Ostermärsche und -aktionen 2009

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10.04.2009


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Ostermärsche und -aktionen 2009

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Rede beim Ostermarsch Augsburg am Samstag 11. 4. 2009

Liebe Freundinnen und Freunde,

Irmgard Heilberger (in Augsburg)



- Es gilt das gesprochene Wort -

- Sperrfrist, 11.04., Redebeginn: 12 Uhr -



Am vergangenen Freitag trafen sich in Strassburg Frauen aus Europa, USA und Japan zu einem Workshop, Frauen in Schwarz, Frauen der Internationalen Frauenliga und anderer Organisationen, um die so genannte Sicherheit der NATO in Frage zu stellen. "No to Nato", die Kompromissklausel des Aufrufs der internationalen Friedensbewegung war uns nicht genug, wir fordern die Auflösung der Nato.

Wir stellten uns folgende Fragen:

Das Trutzbündnis des Kapitalismus schützt die westlichen Nationalstaaten und deren Vormachtstellung, doch bedeutet das auch die Sicherung unserer menschlichen Grundbedürfnisse? Wie wirkt sich die militärische Allianz der Demokratien auf unser Leben aus? Wobei die spanischen Frauen in ihrem Beitrag daran erinnerten, wie undemokratisch sich der Beitritt zur Nato vollzog. Wie beeinflusst das patriarchale Denken, das Blockdenken als Grundlage der Militarisierung und der NATO den Alltag von Frauen?

Die Frauen sahen sich mit Ana Azaria, Präsidentin der Femmes Egalites, einig: "Frauenrechte können nicht von denen verteidigt werden, die herrschen und ihre Vorherrschaft bestärken wollen. Wir prangern jegliche Ausbeutung der Leiden von Frauen durch jene an, die damit eine Militärintervention rechtfertigen wollen." Wie es Anna Valente und Margherita Granero, zwei Frauen in Schwarz aus Italien, formulierten, lehnen wir auch ab, " dass die Anwesenheit von Soldatinnen von der Propaganda benützt wird, um der Armee ein menschliches Gesicht zu geben, besonders bei Peacekeeping operations."

Nelly Martin, die Koordinatorin des Europäischen "Marche mondiale des Femmes"

führte aus, dass die Männerrolle mit Gewalt und Militarisierung verbunden wird, wohingegen die Frauen angeblich diesen Schutz brauchen. In der Zeitung "Wissenschaft und Frieden" vom Februar diesen Jahres fand ich eine Besprechung der Tagung "Das erste Opfer des Krieges ist die Emanzipation", die im Oktober 2008 in Salzburg stattfand. Tanja Maier analysierte ausgewählte Titelblätter der Nachrichtenmagazine Focus, Spiegel und Stern zum Thema "Krieg gegen den Terror". In tradierter Weise werden die Frauen als namenlose Opfer, die Männer als individuelle Helden inszeniert.

Noch einmal Nelly Martin:

"Militärische Institutionen tragen in vielfältiger Weise dazu bei, junge Männer auf ihre dominante Rolle in den Beziehungen der Geschlechter zu trainieren. Wir können die Armee in allen Gesellschaften als eine der wichtigsten patriarchalen Organisationen betrachten, die die ungleichen sozialen Geschlechterbeziehungen widerspiegelt, nämlich eine Hierarchie der Macht, Kultstatus und Oberherrschaft des "Chefs", Gehorsam, körperliche Gewalt, ein Fehlen von kritischem Geist, ein geschlossener Kreis der "boys". Dieses Modell von Männlichkeit, assoziiert mit Stärke und Agressivität, beeinflusst Jugendliche zunehmend."

Cynthia Cockburn, WILPF -Frau, Frau in Schwarz und bekannte Feministin aus England, zeigte die "häusliche Dimension", die innerstaatlichen Folgen dieser Denkart im Krieg gegen den Terror auf: die Überwachung eigener und benachbarter BürgerInnen unter rassistischen Auswahlkriterien, oder, wie die italienischen Frauen berichten, die Einkesselung von Demonstrantinnen durch Soldaten.

Frauen aus ganz Europa beklagten die Auswirkungen der militärischen Ausgaben und der Militärbasen in ihren Ländern, vor allem die ärmeren Länder des Ostens müssen mit gewaltigen Rüstungsausgaben ihren Eintritt in die Europäische Union und in die NATO bezahlen. Die Folgen sind Einschnitte bei den Sozialausgaben. Ana Azaria bringt es auf den Punkt: "Es sollte schärfstens angekündigt werden, dass Geld zuerst den Bänkern, Industriellen und der Armee zusteht und danach erst für Bildung, Sozialmieten und Gesundheitsvorsorge."

