Redebeitrag für die Hiroshima Gedenkveranstaltung am 6. August 2019 in Hamburg

 

- Sperrfrist: 6.8.2019, Redebeginn: 16 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Hamburgerinnen und Hamburger,

Zweimal wurden Atomwaffen bereits eingesetzt - 1945 von den USA über den japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki. 20.000 Menschen wurden sofort verdampft. 150.000 Menschen starben durch die Explosion und die dadurch ausgelösten Feuerstürme. Weitere 100.000 Menschen starben später an den Folgen der Radioaktivität. Unzählige Menschen litten und leiden an den physischen und psychischen Folgen, an Verbrennungen und Verkrüpplungen sowie an Ängsten und der gesellschaftlichen Stigmatisierung der Überlebenden.

Die modernen Atomwaffen haben ein Vielfaches der Zerstörungskraft der Atombomben, die über Hiroshima und Nagasaki gezündet wurden. Fast 2.000 von ihnen befinden sich dauerhaft in höchster Alarmbereitschaft. Ein Befehl des US-Präsidenten und eine kurze Rücksprache mit Beratern und Militär würden genügen, um innerhalb einer halben Stunde alles menschliche Leben auf der Erde zu vernichten. Selbst ein regionaler Atomkrieg zwischen Indien und Pakistan mit ihren vergleichsweise kleinen Arsenalen würde durch Brände und Rußeintrag in die Atmossphäre zu einer globalen Abkühlung und gravierenden Ernteausfällen über Jahre führen. Zwei Milliarden Menschen würden hungern oder verhungern.

Die größte Gefahr, die von Atomwaffen ausgeht, ist, dass sie eingesetzt werden können, solange es sie gibt. Ich zitiere Beatrice Fihn dazu aus ihrer Friedensnobelpreisrede am 10.12.2017: „Die Geschichte der Atomwaffen wird ein Ende haben und es liegt an uns, welches Ende sie haben wird. Wird es das Ende der Atomwaffen sein, oder wird es unser Ende sein? Eines von beiden wird geschehen.“ (www.kurzlink.de/ican-rede)

Der einzige Schutz vor Atomwaffen ist vollständige Abrüstung. Das stärkste Mittel gegen Atomwaffen ist das Wort. Dafür haben alle Bedeutung, die ihre Stimme für die Menschheit gegen die atomare Bedrohung erheben.

Die starke Friedensbewegung der 1980er Jahre für atomare Abrüstung und friedenspolitische Verständigung hat den Abschluß von Abrüstungsverträgen und bedeutsame atomare Abrüstungschritte ermöglicht.

Gorbatschow schrieb später, dass er zu einseitigen Abrüstungsschritten bereit war, weil er sich auf die Friedensbewegung in der westlichen Welt verlassen hat. Und selbst von Helmut Kohl ist überliefert, dass ihn der Anblick der hundertausenden Friedensdemonstranten auf den Bonner Rheinauen sehr beindruckt hat.

Die Friedensbewegung wurde aus den Wissenschaften und der Politik flankiert mit neuen Konzeptionen wie Entspannungspolitik und Gemeinsamer Sicherheit.

Die Politik der atomaren Abschreckung, d.h. durch Drohung mit Atomwaffen Sicherheit vor dem anderen erlangen zu wollen, war zu einer undurchführbaren Politik geworden, weil sie die Auslöschung der Menschheit zur Folge hätte. Eine durchführbare Politik muss also die Sicherheitsinteressen des anderen als gleichrangig mit den eigenen akzeptieren. Sicherheit gibt es im Atomzeitalter also nicht mehr voreinander sondern nur noch miteinander.

Es geht also um die Durchsetzung einer Friedenslogik, die im „anderen“ wie sich selbst die Persönlichkeit und das Subjekt erkennt und die Gleichheit von sich und dem „anderen“ anerkennt. Jean Ziegler faßt das als „Ich bin der andere. Der andere ist ich.“ Friedenslogisch geht es um den gewaltfreien Austrag von Interessenkonflikten, um Verständigung, Zusammenarbeit und Solidarität. Das ist immer auch ein innergesellschaftlicher Streit um die politische Kultur und die Grundrichtung der Politik.

Die Bewegung für die Abschaffung der Atomwaffen ist zugleich ein Ringen um materielle Verbesserungen für alle Menschen. Allein die Modernisierung der US-amerikanischen Atomwaffen wird nach bisherigen Prognosen bis 2043 bis zu 1.700 Milliarden US-Dollar kosten. Das ist die Hälfte des Geldes, das nach UNO-Angaben benötigt wird, um bis 2030 den Hunger auf der Welt zu beenden.

