Leserbriefe

Zwei Leserbriefe zu Heft 6/2011 zum Schwerpunkt Terrorismus

von Nikolaus Brulach Manfred Lotze

Manfred Lotze
(zum Artikel von Peter Barth)

Es macht schon nachdenklich, wenn in einem zentralen Blatt der Friedensbewegung in zwölf Beiträgen zum Thema Terrorismus der Staatsterrorismus ausgeblendet wird. Nur Werner Ruf erwähnt ihn mit einem Satz.

Barth definiert sechs Formen des Terrorismus, die sich gegen „politische Ordnungen“ richten. Diese ergänze ich mit zwei Formen des Staatsterrorismus: die offene und die geheime Anwendung illegaler Gewalt durch staatliche Organe (Militär, Geheimdienste) zur Erzeugung von Angst, um politische Interessen durchzusetzen.

Die Kennzeichnung von Terrorismus ist immer eine politische und passt sich strategischen Bedingungen an (z.B. Yassir Arafats „Wandlung“ zum Friedensnobelpreisträger). Deswegen scheiterten alle Versuche im Rahmen der UNO, zu einer Begriffseinigung zu kommen. Eine juristische Definition ist nicht möglich.

In der Friedensbewegung aber habe ich gelernt, dass wir offenen Staatsterrorismus beim Namen nennen. Als Beispiele hebe ich hervor den Naziterror, die Verbrechen der Kolonialstaaten (hierzu Frantz Fanon „Die Verdammten dieser Erde“), die atomare Bedrohung mit Verbrechen wie in Hiroshima, Nagasaki, Tschernobyl, Fukushima, Teile der Kriegsführungen in Korea, Vietnam, Afghanistan, Irak und bestimmte Einsätze der israelischen Armee. Wer „Terror und Staat“ von Ronald Thoden liest, wird die Schreckensliste fortsetzen.

Der verdeckte Staatsterrorismus ist das Arbeitsfeld der Geheimdienste. Hiermit verbunden sind Desinformationen durch staatstreue Medien. Ich weise nur hin auf die Kriegslügen, um die wahren Motive zu verbergen. Die false flag operations setzen sich über alle humane Verantwortlichkeit hinweg. Durch sie werden Feindbilder geschürt und politische Gegner diskreditiert. Gladio, die NATO-Geheimarmee, rechtfertigte seine Massenmorde durch Antikommunismus. Die offizielle Aufklärung von Attentaten wie dem beim Münchner Oktoberfest 1980 (zwei Monate nach dem in Bologna) oder dem vom 11. 9. 2001 in New York wird durch Geheimhaltung und Vernichtung von Beweismaterialien verhindert. Bücher von Daniel Ganser und Andreas von Bülow („Im Namen des Staates – CIA, BND und die kriminellen Machenschaften der Geheimdienste“) klären auf bzw. regen an.

Extralegale Hinrichtungen durch Drohnen unter Inkaufnahme vieler Zivilopfer sehe ich als eine Mischform des offenen und des geheimen Staatsterrorismus an.

Wir sollten auch nicht verdrängen, dass eine antikapitalistische Friedensbewegung zu den Zielobjekten der Antiterrorkrieger gehört. Vor wenigen Tagen haben beide Kammern des US-Kongresses ein Staatsterrorgesetz beschlossen, nach dem ohne Haftbefehl die Festnahme von terrorverdächtigen Bürgern durch die Armee und eine nachfolgende lebenslange Haft in Militärgefängnissen ohne Gerichtsverfahren, Rechtsbeistand oder Berufungsinstanz vorgesehen ist (nach JungeWelt 17./18.12.11). Die juristischen Grundlagen für die Definition von Terroristen sind auch schon in Europa, in England unter Tony Blair, geregelt: Streikende, Blockierer, Besetzer und friedliche Protestierer, z.B. der Occupy-Bewegung, fallen unter Antiterrorgesetze, wenn sie das Funktionieren der Wirtschaft gefährden. So können auch Gewerkschaften zu „Extremisten“ werden. Seit den Berufsverboten unter Willy Brandt wissen die das auch und verhalten sich eher konformistisch.

