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Redebeitrag für die Hiroshima / Nagasaki-Gedenkveranstaltung am 5. August 2023 in Köln
- Es gilt das gesprochene Wort –
Liebe Friedensfreunde,
als AK Zivilklausel treten wir seit 2010 für zivile Wissenschaft ein, die dem Menschen und dem Leben dient. Leitend für uns sind die Gedanken von Albert Einstein, der in einem Brief an Sigmund Freud 1932 formuliert:
„Es gäbe genug Geld, genug Arbeit, genug zu essen, wenn wir die Reichtümer der Welt richtig verteilen würden, statt uns zu Sklaven starrer Wirtschaftsdoktrinen oder - traditionen zu machen. Vor allem aber dürfen wir nicht zulassen, dass unsere Gedanken und Bemühungen von konstruktiver Arbeit abgehalten und für die Vorbereitung eines neuen Krieges missbraucht werden.“
Mit der Atombombe ist diese Notwendigkeit von Wissenschaft, von Kreativität und Produktivität für das Leben und den Menschen mit neuer Dringlichkeit gestellt. Der Einsatz dieser Waffe in Hiroshima und wenige Tage später auf Nagasaki hat hunderttausende Menschenleben vernichtet – ein bestialischer Feldversuch um diese Waffen zu testen und ein Massenmord zur Demonstration militärischer Überlegenheit, auf ein Land, das zur Kapitulation bereit war. Der Abwurf der Atombomben war gleichbedeutend mit dem Beginn des Kalten Krieges und der Aufkündigung der antifaschistischen Allianz der Alliierten, der auf Hiroshima und Nagasaki folgende atomare Rüstungswettlauf und die „atomare Abschreckung“ haben zwischen 1945 und 1980 laut der IPPNW 2,4 Millionen Menschen durch oberirdische Atomwaffentests das Leben gekostet.
Die Friedensbewegung hat hier wesentliches erreicht, und das sollten wir uns immer wieder in Erinnerung rufen um darauf aufzubauen. 500 Millionen Menschen aus 75 Ländern haben in den 50er Jahren den Stockholmer Appell gegen Atomwaffen unterzeichnet. Die Friedensbewegung hat in den 80er Jahre die Abschaffung dieser Waffen auf die politische Agenda gesetzt, 90% der ehemals existierenden Atomwaffen sind heute vernichtet, mit der Ratifizierung des Atomwaffenverbotsvertrags der Vereinten Nationen vor zwei Jahren sind diese Waffen erstmals völkerrechtlich geächtet.
Gleichzeitig erleben wir den Versuch eines nuklearen Rollback, allen voran durch die NATO-Staaten und Russland – verschärft seit dem russischen Angriff auf die Ukraine. Das gilt auch für die Bundesrepublik: Statt den überfälligen Abzug der US-Atomwaffen aus Büchel zu veranlassen und dem Atomwaffenverbotsvertrag beizutreten, hat die Ampel-Koalition die Anschaffung milliardenschwerer atomwaffenfähiger Kampfjets auf Kosten von Bildung, Gesundheit und Kultur durchgesetzt. Davon profitiert nur der industriell-militärische Komplex.
„Putin“ ist die Chiffre, die heute benutzt wird, um heute die vermeintliche Allewigkeit von Konkurrenz und Feindschaft, samt der Notwendigkeit atomarer Abschreckung zu behaupten und das Engagement für Entspannungspolitik und für eine atomwaffenfreie Welt als naiv, ja, selbst unverantwortlich und fahrlässig abzutun.
