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Redebeitrag für die Hiroshima / Nagasaki-Gedenkveranstaltung am 6. August 2024 in Stuttgart
- Sperrfrist: 6.8., Redebeginn: 18.30 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort –
Wir gedenken heute der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki
Liebe Freundinnen und Freunde,
Am 6. August 1945, wurde die Stadt Hiroshima und drei Tage später, am 9. August 1945, die Stadt Nagasaki, Ziel der ersten Atombomben weltweit.
Während des Zweiten Weltkriegs stellten die USA drei Atombomben her. Nach dem ersten Test einer Atomwaffe, dem sog. Trinity-Test in der Wüste Nevadas am 16. Juli 1945, wurden die verbleibenden zwei Bomben wenige Wochen später über den zwei japanischen Städten abgeworfen.
Heute vor 79 Jahren wurde die Atombombe „Little Boy“ über Hiroshima gezündet – und es folgte ein noch nie dagewesene furchtbare Detonation und ein nie dagewesener Lichtblitz:
Die Atombombe setzte enorme Energiemengen frei. Eine gewaltige Druckwelle zerstörte den Stadtkern von Hiroshima, samt beinahe aller Gebäude und Krankenhäuser im Umkreis von etwa zwei Kilometern. Durch den Druck platzten die Lungen der Menschen, während Gebäudeteile, Fahrzeuge und Körper als Projektile durch die verwüsteten Straßen flogen. Es herrschten Windstärken, wie sie sonst nur bei großen Hurrikans gemessen werden.
Dann kam eine furchtbare Hitze, ein regelrechter Feuersturm, der die gesamte Innenstadt erfasste. Mit Temperaturen von 3.000 °C bis 4.000 °C im Hypozentrum verdampfte dort jegliches Leben und ließ nur „atomare Schatten“ auf dem Asphalt zurück. Auch die meisten Gebäude im Umkreis von etwa zwei Kilometern gingen in Flammen auf. Menschen, die sich in Kellern und Bunkern versteckten, starben an Sauerstoffmangel und Rauchvergiftung. Und dann begann die Strahlung zu töten.
Von den 350.000 Einwohnern starben am ersten Tag nach konservativen Schätzungen mindestens 45.000 Menschen. Bis Ende des Jahres 1945 stieg die Zahl auf etwa 140.000 an . Auch nach Jahren und Jahrzehnten wütete unter den Hiroshima-Überlebenden, die in Japan Hibakusha-genannt werden, der schleichende Strahlentod. (aus www.hibakusha-weltweit.de )
Atombomben schaffen unendliches Leid - und dass über Generationen hinweg. Eine wirksame medizinische Hilfe gegen den Strahlentod ist nicht möglich. Wir Ärzt*innen können dann nicht mehr helfen, geschweige den Heilen.
Die Opfer in Hiroshima und Nagasaki mahnen uns, heute für eine Welt ohne Atomwaffen einzutreten – und mehr noch: Sie geben uns den Auftrag, für eine friedliche und solidarische Welt zu kämpfen, gerade heute angesichts der aktuellen Kriege mit ihren Zehntausenden von Toten.
Die Abwürfe von Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki waren nicht die einzigen atomaren Explosionen, die menschliches Leid und Umweltzerstörungen verursachten. Weltweit gab es über 2.000 Atomwaffentests, welche die Menschen in den ehemaligen Testgebieten noch heute belasten. Auf den Marshallinseln, in Kasachstan, Nevada, Algerien, Australien, Französisch-Polynesien, Lop Nor und anderswo: die Menschen leiden auch dort an Krankheiten und an den Umweltfolgen, teilweise bereits in fünfter Generation.
Aktuell sind wir in Sorge, dass eine Wiederaufnahme der Atomwaffentests drohen könnte – im Team von Donald Trump wird dies scheinbar überlegt. Das aktuell bestehende Testmoratorium reicht also nicht als Brandmauer aus!
Deshalb fordern wir ein klares Bekenntnis der internationalen Gemeinschaft gegen die Wiederaufnahme von Atomwaffentests. Atomexplosionen gefährden nicht nur die Gesundheit und das Leben heutiger Generationen, sondern auch die zukünftiger.
Durch den Ukraine-Krieg und den Krieg in Palästina ist ein möglicher Atomkrieg in Europa oder ein atomarer Flächenbrand im Nahen Osten wieder erschreckend nahegekommen. Eingebettet ist diese fatale Entwicklung in die überall stattfindende Modernisierung der Atomwaffenarsenale.
Es gibt weltweit über 13.000 Atomwaffen, etwa 1.800 davon sind in ständiger Einsatzbereitschaft, das reicht, um alle großen Städte der Welt mehrfach zu zerstören. Die Absurdität einer Abschreckung, die mit der Vernichtung der Welt spielt, hält uns weiter in Angst und Schrecken.
Dan Smith, Direktor des Friedensforschungsinstituts (SIPRI) warnte kürzlich: »Wir leben in einer der gefährlichsten Zeiten in der Geschichte der Menschheit«.
Die Kündigung wichtiger Abrüstungsverträge durch die USA unter Trump war der Endpunkt eines Klimas des Misstrauens, der kalte Krieg ist zurückgekommen. Zusätzlich erhöht die Entwicklung künstlicher Intelligenz in Waffensystemen mit immer kürzeren Warnzeiten das Risiko eines Atomkrieges „aus Versehen“. Selbst wenn Atomwaffen nicht eingesetzt werden, binden sie gesellschaftliche und finanzielle Ressourcen, die angesichts des Klimawandels dringend gebraucht werden.
