Redebeitrag von Kristin Heiß (MdL Die Linke) für den Ostermarsch Sachen-Anhalt in Stendal am 17. April 2017

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

- Sperrfrist: 17.04., Redebeginn: ca. 11 Uhr -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Im Sommer 2005 fuhr ich mit einem Team junger Journalisten zu einer Reportagereise nach Sarajevo, der Hauptstadt von Bosnien-Herzegowina.

Es sind 1.300 Kilometer bis dorthin, in 24 Stunden schafft man die Strecke mit dem Auto. Der Bürgerkrieg war damals gerade 10 Jahre vorbei.

Bis 2005 kannte ich Krieg nur aus dem Geschichtsunterricht, aus Büchern und Filmen, aus den Erzählungen meiner Oma.

In Sarajevo waren die Zerstörung, der Hass, das Elend so präsent wie in keinem Buch, in keiner Fernsehdokumentation. In Bosnien gab es noch immer Minenfelder, Ruinen und Sprengfallen, unveränderte Frontverläufe. Wir sahen Kinder, die mit scharfen Waffen spielten. Wir trafen Menschen meines Alters, die Soldaten waren. Wir sprachen mit Frauen, die gefoltert wurden, mit Familien, die vertrieben wurden.

Die Wunden bleiben, der Hass wird nicht kleiner.

Im Sommer 2005 änderte sich mein Bild vom Krieg. Und davon, dass Krieg etwas ist, dass „früher“ war oder „weit weg“ ist.

Damals wurde mir bewusst, wie fragil Frieden ist.

Wir haben heute 72 Jahre lang Frieden in Deutschland und in weiten Teilen Europas. 72 Jahre. Das ist nahezu ein ganzes Menschleben. Wer Ende des Jahres 1945 geboren wurde, hat eine kontinuierliche Phase des Friedens erleben dürfen.

Ich möchte, dass meine Eltern, wie auch meine Generation und auch meine Kinder an ihrem Lebensende sagen können: Ich hatte ein friedliches Leben, ein Leben ohne Krieg, Zerstörung, Hunger und Leid.

Aber bei all dem, was gerade um uns herum passiert, kommen mir Zweifel, ob wir das schaffen. Der europäische Frieden wird bedroht von einer globalen, autoritären, und politisch immer stärker rechts gerichteten Bewegung.

Diese Bewegung bedient sich nicht nur dem Rassismus, der abwertenden Fremden- und Homosexuellenfeindlichkeit, der Furcht und Angst, sondern auch der Gewalt. Ihre Leitfiguren sind Erdogan in der Türkei, Orbán in Ungarn, Putin in Russland, Kaczynski in Polen, Wilders in Holland, Le Pen in Frankreich und Frauke Petry und Konsorten in Deutschland. Und nun auch noch Trump.

Der Soziologe Rainer Rilling hat letztens in einem klugen Aufsatz die Gemeinsamkeiten aller gerade Aufgezählten genannt:

  • erstens und ausnahmslos die großen oft religiös motivierten Erzählungen des Nationalismus und/oder des Völkischen,
  • zweitens die Verortung in marktradikalen oder autoritären Varianten des Neoliberalismus
  • drittens eine undemokratische, oft populistisch-autoritäre, zumeist charismatische Selbstinszenierung als unmittelbare Stimme des Volkes

Sollte sich diese autoritäre rechte Bewegung weiterentwickeln, kann es zur Entstehung einer konkurrierenden, populistisch und nationalistisch dominierten neuen Weltordnung kommen.

Soweit darf es niemals kommen!

Passt uns gegenhalten! Lasst uns – so wie heute – friedlich, mit demokratischen Mitteln, mit Optimismus, etwas Utopie und mit fester Zuversicht für ein friedliches Europa, für eine friedliche Welt eintreten!

Wir leben in einem Land, dass sich trotz aller Unterschiede, Konflikte, Ungerechtigkeiten so kontinuierlich zu einem der wichtigsten Staaten in Europa und der Welt entwickelt hat. Wir leben in einem Land mit der Erfahrung zweier friedlich vereinigter Staaten. Das erfüllt mich mit der Hoffnung, dass friedliche Umbrüche und positive Veränderungen in unserer Demokratie möglich sind.

Das Gefühl der Sicherheit, des Wohlstandes, der Beständigkeit kann sehr trügerisch sein. Die Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit, kein natürlich gegebener Zustand, sondern eine Entscheidung, die wir immer wieder treffen müssen.

