Redebeitrag für die Hiroshimagedenkveranstaltung am 6. August 2019 in Bonn

 

- Sperrfrist: 6.8.2019, Redebeginn: 18 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Friedensfreunde,

die Gefahr wächst, dass Atomwaffen eingesetzt werden. Vor einem Jahr sprach ich in meinem Beitrag davon, dass der Generalsekretär der Vereinten Nationen António Guterres eindringlich vor der Aushöhlung des Atomwaffensperrvertrages warnte, weil weiterhin die offiziellen Atommächte USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich ihrer Verpflichtung zur atomaren Abrüstung aus dem Vertrag nicht nachkommen. Darüber hinaus spricht die Trumpsche US-Administration in der neuen Nuclear Posture Review unverhohlen vom „Gewinnen“ eines nuklearen Schlagabtauschs.(1) Und schließlich: Die Aufkündigung des INF-Vertrages zum 2. August 2019 durch die USA und anschließend durch Russland verschärft die Situation, insbesondere für Europa.

In den INF-Verträgen (Intermediate Range Nuclear Forces) über nukleare Mittelstreckensysteme zwischen der Sowjetunion und den USA über die Vernichtung aller landgestützten Flugkörper mit kürzerer und mittlerer Reichweite (500 bis 5500 Kilometer) werden Besitz, Produktion und Flugtests dieser Raketen mit dem Ziel verboten, einer Erstschlagfähigkeit vorzubeugen. Der Vertrag, der am 1. Juni 1988 in Kraft trat, wurde auf unbeschränkte Dauer geschlossen. „Neue landgestützte Trägersysteme dieser Reichweite für nukleare Gefechtsköpfe wurden verboten.

Weil die Abrüstung von Raketen zweier Reichweitenbereiche vereinbart wurde, Mittelstreckenraketen mit einem Reichweitenbereich von 1000 bis 5500 Kilometer und Kurzstreckenraketen mit einem Reichweitenbereich von 500 bis 1000 Kilometer, wird auch von einer „doppelten Nulllösung“ gesprochen. Der Reichweitenbereich zwischen 150 bis 500 Kilometer wurde durch den Vertrag nicht erfasst, die nuklearen Gefechtsköpfe nicht einbezogen. Beseitigt wurden nur Trägersysteme und Abschussvorrichtungen. See- und luftgestützte Raketen und Marschflugkörper werden vom Vertrag nicht erfasst.“(2)

Beide Seiten werfen der jeweils anderen vor, den Vertrag verletzt zu haben. Da luft- und seegestützte Kurz- und Mittelstreckenraketen vom INF-Vertrag nicht erfasst sind, ist zu befürchten, dass die Raketen, die auf Schiffen und Flugzeugen installiert sind, auch von Land abgefeuert werden können. Es ist also dringend erforderlich, einen neuen INF-Vertrag zu verhandeln, der land-, see-, luft- und weltraumgestützte Raketen umfasst und sie der Verschrottung zuführt.

Aber noch ein weiteres Abkommen steht vor dem Aus: Das New START-Abkommen aus dem Jahr 2010. Das vom damaligen US-Präsidenten Barack Obama und dem russischen Präsidenten Medwedew geschlossene Abkommen sah „ab der Ratifizierung des Vertrages für die nächsten sieben Jahre eine Reduzierung der Anzahl der Sprengköpfe von 2200 auf je 1550 und die Anzahl der Trägersysteme von 1600 auf 800 vor.“(3) Da das Abkommen Ende 2020 ausläuft, steht bei Nichtverlängerung zu befürchten, dass die Zahl der Sprengköpfe wieder erhöht wird.

Den Botschaftern von Dutzenden Ländern, die sich im März 2019 im Sitzungssaal der Abrüstungskonferenz in Genf versammelt hatten, rief UN-Generalsekretär António Guterres zu: „Nationen müssen abrüsten oder sie gehen unter … Schlüsselkomponenten der Architektur zur internationalen Rüstungskontrolle brechen zusammen.“4 Ich persönlich fühle mich zurückversetzt in die Hochzeit des Kalten Krieges: Wieder steht die Menschheit am Abgrund eines alles vernichtenden Atomkrieges. Das Regelsystem, das bisher die atomare Rüstung einigermaßen unter Kontrolle gehalten hat, wird von verantwortungslosen Politikern mutwillig zerstört. Wenn auch New START nicht verlängert wird, gibt es außer dem Atomwaffensperrvertrag, an den sich die Atommächte ohnehin nie gehalten haben, keine einschränkenden vertraglichen Bindungen mehr. (4)

Umso mehr gilt unsere Aufforderung an die Bundesregierung, endlich den fraktionsübergreifenden Bundestagsbeschluss von 2010, der den Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland fordert5, umzusetzen und den von 122 Staaten beschlossenen UN-Vertrag zum Verbot von Atomwaffen zu unterzeichnen.

Vielen Dank.

 

Anmerkungen:

 

Robert Nicoll ist aktiv bei der Friedensinitiative (Bonn-)Beuel.