Wie konnte es aber soweit kommen, dass Anfang dieses Jahres der letzte große atomare Kontrollvertrag zur Begrenzung von Atomwaffen von der russischen Regierung und dann auch von der US-Seite ausgesetzt worden ist und die russische Regierung unverhohlen mit Atomwaffen droht? Oder, mit Christa Wolf: "Wann Krieg beginnt, das kann man wissen, aber wann beginnt der Vorkrieg?“
Noch zu Beginn der 10er Jahre waren die Überlegungen für ein „global zero“, für eine Welt ohne Atomwaffen auch zwischen den Atommächten Russland und USA weit gediehen, die damaligen Präsidenten der USA und Russlands, Barak Obama und Dimitri Medwedew, hatten sich dazu verpflichtet. Selbst der Chef der Münchener Sicherheitskonferenz, ein Verbund von Rüstungs- und Militärlobbyisten, Wolfgang Ischinger erwägt 2009 in einem Interview mit dem Spiegel:
„[Die Vision einer atomwaffenfreien Welt] kann funktionieren, wenn hinreichend Vertrauen zwischen den Staaten geschaffen wird. (…) nukleare Abrüstung muss von konventioneller Abrüstung begleitet werden. Denn mancher russische Stratege sagt doch: Nukleare Abrüstung gut und schön, aber was ist, wenn wir keine Atomwaffen mehr haben und den hochgerüsteten USA dann mit unserer schwachen konventionellen Armee gegenüberstehen? Die Atombombe ist der große Gleichmacher. Deswegen ist eine atomwaffenfreie Welt nur denkbar, wenn parallel auch konventionell abgerüstet wird. (…)“
Im gleichen Interview wird deutlich, wie der Leiter eines Gremiums von Mordwaffenproduzenten zu solchen Aussagen kommt:
„Es kann nicht so weitergehen, dass ich meine Münchner Sicherheitskonferenz im Februar durchführe, und Tausende Menschen auf den Straßen protestieren, weil sie denken, hier findet eine Politik ohne moralische Grundlage statt. Die Global-Zero-Kampagne nimmt diese Sorgen auf. Es ist ein gutes Ziel, es ist ein legitimes Ziel, und es ist kein verrücktes Ziel.“ (Interview im Spiegel vom 6.7.2009)
Es sei dran erinnert: Es gab schon in den 80er Jahren die Chance der einer atomwaffenfreien Welt. Gorbatschows Vorschlag des „Global Zero“ der Vernichtung aller Atomwaffen, ist damals letztlich an der US-Administration gescheitert.
Es war dann 2002 die Regierung George Bushs, die den Anti-Ballistic Missile Vertrag einseitig aufgekündigt hat. Die russische Regierung befürchtete, dass der in der Folge in Osteuropa aufgestellte sogenannte „Raketenabwehrschirm“ einen russischen Zweitschlag abfangen und damit eine Option für den atomaren Erstschlag schaffen sollte.
Es war D. Trump, der während seiner Präsidentschaft Nordkorea mit dem Einsatz von Atomwaffen drohte, immer wieder fabulierte, dass diese Waffen im Zweifelsfall auch eingesetzt werden sollten und sich die Demontage atomarer Rüstungskontrolle zur Aufgabe gemacht hat. Die Trump-Administration kündigte den Vertrag über das Verbot konventioneller und atomarer Mittelstreckenraketen, der insbesondere das Ziel hatten, einen auf europäischen Boden ausgetragenen Atomkrieg unmöglich zu machen und wenig später einen der letzten atomaren Kontrollverträge, der das Recht auf militärische Überflüge sichern und damit gegenseitiges Vertrauen schaffen sollte.
In eine ähnliche Kerbe wie der ehemalige US-Präsident schlug vor zwei Jahren übrigens auch die damalige Verteidigungsministerin Annegret-Kramp Karrenbauer mit der Drohung eines atomaren Erstschlags, sie antwortete auf die Frage nach „Abschreckungsszenarien“ mit Nuklearwaffen: „Wir müssen Russland gegenüber sehr deutlich machen, dass wir am Ende – und das ist ja auch die Abschreckungsdoktrin – bereit sind, auch solche Mittel einzusetzen (…). Das ist der Kerngedanke der NATO.“ (Deutschlandfunk, 21.10.2021)
Die Aufkündigung der Atomwaffenkontrollverträge ging einher mit der Verschiebung der NATO in Richtung Russland. Im November 2021 unterzeichneten die USA und die Ukraine eine Charta der strategischen Partnerschaft mit dem Ziel des NATO-Beitritts der Ukraine.
Und noch in diesem Jahr planen die USA, nicht nuklear bestückte Hyperschallraketen, die in wenigen Minuten Moskau erreichen können sollen, in Deutschland zu stationieren, die aufgrund ihrer Geschwindigkeit bisher nicht verteidigt werden können.
