Redebeitrag für die Hiroshima-Gedenkveranstaltung in Bremen am 6. August 2018

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Friedensfreundinnen und -freunde,

heute vor 73 Jahren warfen die USA eine Atombombe auf die japanische Stadt Hiroshima und legten sie auf diese Weise in Trümmer. Nur 3 Tage später ereilte Nagasaki das gleiche Schicksal. Die Explosionen der Atombomben töteten insgesamt ca. 100.000 Menschen sofort – darunter fast ausschließlich Zivilisten und verschleppte Zwangsarbeiter. An den Folgeschäden starben weitere 130.000 Menschen bis zum Ende des Jahres 1945 und etliche in den folgenden Jahren.

Es ist ein gutes Zeichen, dass auch fast ein dreiviertel Jahrhundert nach diesen schrecklichen Taten der zahlreichen Opfer der Atombombenangriffe gedacht wird. Deutschlandweit finden dazu mehr als 60 Gedenkveranstaltungen statt. Aber Gedenken alleine reicht nicht!

Die Angriffe auf Hiroshima und Nagasaki führten nicht dazu, dass die ganze Welt zu dem Schluss gelangte: „So etwas darf sich niemals wiederholen!“ Nein! Was folgte war ein Wettrüsten, das die Welt noch nicht gesehen hatte. Zu Spitzenzeiten des Kalten Krieges bedrohten rund 70.000 Atomwaffen die Welt – und auch heute, Jahrzehnte nach dem Kalten Krieg, sind es noch etwa 15.000 Atomwaffen, die meisten davon in russischem und US-amerikanischen Besitz, von denen gut 1.800 in höchster Alarmbereitschaft sind und binnen weniger Minuten die Erdkugel unbewohnbar machen können.

Etwa 20 Atomwaffen befinden sich auch hier in Deutschland. Es sind US-amerikanische vom Typ B61. Jede dieser Atombomben hat eine maximale Sprengkraft, die mit der von 13 Hiroshima-Bomben vergleichbar ist. Deutsche Piloten trainieren regelmäßig den Abwurf. Im Ernstfall sind sie es, die die Atombomben ins Ziel bringen müssten. Das ist nur möglich, weil die Bundesregierung sich freiwillig an der sogenannten nuklearen Teilhabe der NATO beteiligt.

Die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland ist damit nicht einverstanden. Eine Anfang Juli veröffentlichte repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts „YouGov“ kam zu dem Ergebnis, dass mehr als zwei Drittel der Bundesbürger für den Abzug der Atomwaffen aus Deutschland sind. Um diesen Menschen eine Stimme zu geben, gibt es die Kampagne „Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt“, die von mehr als 55 Organisationen aus der Friedens- und Umweltbewegung, Gewerkschaften und religiösen Gruppen getragen wird – darunter auch das Bremer Friedensforum.

Als Kampagne setzen wir uns dafür ein, dass die in Deutschland stationierten Atomwaffen abgezogen statt aufgerüstet werden, und, dass Deutschland dem 2017 verabschiedeten Atomwaffenverbotsvertrag beitritt. Um unseren Forderungen Nachdruck zu verleihen, haben wir auch in diesem Jahr eine 20-wöchige Aktionspräsenz am Fliegerhorst Büchel organisiert – 20 Wochen Protest gegen die rund 20 in Deutschland stationierten Atombomben.

Begonnen hat unsere Aktionspräsenz am 26. März, um die Bundesregierung daran zu erinnern, dass es bereits vor 8 Jahren – im Jahr 2010 – einen fraktionsübergreifenden Beschluss im Bundestag gab, der sich für den Abzug der in Büchel stationierten aussprach. Passiert ist seitdem nicht. Die Bundesregierung weigert sich, diesen Beschluss umzusetzen. Deshalb ist unser Ansatz: Wenn die Regierung nicht tätig wird, müssen wir als Zivilgesellschaft den ersten Schritt machen! Noch bis zum 9. August, also dem Nagasaki-Gedenktag am Donnerstag, sind Friedensgruppen mit vielfältigen, gewaltfreien Aktionen in Büchel vor Ort, um den Abzug der dort lagernden Atomwaffen zu fordern.