Dazu kommen weitere negative Folgen der Rüstung: die globale Bedrohung durch die Erstschlagdoktrin und die Vorhaltung von Atomwaffen wie bei uns in Büchel, Umweltverschmutzung und Landverwüstung, der Anstieg von häuslicher Gewalt und Morden in der Familie durch Kleinwaffen in Hand der Soldaten.

Vergewaltigung, Menschenhandel und Zwangsprostitution wurde einhellig als schlimmste Folge nahegelegener Militärbasen gesehen. Sian Jones, eine Frau in Schwarz aus London, führte eine Untersuchung an, wonach NATO-Soldaten im Balkan allein zwischen dem 24. März und dem 10. Juni 1999 40 Millionen Dollar pro Monat für die Prostitution ausgegeben hätten. Frauen und Mädchen, auch minderjährige, aus Bulgarien, der Ukraine, Russland, Rumänien und Moldawien wurden oft unter falschem Vorwand dorthin gelockt, eingesperrt und unter unmenschlichen Bedingungen sexuell ausgebeutet. Ich erinnere mich noch an den Mann mit auffälligem Kurzhaarschnitt, der hier in Augsburg vor Jahren in einem von der AFI organisierten Podiumsgespräch angab, er organisiere "Erholungsaufenthalte" für unsere braven Jungs in Mazedonien, und die Frauen würden sich freiwillig ohne Kondome hingeben, um durch eine Schwangerschaft ein Visum für Deutschland zu erhalten. Die NATO hat zwar in Istanbul 2004 eine Politik gegen Menschenhandel beschlossen, diese aber nicht umgesetzt. Nur wenige NATO-Staaten erhoben Disziplinverfahren gegen Soldaten, die im Menschenhandel tätig waren, eine Verurteilung ist Sian Jones nicht bekannt.

Die abscheulichste Folge der NATO sind die Kriege. Frau könnte irre werden beim Nachdenken: Die NATO rüstet vorbeugend auf, erschreckt andere, die dann auch aufrüsten. Die NATO schließt die arabische und afrikanische Welt weitgehend aus und provoziert damit Terrorismus und Piraterie, die sie dann wieder bekämpfen darf. Die NATO führt Krieg weit weg, im Mittelmeer, im Kosovo, im Irak, in Afghanistan zur Sicherung unserer Vorherrschaft und uns nicht gehörender Rohstoffe, die wir dann verschwenden und damit die Umwelt und das Klima gefährden.

26 NATO-Staaten und -Partner bomben angeblich für Frauenrechte und gegen Burkas in Afghanistan, mit welchem Ergebnis? WILPF-Präsidentin Annelise Ebbe zitiert den Bericht der WomanKindWorldwide Organisation: Im Februar 2008 beklagen 87 % der befragten Frauen häusliche Gewalt, die Hälfte davon sexueller Art, 60 % der Ehen sind Zwangsehen, trotz eines neuen gesetzlichen Verbots sind 57% der Bräute jünger als 16, 88% der Frauen sind Analphabetinnen, nur 5 % der Mädchen besuchen eine weiterführende Schule und die Sterblichkeitsrate der Mütter bei der Geburt ist neben Sierra Leone die höchste der Welt; (1 von 9 Müttern stirbt beim Gebären).

In der Kontraste - Sendung am Donnerstag zum Thema "Wie viel Wehrmacht steckt in der Bundeswehr?" fiel beiläufig der Satz des Militärhistorikers Detlef Bald: ".. und es wird so getan, als sei der Zweite Weltkrieg ein ganz normaler Krieg gewesen." Was ist denn, bitte schön, ein ganz normaler Krieg? Sind die heutigen Kriege "normaler", wenn z. B. gut geschützte Soldaten aus der Luft auf Hochzeitsgesellschaften schießen?

Frauen erleiden in Kriegen den Verlust ihrer Kinder, ihrer Heimat und ihrer sozialen Umgebung und müssen zudem darunter leiden, dass sie Ziel sexueller und physischer Gewalt sind. Erst im Jahr 2008 wurde dies immerhin durch die UN-Resolution 1820 international geächtet. Häufig sind die Frauen dann diejenigen, die Häuser und Gemeinschaften wieder aufbauen. Dennoch werden sie an Konfliktlösungsprozessen kaum beteiligt, obwohl ihre gleichberechtigte Partizipation von der UN-Sicherheitsresolution 1325 vorgeschrieben ist.

