Wie Rechte von Kindern und Jugendlichen durch Kriege verletzt werden

Zwangsrekrutiert und vertrieben

von Ralf Willinger

Tag für Tag leiden Kinder weltweit unter Gewalt, in vielen Fällen sind Kriege oder bewaffnete Konflikte die Ursache. Viele werden getötet, verstümmelt oder sexuell missbraucht und erleiden schwere seelische Verletzungen. Sie werden als Soldaten an die Front geschickt und müssen Kriege führen, die sie nicht verstehen. Mit ihren Familien werden sie aus ihren Dörfern vertrieben und müssen ihre Kindheit in einem Flüchtlingscamp oder Großstadtslum verbringen. Andere landen auf der Straße, als Straßenkinder und Vertriebene leben sie am Rande der Gesellschaft, ohne Perspektive auf Bildung oder eine auskömmliche Arbeit. Dort werden sie von der Polizei oder anderen Machthabern drangsaliert oder von Todesschwadronen ermordet. Straßenkinder und vertriebene Kinder sind in hoher Gefahr, von bewaffneten Gruppen als Soldaten oder Drogenkuriere rekrutiert zu werden. Zudem ist die häusliche Gewalt in den Familien in Kriegs- und Nachkriegsländern deutlich höher als sonst. Auch darunter leiden besonders die Kinder.

Kriege und bewaffnete Konflikte sind von Erwachsenen herbeigeführt, Kinder werden Opfer von Strukturen, die sie nicht verschuldet haben. Sie sind die schwächsten Kriegsopfer und müssen besonders geschützt werden. Denn eines der wichtigsten Kinderrechte ist das Recht auf Frieden.

Vertriebene und Flüchtlinge: Kinder auf der Flucht
»Eines Tages kamen die Paramilitärs in unser Dorf. Erst befahlen sie uns, abends in unseren Häusern zu bleiben. Dann fingen sie an, Menschen einfach so umzubringen.« Cristina lebt inzwischen in einem Vorort der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá. Mit ihrer Familie floh die 13-Jährige vor dem jahrzehntelangen Krieg in ihrer Region, in dem Regierungstruppen und mit ihnen verbündete Paramilitärs gegen Guerillagruppen kämpfen. »Sie verboten uns auch zu fischen«, erzählt das Mädchen. »Um uns zu ernähren, ging mein Vater dennoch heimlich zum Fluss. Er wurde erwischt, und die Paramilitärs drohten, uns alle zu ermorden. Mein Vater kam nach Hause, sagte, dass wir verschwinden müssten. Wir haben schnell ein paar Sachen zusammengepackt und sind sofort nach Bogotá geflohen.«

Eine solche Vertreibung ist für Kinder ein gefährliches Schlüsselereignis, in dessen Folge sie schutzlos sind und besonders leicht Opfer von Kinderhandel, Prostitution oder Zwangsrekrutierung werden oder an Unterernährung und Krankheiten leiden. Zudem können die Kinder danach meist nicht mehr zur Schule gehen und die Eltern können nicht mehr arbeiten und verlieren ihr Einkommen, so dass die Kinder in Armut und ohne Zukunftsperspektive aufwachsen. Am Ende der Flucht steht häufig das Elendsviertel einer Großstadt wie Bogotá oder das Leben auf der Straße.

Hier können Kinder wieder in den Strudel der Gewalt geraten. In Ländern wie Angola, Kolumbien oder den Philippinen kommt es immer wieder vor, dass Straßenkinder von Todesschwadronen ermordet werden. Die bewaffneten Mörder kommen oft aus den Reihen der Kriegsparteien. Sie haben Kinder und Jugendliche manchmal aus politischen Gründen im Visier – weil sie sich beispielsweise für Frieden und Gewaltfreiheit einsetzen oder den Regeln der Kriegsparteien widersetzen. Oder sie führen im Auftrag lokaler Geschäftsleute und oft mit Billigung der Stadtverwaltung so genannte »soziale Säuberungen« durch, indem sie Straßenkinder ermorden.

Wenn Flüchtlinge – wie im Falle Cristinas und ihrer Familie – innerhalb der Staatsgrenzen ihres Landes bleiben, werden sie als »intern Vertriebene« bezeichnet. Erst wenn jemand über eine internationale Grenze flieht, wird er offiziell zum »Flüchtling«. Doch während es für Flüchtlinge, die eine internationale Grenze überschritten haben, mit dem UNHCR eine eigene UN-Organisation gibt, die sich um sie kümmert, ist die Versorgungssituation für intern Vertriebene oft katastrophal: Sie sind oftmals völlig auf sich allein gestellt.

