Redebeitrag für die Hiroshima / Nagasaki-Gedenkveranstaltung am 6. August 2024 in Mainz

 

- Es gilt das gesprochene Wort –

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

wie angekündigt habe ich 1958 an der Kampagne Kampf dem Atomtod teilgenommen, Losungen an Mauern und auf Straßen geschrieben. Ab 1962 dann Mitarbeit im Regionalausschuss West der Ostermärsche.

Ab 1981 war ich im zentralen Koordinationsausschuss der Friedensbewegung (KA) zur Vorbereitung der großen Demos gegen die Mittelstreckenraketen-Stationierung. 1982 kam für die Jusos ein neuer Vertreter in den KA, der Sprecher des Stamokap-Flügels. Stamokap steht für die linke Theorie vom Staatsmonopolistischen Kapitalismus. Dieser Teil der Jusos war nicht nur gegen die Mittelstreckenrakten, er warb auch für einen demokratischen Sozialismus und den sofortigen Austritt der BRD aus der NATO. Der SPD-Parteivorastand war besorgt und sandte ab sofort seinen Betriebsratsvorsitzenden mit in den KA (die Sitzungen waren ja öffentlich), um eine Zusammenarbeit zwischen Jungsozialisten und Kommunisten zu verhindern. Eine überflüssige Maßnahme, den der Juso war ein Zauderer, statt verbindlicher Absprachen bei Aufruftexten, Rednerlisten etc. kam von ihm bestenfalls ein „das könnte eine Lösung sein“ oder ein „da sollten wir dran bleiben“.

Der Juso war Olaf Scholz!

Politisch hat er sehr schnell eine 180 Grad-Wende gemacht und da steht er nicht alleine.

Die Jugendorganisation der norwegischen Sozialdemokratie, die „Arbeiterpartei Jugend“ (AUF) war in den 1980ern für eine Auflösung der NATO und eine Annäherung an den Sozialismus. Eine ihrer Vorsitzenden gibt sogar zu Kontakt zum sowjetischen Geheimdienst gehabt zu haben und dort unter dem Namen Steklow als Agent geführt worden zu sein. Seine Ausrede: „ich kannte keine Staatsgeheimnisse, also konnte ich auch keine verraten.“

Sein Name: Jens Stoltenberg, von 1975 bis 79 Vorsitzender der AUF und Vizepräsident der Sozialistischen Jugendinternationale (IUSY), heute Generalsekretär der NATO.

Ich habe Olaf Scholz als Zauderer bezeichnet. Wenn ich an Strack-Zimmermann (FDP) oder Toni Hofreiter (Grüne) denke, die am liebsten jeden Leopard Panzer selbst an die Ukraine Front gefahren hätten oder an unseren Kriegsminister Boris Pistorius (SPD), der Deutschland wieder kriegsfähig machen will, dann ist Entschlussschwäche vielleicht noch die beste Eigenschaft des Kanzlers. Leider gibt er aber immer wieder doch den Scharfmachern nach.

Am 11. Juni d.J. haben Scholz und Pistorius am Rande des NAO-Gipfels in Washington mit den USA eine gemeinsame Erklärung zur Stationierung weitreichender Waffensysteme in Deutschland unterzeichnet.

Es handelt sich um Luftabwehrraketen SM6, Marschflugkörper vom Typ Tomahawk und Überschallraketen.

Die NATO war nicht eingebunden, die eigene Partei genau so wenig, wie der Bundestag. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich, der frühere SPD-Vizechef Ralf Stegner und der Ex-Bundesvorsitzende der SPD Walter-Borjans warnen dann auch vor der Stationierung und fordern eine Diskussion im Bundestag. Und Pistorius putzt sie runter: „Reden kann man über alles, aber die Entscheidung wird nicht zurückgenommen.“ Bezugnehmend auf die 1980er Debatte zur Staionierung atomarer Mittelstreckenraketen erklärt er Ende Juli während eines Besuchs der deutschen Marine, die auf Hawai gerade den weltweiten Einsatz probt, es handele sich doch nur um „konventionelle Waffen“ und schließlich habe Moskau den INF-Vertrag gekündigt (den Rüstungskontrollvertrag über Mittelstreckenrakten). Er verschweigt, dass die Tomahawks eine Reichweite von 2.500km haben, von Deutschland aus können sie Moskau erreichen und vor allem, dass sie atomar bestückt werden können.* Und beim INF-Vertrag lügt er einfach. Der Vertrag wurde von Trump 2019 aufgekündigt, Russland hat nachgezogen.

Der Kanzler, der Kriegsminister und die grüne Außenministerin behaupten die Stationierung sei eine Reaktion auf die gewachsene Bedrohung durch Russland seit dem Ukraine-Krieg. Auch das ist eine Lüge: Diese Stationierung wird seit vielen Jahren vorbereitet. Am 16. Juli 2021 schrieb der US-Brigadegenral a.D. Helmut W. Ganser in der taz: Washington habe diese Stationierung „seit Jahren geplant und 2021 eine Taskforce für Führung und Einsatz dieser Systeme in Wiesbaden aktiviert“. Das bestätigt auch ein Papier des Recherchedienstes des US-Kongresses in dem es heißt, die US-Administration habe am 13. April 2021 beschlossen, Raketen in Wiesbaden zu statinieren.