Demokratie muss verteidigt, beschützt, gepflegt werden; im Parlament genauso wie auf der Straße, in der Schule, bei der beruflichen Mitbestimmung, beim Umgang mit Fremden. Demokratie ist keine Zuschauervorstellung. Sie ist eine Mitmach-Bewegung.

Deswegen danke ich allen, die heute hier sind! Ihr macht Demokratie lebendig!

Demokratie und Frieden in Deutschland gehören für mich zusammen. Das ist eben nicht nur die Abwesenheit von Krieg. Es ist vielmehr die bewusste Entscheidung für Pazifismus.

Nur, wenn wir Kriege prinzipiell ablehnen, bewaffnete Konflikte aktiv vermeiden und friedliche Lösungen suchen, werden wir unsere Demokratie und unseren Frieden bewahren können.

Deswegen bereitet es mir Sorge, wenn ich sehe, dass die Bundeswehr in Schulen wirbt, wenn 17-Jährige für Kriegseinsätze gewonnen werden. Es macht mir Sorge, wenn die Bundeswehr genau da auftritt, wo Ausbildungsplätze rar und soziale Chancen schlecht sind, wo Versprechen nach Geld und Abenteuer auf fruchtbaren Boden fallen.

Um es mit der Aktion „Unter 18 nie“ zu sagen: Unter 18-Jährige dürfen in Deutschland nicht wählen, sie dürfen nicht selber Auto fahren oder gewaltverherrlichende Videospiele spielen.

Jungen und Mädchen dürfen aber mit 17 Jahren zur Bundeswehr gehen, dort Panzer lenken und in Techniken der realen Kriegsführung ausgebildet werden, einschließlich der simulierten Tötung. Sie bekommen dort dasselbe militärische Training wie Erwachsene. Das Jugendarbeitsschutzgesetz gilt ebenso wenig wie besondere Maßnahmen zum Schutz vor sexueller Belästigung oder Missbrauch.

Tun wir gemeinsam alles dafür, diese Rekrutierung und Gefährdung von Minderjährigen zu stoppen!

Sorgen wir gemeinsam dafür, dass kein Soldat mehr eine Schule betreten darf, um junge Menschen für Kriegseinsätze zu werben.

Es bereitet mir Sorge, wenn ich lese, dass deutsche Soldaten in Litauen präsent sind, um Europa vor Russland zu schützen. Bis zum Sommer sollen mehr als 1000 Soldaten zeitweise stationiert sein, allein etwa 450 von der Bundeswehr. Im Zweiten Weltkrieg brachte die Wehrmacht Leid über Litauen, nun soll die deutsche Beteiligung im Nato-Einsatz eine positive Verbindung schaffen. Das hat mehr als einen faden Beigeschmack, das sieht nach Aggression und Eskalation aus.

Es bereitet mir Sorge, wenn Rüstungsunternehmen wie Rheinmetall Millionen mit dem Betrieb eines Truppenübungsplatzes wie hier in der Colbitz-Letzlinger Heide verdienen.

Rheinmetall – das im zweiten Weltkrieg jüdische Frauen, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene als billige Arbeitskräfte ausbeutete und am Krieg, am Sterben und Leid verdiente und das heute noch tut.

Es bereitet mir Sorge, dass Bundesfinanzminister Schäuble in diesem Jahr fasst allen Ressorts Sparzwänge auferlegt, dem Militäretat aber einen enormen Aufwuchs für 2017 und die Folgejahre zusagt.

Bundesregierung und Koalition wollen auf diese Weise die Truppen näher an Russland rücken, bei uns in der Colbitzer-Letzlinger Heide ein gigantisches Gefechtsübungszentrum ausbauen und Rüstungsvorhaben freien Lauf lassen. Das ist der Weg in eine neue Form des kalten Krieges!

Wir sollten es doch aus der Geschichte gelernt haben: Geld, das fürs Töten ausgegeben wird, ist weder sinnvoll noch nachhaltig.

Bis 2005 kannte ich Krieg nur aus dem Geschichtsunterricht, aus Büchern und Filmen, aus den Erzählungen meiner Oma.

Aber er war Anfang der 90 Jahre nur 1300 Kilometer, nur 24 Auto-Stunden entfernt. Er säte Hass und Leid, die bis heute anhalten. Seine jüngsten Wunden in Europa sind noch immer nicht verheilt.

2005 wurde mir bewusst, wie fragil der Frieden ist.

Lasst ihn uns gemeinsam beschützen.

Lasst uns gemeinsam für eine friedliche, humane und gerechte Welt einstehen.

 

Kristin Heiß ist Abgeordnete im Landtag Sachsen-Anhalt für die Partei Die Linke.