Die Linke

Aufgabe friedenspolitischer Positionen für die Regierungsfähigkeit?

von Otmar Steinbicker
Hintergrund
Hintergrund

Die Partei „Die Linke“ führt aktuell eine scharfe Debatte um ihr friedens- und sicherheitspolitisches Profil. Bis heute steht sie für eine konsequente Ablehnung von Militarisierung, Aufrüstung, Rüstungsexporten und konkret auch jeglicher Auslandseinsätze der Bundeswehr. Als Alternative zur NATO empfahl sie ein europäisches Sicherheitssystem unter Einbeziehung Russlands.

Geht es nach der Mehrheit ihrer Mitglieder, sollen diese Positionen beibehalten werden. Klar ist aber auch, mit den bisher formulierten Positionen dürfte es keine Regierungsbeteiligung auf Bundesebene geben – auch nicht in einem wie auch immer dominierten Rot-Rot-Grün-Bündnis. Dann gibt es auch keine Mitgestaltung auf Regierungsebene bei sozialen Themen, sondern nur die dauerhafte Opposition. Dass eine solche Perspektive nicht allen gefällt, ist nachvollziehbar. Ihre politische Ausrichtung muss die Partei selbstverständlich für sich entscheiden. Dennoch seien einige Aspekte aus friedenspolitischer Sicht angemerkt.

Was bei dem ersten Blick an der Debatte auffällt: Nicht immer wird von den Protagonist*innen der unterschiedlichen Positionen sauber definiert, was gemeint ist. Da gibt es – wie bei den Programmen anderer Parteien – wohlklingende Formulierungen, die unterschiedlich interpretiert werden.
Das betrifft z.B. die Problematik der Ersetzung der NATO durch ein europäisches Sicherheitssystem. Da entsteht bei der einen oder anderen Wortmeldung der Eindruck, das könnte womöglich eine Aufnahme Russlands in die NATO bedeuten. Hier sollte „Die Linke“ präzise formulieren, was sie meint. In der Broschüre der Bundestagsfraktion „Sicherheitspolitische Alternativen zur NATO“ aus dem Jahre 2009 war das mal deutlich formuliert. Da war die OSZE als die Alternative zur NATO benannt, weil diese ebenso wie die UNO als ein „System der kollektiven Sicherheit“ angelegt ist und nicht wie die NATO als ein „System der kollektiven Verteidigung“, das für die eigene Existenz eine Feindbilddefinition benötigt. 1990, unmittelbar nach dem Ende des Kalten Krieges, hatte die OSZE (damals noch KSZE) durchaus die Chance, ein wesentliches Element der Sicherheitspolitik in Europa zu werden. In den Folgejahren wurden die Kompetenzen der OSZE immer weiter zugunsten der NATO eingeschränkt, so dass die OSZE heute kaum noch wahrgenommen wird. Ein deutliches Engagement der Linken für einen erneuten Ausbau der Kompetenzen der OSZE würde das sicherheitspolitische Profil der Partei unabhängig von ihrer Rolle in Regierung oder Opposition schärfen. Sich offen gegen einen Ausbau der OSZE zu stellen, dürfte andere Parteien in Argumentationsprobleme bringen. (1)

Besonders heikel ist natürlich die Problematik der Auslandseinsätze. Einmütigkeit dürfte es in der Partei „Die Linke“ geben, keinen Kriegseinsätzen ohne ein UNO-Mandat zuzustimmen. Hier hat allerdings die Vergangenheit gezeigt, dass auch ein Kriegseinsatz mit UNO-Mandat verheerende Folgen hat. Der Krieg gegen Libyen 2011 war in seiner Anfangsphase eindeutig von der UNO mit der  Resolution 1973 des Sicherheitsrates mandatiert (2). Russland, China und auch Deutschland hatten sich bei der Abstimmung enthalten. Die Mandatnehmer, zu denen die meisten NATO-Staaten gehörten, führten daraufhin den Krieg nach eigenem Ermessen – nicht zur Errichtung einer Flugverbotszone, wie in der UNO beantragt, sondern zum Sturz des Regierungschefs Ghaddafi. Proteste Russlands gegen die Uminterpretation blieben damals wirkungslos. Eine denkbare neue, präzisere UNO-Resolution wäre wahrscheinlich an einem Veto der USA gescheitert. Dass Deutschland damals nicht aktiv mit in diesen Krieg gezogen ist, hat sich als richtig erwiesen. Der UNO-mandatierte Krieg mündete in einen chaotischen Bürgerkrieg, dessen Ende noch nicht abzusehen ist.