Abschließend stellt sich mir die Frage, wie die Redaktion eine Auswahl der Beiträge zu einem zentralen Thema der Friedensbewegung vertritt, die Wesentliches ausspart: Peter Barth, ehemaliger Offizier und Lehrbeauftragter der Bundeswehr, hält sich an regierungskonforme Definitionen; Michael S. Bos teilt als einziger Infos aus den USA selbst mit, aber die starke 9/11 Truth Movement interessiert ihn nicht; in keinem Artikel taucht auch nur der leiseste Zweifel an der offiziellen Täterschaft auf.

Sollte es nicht Aufgabe auch der Friedenskooperative sein, die Aufklärung der Hintergründe des Terrorangriffs am 11.9.2001 durch unabhängige Juristen zu fordern? Ohne Ursachenklärung eines zeitlich und örtlich unbegrenzten "Antiterror-Krieges" wäre die Friedensbewegung schwach aufgestellt und keine Gefahr für die herrschende Klasse. 

Werner Rufs, Martin Singes und Elke Stevens Beiträge fand ich passend zum Thema.

Nikolaus Brulach
(zum Schwerpunkt)

Bei der Lektüre des sehr differenzierten und verdienstvollen Artikels ist mir ein Widerspruch aufgefallen: Auf der einen Seite stellt der Autor zuerst fest, dass eine "totale Verurteilung terroristischer Gewalt … historisch kaum haltbar (ist)“. Er bringt dafür überzeugende Beispiele: Tyrannenmord (Hitler, Stalin), den Wandel in der Wahrnehmung der PLO (Arafat erst Terrorist, dann Freiheitskämpfer). Auch die allgemeine Aussage, dass Terroristen „legitime Ziele“ verfolgen können wie „Demokratisierung der jeweiligen Gesellschaft“ verstehe ich als Hinweis, dass terroristische Gewalt ethisch legitim sein kann (ein gutes Beispiel ist die Ermordung Carrero Blancos im Kampf gegen die Franco-Diktatur).

Auf der anderem Seite behauptet er, dass „weder Religion noch Staatsräson noch irgendwelche anderen Gründe …Terror oder seine Unterstützung“ rechtfertigen.

Ich erkläre mir diesen Widerspruch mit der Terrorismus-Definition, die Peter Barth seinen Ausführungen zugrunde legt: Er versteht Terrorismus als politisch motivierte Gewalt, die Angst und Schrecken erzeugen soll. Hier fehlt ein Definitionsmerkmal, das in der politischen Alltagssprache, aber auch im Politologen-Jargon meistens vorausgesetzt wird: Die gezielte, nach Möglichkeit massenhafte Tötung Unschuldiger. Weil dieses Merkmal zum Assoziationsgehalt von „Terrorismus“ gehört, ist es auch so schwer, Terrorismus ethisch zu legitimieren. Die Ziele vieler Terroristen mögen legitim sein, ihre Methoden sind es nicht, beziehungsweise sind sie extrem fragwürdig.

Als Ausweg aus dem skizzierten politisch-semantischem Dilemma sehe ich zwei Möglichkeiten: Eine besteht darin, dass man den Terrorismusbegriff so eng fasst wie Peter Barth und dann aber zugestehen muss, dass es Formen des Terrorismus gibt, die legitim sind. Die zweite und von mir bevorzugte Möglichkeit besteht darin, die gesellschaftlich weitgehend akzeptierte Terrorismus-Definition zugrunde zu legen und gewaltbereite Gruppen, die gegen ein Unrechtsregime und dessen Repräsentanten vorgehen, ohne Unbeteiligte zu töten, als „Freiheitskämpfer“ oder „bewaffnete Widerständler“ zu bezeichnen. Dieser Sprachgebrauch hätte sowohl den Vorteil, dass es zu weniger Missverständnissen kommt als auch den Vorteil, dass man eine passende Bezeichnung für ethisch legitime subversive Gewalt hätte, die nicht mit So deutlich negativen Assoziationen behaftet ist wie „Terrorismus“.

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