Redebeitrag von Lorenz Gösta Beutin (Die Linke) für den Ostermarsch Jagel in Schleswig am 14. April 2017

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Bei einem Luftangriff auf ein Schulgebäude in Syrien werden 33 Zivilisten getötet. Die Daten für den Angriff sind mutmaßlich von deutschen Tornados geliefert worden, die aus Jagel stammen. Tage später werden wieder Zivilisten bei einem mutmaßlichen Giftgasangriff getötet. Nach dem Luftschlag der USA in Syrien gab es erneut Berichte über zivile Opfer. Am Tag des US-Lufschlags ein Terroranschlag, diesmal in Stockholm. Die Welt scheint aus den Fugen geraten, Zeit zum Luftholen, nachdenken bleibt kaum.

Manchmal hört man die Nachrichten und denkt: Was soll da noch kommen? Gestern haben die USA zum ersten Mal die MOAB, die „mother of all bombs“, die größte nicht-atomare Bombe eingesetzt. Ausgerechnet in einem sogenannten Sicheren Herkunftsstaat, in Afghanistan. Was soll da noch kommen? Mittlerweile können wir uns wohl viele Eskalationsstufen vorstellen, bis hin zu einem Einsatz von Nuklearwaffen. Eine besorgniserregende Situation.

Viele haben beschwichtigt, nach der Wahl Trump. Man solle erstmal abwarten, es werde schon nicht so schlimm kommen. Doch, es ist so schlimm gekommen. Nicht nur, was die Aufkündigung der Klimaschutzverträge angeht oder der Rassismus gegen Migranten. Auch friedenspolitisch. Die Bombardierung syrischer Truppen war symbolhaft: Sie hat stattgefunden ohne Beweise, ohne völkerrechtliche Legitimation. Und plötzlich genießt Trump Ansehen, bei von der Leyen, Merkel, Gabriel. Man könnte den Eindruck gewinnen, in Deutschland sind ausländische Staatsmänner nur etwas wert, wenn sie Kriege führen, vor allem völkerrechtswidrig müssen diese Kriege sein.

Das Völkerrecht in seiner gegenwärtigen Form ist eine Konsequenz aus dem Zweiten Weltkrieg und sollte eine Verrechtlichung der internationalen Beziehungen zwischen Staaten erreichen. Momentan stehen wir vor einem Scherbenhaufen. Es hat eine massive Entrechtlichung in den internationalen Beziehungen stattgefunden, verbunden mit der Entmachtung der Vereinten Nationen. Sollte das Völkerrecht ein Instrument sein, um Kriege nach Möglichkeit zu verhindern, so ist sein Bedeutungsverlust ein Ausdruck der heutigen kriegerischen Zeiten. Als Friedensbewegte sollten wir energisch auf die Einhaltung des Völkerrechts bestehen, auf zivile internationale Konfliktlösungen statt der immer weiter eskalierenden vermeintlichen Logik des Kriegerischen.

Neben der Entrechtlichung der internationalen Beziehungen hat auch eine massive Enthistorisierung stattgefunden. Wer es noch wagt, auf die historische Entwicklung aktueller Konflikte hinzuweisen, auf geostrategische Ursachen, auf Wirtschaftsinteressen wird vom Chor der moralisch Empörten niedergeschrien. Doch die aktuellen Konflikte haben alle ihre Ursachen, und unsere Aufgabe ist es, Licht ins Dunkel zu bringen.

Im Falle Syriens heißt es, daran zu erinnern, dass der Diktator Assad den USA jahrelang sein Land als Folterkeller der USA zur Verfügung gestellt hat. Dass die islamistischen Kräfte in Syrien ausgerüstet und finanziert worden sind nicht nur von der Türkei oder Qatar, auch von den USA, schauen wir uns beispielsweise die Nusra-Front an. Dass bei den Luftschlägen der USA genauso Zivilisten umkommen, wie bei den Einsätzen der Russen oder Syriens oder dem Terror des IS. Es gibt längst keine moralische Überlegenheit in diesem Krieg.

Zur Historie gehört es auch, sich die Geschichte nach dem Ende des Kalten Krieges anzuschauen. Die Behauptung vom „Ende der Geschichte“. Die NATO auf der Suche nach einem neuen Gegner. Die Ostausdehnung der NATO und der Raketenabwehrschirm, trotz anderlautender Zusagen an Russland. Oder die Demütigung der Ablehnung des russischen Ersuchens nach einem NATO-Beitritt. Dass ich nicht falsch verstanden werde: Ich finde die russische Unterstützung faschistischer Kräfte in Europa fatal, ich finde Putins autokratisches System nach innen und außen fatal. Aber all dies hat eine Vorgeschichte. Und deshalb finde ich den Vorschlag der Linken, die NATO durch ein kollektives Sicherheitssystem unter Einschluss Russlands zu ersetzen, richtig. Es wird für die aktuellen Konflikte nur eine Lösung geben, wenn Russland einbezogen wird.

