Beitrag für die Demo am 9.10.2021 gegen Steadfast Noon in Nörvenich

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Am 9. Oktober 2021 demonstrierten rund 200 Friedensbewegte in Nörvenich bei Düren gegen das NATO-Atomkriegsmanöver »Steadfast Noon«. Der Fliegerhorst Nörvenich ist in dieses Manöver eingebunden. Zur Protestaktion gehörte die Umbenennung der Straße, die zum Fliegerhorst führt. Mit der folgenden Rede begründete ich diese Umbenennung.

Die Straße zum Fliegerhorst Nörvenich wurde nach Oswald Boelcke benannt. Genau wie das Jagdbomber­geschwader, das seit 1958 auf dem Fliegerhorst Nörvenich stationiert ist und das seit 1961 den, wie es so schön heißt, »Traditionsnamen Boelcke« trägt. Boelcke war einer der drei bekanntesten deutschen Kampfpiloten des I. Weltkriegs – neben Immelmann und Richthofen. Er war seit 1915 in Douai in Nordfrankreich stationiert, einer Stadt, die im I. Weltkrieg schwer zerstört und evakuiert wurde. Er gehört zu denen, die den Luftkampf zwischen Jagdflugzeugen erfunden haben. Kaiser Wilhelm II. verlieh ihm den Orden »Pour le Mérite«. 1916 stürzte er in Frankreich ab. Alsbald entstand bei den Deutschnationalen ein Kult um die drei Kampfpiloten. Sie waren die Elite des deutschen Militarismus, wurden in populären Romanen und Filmen verherrlicht. Die Nazis griffen diesen Kult begierig auf. Hitler und vor allem Hermann Göring, der die Luftwaffe der Nazis aufbaute, liebten und verehrten Boelcke, Immelmann und Richthofen. In den 1930er Jahren wurden in Deutschland zahlreiche Straßen und Kasernen nach ihnen benannt, und die meisten davon tragen diesen Namen bis heute. Nörvenich verdankt den Namen Boelcke dem ehemaligen Nazigeneral Josef Kammhuber, der 1961 als Inspekteur der Luftwaffe dem hiesigen Jagdbombergeschwader den Namen gab.

»Nic Knatterton und die Marmeladenfabrik« haben eben gesungen: »Warum machen wir immer so weiter?« Hier ist mit Händen zu greifen, was sie meinen: Noch 2012 hat die Gemeinde Nörvenich diese Straße nach diesem Ballermann der Lüfte benannt, der es als seine Pflicht und Lebensaufgabe ansah, Franzosen und Engländer zu töten. Warum machen wir immer weiter mit diesem Irrsinn?

Wir haben beschlossen, damit aufzuhören. Wir benennen die Straße um. Ihr Name sei künftig: Claude-Monet-Allee! Wir wollen sie dem französischen Maler Claude Monet widmen, der von 1840 bis 1926 lebte und den Impressionismus mitbegründete. Warum gerade Monet? Das hat einmal mit Frankreich zu tun. Boelcke half mit, Nordfrankreich zu besetzen, und tötete Franzosen. Wir möchten stattdessen, und um die deutschen Untaten in Frankreich zu kontern, an einen großen Franzosen erinnern, der die europäische Kultur mitgeprägt hat wie nur wenige. Und es hat mit Kaiser Wilhelm II. zu tun, der einer der ersten war, der den Kult um Boelcke pflegte. Wilhelm II. interessierte sich sehr für Kunst und liebte es, sich in Angelegenheiten der Kunst persönlich einzumischen. 1901 eröffnete er »Siegesallee« im Berliner Tiergarten und hetzte bei dieser Gelegenheit gegen die »sogenann­ten modernen Richtungen und Strömungen« der Kunst, namentlich die Impressionisten, die »in den Rinnstein« niedergestiegen seien und das Elend noch scheußlicher darstellten, als es sei. Das richtete sich vor allem gegen die deutschen Impressionisten, die Maler der Berliner Sezession um Max Liebermann und Max Slevogt. 1909 setzte Wilhelm II. Hugo von Tschudi als Direktor der Nationalgalerie ab, weil dieser Bilder von Monet und anderen französischen Impressionisten aufgekauft und ausgestellt hatte. Wenn wir die Allee jetzt Claude-Monet-Allee nennen, können wir Wilhelm II. und seine konservativen Freunde noch nachträglich ein wenig ärgern.

Was aber fanden diese Leute an den Bildern Monets so unerträglich? Dazu müssen wir einen Blick, nein: viele Blicke auf Monets wunderbare Bilder werfen und zum Vergleich auch einen kürzeren Blick auf Wilhelms Siegesallee, die im Berliner Volksmund »Puppen­allee« genannt wurde. Monets Bild »Impression, Sonnenaufgang« gab der ganzen Kunstrichtung ihren Namen. Es zeigt eine Szene im Hafen von Le Havre: einen in vielen hellen Farbtönen zwischen grau und rosa schimmernden, dunstigen Morgenhimmel über Schiffsmasten und Schornsteinen, die orange Sonnenscheibe und ihre Reflexion im Wasser, links davon die schwarze Kontur eines Ruderbootes mit Ruderer. Er malte ein »Frühstück im Grünen«, »Frauen im Garten«, die »Frau mit Sonnenschirm«: Sie steht hoch aufgerichtet auf einer Blumenwiese und lässt sich den Sommerwind durch den weiten weißen Rock wehen. Das Ganze aus leichter Untersicht – man kann sich vorstellen, wie der Maler auf dem Bauch im Gras lag, um diese schöne Aussicht zu genießen. Bäume, Wasserflächen, Seerosen, auch dampfende Lokomotiven im Bahnhof, Menschen, die sich des Lebens erfreuen, die sich lässig auf einer Bank fläzen – alles das ist wunderbar sinnlich, friedlich und unheroisch. Die Deutschnationalen stießen sich namentlich daran, dass die Impressio­nisten unterm freien Himmel saßen beim Malen und ihre Modelle im Gras drapierten. Ein anständiger Künstler hatte im Studio zu stehen und Götter, Kaiser, Generäle oder heroische Soldaten in steifer Gestik auf Podeste zu stellen. Wilhelms Verdikt wirkt bis heute nach: In ganz Deutschland gibt es genau vier Straßen, die nach Monet benannt sind, in vier wenig bekannten Orten. Höchste Zeit für eine fünfte: die Claude-Monet-Allee in Nörvenich!