Noch ein Wort zur russischen Gefahr.

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine muss verurteilt werden aber wir müssen denen widersprechen, die ihn nutzen um eine Rüstungseskalation ungekannten Ausmaßes in Gang zu setzen. Russland führt seit zwei Jahren Krieg gegen die Ukraine, offensichtlich mit hohen Verlusten und ohne reale Siegchance. Putin träumt vielleicht von einer Wiedererrichtung des historischen Russlands aber er ist sicher Realist genug um zu wissen, dass es ihm an den militärischen Fähigkeiten fehlt um sich mit der NATO anzulegen.

Die Fakten: Die Rüstungsausgaben der 32 NATO-Staaten werden für 2024 auf 1,5 Billionen Dollar gechätzt, das ist eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um 10,9%. Die „größte Steigerung seit Jahrzehnten“, wie US-Präsident Biden am 14.02.24 stolz verkündete. Laut dem international besetzten FF-Institut SIPRI hat Russland 2023 für Rüstung und Soldaten 109 Mrd. Dollar ausgegeben. Auch wenn sie vielleicht noch einige Rüstungsausgaben versteckt haben, das ist nicht einmal ein Zehntel der NATO.

Von den weltweiten Rüstungsausgaben entfallen (laut SIPRI) auf:

USA           39%       2023 in Dollar                        916 Mrd

China        12%                                                     216 Mrd

Russland    4,5%                                                  109 Mrd

Indien          3,1%                                                 83,6 Mrd

Saudi Arabien                                                      75,9 Mrd

GB              3,1%                                                74,9 Mrd

D                 2,7%                                                66,8 Mrd

Ukraine                                                               64,8 Mrd

Frankreich                                                          61,3 Mrd

Japan                                                                 50,2 Mrd

Südkorea                                                           47,9 Mrd

Italien                                                                36,5 Mrd

(zwischen den Prozentzahlen und die Dollarbeiträgen gibt es leichte Differenzen. Die Prozentzahlen sind von SIPRI, die anderen aus einer Statistik im Internet. Im Vortrag wurden diese ausgelassen.)

Der deutsche Rüstungsetat liegt offiziell 2024 bei 52Mrd. DM. Eingerechnet die anteilige Nutzung des 100Mrd Sonderetats und berechnet nach NATO-Kriterien kommt der Spiegel am 18.06.24 allerdings auf 90,6 Mrd. für 2024. Pistorius verkündet dann auch stolz: „Wir haben in den letzten 10 Jahren den Verteidigungshaushalt um 150% erhöht.“ Natürlich verlangt er noch viel mehr und der Bundeskanzler spricht davon, dass der Rüstungsetat ab 2028 auf mindestens 80 Mrd. Euro steigen müsse, also noch einmal um mehr als 50%.

Pistorius möchte unser Land kriegstüchtig machen, dafür bildet er auch 17jährige in der Bundeswehr aus. Die dürfen zwar an keiner Bundestagswahl teilnehmen, diese Urteilsfähigkeit wird ihnen abgesprochen, sie sind aber reif genug um das Töten zu lernen.

Nein, unser Land muss nicht kriegstüchtig werden, es muss friedenstüchtig werden!

Ja, wir sollten unsere Hilfe bei internationalen Konflikten anbieten - aber nicht mit Waffen und SoldatInnen sondern mit Diplomatie und Fachkräften zur zivilen Konfliktbearbeitung!

* Nachtrag: Die Berliner Morgenpost schreibt am 11.07.24: „...lassen sich theoretisch auch mit einem Atomsprengkopf bestücken.“ Das nd-Die Woche am 03.08.24. „...können auch nuklear bestückt werden.“ Im Stern (11.07.24) heißt es: „...Sie lässt sich auch atomar bewaffnen.“ Bei Wikipedia sind die einzelnen Varianten der Tomahawk Marschflugkörper aufgelistet. Dort steht: Die AGM 109 Tomahawk kann wahlweise mit einem nuklearen oder einemn konventionellen Splittergefechtskopf bestückt werden. Sie wurde inzwischen ausgemustert und duch die AGM 86 ALCM ersetzt. Das ist die einzige Tomahawk, die heute nuklear bestückt werden kann. Ich habe mich auf diese Informationen verlassen. In einem Artikel der FR (04.08.24) beruft sich Xanthe Hall von der IPPNW auf den Militärexperten Hans Kristensen und schreibt: „Die Tomahawk sind tatsächlich nicht nuklearfähig: es existieren keine mit ihnen kompatiblen Atomwaffen. Es wäre aber möglich, einen neuen nuklearen Sprengkopf zu entwickeln, der passt und die Tomahawsk nuklearfähig machen würde.“ Nach einem aktuellen Beitrag im Internet, der sich auf denselben Militärexperten bezieht geht es bei den Marschflugkörpern um eine Neuentwicklung, die sich in der Endphase befindet, und zu den „konventionellen Erstschlagswaffen“ gezählt werden muss. Das macht die Sache nicht weniger gefährlich!

Vielen Dank.

 

Jürgen Nieth war langjähriger Redakteur der Zeitschrift "Wissenschaft & Friedens" und lebt in Mainz.