Als Friedensbewegung sollte es unsere Aufgabe sein genau diese Punkte in die Debatte zu bringen: Es müssen wieder rechtliche Grundlagen in den internationalen Beziehungen eingehalten werden. Aktuelle Konflikte werden sich nur lösen lassen, wenn ihre Vorgeschichte betrachtet und alle Interessen der beteiligten Kräfte berücksichtigt werden.

Dazu zählt auch die Diskussion über Fluchtursachen. Viel zu sehr kommt in der öffentlichen Diskussion zu kurz, dass es Deutschland ist, dass mit verantwortlich ist, auf vielerlei Arten. Heute, bei unserem Ostermarsch, nenne ich zuvorderst natürlich die Frage des Militär- und Rüstungsstandortes Schleswig-Holstein. Aus Schleswig-Holstein werden Soldatinnen und Soldaten in die Konflikte dieser Welt entsandt. Seien es SoldatInnen aus Eutin nach Mali oder aus Jagel in die Türkei. Von den in Jagel stationierten Tornados werden Bilder genutzt für Angriffe, bei den auch Zivilsten zu Tode kommen. Und die Bundesregierung konnte unserer Fraktion nicht die Frage beantworten, ob der NATO-Partner Türkei die Daten eventuell auch nutzt, um gegen kurdische Stellungen vorzugehen. Die einzige Antwort: Die Türkei habe zugesichert, das nicht zu tun. Doch die Tornados sind Teil des verheerenden Deals. Sie abzuziehen, den Deal mit der Türkei aufzukündigen, ist längst überfällig.

Zu den Fluchtursachen zählen auch die deutschen Rüstungsexporte. Der IS kämpft längst mit erbeuteten deutschen Waffen, der Leopard-Panzer findet sich auch in den Reihen der islamistischen Terrorbande. Anlässlich des Red Hand Days wurde darauf hingewiesen, dass ein Großteil der Kindersoldaten weltweit ausgestattet ist mit deutschen Handfeuerwaffen. Oder Exporte von Panzern, U-Booten oder Luftfahrtechnik – die Rüstungsindustrie in Schleswig-Holstein boomt. Wenn wir also über Kriegsursachen reden, müssen wir darüber reden, dass der Krieg hier beginnt. Hier wird für den Krieg geforscht, hier wird für den Krieg produziert, hier werden Fluchtursachen geschaffen.

Deshalb sind wir als Friedensbewegung solidarisch mit Geflüchteten. Deshalb prangern wir an, dass Geflüchtete im Mittelmeer ertrinken, dass sie häufig schon viel früher den Tod finden, auf dem Weg nach Nordafrika, in die Wüste. Deshalb kritisieren wir, dass es nicht darum geht, zu schauen, wie die Ursachen von Kriegen beseitigt werden können, sondern darum, wie die Opfer auch der deutschen Politik möglichst ferngehalten werden können, so dass sie im Bewusstsein der Öffentlichkeit nicht mehr stattfinden.

Und tatsächlich, es wird nicht reichen, an den Friedenswillen zu appellieren, es wird nicht reichen, Werte wie Vernunft oder universelle Rechte zu betonen, wenn wir dauerhaft etwas für den Frieden tun wollen, werden wir uns mit den Mächtigen anlegen müssen, werden wir uns mit denen anlegen müssen, die die Kriege vorbereiten, aber vor allem auch mit denen, deren Geschäft der Tod ist, die am Krieg verdienen und die, solange sie diese Macht haben, nicht zulassen werden, dass Frieden herrscht.

Nein, das ist kein leichter Weg. Und viele, die heute hier mit uns stehen, gehen ihn schon lange, haben viel Hoffnung gesehen, aber auch Rückschläge. Wenn wir uns hier in Schleswig-Holstein hinter die Infostände stellen, beim Ostermarsch für den Frieden demonstrieren oder an vielen Orten aufklären, argumentieren, versuchen wir unseren Teil dazu beizutragen, dass die Welt eine andere, bessere werde, für alle Menschen, die hier und anderswo in Frieden leben wollen. Wir werden weiter für die Werte der Vernunft und der Solidarität kämpfen. Wir wissen aber auch, dass das nur Erfolg haben kann, wenn alle, die Humanität und Gerechtigkeit verteidigen, zusammenstehen, und wenn denen, die an Krieg und Terror verdienen, das Handwerk gelegt wird: Die Finanzströme, die den Terror finanzieren, müssen trockengelegt werden. Waffen dürfen nicht mehr in Krisenregionen exportiert werden. Ursachen für Kriege und Flucht müssen bekämpft werden. Das bedeutet auch, für eine gerechte Weltordnung einzutreten. Das alles erfordert von uns den Mut, uns dem Hass und der Angst nicht zu ergeben, sondern gemeinsam solidarisch zu handeln.

 

Lorenz Gösta Beutin ist Landessprecher Die Linke Schleswig-Holstein.