Redebeitrag für die Hiroshima-Gedenkveranstaltung in Bremen am 6. August 2018

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Hiroshima Gedenktag

 

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Bürgerinnen und Bürger Bremens!

Wir erinnern und gedenken mit dieser Veranstaltung der Opfer der Atombombenabwürfe in Hiroshima und Nagasaki im Jahr 1945. Am 6. August warf ein amerikanischer Bomber die Atombombe über Hiroshima ab und am 9. August über Nagasaki. Es wird geschätzt, dass über 70.000 Menschen in Hiroshima sofort starben, bis Ende 1945 waren es wohl insgesamt über 140.000. In Nagasaki waren es bis Ende 1945 wohl insgesamt über 70.000 Menschen. Und tausende kamen in den Folgejahren hinzu, die an den Folgen der Atombombenabwürfe starben. Eine ganz genaue Zahl lässt sich gar nicht feststellen.

Hinter diesen nackten und sachlichen Zahlen stehen Einzelschicksale und Lebensgeschichten, die nicht weitererzählt werden konnten. Das unvorstellbare Grauen lässt sich in Zahlen auch nicht wirklich fassen. Aber bis heute sind die Auswirkungen der unglaublichen Strahlenbelastungen zu sehen. Das Gedenken der Opfer ist und bleibt notwendig – das Ereignis des Abwurfs und die Opfer dürfen nicht der Vergessenheit ausgeliefert werden. Die Abwürfe und die schrecklichen Folgen stellen eine Zäsur in der Kriegsführung dar, die den Krieg insgesamt ad absurdum führen. Der alte Satz, dass Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sei oder der Frieden vorzubereiten sei mit dem Krieg, ist spätestens seit den Atombombenabwürfen ein unmenschlicher und unmöglicher Satz.

Das Gedenken der Opfer und die Bilder aus Hiroshima und Nagasaki von damals müssen uns auch heute noch tief bewegen. Wer sich den Bildern und Geschichten der Opfer aussetzt, kann gar nicht anders, als verstummen und schweigend gedenken.

 

Pause

 

Und dennoch und so schwer es fällt, das Leid in menschliche Worte zu fassen, mahnen uns die Opfer und die Bilder und Geschichten auch, gerade nicht auf Dauer zu verstummen, sondern unsere Stimmen gegen dieses Unrecht und diese Waffen zu erheben. Das, was in Hiroshima und Nagasaki geschah, darf nie wieder geschehen. Und auch wenn die gesamte Weltgemeinschaft diese Meinung vertritt, gibt es immer noch geschätzte 15 000 Atomwaffen auf dieser Erde. Die nukleare Abrüstung nach dem Kalten Krieg ist ins Stocken geraten – im Gegenteil werden Arsenale wieder aufgebaut, Atombomben modernisiert und Milliarden werden dafür ausgegeben, die zur Armutsbekämpfung auf dieser Welt so dringend benötigt würden.

Dabei wären die Auswirkungen dieser Sprengköpfe viel schrecklicher als die Bomben von Hirsohima und Nagasaki. Allein die 20 Atomsprengköpfe, die in Büchel in der Eifel lagern, haben eine Sprengkraft, die 80mal höher ist als die Sprengköpfe aus Hiroshima und Nagasaki. Welche ein Wahnsinn! Und gleichzeitig werden Atomsprengköpfe entwickelt, die eine begrenzte Sprengkraft enthalten und zielgenauer sind – das erhöht die Gefahr, sie auch tatsächlich einzusetzen, weil man glaubt, man könne einen Atomkrieg begrenzen.

Die Verbreitung der Atomwaffen in den letzten Jahrzehnten auch auf unberechenbare Staaten, die Eskalation der Konflikte zwischen unberechenbaren Politikern wie Kim, Trump und anderen führt uns heute näher an einen Konflikt, in dem Atomwaffen eingesetzt werden können, als in den vergangenen Jahren. Es ist höchste Zeit, einen Weg zu gehen, den die Weltgemeinschaft bei biologischen und chemischen Waffen oder bei den Landminen auch gegangen ist: die Ächtung der Atomwaffen und deren Abschaffung.

