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Zum "Schutz von Eigentum und Leben"
Zwei Jahrhunderte US-Militärpolitik in Lateinamerika
vonVor 500 Jahren kamen die ersten "Europäer" nach Amerika. Sie eroberten den Kontinent, unterwarfen Land und Leute. "Unser" Reichtum gründet sich bis heute zu großen Teilen auf der Ausbeutung Lateinamerikas. Gleichzeitig half die christliche Kultur, den Boden für eine abhängige kulturelle Entwicklung zu bereiten. Unter anderem mit der Ausbildung lateinamerikanischer Militäreliten durch US-Militärs und sogar durch die Bundeswehr beeinflussen westlich-kapitalistische Vorstellungen von "Demokratie" innenpolitische Konfliktaustragungen in und zwischen den Ländern der Region.
Aktuell zwingen politische Prozesse in Nicaragua und El Salvador zum Nachdenken - auch in unserer Solidaritäts- und Friedensbewegung. Einerseits könnten wir Hoffnung auf friedliche Entwicklungswege hegen, weil die Gräben zwischen bisher unversöhnlich scheinenden Gegnern schmaler werden. Andererseits deutet sich an, daß die Militärs in neuen Funktionen die Geschicke der Länder zentral mitbestimmen.
Grund genug, wieder genauer über den großen Teich zu schauen. Mit unserem Schwerpunkt "Militär in Lateinamerika" konzentrieren wir uns auf einige wenige Aspekte und Länder. Wer mehr wissen will, erfährt von uns auf Anfrage gerne die Adressen von Gruppen und Organisationen, die weitere Informationen geben können. (G.W.)
Die USA haben ihre Nachbarn in Nord-, Mittel- und Südamerika historisch als ihr Einflußgebiet und natürlichen Expansionsraum betrachtet. Schon während des Prozesses der Staatsgründung haben die Vereinigten Staaten versucht, auch des nördliche Kanada militärisch an sich zu bringen und zum Bestandteil der USA zu machen. Überhaupt war das erste Jahrhundert der Vereinigten Staaten nicht nur eine Zeit der wirtschaftlichen Stärkung, sondern auch der Expansion. Diese räumliche und machtpolitische Ausdehnungsbestrebung begann aus geographischen Gründen auf dem amerikanischen Festland, griff aber bald darüber hinaus. Und diese Expansion war immer mehrdimensional: ideologische, politische und wirtschaftliche Machtmittel gingen mit militärischen Hand in Hand.
In gewissem Sinne stellte die Monroe-Doktrin des Jahres 1823 die Proklamation des US-Strebens dar, aus Lateinamerika eine Einflußzone zu machen. Die Monroe-Doktrin wollte den europäischen Einfluß (sei er kolonialer oder nicht-kolonialer Natur) aus Süd- und Mittelamerika ausschließen Ä und zugleich die USA aus Europa heraushalten. Zugleich war aber deutlich, daß sich Washington nicht uneigennützig für die neuen, unabhängigen lateinamerikanischen Republiken einsetzte, sondern an eine eigene Vormundschaft dachte.
Aber selbst diese Proklamation stellte nicht den Beginn der Expansionspolitik dar: Schon 1809 und 1811 hatten die USA versucht, durch diplomatische und andere Mittel Kuba zu annektieren. Kurz darauf begannen die USA mit der Besiedlung des nördlichen Teiles von Mexico, dem heutigen Texas. Und ein Jahrzehnt später unternahmen sie eine Ä erfolglose Ä Militäroperation zur Eroberung der damals spanischen Karibikinsel Puerto Rico. Etwas später landen die ersten US-Soldaten auf Kuba, vorgeblich zur Bekämpfung von Piraten. Thomas Jefferson erklärte in einem Brief: "Kuba wäre für unser Staatensystem die günstigste Erwerbung."
Im Jahrzehnt darauf verhängen die USA eine militärische Seeblockade gegen Argentinien und führen Krieg gegen Mexico: Texas wird unter US-Einfluß unabhängig. Damit beginnt eine neue Phase: die Politik wird zunehmend massiver und erfolgreicher, und die Anwendung militärischer Mittel häufiger.
In den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts versuchten die USA durch Bestechung die unabhängig gewordene Dominikanische Republik zu annektieren. Das gelang nicht, aber dafür wurde Texas zum amerikanischen Bundesstaat gemacht. Außerdem kommt es zu einem neuen Krieg der USA gegen Mexico. 1848 ist Mexico geschlagen, es verliert mit rund 2 Millionen qkm etwa die Hälfte seines Staatsgebietes an die USA. Auf diese Weise kommen Kalifornien, Nevada, Utah, New Mexico, Arizona sowie Teile von Wyoming und Colorado zu den USA.
