands sein, son­dern einzig das Wohl der Menschen in den potentiellen Empfängerstaaten.

Eine solche Politik der völligen Restrik­tion sehe ich durch die Neuen Politi­schen Richtlinien nicht garantiert, da der Export von Kriegswaffen in andere NATO-Staaten kaum beschränkt wird. "Der Export von Kriegswaffen und son­stigen Rüstungsgütern in diese Länder hat sich an den Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland im Rah­men des Bündnisses und der EU zu ori­entieren".8 Hier scheint doch erhebliche Skepsis angebracht zu sein. Wie wird mit einem Land wie der Türkei in Zu­kunft umgegangen? Die Menschen­rechtsklauseln verbieten den Export, die NATO lässt sie aber zu. Mit welchen Mitteln wird eine Bundesregierung ge­gen NATO-Partner vorgehen, die gegen die Entverbleibsbestimmungen versto­ßen. Dazu geben die Richtlinien keine Antwort.

Die zukünftige Debatte darüber wird langwierig und schwierig sein, denn die Lobbyisten der Waffenindustrie werden nicht ruhen, Restriktionen zu bekämpfen und Druck auf die rot-grüne Bundesre­gierung in ihrem Interesse zu erhöhen. Ob dies gerade Sozialdemokraten mit­telfristig aushalten werden, lässt weiter­hin große Skepsis bestehen.

Anmerkungen:

1     UNHCR-Basis-Informationen

2     SIPRI Arms Transfers Project, update 07/99

3     SIPRI Arms Transfers Project, update 07/99

4     Pro Asyl: Broschüre "Tag des Flüchtlings" 1999

5     UNHCR Country Profiles-Turkey 1998

6     Badische Zeitung vom 8. September 94: "Sie suchen eine bessere Welt".

7     Pro Asyl Folie Asylanträge

8     Pol. Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaf­fen...19.01.2000

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Alexander Kauz ist Vorsitzender des Rüstungs-Informationsbüros Baden-Württemberg