Redebeitrag für die Hiroshima / Nagasaki-Gedenkveranstaltung am 6. August 2022 in Wedel

 

- Es gilt das gesprochene Wort –

 

Atomkrieg verhindern, Atomwaffen abschaffen

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist die Angst vor dem Atomkrieg wieder da. Der russische Präsident Wladimir Putin droht mit äußersten Maßnahmen und bringt die nukleare Option ins Spiel. In den Medien wird ausgerechnet, dass eine russische Hyperschallrakete nur wenige Minuten bis Berlin braucht. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz mahnt zur Vorsicht angesichts des Risikos einer nuklearen Eskalation. Atomwaffen werden in Alarmbereitschaft versetzt, in Militärmanövern wird der Einsatz von Atomwaffen erprobt, und die Nuklearmächte bereiten sich auf ein neues nukleares Wettrüsten vor. Wie konnte es dazu kommen, 32 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges?

Offensichtlich wurden die damaligen Chancen vertan. Das von Gorbatschow geforderte neue Denken wurde nicht umgesetzt, das die gemeinsamen Interessen im Haus Europa in den Blick nahm. Mitte der 1990er Jahre gab es eine weltweite Bewegung für die Abschaffung der Atomwaffen, von der Zivilgesellschaft bis zu Staaten des Globalen Südens, darunter auch Staaten mit Atomwaffen. Seit 1996 wurden UNO-Resolutionen verabschiedet, in denen Verhandlungen über einen Vertrag zum Verbot und zur Beseitigung von Atomwaffen gefordert wurden. Zu den Unterstützern gehörten damals noch China, Indien, Pakistan und Nordkorea. Die USA und ihre Verbündeten fanden es im Siegestaumel nach dem Kalten Krieg nicht erforderlich, auf die nukleare Abschreckung zu verzichten und Atomwaffen zu verbieten.

Es hat 20 Jahre gedauert, bis die Vereinten Nationen 2017 einen Vertrag zum Verbot zum Atomwaffen ausgehandelt haben. Damit soll der Atomwaffensperrvertrag umgesetzt werden, der in diesen Tagen in New York überprüft wird. Dazu gehört die Verpflichtung der Atomwaffenstaaten nach Artikel 6, Verhandlungen zu führen, um das nukleare Wettrüsten zu beenden und die nukleare Abrüstung zu vollenden. Diese Verpflichtung nehmen sie wenig ernst, allen Beteuerungen zum Trotz. Inzwischen sind alle Atomwaffenbesitzer in ihrer Ablehnung des Atomwaffenverbots der Position der USA und ihrer NATO-Verbündeten gefolgt. Sie tragen die Verantwortung für die Risiken eines Atomkriegs.

Das gilt auch für die deutsche Bundesregierung, die in enger Bündnistreue nicht nur eine Unterzeichnung des Atomwaffenverbotsvertrages ablehnt, obwohl sie keine eigenen Atomwaffen besitzt. Sie besteht darauf, an der nuklearen Abschreckung der NATO teilzuhaben und Atomwaffen der USA in der Eifel zu stationieren. Wenn es zum Atomkrieg kommt, liegt hier nicht nur eine nukleare Abschussrampe, sondern auch das Ziel eines gegnerischen Atomwaffeneinsatzes. Statt diese Waffen abzuziehen, sollen sie mit neuen Kampfflugzeugen modernisiert werden.

Die Unterstützer von Atomwaffen argumentieren, die nukleare Abschreckung werde heute angesichts der Bedrohung durch Russland und andere Staaten gebraucht. Dies verkennt, dass es eine gegenseitige Bedrohung gibt. Die NATO hat eine vielfache militärische Überlegenheit gegenüber Russland. Ihre Rüstungsausgaben lagen im vergangenen Jahr etwa 16 mal so hoch wie in Russland. Wer konnte glauben, dass Russland das nicht als Bedrohung ansieht? Freundliche Worte alleine schaffen da kein Vertrauen, zumal der Westen seine Waffen in verschiedenen Kriegen eingesetzt hat, von Jugoslawien über den Irak bis nach Afghanistan.