Es liegt an uns, der globalen Zivilgesellschaft, „Abrüstung statt Aufrüstung“ durchzusetzen – gegen die brandgefährliche Beendigung des INF-Vertrages und die Androhung eines neuen Wettrüstens durch das Pentagon, das mit dem Ende des INF-Vertrags am 2. August 2019 die Entwicklung neuer atomar bestückbarer Raketen ankündigte.

Das Festhalten der Atommächte an der Doktrin atomarer Abschreckung, die Verweigerung Verhandlungen über vollständige Abrüstung zu führen und völkerrechtswidrige Angriffe auf souveräne Staaten brachten den Prozess atomarer Abrüstung in die Krise. Diese Krise sicherheitslogischer Politik war der Anlaß für eine neue Kampagne für eine atomwaffenfreie Welt. 2007 wurde die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen – kurz ICAN – gegründet, um die humanitären Folgen von Atomwaffen in den Vordergrund der Argumentation zu bringen und die stagnierende atomare Abrüstung mit dem Ziel vollständiger Abrüstung wieder in Gang zu bringen.

Dabei wurde aus den Erfolgen der weltweiten zivilgesellschaftlichen Kampagnen zur Ächtung von Landminen und Streumunition gelernt. Bei diesen Verträgen hatten sich anfangs diejenigen Staaten nicht beteiligt, die solche Waffen besitzen oder einsetzen, und dennoch (oder vielleicht sogar deshalb) kamen völkerrechtliche Verträge zustande, die immer größere Wirkung zur Ächtung dieser Waffen entfalten.

Nach jahrelanger Vorarbeit auf wissenschaftlichen und diplomatischen Konferenzen beschlossen 122 Staaten in der UNO den Atomwaffenächtungsvertrag am 7. Juli 2017, zeitgleich zu G20 in Hamburg und leider ohne deutsche Beteiligung. Der Ratifikationsprozeß schreitet gut voran. Mittlerweile haben 24 Staaten den Vertrag ratifiziert.

Der Vertrag verbietet den Einsatz von und die Drohung mit Atomwaffen, sowie deren Besitz, Lagerung, Erwerb, Entwicklung, Erprobung, Herstellung, Transfer und Stationierung sowie Verfügungsgewalt über Atomwaffen. Durch nationale Gesetzgebung weiten die Vertragsstaaten die Durchsetzung des Verbots auf alle Personen und Firmen in ihrem Handlungsraum aus. Auch Unterstützungsleistungen wie Finanzierung und Investitionen müssen so unterbunden werden. Dadurch wirkt der Vertrag sich auch ohne die Beteiligung der Atomwaffenstaaten unmittelbar auf den militärisch-industriellen Komplex aus.

Der Vertrag ist Ausdruck des humanitären Ansatzes und ein wichtiger konkreter und praktischer Fortschritt in der Gewährleistung der Menschenrechte, bspw. durch die Hilfen für Opfer von Atomwaffeneinsätzen und Atomwaffentests. Die Vertragsstaaten verpflichten sich u.a. zu medizinischer Versorgung, Reha, psychologischer Unterstützung sowie Maßnahmen zur sozialen und wirtschaftlichen Inklusion. Ein guter Grund mehr, dass die Bundesrepublik Deutschland sich durch Beitritt und Ratifizierung des Vertrags dieser humanitären Verantwortung annimmt.

Darüber hinaus enthält der Vertrag auch Verpflichtungen zur Sanierung der Umwelt in verseuchten Gebieten.

Angesichts dieser Fortschritte setzen wir uns für den Beitritt der Bundesrepublik zu diesem Abkommen ein.

  • Jeder und jede kann hier den Appell an die Bundesregierung unterschreiben und im Freundes-, Kollegen- und Bekanntenkreis weitere Unterstützerinnen überzeugen.
  • Wir wollen, gerne auch zusammen mit neuen Mitstreiterinnen, in persönlichen Gesprächen Abgeordnete der Bürgerschaft von der Unterzeichnung der ICAN-Abgeordnetenerklärung überzeugen.
  • Und wir haben uns vorgenommen, dass die Hamburgische Bürgerschaft sich den Beschlüssen der Landesparlamente von Bremen und Berlin anschließt für eine Bundesratsinitiative zur deutschen Unterzeichnung des Atomwaffenächtungsvertrags.

Beteiligen Sie sich daran. Jeder und jede hat Bedeutung für das Vorankommen.

 

Jochen Rasch ist aktiv bei der Hamburger ICAN Gruppe.