Redebeitrag für die Hiroshima-Gedenkveranstaltung in Frankfurt am 4. August 2018

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

- Sperrfrist: 04.08., Redebeginn: ca. 11 Uhr -

 

„Für ein Ende der Abschreckung und Treue zum Völkerrecht“

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Die Debatte um Atomwaffen hat sich in den vergangenen beiden Jahren grundlegend geändert. In zwei Richtungen. Auf der einen Seite erlebten wir eine beispiellose Verrohung in den Drohgebärden und eine gefährliche Eskalation. Zu den Protagonisten gehören der amerikanische und der russische Präsident sowie das nordkoreanische Regime. Auf der anderen Seite schlossen sich 122 Staaten zusammen, um sich gegen diese Entwicklung zu stellen und ein Stoppschild hochzuhalten.

Mit dem 2017 in den Vereinten Nationen verabschiedeten Vertrag zum Verbot von Atomwaffen wurde ein Meilenstein gelegt für die Ächtung dieser Massenvernichtungswaffe und für die Durchsetzung des Völkerrechts.

Die katastrophalen humanitären Auswirkungen wurden damit in den Mittelpunkt der Debatte gestellt. Staaten und andere Akteure, die bisher außen vor standen, erhielten eine Stimme. Allen voran die atomwaffenfreien Staaten und die Opfer von Atomwaffeneinsätzen und –tests, sowie deren Angehörige.

Wie ist es zu dieser Wende gekommen, die uns eine Alternative zur Aufrüstung und Gefahr eines Atomkrieges bietet?

2007 wurde ICAN, die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen, als offenes zivilgesellschaftliches Bündnis gegründet. Ihre Mission ist, weltweit alle bürgerlichen Kräfte zu vereinen, um eine Ächtung von Atomwaffen durchzusetzen.

2013, nur fünf Jahre nach der Gründung, begannen diese Bemühungen Früchte zu tragen. Zahlreiche Regierungen schlossen sich dem zivilgesellschaftlichen Bündnis an.

Nach nur drei, aber intensiven internationalen Konferenzen in 2013 und 2014, unterstützte die überwältigende Mehrheit der Staatengemeinschaft ein humanitäres Versprechen: sie versprachen, sich für ein Verbot von Atomwaffen einzusetzen.

Gut eineinhalb Jahre später, im August 2016, machten sie ernst. Per Kampfabstimmung in einer eigens eingerichteten Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen forderten sie den Beginn von Verhandlungen für ein Atomwaffenverbot.

Der Genfer Völkerpalast wurde zum Schauplatz einer Palastrevolte. Die atomwaffenfreien Staaten hatten genug davon, dass die Atomwaffenstaaten regelmäßig gegen ihre Verpflichtungen im Atomwaffensperrvertrag verstoßen.

Sie wollten nicht weiter tatenlos zusehen, wie die Atommächte den Abbau ihrer Arsenale verweigern und stattdessen Waffenbestände modernisieren.

Erstmals in der Geschichte der Vereinten Nationen ermächtigten sich die atomwaffenfreien Staaten und wagten es, die Atommächte und ihre Alliierten förmlich und protokollgerecht bloß zu stellen.

Für die USA und ihre Verbündeten, auch für die Bundesrepublik, war dieses Votum ein diplomatisches Fiasko. Mit ganzer Kraft hatten sie sich gegen einen Vertrag zum Verbot von Atomwaffen gestemmt und alles versucht, den nuklearen Status quo zu verteidigen.

Die Bundesregierung wollte auf der Seite der Starken bleiben und wähnte sich und wähnt sich vielleicht auch heute noch in dieser Haltung sicher. Schließlich hat auch Deutschland auf seinem Boden US-Atomwaffen stationiert und beteiligt sich in der NATO an der nuklearen Abschreckung.

Als die Generalversammlung der Vereinten Nationen wenige Monate später, am 23. Dezember 2016, die Aufnahme von Verhandlungen über ein Atomwaffenverbot beschloss, beugte sich die deutsche Diplomatie abermals dem Druck der USA und stimmte gegen die Ächtung.

Die Bundesregierung blieb, ungeachtet der dramatischen Entwicklungen in Washington, Moskau und Pjöngjang, bei ihrer Hardlinerposition und unterstützte sehenden Auges eine Politik der Eskalation, die im vergangenen Jahr mehrmals zu bedrohlichen Krisen geführt hat.

Sie boykottierte 2017 die gesamten Verhandlungen in New York. Wir sprechen hier über Verhandlungen, die mit der international höchst möglichen Legitimierung, einem Mandat der UN-Generalversammlung, stattgefunden haben.

Am 7. Juli 2017 haben, trotz zahlreicher Einschüchterungsversuche, 122 Staaten in New York den Vertrag zum Verbot von Atomwaffen beschlossen. Inzwischen ist er zur Unterschrift und Ratifikation frei gegeben und wurde bereits von 59 Staaten unterschrieben.

Natürlich hat dieser Vertragstext auch Mängel und löst nicht alle Probleme. Wie jeder existierende internationale Vertrag.

Doch er ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien Welt. Unsere Regierung sollte sich an der Weiterentwicklung des Völkerrechts beteiligen. Wir, die Zivilbevölkerung, dürfen deshalb die Flinte nicht ins Korn werfen und müssen sie dazu drängen, diesen Weg der Deeskalation und der Stärkung des Rechts zu beschreiten.

Man mag nachvollziehen können, warum die Bundesregierung Trump beim Thema Atomwaffen nicht reizen will. Doch diese Apeasementpolitik führt peu à peu dazu, dass wir selbst hineingezogen werden in die Eskalationsspirale.

Es wäre ein großer Gewinn, wenn Deutschland dem Vertrag zum Verbot von Atomwaffen beitreten würde. Es könnte vor allem das Ende der Abschreckungspolitik einläuten.

Der Vertrag fordert: Nie wieder dürfen Atomwaffen eingesetzt oder damit gedroht werden.

Als das Land, in dem die Kernspaltung entdeckt und der Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki befehligt wurde - Truman weilte zu diesem Zeitpunkt in Potsdam - , steht Deutschland in einer besonderen historischen Verantwortung.

Deutschland will globale Verantwortung übernehmen. Auf Deutschland und seine Treue zum Völkerrecht kommt es heute an.

Wir fordern von der Bundesregierung deshalb den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland, die Beendigung der nuklearen Abschreckung und den Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen!

 

Sascha Hach ist Friedensforscher und Mitgründer von ICAN in Deutschland.