Im Gefühl der eigenen Überlegenheit hat der Westen seine Expansion nach Osten voran getrieben. Die immer wieder geäußerten russischen Warnungen wurden nicht ernst genommen, nicht einmal nach der Krim-Annektion von 2014. Der völkerrechtswidrige Angriff auf die Ukraine ist nicht mehr zu ignorieren und fordert den Westen heraus. Auf den Trümmern der europäischen Friedensordnung droht eine neue Spaltung der Welt. Nur wer den Kopf in den Sand gesteckt hat, konnte davon überrascht sein.

Die Welt ist nun gefangen in einer Kriegslogik, in der geopolitische Interessen mit allen Mitteln durchgesetzt werden sollen. Die Bedrohungs-Eskalation, die in den heutigen Krieg geführt hat, wird durch weitere Aufrüstung noch angeheizt. Sie verbraucht enorme Ressourcen, belastet die Umwelt und das Klima. Waffenlieferungen nähren diesen Krieg und fördern die weitere Zerstörung, Sanktionen treffen die schwächsten Schichten weltweit und auch die eigene Bevölkerung. Hat die Politik nichts aus den beiden Weltkriegen und dem Kalten Krieg gelernt?

Umso dringlicher ist es, an die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki zu erinnern. Hunderttausende wurden verbrannt, verstrahlt, zerquetscht oder erblindeten. Von vielen blieb nur Staub und Schatten. Im Kalten Krieg stand die Menschheit am Abgrund der gegenseitigen Vernichtung, während der Kubakrise 1962 oder auf dem Höhepunkt der Nachrüstungsdebatte 1983. Es waren Einzelne wie der russische Oberstleutnant Stanislaw Petrow, die sich weigerten auf den roten Knopf zu drücken und die Weltvernichtungsmaschine in Gang zu setzen. Immer noch gibt es rund 13.000 Atomwaffen, mehr als genug, um durch einen absichtlichen oder versehentlichen Atomkrieg bis zum Nuklearen Winter die Zukunft der Menschheit aufs Spiel zu setzen.

Die Friedensbewegung hat immer wieder vor den Folgen der Kriegslogik gewarnt und sich für eine Friedenlogik eingesetzt. Hierzu gehören Deeskalation und diplomatische Lösungen ebenso wie die Einstellung von Kriegshandlungen und der Abzug von Waffen, Verhandlung und Vermittlung über die Konfliktbeilegung, Schutz und Stärkung des Völkerrechts oder eine europäische und globale Friedensarchitektur unter Einschluss Russlands und Chinas. Statt einer Zeitenwende für Aufrüstung und Krieg braucht die Welt eine Zeitenwende für Abrüstung und Frieden, für nachhaltigen Umwelt- und Klimaschutz.

Trotz geopolitischer Machtkämpfe müssen die globalen Probleme gemeinsam bewältigt werden. Wir brauchen die Zusammenarbeit zwischen Ost und West, zwischen Nord und Süd für gemeinsame Sicherheit im Haus der Erde. Statt in der Krise weiter auf fossile und nukleare Energien mit ihren hohen Risiken zu setzen, brauchen wir die Wende zu einer effizienten und erneuerbaren Energieversorgung. Eine friedliche, solidarische und nachhaltige Welt ist nicht allein durch Staaten und Regierungen möglich, sondern braucht die gesamte Zivilgesellschaft von der lokalen bis zur globalen Ebene. Hierzu gehören Wissenschaft und Technik ebenso wie die Friedens- und Umweltbewegung, die sich für einen Systemwandel einsetzen. Zu den dringlichsten Herausforderungen gehört die Verhinderung des Atomkriegs und die Abschaffung der Atomwaffen, den fürchterlichsten aller Waffen. Sie müssen weg!

Vielen Dank.

 

Prof. Dr. Jürgen Scheffran ist Professor für Integrative Geographie an der Uni Hamburg.