Der Rückenwind, den wir in diesem Jahr, u.a. wegen der Verleihung des Friedensnobelpreises an ICAN, spüren, ist beeindruckend und ich kann schon jetzt sagen, dass sich an der 20-wöchigen Aktionspräsenz 2018 mehr Aktive als in den Vorjahren beteiligt haben. Der Bücheler Ostermarsch war mit 400 Menschen so groß wie noch nie. Beeindruckend war auch der Aktionstag, der von Christen aus mehreren Landeskirchen Anfang Juli organisiert wurde. Alleine zu diesem kamen rund 600 Menschen. Und auch die vielen lokalen Friedensgruppen, die aus ganz Deutschland angereist kamen, waren in diesem Jahr meist mit deutlich mehr Leuten als in den vergangenen Jahren in Büchel.

 

Liebe Friedenfreundinnen und Friedenfreunde,

dass der Widerstand gegen Atomwaffen seit Jahrzehnten nicht ohne Aktionen des zivilen Ungehorsams vorstellbar ist, brauche ich euch wahrscheinlich nicht sagen. Nicht wenige von euch haben sich wahrscheinlich schon an Sitzblockaden beteiligt, als es mich noch nicht gab. Aber von den Aktionen des Zivilen Ungehorsams in den vergangenen Jahren in Büchel möchte ich euch jetzt gerne berichten.

Wir von der Kampagne „Büchel ist überall! Atomwaffenfrei jetzt“ sind selbstverständlich allen Menschen dankbar, die nach Büchel kommen, um sich mit gewaltfreien Mitteln den Protesten anschließen. Egal,....

  • ob es eine Gruppe ist, die eine Mahnwache am Fliegerhorsts abhält oder,...
  • ob es ein Pfarrer ist, der sich mahnend mit einem großen Holzkreuz mit der Aufschrift „Atomwaffen abschaffen“ am Haupttor positioniert,
  • der ob es die Frau ist, die auch in diesem Jahr ihre Geburtstag feiert, indem sie mit ihrem Bekanntenkreis für eine Protestaktion nach Büchel kommt,
  • oder, ob es die Künstlerin ist, die vor dem Fliegerhorst Bilder für eine atomwaffenfreie Welt malt.

Ihr seht schon: Der Einsatz für eine atomwaffenfreie Welt macht kreativ!

Besonders beeindruckt sind wir aber von den Menschen, die ganz bewusst Regeln überschreiten, um zu zeigen, dass sie die Anwesenheit der in Deutschland stationierten Atomwaffen nicht tolerieren wollen – und dabei auch rechtliche Konsequenzen in Kauf nehmen.

Da wären zum einen die Aktivisten, die sich an Blockaden beteiligen und den Betrieb auf dem Fliegerhorst zumindest verzögern können. Dafür benötigt man im Übrigen gar nicht so viele Menschen. Der Fliegerhorst Büchel verfügt zwar rund 10 Zufahrtstore, aber nicht alle sind mit befestigten Zufahrten versehen. Es reicht also schon vollkommen aus, 3 oder 4 Tore zu blockieren, um eine Menge Verwirrung zu stiften. Und bis die nächste Polizei vor Ort ist um die Tore zu räumen kann es gut und gerne schon mal eine halbe Stunde oder länger dauern. Dass es durch Sitzblockaden in den letzten Jahren zu rechtlichen Konsequenzen gekommen wäre, ist mir – nebenbei gesagt – nicht bekannt.