„Der Krieg gegen die Ukraine ist ein Schritt ins Nichts.“ – So heißt es in einem Brief von fast 10 000 russischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gegen den russischen Angriff auf die Ukraine im letzten Jahr. Das gilt für den gesamten Weg der Konfrontation. Aggression bringt nichts als Aggression hervor, nur Frieden schafft Frieden. Nicht Entspannungspolitik und Pazifismus sind gescheitert, sondern der Militarismus und die Politik atomarer Abschreckung scheitern täglich vor den zivilisatorischen Herausforderungen unserer Zeit: Es braucht jetzt eine Initiative für einen sofortigen Waffenstillstand und dauerhaften Frieden in der Ukraine und in weltweit, die einen Weg zur Kontrolle, Abrüstung und Abschaffung von Atomwaffen beinhalten muss und Wege zu internationalen Kooperation für die Lösung der drängenden Menschenheitsfragen öffnet.
Der Journalist und UNO-Korrespondent der taz, Andreas Zumach berichtet auf dem Friedenskongress der IG Metall in Hanau in diesem Jahr: Es war die Friedensbewegung, die in den 80er Jahren die damalige russische Regierung zu einseitigen atomaren Abrüstungsschritten ermutigt hat. Auch heute gilt: Die Zivilgesellschaft hat den Frieden und atomare Abrüstung in der Hand. Einige Punkte, die dafür Bedeutung haben:
Alternative zur Machtpolitik sind die globale Zivilgesellschaft und die Vereinten Nationen. Für beides steht der Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen. Initiiert von den internationalen Ärzten zur Verhinderung eines Atomkriegs und zahlreichen zivilgesellschaftlichen Organisationen weltweit hat mittlerweile fast die Hälfte der Staatengemeinschaft den Vertrag unterzeichnet, blockiert wird die Umsetzung bisher von den atomwaffenbesitzenden Staaten und den NATO-Staaten. D. h. umgekehrt: Das Engagement im „Westen“ ist wesentlich für seine Durchsetzung. Dafür haben wir an der Uni in den letzten Jahren circa 2500 Unterschriften gesammelt, dieses Jahr wollen wir Initiative für Positionierung der gesamten Hochschule ergreifen.
Entscheidend für die Wirkungsmöglichkeiten von uns als Friedensbewegung und für die globale Zivilgesellschaft ist Kooperation und Austausch wieder zu ermöglichen und dafür zu streiten. Gerade das Zusammenwirken sowjetischer und westlicher Wissenschaftler war entscheidend für den Einstieg in atomare Abrüstung. Der Abbruch von Städtepartnerschaften, von Wissenschaftskooperationen, von kulturellem Austausch mit Russland ist friedenspolitisch fatal und dumm. Schon das Engagement für internationalen Austausch hat Bedeutung, weil es die Botschaft sendet: Wir lassen uns nicht zu Feinden machen und setzen auf Völkerverständigung!
Entscheidend für all das ist Mut zur Opposition! Das mediale Trommelfeuer gegen pazifistische Regungen sollte uns auch zeigen: Die Kriegstreiber fürchten die Aufklärung und die Wahrheit, denn: Die Bevölkerungen haben überall im Krieg nur zu verlieren, überall sind Investitionen in das Leben statt in den Tod, ist ein ziviles und solidarisches Zusammenleben im Interesse der Bevölkerung.
„Mit den Waffen des Geistes gegen den Geist der Waffen!“ in diesem Sinne des Widerstandskämpfers und Antifaschistischen Martin Löwenberg müssen nicht nur, aber auch die Hochschulen Institutionen werden, an denen im umfassenden Sinne „gedacht“ und nicht gebüffelt wird: Denken in diesem Sinne hat eine doppelt Ebene: Das rationale Verstehen der Welt und die Entwicklung einer Vorstellung eines menschenwürdigen Zusammenlebens. Den Frieden und die Zukunft zu gewinnen ist ein menschlicher, ein sozialer, ein zivilisatorischer und auch moralischer Imperativ.
Deswegen: Zivilklauseln für die Hochschulen, Zivilklauseln für die Banken, Zivilklauseln für die Häfen!
Ursula Forner, die leider dieses Jahr verstorben ist und den Hiroshima Nagasaki Arbeitskreis geprägt hat endete 2018 ihre Rede mit den Worten: Bis zur Ratifizierung des Atomwaffenverbotsvertrag durch 50% der Staaten wird wohl noch sehr viel Engagement, Zeit und Geduld investiert werden müssen, aber: „We shall overcome."
Ich wünsche uns in diesem Sinn weiter einen lebensfürwortenden und kämpferischen Hiroshimatag!
Peter Förster ist aktiv beim Arbeitskreis Zivilklausel an der Uni Köln.