In den 50er Jahren gelingt es dem amerikanischen Agenten William Walker, mit Waffengewalt in Mittelamerika Machtpositionen aufzubauen. Er ernennt sich selbst Ä unter Zustimmung des US-Präsidenten Pierce Ä zum Präsidenten Nicaraguas, später auch von El Salvador und Costa Rica. Die US-Regierung erkennt ihn an. Als eine Koalition mittelamerikanischer Staaten Walker 1857 schlagen, bombardieren US-Kriegsschiffe die nicaraguanische Hafenstadt San Juan del Norte.
Diese Kette militärischer Interventionen in Lateinamerika riß bis zur Eroberung Panamas während der Präsidentschaft George Bushs nicht mehr ab. Es lassen sich in der amerikanischen Politik zwar unterschiedliche Phasen, unterschiedliche Konzeptionen und verschiedene Akzentsetzungen beobachten Ä so sollten die "Politik der Guten Nachbarschaft" der dreißiger oder die Cartersche "Menschenrechtspolitik" der zweiten Hälfte der siebziger Jahre die kooperativen und integrativen Politikelemente betonen. Aber trotz dieser Akzentverschiebungen blieb die Grundeinstellung, Lateinamerika als eigene, exklusive Einflußzone zu betrachten, erhalten. Dabei sollte allerdings nicht vergessen werden, daß in diesem Zusammenhang Lateinamerika keine Einheit darstellte: aus geographischen, politischen, wirtschaftlichen und strategischen Gründen war die Dominanz in Mittelamerika und der Karibik nicht nur am größten, sondern der Einsatz militärischer Machtmittel auch am einfachsten. Und trotz der politischen Akzentverschiebungen blieben militärische Machtmittel Ä bis hin zu direkten Interventionen Ä immer ein selbstverständliches Politikinstrument.
Intervention durch offene Invasion
Der Einsatz militärischer Mittel in der amerikanischen Lateinamerikapolitik ist kaum jemals voraussetzungslos, ohne bestimmte politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen erfolgt. Er war ein politisches Herrschaftsinstrument neben anderen, und meist nicht einmal das wichtigste. Außerdem waren und sind militärische Mittel in der Regel in andere Politiken eingebunden. Sie sind nur der drastischste Ausdruck einer umfassenderen Politik der Dominanz.
Bezogen auf US-amerikanische Militäreinsätze in Lateinamerika sollten drei Kategorien analytisch getrennt werden, auch wenn sie sich überlappen. Zuerst einmal gibt es Fälle direkter Invasionen mit konventionellem militärischen Charakter. Die Eroberung der Karibikinsel Grenada im Oktober 1983 oder des mittelamerikanischen Staates Panama im Dezember 1989 sind neuere Beispiele. In solchen Fällen greifen US-Truppen zu Land, Luft und See Ä je nach Umständen Ä die Streitkräfte eines lateinamerikanischen Staates an. Wenn der Kampf sich tatsächlich auf eine Auseinandersetzung zwischen Armeen beschränkt Ä und nicht etwa zum Guerillakrieg wird Ä ist ein Sieg der US-Truppen wegen ihrer zahlenmäßigen und waffentechnischen Überlegenheit sicher. Falls die Intervention allerdings gegen Aufständische, Guerillas oder in anderen etwas unklaren Situationen unternommen wird, können die materiell überlegenen US-Truppen konventionell kaum wirksam eingesetzt werden, und der Ausgang des Konfliktes ist unsicherer. Der Kampf Sandinos in den zwanziger und dreißiger Jahren unterstreicht diesen Punkt.
Eine zweite Kategorie von US-Militäreinsätzen trägt eher unkonventionellen Charakter. Das moderne Stichwort hierfür ist "Kriegführung niedriger Intensität", Low-intensity-warfare. Diese Interventionsform minimiert die direkte Rolle des US-Militärs. Sie will den Konflikt in einem Zielland primär als politisch-ökonomische Auseinandersetzung begreifen und die militärischen Maßnahmen darauf abstimmen. Militäroperationen in diesem Zusammenhang sind nicht im engeren Sinne daran orientiert, einen Krieg militärisch zu gewinnen, sondern einen politischen Sieg zu ermöglichen und abzusichern. Beispiele sind etwa die Kampagnen der Aufstandsbekämpfung der sechziger oder achtziger Jahre in Ländern wie Bolivien oder El Salvador. Klassische Fälle solcher Operationsformen wurden unter der Präsidentschaft John F. Kennedys eine Doppelstrategie: die wirtschaftliche und soziale Entwicklung Lateinamerikas sollte durch ein "Hilfsprogramm" der "Allianz für den Fortschritt" gefördert werden, während neue Counter-insurgency-Strategien und Instrumente dies militärisch und repressiv absichern sollten. Beides waren zwei Seiten einer Medaille, es ergab aus US-Perspektive nur zusammen einen Sinn. Auf diese Weise konnte der Export der kubanischen Revolution erfolgreich verhindert werden.