Kindersoldaten: Opfer und Täter
Etwa 250.000 bis 300.000 Kinder und Jugendliche werden weltweit als Soldaten eingesetzt. Kindersoldaten werden von Erwachsenen zu Tätern gedrillt. Sie bekommen wenig oder keinen Sold, verbrauchen wenig Proviant und sind gefügig. Oft werden jüngere Soldaten von den Vorgesetzten als »weniger wertvoll« angesehen und in besonders gefährlichen Einsätzen regelrecht verheizt. Sie werden durch Minenfelder getrieben oder zur Spionage eingesetzt. Entsprechend hoch ist das Risiko, verletzt oder getötet zu werden. Besonders Mädchen, die in den Einheiten dienen, werden sexuell missbraucht.

Die Verantwortlichen für Kriegsverbrechen wie Zwangsrekrutierung und Vertreibung müssen zur Abschreckung bestraft und die Opfer müssen entschädigt werden – beides passiert bisher nur in Ausnahmefällen. Vertriebene Familien sollten wieder auf ihr Land zurückkehren können, sobald die Sicherheitslage es zulässt, und eine Entschädigung erhalten – auch das ist nur selten der Fall. Die gezielte Vertreibung der Zivilbevölkerung, die in Konfliktgebieten in Kolumbien, dem Kongo oder Burma alltäglich ist, muss als Menschenrechtsverletzung verurteilt, weltweit geächtet und gestoppt werden – gerade auch wegen ihrer verheerenden Wirkung auf die Kinder.

Wege zum Frieden: den Kreislauf der Gewalt durchbrechen
Denn die Folgen von Kriegserlebnissen und Gewalterfahrungen, der Verlust der Eltern oder des Zuhauses sind für Kinder noch traumatisierender und prägender als für Erwachsene. Viele Projekte von Kinderrechts- und Hilfsorganisationen wie terre des hommes bieten Kindern in aktuellen und ehemaligen Kriegsgebieten deshalb vor allem die Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen und ihre schlimmen Erfahrungen zu verarbeiten: in Gesprächen und Therapien, oft gemeinsam mit anderen Kindern, die Ähnliches erlebt haben, durch Theaterspielen, Malen, Musizieren oder Sport. Die Kinder werden ermutigt und gestärkt, die Opferrolle abzulegen und ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen.

Ein weiteres Ziel von Projekten zum Schutz der Kinder ist es, Gewalt und seelische Verletzungen von vornherein zu verhindern: durch politische Arbeit und Engagement für Gesetze zum Schutz der Kinder, aber auch durch Aufklärungskampagnen in Dörfern und Gemeinden über Kinderhandel, Kinderprostitution oder das Leiden von Kindersoldaten. Denn gerade die direkte Umgebung der Kinder, die Eltern, Lehrer, Freunde und Nachbarn, wissen oft nicht, welche Gefahren Kindern drohen.

Auch in langjährigen Konflikten wie in den Philippinen, Burma und Kolumbien setzen sich Menschen für Frieden und Gewaltfreiheit ein. Sie werden von terre des hommes gezielt unterstützt und gestärkt. In Kolumbien gibt es inzwischen mehrere landesweite Friedensnetzwerke von Kindern und Jugendlichen, beispielsweise das Netzwerk der Kriegsdienstverweigerer oder das Jugendnetzwerk Red Juvenil. Diese sind in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen und erreichen immer mehr Menschen, zum Beispiel mit Jugend-Rockkonzerten für den Frieden. Auch kolumbianische Friedensgemeinden werden seit langem unterstützt. Inzwischen haben sich mehr als 60 Gemeinden, die wie Inseln des Friedens inmitten von Konfliktgebieten liegen, als neutral erklärt und dulden weder Waffen noch Bewaffnete auf ihrem Territorium. Auch wenn sie oft einen hohen Preis zahlen und immer wieder Angriffen und Mordanschlägen ausgesetzt sind, machen sie weiter. Denn sie müssen nicht wie Cristina ihre Heimat verlassen sondern können weiter ihr Land bestellen, ihr Handwerk ausüben und ihre Kinder in die Schule schicken – ein großer Erfolg und ein Zeichen der Hoffnung in einem Land, in dem etwa 3,8 Millionen Menschen als Binnenvertriebene leben.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Ralf Willinger, Journalist, ist Referent für Kinderrechte beim Kinderhilfswerk terre des hommes in Osnabrück. Einer der Schwerpunkte seiner Arbeit sind Kinder in bewaffneten Konflikten.