Redebeitrag für die Hiroshima / Nagasaki- Gedenkveranstaltung am 9. August 2019 in Kassel

 

- Sperrfrist: 9.8., Redebeginn: ca 20 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort –

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

wir leben in gefährlichen Zeiten sich verschärfender Widersprüche zwischen den imperialistischen Blöcken, in denen nicht nur blutige Stellvertreterkriege ganze Weltregionen heimsuchen und verwüsten, sondern auch – etwa im Persischen Golf - die Gefahr einer militärischen Konfrontation wächst, die sich zu einem weltweiten Flächenbrand ausweiten kann. Und gerade weil die US-amerikanische Politik inzwischen noch deutlich aggressiver und unberechenbarer geworden ist und der Kampf um Rohstoffe, Märkte und geostrategische  Einflusssphären zwischen den USA auf der einen, Russland und China auf der anderen Seite mit harten Bandagen geführt wird, werden auch militärische Optionen wieder denkbar, die seit dem Ende des Kalten Krieges vermeintlich überwunden schienen.

Die Aufkündigung des INF-Vertrags durch die USA ist ein weiterer Schritt in diese Richtung und ein Hinweis darauf, dass die Bedrohung durch ein neues atomares Wettrüsten kein fernes Szenario ist, sondern unmittelbar bevorsteht. Das Ziel der US-Regierung ist ganz offensichtlich, nach der erfolgten NATO-Osterweiterung und einer massiven  konventionellen Truppenkonzentration an den Grenzen Russlands  mit der Stationierung neuer Mittelstreckenraketen in Westeuropa den Druck auf Russland weiter zu erhöhen. Europa wird dabei zum potentiellen Schlachtfeld unter Aufbietung US-amerikanischer (auch nuklearer) Waffen und es wird zur Geisel einer auf Konfrontation angelegten US-Politik. Aber nicht nur gegen Russland richtet sich die US-amerikanische Militärpolitik, auch China wird als Gegner im Kampf um die globale politische, militärische und wirtschaftliche Hegemonie angesehen. Nur einen Tag nach dem endgültigen Aus für den INF-Abrüstungsvertrag erklärte der US-Verteidigungsminister, Washington strebe die baldige Stationierung neuer konventioneller Mittelstreckenraketen in Asien an, eine Ankündigung, die nichts anderes anderes ist als eine direkte Provokation an die Adresse Chinas.

Die konventionelle Aufrüstung wird ergänzt durch eine Strategie der nuklearen Abschreckung.  Nukleare Abschreckung soll angeblich einen konventionellen Krieg zwischen Atomwaffenstaaten verhindern, weil hinter dem konventionellen Waffenpotential immer auch die Drohung mit der völligen Vernichtung durch atomare Sprengköpfe steht. In Wirklichkeit aber erhöht das vorhandene Atomwaffenarsenal die Wahrscheinlichkeit, dass eine mit konventionellen Massenvernichtungswaffen  in Gang gekommene militärische Konfrontationspirale atomar weitergeführt wird, mit verheerenden Auswirkungen globalen Ausmaßes. Alle Atomwaffenstaaten und ihre Bündnispartner nehmen diese Bedrohung in Kauf und sehen den Einsatz mit Atomwaffen als legitime Verteidigungsstrategie. Damit setzen diese Staaten ihre Bürger und Bürgerinnen der Vernichtungsgefahr aus. Glaubt denn irgend jemand ernsthaft, dass ein rassistischer Egomane wie Donald Trump auch nur einen Gedanken an das Leiden und den Tod von Millionen Menschen im eigenen wie in anderen Ländern der Welt verschwendet, wenn er  seinen verbalen Vernichtungsphantasien einmal Taten folgen lassen will, um als starker Mann in die Geschichtsbücher einzugehen?

Im Besitz der neun Atomwaffenstaaten befinden sich knapp 15.000 nukleare Sprengköpfe. 93% der Atomwaffen gehören den USA oder Russland. Der US-Regierung nahestehende und von der amerikanischen Rüstungsindustire finanzierte Think-Tanks sprechen bereits von „regional begrenzten Atomkriegen“ – und die könnten durchaus auch Europa treffen. Und dieses Gerede von „regional begrenzten Atomkriegen“ zeigt auch schon sehr deutlich, in welcher irrsinnigen Logik diese Planer und Strategen denken. Es gibt keine „regional begrenzten“ oder von den Auswirkungen her begrenzbaren Atomkriege! Ein Atomkrieg würde -  zusätzlich zu den Millionen Menschen, die sofort getötet werden würden, das globale Klima und die landwirtschaftliche Produktion in so schwerem Ausmaß schädigen, dass mehr als eine Milliarde Menschen  bedroht wären.  Atomare Strahlung hat, unabhängig von der Sprengkraft der verwendeten Bomben oder Sprengköpfe, globale Auswirkungen.