Problematisch können nicht nur nach UNO-Definition „friedenserzwingende“, sondern auch „friedenserhaltende“ Blauhelm-Einsätze werden, wenn wie in Mali ein Waffenstillstand überwacht werden soll, die Konfliktparteien sich später aber wieder zerstreiten und die Blauhelmtruppe dann militärische Unterstützerin einer der Konfliktparteien wird.

Wenn Matthias Höhn, der als Sicherheitspolitischer Sprecher der Fraktion die aktuelle Debatte in der Partei eröffnet hat, eine deutsche Beteiligung an solchen „friedenserhaltenden“ Blauhelm-Einsätzen für sinnvoll  hält mit Verweis auf das Friedensgutachten deutscher Friedensinstitute von 2020 (3), dann sollte auch die Warnung in diesem Gutachten vor einem „schleichenden Übergang (mission creep) durch Mandatserweiterungen“ von friedenserhaltenden zu friedenserzwingenden Maßnahmen beachtet werden.

Insgesamt ist zu berücksichtigen, dass 1945 zur Zeit der Gründung der UNO noch die Auffassung vorherrschte, Frieden ließe sich zur Not militärisch erzwingen. Die Geschichte solcher Einsätze zeigt dagegen andere Ergebnisse. Da gilt eher die Devise, die man hin und wieder von Militärs hört: „Militär kann keinen Frieden schaffen. Militär kann allenfalls Zeit gewinnen, damit Politiker Frieden schaffen können“.

Lediglich in einer Hinsicht kann aus meiner Sicht Militär wirksam agieren: bei der Überprüfung eines Waffenstillstands, so wie das derzeit von Blauhelm-Soldaten in Zypern und von OSZE-Militärfachleuten in der Ostukraine geschieht. Da geht es nicht um ein militärisches Eingreifen, sondern um ein exaktes Protokollieren von Verletzungen der Waffenstillstandsvereinbarung. Zur Verifikation sind militärische Fachleute nötig, die exakt in der Lage sind, festzustellen, welche Seite wann wo welche Waffen eingesetzt hat. Da kann sich später keine Seite herausreden oder die Schuld der anderen Seite zuweisen. Das hat einen deeskalierenden Effekt, jedenfalls solange die Verantwortlichen der Konfliktparteien sich an die Waffenstillstandsvereinbarungen halten wollen.

Damit kommen wir zu einem Kernproblem deutscher Außen- und Sicherheitspolitik: Wenn Deutschland weltpolitisch Verantwortung übernehmen soll und will, so kann das sinnvollerweise nicht heißen, dass Deutschland sich an unverantwortlichen Militäreinsätzen beteiligt. Dann muss deutsche Außen- und Sicherheitspolitik lernen, Methoden der Krisenprävention und ziviler, politischer und diplomatischer Konfliktbearbeitung zu beherrschen und anzuwenden. Im Hinblick auf konkrete, sich anbahnende oder in unterschiedlichen Stadien befindliche Konflikte ernsthafte Lösungsvorschläge zu entwickeln – selbstverständlich auch in Zusammenarbeit mit Friedensinstituten und Friedensbewegung – wäre dann die hohe Kunst der Politik im Gegensatz zu tumbem Abnicken von untauglichen Militäreinsätzen.

Wenn die Partei „Die Linke“ sich außen-, friedens- und sicherheitspolitisch profilieren will, so findet sie hier ein weites Betätigungsfeld jenseits einer „Neinsager“- oder Kriegsbefürworterrolle. Eine solche Rolle wäre nicht nur in der Opposition, sondern auch in der Regierung wünschenswert.

Anmerkungen
1 https://www.linksfraktion.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/Reader/...
2 https://de.wikipedia.org/wiki/Resolution_1973_des_UN-Sicherheitsrates
3 https://friedensgutachten.de/2020

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Otmar Steinbicker ist Redakteur des FriedensForums und von aixpaix.de