Zum "Schutz von Eigentum und Leben"

Zwei Jahrhunderte US-Militärpolitik in Lateinamerika

von Jochen Hippler
Hintergrund
Hintergrund

Vor 500 Jahren kamen die ersten "Europäer" nach Amerika. Sie eroberten den Kontinent, unterwarfen Land und Leute. "Unser" Reichtum gründet sich bis heute zu großen Teilen auf der Ausbeutung Lateinamerikas. Gleichzeitig half die christliche Kultur, den Boden für eine abhängige kulturelle Entwicklung zu bereiten. Unter anderem mit der Ausbildung lateinamerikanischer Militäreliten durch US-Militärs und sogar durch die Bundeswehr beeinflussen westlich-kapitalistische Vorstellungen von "Demokratie" innenpolitische Konfliktaustragungen in und zwischen den Ländern der Region.

Aktuell zwingen politische Prozesse in Nicaragua und El Salvador zum Nachdenken - auch in unserer Solidaritäts- und Friedensbewegung. Einerseits könnten wir Hoffnung auf friedliche Entwicklungswege hegen, weil die Gräben zwischen bisher unversöhnlich scheinenden Gegnern schmaler werden. Andererseits deutet sich an, daß die Militärs in neuen Funktionen die Geschicke der Länder zentral mitbestimmen.

Grund genug, wieder genauer über den großen Teich zu schauen. Mit unserem Schwerpunkt "Militär in Lateinamerika" konzentrieren wir uns auf einige wenige Aspekte und Länder. Wer mehr wissen will, erfährt von uns auf Anfrage gerne die Adressen von Gruppen und Organisationen, die weitere Informationen geben können. (G.W.)

Die USA haben ihre Nachbarn in Nord-, Mittel- und Südamerika histo­risch als ihr Einflußgebiet und natürlichen Expansionsraum betrachtet. Schon während des Prozesses der Staatsgründung haben die Vereini­gten Staaten versucht, auch des nördliche Kanada militärisch an sich zu bringen und zum Bestandteil der USA zu machen. Überhaupt war das erste Jahrhundert der Vereinigten Staaten nicht nur eine Zeit der wirt­schaftlichen Stärkung, sondern auch der Expansion. Diese räumliche und machtpolitische Ausdehnungsbestrebung begann aus geographi­schen Gründen auf dem amerikanischen Festland, griff aber bald dar­über hinaus. Und diese Expansion war immer mehrdimensional: ideolo­gische, politische und wirtschaftliche Machtmittel gingen mit militäri­schen Hand in Hand.

In gewissem Sinne stellte die Monroe-Doktrin des Jahres 1823 die Proklama­tion des US-Strebens dar, aus Latein­amerika eine Einflußzone zu machen. Die Monroe-Doktrin wollte den euro­päischen Einfluß (sei er kolonialer oder nicht-kolonialer Natur) aus Süd- und Mittelamerika ausschließen Ä und zugleich die USA aus Europa heraus­halten. Zugleich war aber deutlich, daß sich Washington nicht uneigennützig für die neuen, unabhängigen lateinamerika­nischen Republiken einsetzte, sondern an eine eigene Vormundschaft dachte.

Aber selbst diese Proklamation stellte nicht den Beginn der Expansionspolitik dar: Schon 1809 und 1811 hatten die USA versucht, durch diplomatische und andere Mittel Kuba zu annektieren. Kurz darauf begannen die USA mit der Besiedlung des nördlichen Teiles von Mexico, dem heutigen Texas. Und ein Jahrzehnt später unternahmen sie eine Ä erfolglose Ä Militäroperation zur Erobe­rung der damals spanischen Karibikinsel Puerto Rico. Etwas später landen die er­sten US-Soldaten auf Kuba, vorgeblich zur Bekämpfung von Piraten. Thomas Jefferson erklärte in einem Brief: "Kuba wäre für unser Staatensystem die gün­stigste Erwerbung."

Im Jahrzehnt darauf verhängen die USA eine militärische Seeblockade gegen Argentinien und führen Krieg gegen Mexico: Texas wird unter US-Einfluß unabhängig. Damit beginnt eine neue Phase: die Politik wird zunehmend mas­siver und erfolgreicher, und die Anwen­dung militärischer Mittel häufiger.

In den 40er Jahren des letzten Jahrhun­derts versuchten die USA durch Beste­chung die unabhängig gewordene Do­minikanische Republik zu annektieren. Das gelang nicht, aber dafür wurde Te­xas zum amerikanischen Bundesstaat gemacht. Außerdem kommt es zu einem neuen Krieg der USA gegen Mexico. 1848 ist Mexico geschlagen, es verliert mit rund 2 Millionen qkm etwa die Hälfte seines Staatsgebietes an die USA. Auf diese Weise kommen Kalifornien, Nevada, Utah, New Mexico, Arizona sowie Teile von Wyoming und Colo­rado zu den USA.