Ähnlich war es bei der lehrbuchhaften Counter-insurgency-Kampagne in El Salvador der achtziger Jahre. Auch in diesem Fall blieb die direkte militärische Rolle der USA begrenzt, US-Kampfeinheiten wurden nicht eingesetzt. Trotzdem erwies sich die Kampagne, zumindest seit der Jahreswende 1983/84 als wirksam genug, die FMLN von der Macht fernzuhalten. Auch in diesem Fall spielte großzügige Wirtschaftshilfe, soziale "Reformen" eine entscheidende Rolle, die von der Effektivierung militärischer Operationen der salvadorianischen Armee durch US-Berater und Waffen nur flankiert wurde.
Inszenierung von Staatsstreichen
Aufstandsbekämpfung war den USA aber nicht genug. Eine andere Operationsform bestand in der Organisierung und Unterstützung subversiver Aktivitäten in lateinamerikanischen Ländern. In gewissem Sinne stellten bereits die Eroberungsversuche des William Walker oder die Abtrennung Panamas von Kolumbien zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts solche Fälle dar. Das moderne Grundmuster allerdings wurde 1954 in Guatemala erprobt, als der US-Auslandsgeheimdienst CIA durch eine Gruppe guatemaltekischer Söldner eine frei gewählte Regierung stürzten. Eine sehr ähnliche Operation sieben Jahre später gegen Kuba (Invasion in der Schweinbucht) scheiterte allerdings kläglich. Zu einer neuen Blüte und ideologischen Überhöhung solcher Aktivitäten kam es in den achtziger Jahren: Die "Reagan-Doktrin" erklärte es zum Recht und zur Pflicht der USA, "demokratische Freiheitskämpfer" auch mit Waffen zu unterstützen Ä die offizielle Begründung für den jahrelangen Krieg der Contras gegen Nicaragua. Auch diese Form von Low-intensity-warfare war wieder keine primär militärische Angelegenheit. Sie war in eine massive Propagandakampagne, einen Wirtschaftsboykott und andere Maßnahmen eingebettet.
Eine dritte Kategorie US-amerikanischer Militärintervention, die allerdings mit Strategien von Low-intensity-warfare verwandt ist und in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen kann, ist die Unterstützung, Auslösung oder Durchführung von Staatsstreichen. Der Militärputsch war vor allem in den sechziger und siebziger Jahren ein militärisches Instrument der US-Lateinamerikapolitik. Die nachgewiesene Rolle der CIA beim Putsch gegen die Regierung Allendes in Chile (1973), die bis zur Zusammenstellung von Verhaftungslisten von Oppositionellen und einer Teilfinanzierung reichte, oder die Rolle der USA beim Militärputsch in Brasilien (1964) sind wichtige Beispiele. Mit geringem personellen oder materiellen Einsatz gelang den USA auf diese Weise eine wirksame Beeinflussung der Entwicklung in zentralen Ländern Lateinamerikas.
Insgesamt wird deutlich, daß die Vereinigten Staaten praktisch seit ihrer Staatsgründung eine Politik imperialer Ausdehnung und Dominanz in Lateinamerika verfolgten. Auch wenn in diesem Rahmen oft mit idealistischen und moralischen Kategorien argumentiert wurde Ä "Amerika den Amerikanern", "Zivilisation", "Schutz des Lebens und Eigentums", "Menschenrechte", "Demokratie" Ä so handelte es sich doch um Machtpolitik, die auf die Etablierung und Aufrechterhaltung einer Einflußzone zielte. Militärische Mittel wurden und werden mit großer Selbstverständlichkeit angewandt, wenn und falls sie erfolgversprechend sind. Darüber sollte aber nicht vergessen werden, daß die wichtigste Basis amerikanischer Hegenomie in Lateinamerika über ökonomische Kategorien und kulturelle Mechanismen gesichert wird. Militärische Interventionen in ihren unterschiedlichen Formen kommen nur flankierend oder dann zum Zuge, wenn andere Dominanzmechanismen gescheitert sind.
Im Konkret-Literatur-Verlag ist das Buch von Jochen Hippler "Die neue Weltordnung" erschienen. Jenseits der propagandistischen Verwendung dieses Begriffs während des Golfkrieges, untersucht der Autor darin die Tendenzen und Kräfte, die die Neugestaltung der internationalen Beziehungen nach der Auflösung der bipolaren Weltordnung bestimmen werden und analysiert die ersten Ergebnisse und Konsequenzen dieser Veränderungen im internationalen System.