Und die Modernisierung des US-amerikanischen Atomwaffenarsenals ist längst beschlossene Sache: In den nächsten neun Jahren sollen die Kosten für die US-Atomstreitkräfte von 33,6 Milliarden auf 53,5 Milliarden Dollar steigen. Die neue atomare Bombe B 61.12 soll bereits nächstes Jahr in Serienproduktion gehen und auf dem Fliegerhorst Büchel stationiert werden, um im atomaren Konfliktfall nach Freigabe durch den US-Präsidenten von deutschen Kampfjets über feindlichem Gebiet abgeworfen zu werden, wie das Fernsehmagazin „Monitor“ bereits vor einem knappen halben Jahr recherchierte. Die Idee, mit solchen „Mini nukes“ wie B 61.12, die „nur“ die Sprengkraft der Hiroshima-Bombe enthalten, gezielte regional begrenzte Atomschläge durchführen zu können, die sich etwa auch in der „Nuclear Posture Review“, dem zentralen Dokument zur Nuklearstrategie des US-Verteidigungsministeriums von 2018 wiederfinden, entworfen von Kriegstreibern wie dem Sicherheitsberater des US-Präsidenten, John Bolton, bekannt auch noch aus seiner unrühmlichen Rolle bei der Vorbereitung des Irakkriegs 2003, ist längst im konkreten Planungsstadium angelangt und Militärstützpunkte in Deutschland sind ein wesentlicher Teil dieser Planung, wenn es darum geht, etwa Ziele in Russland mit diesen „mini nukes“ ins Visier zu nehmen.

Aber es gibt, neben der wachsenden Bedrohung durch konventionelle und nukleare Kriegsszenarien auch ein paar Lichtblicke:

Im Juli 2017 wurde von den Vereinten Nationen der Vertrag zum Verbot von Kernwaffen verabschiedet. Dieser Vertrag untersagt es den Staaten, die ihn unterzeichnet und ratifiziert haben, Atomwaffen zu testen, zu entwickeln, zu produzieren und zu besitzen. Außerdem sind die Weitergabe, die Lagerung und der Einsatz sowie die Drohung des Einsatzes verboten. Darüber hinaus verbietet der Vertrag solche Aktivitäten zu unterstützen, zu fördern oder einen anderen Staat dazu zu bewegen, diese Handlungen zu unternehmen. Weiterhin wird den Staaten die Stationierung von Atomwaffen auf eigenem Boden verboten. Für sein Inkrafttreten müssen 50 Staaten ihn nicht nur unterzeichnet, sondern auch ratifiziert haben, d.h. innenpolitische Gesetzgebungsverfahren in Gang gebracht haben, um die Aufnahme des Vertrages in das nationale Recht zu gewährleisten. Sobald er in Kraft tritt, ist er dann auch – allerdings nur für die Unterzeichnerstaaten – rechtlich bindend.  Bisher haben tatsächlich bereits mehr als 50 Staaten, den Vertrag unterzeichnet, jedoch noch lange nicht alle ihn auch ratifiziert. Aber weder die wichtigen Atommächte noch die NATO-Staaten haben diesen Vertrag bisher unterschrieben, auch Deutschland nicht. Dabei wäre es von großer Bedeutung, dass sich Deutschland in dieser Sache mit der Unterzeichnung des Vertrages zum Verbot von Kernwaffen klar positioniert, zumal dies dann bei Inkrafttreten des Vertrags auch konkrete Konsequenzen hätte im Hinblick auf die Stationierung US-amerikanischer Atomwaffen in Deutschland. Und gerade das dürfte auch ein wesentlicher Grund sein, warum die Bundesregierung sich hier so auffällig bedeckt hält.