In den 50er Jahren gelingt es dem ame­rikanischen Agenten William Walker, mit Waffengewalt in Mittelamerika Machtpositionen aufzubauen. Er ernennt sich selbst Ä unter Zustimmung des US-Präsidenten Pierce Ä zum Präsidenten Nicaraguas, später auch von El Salvador und Costa Rica. Die US-Regierung er­kennt ihn an. Als eine Koalition mittel­amerikanischer Staaten Walker 1857 schlagen, bombardieren US-Kriegs­schiffe die nicaraguanische Hafenstadt San Juan del Norte.

Diese Kette militärischer Interventionen in Lateinamerika riß bis zur Eroberung Panamas während der Präsidentschaft George Bushs nicht mehr ab. Es lassen sich in der amerikanischen Politik zwar unterschiedliche Phasen, unterschiedli­che Konzeptionen und verschiedene Akzentsetzungen beobachten Ä so soll­ten die "Politik der Guten Nachbar­schaft" der dreißiger oder die Cartersche "Menschenrechtspolitik" der zweiten Hälfte der siebziger Jahre die kooperati­ven und integrativen Politikelemente betonen. Aber trotz dieser Akzentver­schiebungen blieb die Grundeinstellung, Lateinamerika als eigene, exklusive Ein­flußzone zu betrachten, erhalten. Dabei sollte allerdings nicht vergessen werden, daß in diesem Zusammenhang Latein­amerika keine Einheit darstellte: aus geographischen, politischen, wirtschaft­lichen und strategischen Gründen war die Dominanz in Mittelamerika und der Karibik nicht nur am größten, sondern der Einsatz militärischer Machtmittel auch am einfachsten. Und trotz der po­litischen Akzentverschiebungen blieben militärische Machtmittel Ä bis hin zu di­rekten Interventionen Ä immer ein selbstverständliches Politikinstrument.

Intervention durch offene Invasion
Der Einsatz militärischer Mittel in der amerikanischen Lateinamerikapolitik ist kaum jemals voraussetzungslos, ohne bestimmte politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen erfolgt. Er war ein politisches Herrschaftsinstrument neben anderen, und meist nicht einmal das wichtigste. Außerdem waren und sind militärische Mittel in der Regel in an­dere Politiken eingebunden. Sie sind nur der drastischste Ausdruck einer umfas­senderen Politik der Dominanz.

Bezogen auf US-amerikanische Mili­täreinsätze in Lateinamerika sollten drei Kategorien analytisch getrennt werden, auch wenn sie sich überlappen. Zuerst einmal gibt es Fälle direkter Invasionen mit konventionellem militärischen Cha­rakter. Die Eroberung der Karibikinsel Grenada im Oktober 1983 oder des mittelamerikanischen Staates Panama im Dezember 1989 sind neuere Bei­spiele. In solchen Fällen greifen US-Truppen zu Land, Luft und See Ä je nach Umständen Ä die Streitkräfte eines la­teinamerikanischen Staates an. Wenn der Kampf sich tatsächlich auf eine Auseinandersetzung zwischen Armeen beschränkt Ä und nicht etwa zum Gue­rillakrieg wird Ä ist ein Sieg der US-Truppen wegen ihrer zahlenmäßigen und waffentechnischen Überlegenheit sicher. Falls die Intervention allerdings gegen Aufständische, Guerillas oder in anderen etwas unklaren Situationen un­ternommen wird, können die materiell überlegenen US-Truppen konventionell kaum wirksam eingesetzt werden, und der Ausgang des Konfliktes ist unsiche­rer. Der Kampf Sandinos in den zwan­ziger und dreißiger Jahren unterstreicht diesen Punkt.

Eine zweite Kategorie von US-Mili­täreinsätzen trägt eher unkonventionel­len Charakter. Das moderne Stichwort hierfür ist "Kriegführung niedriger In­tensität", Low-intensity-warfare. Diese Interventionsform minimiert die direkte Rolle des US-Militärs. Sie will den Konflikt in einem Zielland primär als politisch-ökonomische Auseinanderset­zung begreifen und die militärischen Maßnahmen darauf abstimmen. Militär­operationen in diesem Zusammenhang sind nicht im engeren Sinne daran ori­entiert, einen Krieg militärisch zu ge­winnen, sondern einen politischen Sieg zu ermöglichen und abzusichern. Bei­spiele sind etwa die Kampagnen der Aufstandsbekämpfung der sechziger oder achtziger Jahre in Ländern wie Bolivien oder El Salvador. Klassische Fälle solcher Operationsformen wurden unter der Präsidentschaft John F. Ken­nedys eine Doppelstrategie: die wirt­schaftliche und soziale Entwicklung Lateinamerikas sollte durch ein "Hilfsprogramm" der "Allianz für den Fortschritt" gefördert werden, während neue Counter-insurgency-Strategien und Instrumente dies militärisch und repres­siv absichern sollten. Beides waren zwei Seiten einer Medaille, es ergab aus US-Perspektive nur zusammen einen Sinn. Auf diese Weise konnte der Export der kubanischen Revolution erfolgreich verhindert werden.