Die gegenseitige Vernetzung und Aussprache hat uns gut getan. Verstärkt setzen wir unsere politische Arbeit fort, vielleicht entsteht auch eine politische Kampagne daraus. Unsere WILPF-Büros in Genf und New York werden weiter Lobbyarbeit bei den Vereinten Nationen betreiben, Informationen zu Abrüstung und Friedensfrauen weltweit sammeln und weitergeben, wir werden Mahnwachen halten und demonstrieren, um für ein Leben in Frieden, Gerechtigkeit, Gleichberechtigung zu streiten, das alle Menschen einbezieht und Männern wie Frauen eine echte Sicherheit garantiert.

Zum Abschluss noch ein Wort in eigener Sache, d.h. in diesem Fall, Friedensbewegung und Gewalt. Ja, die mehr als 30 000 TeilnehmerInnen in Kehl, Strassburg und Baden-Baden waren ein Erfolg. Ja, ein Großteil der TeilnehmerInnen waren gewaltfrei und pazifistisch. Ja, die Polizei hat alles getan, um uns an unserem demokratischen Recht des Protestes zu hindern. Ja, die französische Polizeiführung hat uns PazifistInnen in patriarchaler Weise mit dem schwarzen Block zum Feind erklärt, uns den Zugang zum Auftaktplatz erschwert, manche unserer alten Damen sind 9 Stunden gelaufen, bis sie wieder im Hotel waren! Sie haben uns in einem schmalen Korridor eingesperrt, uns von unseren FreundInnen auf der deutschen Seite getrennt, die Krawalle durch Provokateure angeheizt und uns dann gemeinsam mit Tränengas eingenebelt. Ja, zugegeben, das was wir in der Demo erlebt haben, ist weit von der Gewalt entfernt, die die NATO ausübt. Ja, wir sollten solidarisch in der Bewegung sein, uns nicht aufteilen lassen. Ja zu gewaltfreien Aktionen zivilen Ungehorsams. Ja, ich weiß, die Medien berichten nun mal eher über Gewalt als Alternativen zum Krieg.

Aber stopp, nein, ich kann die Gewalt krimineller, meist männlicher Täter nicht gutheißen, die aus unserer Mitte aufbrachen und in einer kleinen Tankstelle die Scheibe einschlugen, um dort Wasserflaschen zu klauen und zwei Hotels anzündeten, in denen sich Menschen befanden. Nein, ich kann nicht verstehen, warum sie wegen ein paar Polizeiautos in eine Unterführung von oben und von vorne Steine geworfen haben und uns, eine ganze Gruppe von DemonstrantInnen gefährdet haben. Nein, die Medien haben wenig über unsere Kritikpunkte an der NATO berichtet, sondern weitgehend über die ausgeübte Gewalt. Nein, ich kann dem liebenswerten Friedensaktivisten Petros Constantinou keinen Beifall klatschen, wenn er griechische Jugendliche lobt, die während der Demos in Athen griechische Polizeistationen zerstörten, soll das die Jugendarmee der Friedensbewegung sein? Nein, es hilft auch nichts, den "schwarzen Block" zu separieren, verlagern wir auch schon unsere Außenpolitik an den Hindukusch? Ich bin überzeugt, dass aus Gewalt nur Gewalt entstehen kann und dass wir nur mit gewaltfreiem Handeln Alternativen aufzeigen können. Wie wir aus unseren Reihen auf zukünftigen Demonstrationen dafür sorgen können, darüber sollten wir noch einmal in aller Ruhe diskutieren.

Die Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF, Women`s International League for Peace and Freedom, WILPF) ist die älteste internationale Frauen-Friedens-Organisation der Welt, die 1915 zum Widerstand gegen den in Europa herrschenden Krieg gegründet wurde. Seither setzt sich die WILPF gegen alle Formen von Krieg und Gewalt ein und kämpft für eine wirtschaftliche, politische und soziale Gleichberechtigung aller Menschen. Die WILPF ist in über 40 Ländern vertreten und besitzt Beraterstatus bei verschiedenen Gremien der Vereinten Nationen.



Kontakt in Deutschland: Geschäftstelle der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit - IFFF - Deutsche Sektion Haus der Demokratie und Menschenrechte, Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin, eMail: info@wilpf.de



Irmgard Heilberger ist Vorsitzende der Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF). Vita siehe hier

E-Mail: heilberger (at) wilpf (Punkt) de

Website: www.internationalefrauenliga.de
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