Anders sieht es bei den Friedensaktivisten aus, die sich in den vergangenen drei Jahren an Go-In-Aktionen beteiligt haben. Sprich: Aktivisten, die auf das Gelände des Fliegerhorsts eingedrungen sind um dort gegen die Atomwaffen zu protestieren. Dazu ist es in den letzten 3 Jahren 5 Mal gekommen:

  • Im September 2016 gelangen 9 Aktivisten des Jugendnetzwerks für politische Aktion auf den Fliegerhorst und besetzten früh morgens die Startbahn des Fliegerhorsts. Dafür wurden die Aktivisten wegen Hausfriedensbruch in erster Instanz verurteilt. Dagegen sind sie in Berufung gegangen. Ein Teil dieser Verfahren läuft noch.
  • Zu zwei weiteren Go-In-Aktionen kam es am 16. und 17. Juli 2017: Bei der ersten Aktion gelangte eine Gruppe von 30 Friedensaktivisten, darunter viele aus den USA und den Niederlanden, durch ein unverschlossenes Tor auf den Fliegerhorst. (Wen kümmert es schon, ob die Tore verschlossen sind, es ist ja nur ein Atomwaffenstandort....) Auf dem Gelände verteilten sie unter dem Motto „Brot statt Bomben“ Brot an die diensthabenden Soldaten.
  • Schon am nächsten Tag gelangte erneut eine Gruppe nachts auf den Fliegerhorst. Bei dieser Aktion gelang es den Aktivisten, sogar in den inneren Sicherheitsbereich des Fliegerhorsts zu gelangen. Mehr als eine Stunde verbrachten die Aktivisten unentdeckt auf dem Dach eines Bunkers. Die Gruppe wurde erst entdeckt, als zwei von ihnen vom Dach herunterstiegen, um das Wort "Disarm!" (also: Abrüsten!) in die Bunkertür zu ritzen.

Und auch in diesem Jahr kam es bereits zwei mal zu Go-In-Aktionen

  • Bei der ersten Aktion am 15. Juli gelangten 18 Aktivisten, darunter 7 US-Amerikaner, 6 Deutsche, 4 Niederländer und 1 Brite) auf das Gelände. Zwei Aktivistinnen erreichten sogar einen Bunker und ließen auf diesem eine Friedensfahne wehen. Die Aktion stand unter dem Motto „Reclaim the Land“, „Holen wir uns das Land zurück, auf dem die Atomwaffen illegal lagern“.
  • Die Zweite Go-In-Aktion fand vor zwei Wochen statt. 7 Friedensaktivisten besetzten morgens die Startbahn und konnten so den Beginn des Flugbetriebs verzögern.

Eine der Aktivistinnen, die sich an einer dieser Aktionen vor Gericht verantworten musste, sagte in ihrem Schlusswort:

"Das Verbrechen ist die Existenz der Atomwaffen und nicht unsere Aktion dagegen. Solange es Atomwaffen gibt, wird es Menschen geben, die in unterschiedlichsten Aktionen dagegen angehen. Es wird immer wieder Menschen geben, die hier im Gerichtssaal sitzen werden und Gerechtigkeit und Frieden einfordern. Sie, Herr Richter, können nun damit beginnen, Gerechtigkeit und Frieden zu schaffen. Einen passenderen Zeitpunkt wird es nicht geben.“

Einen passenderen Tag um für eine atomwaffenfreie Welt einzutreten, gibt es auch heute am Hiroshimatag nicht. Die Angriffe auf Hiroshima und Nagasaki zeigen: Es kann keine friedliche Koexistenz von Menschen und Atomwaffen geben. Lasst uns gemeinsam für eine Welt streiten, in der Atomwaffen illegal sind und nicht der berechtigte Protest gegen diese grausamen Massenvernichtungswaffen!

Lasst uns dafür kämpfen, dass auch Deutschland dem Atomwaffenverbotsvertrag beitritt! Die Blockadehaltung der Bundesregierung gegenüber dem Verbotsvertrag ist beschämend.

Eine atomwaffenfreie Welt ist machbar – mit dem Abzug der Bomben aus Büchel wäre ein erster Schritt getan!

Lasst uns dafür eintreten, dass sich Hiroshima und Nagasaki nie wiederholen!

Danke für eure Aufmerksamkeit!

 

Marvin Mendyka arbeitet für das Netzwerk Friedenskooperative in Bonn.