Zweimal Todesland in Lebensland

von Frits ter Kuile
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Wenn wir unsere Ängste überwinden, Besitz, Freiheit oder Leben zu ver­lieren, dann können wir alle gesellschaftlichen Übel überwinden. In der Hoffnung, diese Vision brennend zu halten in diesen Zeiten mit lee­ren überfüllten Gefängnissen und toten lebenden Reichen, und um mein Steinchen beizutragen für die Kathedrale des Friedens, habe ich vierzig Tage in den deutschen Gefängnissen von Stammheim und Rottenburg leben dürfen: als Belohnung für meine Teilnahme an einer Entzäu­nungs- und Umwandlungsaktion des EUCOM.

Das EUCOM ist die Hauptkommando-Zentrale für die US-Streitkräfte in Eu­ropa, Afrika und den Nahen Osten. Von hier aus wurde und wird nicht nur tüch­tig mitgear­beitet am Golfkrieg, an den NATO-Drohgebärden im Balkan und am Völ­kermord an den Kurden, sondern das EUCOM befehligt auch immer noch über den Einsatz Hunderter Atomwaf­fen.

Die EUCOMmunity ist ein Netzwerk nord-europäischer und -amerikanischer Friedensbewegter. Sie hat bis jetzt vier Mal Zeugnis am EUCOM abgelegt: das erste Mal am 29. September 1990, dann am Romero-Tag 1991, am Heiligabend 1992 und das letzte Mal am 29. Mai 1994 (Solingen-Tag). Wir bauten einen Teil des Zauns ab und fingen an mit der Umwandlung des EUCOM in einen Zu­fluchtsort für Kriegsflüchtlinge. Mit Drahtscheren und Bolzenschneidern ent­fernten wir den Zaun des EUCOM an drei Stellen. Anschließend gingen wir in einer Gruppe von 19 AktivistInnen auf das Gelände, um unter den Augen ame­rikanischer Wachsoldaten und deutscher Polizisten den Rasen umzupflügen, Weizen zu säen, Blumen zu pflanzen und Transparente aufzuhängen. Eines trug die Aufschrift "Todesland in Le­bensland", ein anderes "We like your faces - not your bases". Zuvor hatten wir zusammen mit rund drei Dutzend Be­gleiterInnen einen 11 Kilometer langen Marsch vom Mahnmal für die Opfer des Faschismus in der Stuttgarter Innenstadt zum EUCOM zurückgelegt.

Außer den bis jetzt etwa fünfzig Teil­nehmerInnen an den Aktionen gibt es auch etwa 250 UnterzeichnerInnen eines Aufrufs zur Abrüstung des EUCOM. Zusammen trotzen wir dem Paragraph 111 StGB, der solche Aufrufe zum Frie­denstiften unter Strafe stellt.

Bis jetzt reichen die Strafen von 10 bis 40 Tagessätzen. Der Stuttgarter Amts­richter Wolf hat die Gerichtsverhand­lung gegen die acht TeilnehmerInnen der dritten Aktion vertagt bis zur Ein­holung eines Gutachtens. Dieses soll Auskunft geben zu den Fragen, ob Pro­duktion, Lagerung und Einsatz von Atomwaffen dem Völkerrecht entspre­chen. Hierzu verlangt Richter Wolf Ein­sicht in zehn der Bundesregierung vor­liegende Gutachten, die bisher nicht veröffentlicht wurden. Ferner soll festgestellt werden, ob im Golfkrieg gegen das Völkerrecht verstoßen wurde. Und schließlich geht es um die Frage, ob sich aus dem Völkerrecht ein Widerstands­recht für den/die Einzelne/n ableiten läßt.

Todesland in Lebensland II: Nach mei­nem Empfinden ist es nicht nur notwen­dig, daß wir die militärischen Todeszo­nen umwandeln, sondern auch, daß Friedensbewegte ein bisschen Licht in die knastliche Finsternis bringen. So wie die Königlichen Kerker zu Hause, so habe ich erfahren, daß auch Stammheim und Rottenburg (außer den Kumpels der RAF) fast ausschließlich gefüllt sind mit andersartigen politischen Gefangenen: mit Armen, kleinen Verbrechern, ein­zelnen Mördern, Schmugglern aus den "unteren" Schichten der Gesellschaft, sowie Menschen, deren Anwesenheit auf der Erde als illegal erklärt wurde. Für mich ist antimilitaristische Arbeit viel leichter als die Arbeit am Abbau von meinem bourgeoisen Privilegien. Unter anderem deshalb ist es gut für mich, ab und zu eine Knastbesinnung zu machen. Im Knast hat mensch die Mög­lichkeit, einen winzigen Teil der Lasten und des Lebens zu teilen mit denjeni­gen, die schon immer "unten" waren. "Die im Dunkeln sieht man nicht", sagt Brecht. Doch wenn mensch aus der frie­densbewegten Mittelklasse die knästli­che Finsternis sucht, sieht mensch die im Dunkeln ganz klar. In Holland sagt mensch: "Gott ist in die Verdrukking dabei". Weil die Verdrukking hier ziemlich groß ist, ist Gott umso näher, und das ist sehr schön.

Doch die Verdrukking ist auch außer­halb der Knastmauern groß. Deshalb möchte ich Dich einladen zur Teil­nahme, als AktivistIn oder Unterstütze­rIn, beim 5. Zeugnis am EUCOM, wel­ches am 50. Hiroshima-Tag, dem 6.August 1995 stattfinden wird.

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Frits ter Kuile schrieb diesen Beitrag für "Kerk en Vrede" (dt: Kirche und Frieden) der Zeitschrift des niederländischen Zweiges des Internationalen Versöhnungsbundes.