Ähnlich war es bei der lehrbuchhaften Counter-insurgency-Kampagne in El Salvador der achtziger Jahre. Auch in diesem Fall blieb die direkte militäri­sche Rolle der USA begrenzt, US-Kampfeinheiten wurden nicht einge­setzt. Trotzdem erwies sich die Kampa­gne, zumindest seit der Jahreswende 1983/84 als wirksam genug, die FMLN von der Macht fernzuhalten. Auch in diesem Fall spielte großzügige Wirt­schaftshilfe, soziale "Reformen" eine entscheidende Rolle, die von der Effek­tivierung militärischer Operationen der salvadorianischen Armee durch US-Be­rater und Waffen nur flankiert wurde.

Inszenierung von Staatsstreichen
Aufstandsbekämpfung war den USA aber nicht genug. Eine andere Operati­onsform bestand in der Organisierung und Unterstützung subversiver Aktivi­täten in lateinamerikanischen Ländern. In gewissem Sinne stellten bereits die Eroberungsversuche des William Wal­ker oder die Abtrennung Panamas von Kolumbien zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts solche Fälle dar. Das mo­derne Grundmuster allerdings wurde 1954 in Guatemala erprobt, als der US-Auslandsgeheimdienst CIA durch eine Gruppe guatemaltekischer Söldner eine frei gewählte Regierung stürzten. Eine sehr ähnliche Operation sieben Jahre später gegen Kuba (Invasion in der Schweinbucht) scheiterte allerdings kläglich. Zu einer neuen Blüte und ideologischen Überhöhung solcher Ak­tivitäten kam es in den achtziger Jahren: Die "Reagan-Doktrin" erklärte es zum Recht und zur Pflicht der USA, "demokratische Freiheitskämpfer" auch mit Waffen zu unterstützen Ä die offi­zielle Begründung für den jahrelangen Krieg der Contras gegen Nicaragua. Auch diese Form von Low-intensity-warfare war wieder keine primär militä­rische Angelegenheit. Sie war in eine massive Propagandakampagne, einen Wirtschaftsboykott und andere Maß­nahmen eingebettet.

Eine dritte Kategorie US-amerikani­scher Militärintervention, die allerdings mit Strategien von Low-intensity-war­fare verwandt ist und in diesem Zu­sammenhang eine Rolle spielen kann, ist die Unterstützung, Auslösung oder Durchführung von Staatsstreichen. Der Militärputsch war vor allem in den sechziger und siebziger Jahren ein mili­tärisches Instrument der US-Lateiname­rikapolitik. Die nachgewiesene Rolle der CIA beim Putsch gegen die Regie­rung Allendes in Chile (1973), die bis zur Zusammenstellung von Verhaf­tungslisten von Oppositionellen und ei­ner Teilfinanzierung reichte, oder die Rolle der USA beim Militärputsch in Brasilien (1964) sind wichtige Bei­spiele. Mit geringem personellen oder materiellen Einsatz gelang den USA auf diese Weise eine wirksame Beeinflus­sung der Entwicklung in zentralen Län­dern Lateinamerikas.

Insgesamt wird deutlich, daß die Verei­nigten Staaten praktisch seit ihrer Staatsgründung eine Politik imperialer Ausdehnung und Dominanz in Latein­amerika verfolgten.  Auch wenn in die­sem Rahmen oft mit idealistischen und moralischen Kategorien argumentiert wurde Ä "Amerika den Amerikanern", "Zivilisation", "Schutz des Lebens und Eigentums", "Menschenrechte", "Demokratie" Ä so handelte es sich doch um Machtpolitik, die auf die Etablie­rung und Aufrechterhaltung einer Ein­flußzone zielte. Militärische Mittel wur­den und werden mit großer Selbstver­ständlichkeit angewandt, wenn und falls sie erfolgversprechend sind. Darüber sollte aber nicht vergessen werden, daß die wichtigste Basis amerikanischer He­genomie in Lateinamerika über ökono­mische Kategorien und kulturelle Me­chanismen gesichert wird. Militärische Interventionen in ihren unterschiedli­chen Formen kommen nur flankierend oder dann zum Zuge, wenn andere Do­minanzmechanismen gescheitert sind.

Im Konkret-Literatur-Verlag ist das Buch von Jochen Hippler "Die neue Weltordnung" erschienen. Jenseits der propagandistischen Verwendung dieses Begriffs während des Golfkrieges, un­tersucht der Autor darin die Tendenzen und Kräfte, die die Neugestaltung der internationalen Beziehungen nach der Auflösung der bipolaren Weltordnung bestimmen werden und analysiert die ersten Ergebnisse und Konsequenzen dieser Veränderungen im internationa­len System.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Jochen Hippler, Institut für Entwicklung und Frieden, Universität Duisburg-Essen. E-Mail: kontakt (at) forumzfd (Punkt) de Website: www.friedenbrauchtfachleute.de