Die enormen Risiken der Atombomben und deren unabsehbare humanitäre Folgen lassen nur einen Schluss zu: Atomwaffen müssen abgeschafft werden.
Atombomben dienen der Massenvernichtung von Menschen – und damit muss endlich Schluß sein.
Wir müssen dafür Sorge tragen, dass sich eines der größten Grauen der Menschheitsgeschichte nie wieder ereignen kann. Im Gedenken an die Opfer von Hiroshima und Nagasaki fordern wir ein Ende der Drohungen mit Massenvernichtung - bis die letzte Atomwaffe endlich vernichtet ist.
Der UN-Vertrag zum Atomwaffenverbot (AVV) wurde 2017 in New York beschlossen und ist seit 2021 völkerrechtlich verbindlich. Mittlerweile hat der Vertrag 70 Mitgliedsstaaten, 96 Staaten haben unterzeichnet. Insbesondere die 9 Atommächte boykottieren und torpedieren den Vertrag, üben Druck auf Staaten aus, diesen nicht zu unterzeichnen. Vertragsbestandteil ist auch, dass Atomtests dauerhaft verboten sind.
Aber Deutschland fehlt bisher unter den Unterzeichnerstaaten.
Mehr noch: Deutschland ist explizit Bestandteil der nuklearen Bedrohung, indem es die Stationierung von US-Atombomben im Fliegerhorst Büchel erlaubt und aktuell auch deren Modernisierung mitfinanziert. Damit legalisiert und unterstützt Deutschland den Besitz von Atomwaffen, wovon auch in der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie der Bundesregierung nicht abgerückt wird.
Wir fordern deshalb heute am Tag des Gedenkens der Opfer der Atombomben unmissverständlich: Deutschland muss endlich raus aus der nuklearen Teilhabe ! Deutschland muss endlich atomwaffenfrei werden !
Wir Ärztinnen und Ärzte sind alarmiert, denn alle Atommächte haben ihre Ausgaben für Atomwaffen binnen fünf Jahren um ein Drittel angehoben und sie stocken aktuell auch ihr konventionelles Arsenal auf, wie der jüngste SIPRI-Bericht aus Stockholm aufzeigt.
Deshalb fordern wir heute von den 9 Atommächten eine rechtsverbindliche Erklärung, einen Ersteinsatz von Atomwaffen prinzipiell auszuschließen. Ein jetzt erklärter westlicher Verzicht der USA, Frankreichs und Grossbritanniens kann dabei den Weg ebnen zu einem ebensolchen Verzicht Russlands.
Unser heutiges Erinnern an Hiroshima ist gegen das Vergessen gerichtet. Wir erinnern heute an die getöten und an allen von der radioaktiven Strahlung betroffenen Menschen in Japan sowie in den verstrahlten Atomtest-Gebieten.
Wir gedenken der Opfer in einer Schweigeminute.
X X X Pause X X X
Die Opfer von Hiroshima und Nagasaki mahnen die Welt, dass sich der Schrecken eines Atomkrieges niemals mehr wiederholen darf !
Und doch kommt er wieder ganz nahe: Der Krieg in der Ukraine bedroht auch uns alle in Europa ganz konkret durch die Gefahr der atomaren Eskalation.
Es muss deshalb gerade jetzt alles für einen Verhandlungsfrieden getan werden – denn die Wahrheit ist, dass alle Beteiligten, zuvorderst die Menschen in der Ukraine und in Russland, verlieren werden, wenn der Krieg auch nur einen Tag länger weitergeht. Wer von einem möglichen Sieg redet, auf welcher Seite auch immer, belügt die Bevölkerung ! Weil jeder toter Soldat ein zu betrauernder toter Soldat ist, weil jedes getötete Kind oder jede getötete Privatperson eine Gestorbene ist, weil ein Mensch ein Mensch ist - deshalb muss dieser Krieg aufhören.
Wir müssen einen Waffenstillstand anstreben und zunächst die hinter dem Krieg stehenden Interessens-Konflikte einfrieren. Neben den völkisch-nationalen und imperialen Kriegs-Motiven Russlands, die diesen Krieg unentschuldbar machen, besteht auch ein Konflikt zwischen der NATO und Russland. Und auf diesen muss Deutschland friedenspolitisch Einfluss nehmen – also das Gegenteil dessen, was an Kriegsrhetorik von unserem Kanzler zu hören ist.
Langfristig müssen wir auf eine neue europäische und internationale Friedens-Architektur hinarbeiten, die auf dem Prinzip der gemeinsamen Sicherheit aufbaut.
Die geplante erneute Stationierung von US-Tomahawk-Mittelstreckenraketen in Hessen wird die Lage weiter destabilisieren und das geschieht auch dann, wenn diese nur mit konventionellen Bomben ausgestattet werden können. Diese Marschflugkörper sind keine defensiven Waffen, wie uns seitens des Verteidigungsministers Pestorius vorgegaukelt wird. Schließen wir uns als Friedensbewegung zusammen und bringen diese Stationierung zu Fall.
Konfliktparteien müssen miteinander reden – ja und unbedingt - gerade in Zeiten, in denen die Angst vor einem möglichen Atomkrieg zurück ist und der russische Krieg in der Ukraine unsere friedenspolitischen Grundsätze auf eine Probe stellt.
Wir müssen auf Austausch und Aufklärung setzen – es gibt hierzu keine Alternative. Die Opfer von Hiroshima und Nagasaki haben der Welt den Auftrag hinterlassen,
dass sich der Schrecken eines Atomkrieges niemals mehr wiederholen darf !
Setzen wir uns alle dafür ein.
Danke!
Dr. Jörg Schmid ist aktive bei der IPPNW Regionalgruppe Stuttgart.