Deshalb ist es angesichts einer wachsenden Gefahr ein hoffnungsvolles Zeichen, dass es der Internationale Kampagne zur Abschaffung der Atomwaffen gelungen ist, so viele Staaten zu mobilisieren, einen Atomwaffenverbotsvertrag durch die Vollversammlung der Vereinten Nationen zu beschließen. 122 Staaten haben dafür gestimmt, bis Juli dieses Jahres haben 59 Staaten den Vertrag unterschrieben und 14 Staaten haben die Ratifizierungsunterlagen bei der UN hinterlegt. Wenn 50 Staaten dieses getan haben, tritt der Vertrag als völkerrechtlich verbindlich in Kraft – und ich habe keinen Zweifel, dass das geschehen wird.

Die Bedeutung dieses Vertrages kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Die Begründungspflicht hat sich umgekehrt: die Staaten, die Atomwaffen entwickeln, produzieren, lagern oder mit ihnen drohen, müssen der Weltgemeinschaft erklären, warum sie dies noch immer tun angesichts der schrecklichsten humanitären Folgen eines Einsatzes. Diese Länder verstoßen in Zukunft gegen das Völkerrecht – auch wenn sie den Vertrag nicht unterschrieben haben. Auch Deutschland gehört dazu, weil es sich nicht dazu durchringen konnte, an den Verhandlungen teilzunehmen, den Vertrag mitzugestalten und zu unterschreiben.

Noch immer setzt die deutsche Regierung auf den Atomwaffensperrvertrag und die damit verbundene Verpflichtung zur atomaren Abrüstung. Aber gerade diese ist nach großen Schritten der Abrüstung nach dem Ende des Kalten Krieges in den letzten Jahren ins Stocken und zum Erliegen gekommen. Das war ja ein Grund, warum die Staaten, die keine Atomwaffen besitzen, einen anderen Weg eingeschlagen haben. Aus – wie ich meine – falsch verstandener Bündnispolitik verweigert sich die Bundesregierung diesem Vertrag.

Ich wünsche mir von den politisch Verantwortlichen, dass sie den Mut von 2010 wiederfinden, als Koalitionsvertrag und Bundestag den Abzug der Atomwaffen aus Deutschland beschlossen. Ich fordere die Verantwortlichen auf, einen Weg der politischen Verhandlungen mit den Bündnispartnern zu beginnen, an dessen baldigem Ende eine Unterschrift unter dem Atomwaffenverbotsvertrag steht.

Ich danke der Bremischen Bürgerschaft für den Beschluss vom Dezember 2017, in dem sie die Verleihung des Friedensnobelpreises an die Internationale Kampagne zur Abschaffung der Atomwaffen begrüßt und den Senat aufgefordert hat, sich auf Bundesebene für eine deutsche Unterzeichnung und Ratifizierung des UN-Vertrages über das Verbot von Kernwaffen einzusetzen. Ich bitte den Senat, dem konkrete Schritte folgen zu lassen – z.B. gemeinsam mit Rheinland-Pfalz eine Bundesratsinitiative zu starten.

Wir alle, die wir heute hier stehen, sind nicht so naiv zu glauben, dass mit dem Verbotsvertrag schon alles getan ist. Es sind harte und komplizierte Verhandlungen nötig, um zu einer Abschaffung zu kommen – mit dem Vertrag sind die Atomwaffen noch nicht verschwunden. Es muss aber ein solcher Prozess begonnen werden.

Als Christenmensch, der ich einem biblischen Menschenbild der Würde jedes Menschen und dem Frieden verpflichtet bin, den Gott schenkt, bin ich überzeugt, dass es keine friedensethische Legitimation für Atomwaffen gibt, die eine solche grausame und verheerende, menschen- und schöpfungsverachtende Wirkung hat. Und ich behalte die Hoffnung, dass ein Weg zur Abschaffung dieser Waffen gibt. Diese Hoffnung und das Eintreten für diesen Weg sind den Opfern von Hiroshima und Nagasaki schuldig.

Ich danke Ihnen.

 

Renke Brahms ist Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).