Redebeitrag für die Hiroshima / Nagasaki-Gedenkveranstaltung am 6. August 2024 in Nürnberg

 

- Es gilt das gesprochene Wort –

 

Sehr verehrte Damen und Herren,

Mein Name ist Herbert Kappauf, ich bin Internist und Krebsspezialist und spreche zu Ihnen im Namen der IPPNW Regionalgruppe Nürnberg Fürth-Erlangen. IPPNW steht für Internationale Ärztinnen und Ärzte zur Verhütung eines Atomkriegs- und genauso für Ärztinnen und Ärzte in sozialer Verantwortung.

Wir gedenken der Opfer der Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki vor 79 Jahren. Das Ausmaß der Menschheitstragödie ist schon daran zu ermessen, dass angegebene Todeszahlen sich immer noch in der Größenordnung von Zehntausenden unterscheiden. Tausende Tote waren doppelte Kriegsopfer, waren sie doch zuvor als Zwangsarbeiter verschleppt worden. Tausende Überlebende erkrankten in den folgenden Jahrzehnten an Leukämien oder Krebs.

Als Ärzte legen wir einfach dar, worin wir kompetent sind: die medizinischen Auswirkungen von Krieg. Für Nuklearwaffen gilt heute immer noch unverändert das was wir bei der Gründung der IPPNW vor über 40 Jahren formuliert haben: „Wir werden euch nicht helfen können“. Deshalb ist es erschreckend, wie heute oft über Atomwaffen geredet wird und wie nahe an einer nuklearen Katastrophe wir auch angesichts von Kernkraftwerken im Kriegsgebiet sind.

Zivile Kriegsopfer, radioaktive Verseuchung der Umwelt, Hunger und Seuchen als „Kollateralschaden“ abzutun, ist zynisch. Schließt doch moderne Kriegsführung die zivile Infrastruktur und gerade die des Gesundheitswesens als Angriffsziele ein. Denken Sie nur an die Zerstörung der medizinischen Versorgungsstruktur in Gaza oder den russischen Angriff auf ein Krankenhaus in Nürnbergs Partnerstadt Charkiw letzte Nacht.

Meine Damen und Herren, Diskussionen über sogenannte „Kriegstüchtigkeit“ und darüber, welche Waffensysteme mit welchen Waffensystemen erwidert werden müssen, sind oft frustrierend, weil das militärische Denken dahinter durchaus eine gewisse innere Logik aufweist. Deshalb ist es wichtig festzustellen, und ich sage das bewusst als Arzt: das militärische Denken selbst ist krank und krankmachend. Es ist ein Effizienzdenken im Sinne von Tötungsfähigkeit – also diametral dem ärztlichen Denken entgegengesetzt. Krankmachend auch deshalb, weil es mit aufgeblähten Ausgaben für Rüstung unweigerlich zu Einschnitten im Sozialsystem kommt und Geld für überlebenswichtige Anpassungen an den Klimawandel fehlt. Dabei ist jetzt schon Armut Krankheitsrisikofaktor Nr 1 und im Sommer 2022 starben in Europa 61.000 Menschen an Hitzefolgen – letztes Jahr war es sicher nicht besser. Es kommt im öffentlichen Diskurs zu einer Normalitätsverschiebung, wir akzeptieren als normal, was nicht normal ist.

Vor 65 Jahren -mitten im kalten Krieg hat Gustav Heinemann bei seiner Antrittsrede als Bundespräsident erklärt: „Nicht der Krieg ist der Ernstfall, sondern der Frieden ist der Ernstfall, in dem wir alle uns zu bewähren haben.“ Er hat immer noch Recht: was uns fehlt ist eine Friedenstüchtigkeit.

 

Herbert Kappauf ist aktive bei der IPPNW Regionalgruppe Nürnberg.