ICAN, die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Nuklearwaffen, ist ein globales Bündnis von 532 Partnerorganisationen in mehr als 103 Ländern, die darauf hinwirken wollen,  jegliche Beteiligung an der atomaren Abschreckung und jegliche Verstrickung in Atombombengeschäften zu unterlassen. Im Jahr 2017 wurde ICAN mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Ein von ICAN initiierter Städteappell trägt nun dieses Anliegen auf die kommunale Ebene. Große Städte in Nordamerika, Europa und Australien haben den Appell schon unterzeichnet, darunter Los Angeles, Manchester und Sydney. Auch in Deutschland ist das Engagement von KommunalpolitikerInnen ein  Mittel, um Druck auf die Bundesregierung auszuüben, damit diese Atomwaffen ächtet und den Vertrag endlich unterzeichnet, eine spürbare Mahnung, dass die hier lebenden Menschen Massenvernichtungswaffen ablehnen. Bundesweit zählen inzwischen 43 Städte und zwei Landkreise mit entsprechenden Beschlüssen zu den UnterstützerInnen des Appells darunter Mainz, Wiesbaden, Marburg, Köln, Potsdam, München, Göttingen, Dortmund, Bremen , Hannover, Nürnberg, Bochum, Berlin, Kiel und Essen. Gebietskörperschaften, die 17 Prozent der Gesamtbevölkerung Deutschlands repräsentieren.

Der Wortlaut des Appells ist folgendermaßen:

"Unsere Stadt ist zutiefst besorgt über die immense Bedrohung, die Atomwaffen für Städte und Gemeinden auf der ganzen Welt darstellt. Wir sind fest überzeugt, dass unsere Einwohner und Einwohnerinnen das Recht auf ein Leben frei von dieser Bedrohung haben. Jeder Einsatz von Atomwaffen, ob vorsätzlich oder versehentlich, würde katastrophale, weitreichende und lang anhaltende Folgen für Mensch und Umwelt nach sich ziehen. Daher begrüßen wir den von den Vereinten Nationen verabschiedeten Vertrag zum Verbot von Atomwaffen 2017 und fordern die Bundesregierung zu deren Beitritt auf.“

Auch die Kasseler Stadtverordnetenversammlung hat am 20. Mai auf Antrag der Kasseler Linken mit den Stimmen von SPD, Grünen, Linken sowie den zwei fraktionslosen Stadtverordneten beschlossen, den ICAN-Städteappell zu unterstützen. Das ist ein gutes, ermutigendes friedenspolitisches Signal, auch wenn sich die Mehrheitsfraktionen der Stadtverordnetenversammlung in anderen Bereichen, etwa was eine ablehnende Positionierung zur Kasseler Rüstungsproduktion betrifft, bisher nicht bereit sind, sich konsequent gegen Rüstung und für Rüstungskonversion und echte Friedenspolitik auszusprechen.

Man kann das natürlich auch  für zahnlose Symbolpolitik halten. Aber auch Symbole wie diese sind wichtig, um den moralischen Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen, nicht nur mit leeren Gesten, sondern auch mit greifbaren politischen Initiativen ihre Verantwortung für das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung wahrzunehmen, dem neuen atomaren Wettrüsten entschieden entgegenzutreten und den USA die logistische und politische Unterstützung für ihre Kriegspolitik, atomar wie konventionell, in Büchel wie in Rammstein, endlich zu entziehen.

Wir sind wieder an einem Punkt, an dem wir das eigentlich selbstverständliche laut und deutlich aussprechen müssen, was für die Regierenden eben nicht selbstverständlich ist, nämlich:  Eine nukleare Option kann kein legitimes militärisches Mittel sein. Im Gegenteil: Atomwaffen sind so gefährlich für die gesamte Menschheit und das Überleben unserer Zivilisation, dass das einzig Verantwortungsvolle ist, für ihre Abschaffung und Zerstörung zu arbeiten. Und hierfür brauchen wir nicht nur Beschlüsse von kommunalen und Landesparlamenten, sondern vor allem eine starke Friedensbewegung, die den Druck von der Straße aufbauen kann, der den regierenden sagt: die Menschen in diesem Land wollen nicht zum Bauernopfer für US-amerikanische Großmachtpolitik und eine gegen Russland und China gerichtete Militarisierung der EU werden. Sie wollen nicht ihre Kinder auf einem möglichen atomaren Schlachtfeld aufwachsen lassen. Und sie wollen nicht, dass von deutschem Boden Krieg und Zerstörung in andere Länder getragen wird!

Dafür lasst uns auf allen Ebenen streiten und uns den Atomstrategien und der Rüstungslobby entgegenstellen, für eine Welt ohne Atomwaffen und eine gerechte Friedens- und Wirtschaftsordnung, die keinen Raum mehr bietet für Großmachtpolitik und geostrategische Machtspielchen.

 

Lutz Getzschmann Stadtverordneter und Fraktionsvorsitzender der Kasseler Linken.