Redebeitrag von Sevim Dagdelen (MdB Die Linke) für den Ostermarsch Rheinland in Düsseldorf am 15. April 2017

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

- Sperrfrist: 15.04., Redebeginn: ca. 15 Uhr -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

 

Neue US-Kriege stoppen – Beihilfe der Bundesregierung beenden

Man kann nicht umhin, die Zeichen dieser Zeit zu erkennen.

Wer sehen will, der sieht. Und wer hören will, der hört.

 

Wir können nicht umhin, zu erkennen. Die Welt steht in Brand. Wir leben in den Zeiten des Krieges. 60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. So viele wie noch nie. Allein der syrische Stellvertreterkrieg hat in den letzten Jahren 400.000 Menschen das Leben gekostet. Im Jemen leiden in Folgen der saudischen Invasion - unterstützt auch mit deutschen Waffen - 7 Millionen Menschen Hunger. Eine ganze Region von Libyen bis Afghanistan steht in Flammen.

Und als wollten die USA ihren Beitrag zu diesem Elend weiter erhöhen, beschloss vor wenigen Tagen, nach dem Genuss eines Schokoladenkuchens wie er selbst prahlte, der neue US-Präsident Trump einen syrischen Militärflugplatz mit Marschflugkörpern anzugreifen, unter dem Vorwand die syrische Regierung habe von hier aus Giftgas eingesetzt. Dieser Angriff stellte einen gravierenden Bruch des Völkerrechts dar. Beweise oder gar Belege für eine Urheberschaft des Assad-Regimes blieb Trump ganz selbstverständlich schuldig. Dieser Angriff der USA auf Syrien war nichts anderes als ein großes Verbrechen. Er reiht sich ein in die Kriege gegen Jugoslawien 1999 oder den Irak 2003. Und wir erinnern uns: auch hier wurde, was die Legitimation des Angriffe anging, gelogen, dass sich die Balken bogen, um den Krieg vorbereiten zu können. Scharpings Hufeisenplan wurde nie gefunden, ebenso wenig wie die Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins.

Wir aber sagen NEIN zu diesen Kriegslügen. Wir verurteilen den Angriff des US-Präsidenten. Und wir erwarten von der deutschen Bundesregierung, dass sie ebenso klar und deutlich diese üble Attacke als Völkerrechtsbruch benennt und klarstellt, US- oder NATO-Militärbasen in Deutschland dürfen für die angekündigten weiteren Verbrechen des US-Präsidenten nicht genutzt werden!

Doch was hat die Bundesregierung bisher getan? Ganz im Gegensatz zu einer Verpflichtung auf Grundgesetz und Völkerrecht, hat sie den Angriff der USA als „nachvollziehbar“ bezeichnet. Und hier passte kein Blatt Papier zwischen Außenminister Sigmar Gabriel von der SPD und Frau von der Leyen von der Union. Wer als Minister Verbrechen als nachvollziehbar oder als richtig bezeichnet, der sollte seinen Hut nehmen. Wer als Minister das Völkerrecht derart mit Füßen tritt, für den ist der Krieg der Vater aller Dinge, nicht aber der Frieden. Und wir verurteilen diese kriminelle Haltung aufs das Schärfste.

Wir sagen: Wer seinen Amtseid auch nur ein Stück weit ernst nimmt, der darf internationale Verbrechen nicht als nachvollziehbar bezeichnen und unterstützen.

Und wir müssen wirklich genau hinschauen, um uns weder von der Macht der anderen, noch der eigenen Ohnmacht dumm machen zu lassen.

Wir müssen genau hinschauen, um nicht dem propagandistischen Trommelfeuer zu erliegen. Ich will euch nur zwei Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit nennen. In der Sendung Anne Will behauptete die Verteidigungsministerin von der Leyen die UN habe bereits 2013 festgestellt, dass Assad in Syrien Giftgas eingesetzt habe. Diese Aussage blieb vor einem Millionenpublikum unwidersprochen. Doch diese Aussage ist schlicht eine Lüge, wie selbst der Faktencheck der Tagesschau Tage später einräumen musste. Doch wer liest das denn, die Lüge der Verteidigungsministerin bleibt hängen und soll ja die Zuweisung der Verantwortung auch dieses Mal quasi vorwegnehmen.

Der zweite Fall ist der des Nahostexperten Michael Lüders, auf den seit dieser Sendung und Lanz eine regelrechte mediale Hetzjagd eingesetzt hat, wegen angeblicher Falschbehauptungen. Dabei hatte Lüders lediglich darauf hingewiesen, dass die Täterschaft für die Giftgasangriffe in Syrien ungeklärt ist und dass es auch Berichte gäbe, die über Lieferungen von Materialien zur Giftgasherstellung durch den türkischen Geheimdienst an islamistische Terrormilizen in Syrien berichteten. Dabei leistete sich Lüders eine einzige Ungenauigkeit, denn er sagte, dass wegen dieser Berichte auch der ehemalige Chefredakteur der türkischen Zeitung Cumhuriyet vor Gericht gestanden habe. Ich war beim Prozessauftakt dabei: Dündar aber stand vor Gericht wegen des Berichts von Waffenlieferungen des türkischen Geheimdiensts an islamistische Terrormilizen.

Das Portal Correctiv, dass von Facebook für das Aufspüren falscher Nachrichten beauftragt wird, setzte in der Folge, offenbar mit der Absicht den unliebsamen Experten Lüders zu diskreditieren, die Falschmeldung in Umlauf, die Zeitung Can Dündars habe niemals über Giftgaslieferungen berichtet. Dabei konnte sie darauf bauen, dass 95% ihrer Leser des Türkischen nicht mächtig sind und somit diese Fake News von Correctiv nicht überprüfen konnten.

Aber die Zeitung Cumhuriyet allerdings hatte mehrfach nachprüfbar über Lieferungen aus der Türkei für Giftgasproduktion durch islamistische Terrormilizen berichtet. Ich werde die entsprechenden Artikel in Kürze auch in deutscher Übersetzung selbst auf meiner Internetseite dokumentieren. Auch ein Portal, dass für die Korrektur falscher Nachrichten bezahlt wird, sollte doch in der Lage sein, eigene fake news zu korrigieren, auch wenn dies vielleicht nicht im Interesse der Auftraggeber sein sollte.

Wir sehen aber an diesen zwei Beispielen, wie wichtig es ist sich in den Zeiten der Kriegslügen sich nicht dumm machen zu lassen, um sich Leuten, denen das Lutherwort: „Auf fremden Mannes Arsch reitet sichs gut durchs Feuer“ offenbar ein Lebensmotto geworden ist. Leute, denen offenbar jedes Mittel recht ist.

Die Zeiten des Krieges sind auch die Zeiten George Orwells. Das ist der Kern seines Werks 1984. Sie sind die Zeiten der Kriegslügen. Und wie vorgegangen wird, um den Massenmord zu verharmlosen, um ihn eingängig zu machen, sehen wir jetzt, als vor wenigen Tagen die größte nicht-atomare Bombe der Welt von den USA zum ersten Mal abgeworfen wurde. In Afghanistan, angeblich gegen IS-Kämpfer. Wir wissen nicht, ob das stimmt. Was wir aber wissen und hören ist die liebevolle Benennung dieser Bombe als „Mutter aller Bomben“. Eine Mutter also, eine Liebende fürsorgliche Mutter wurde abgeworfen, die allein dem Namen nach nichts als Fürsorge und Liebe verbreitet. George Orwells Zukunftsroman ist die Gegenwart. Krieg ist Frieden. Tod und Entsetzen sind Liebe und Fürsorge.

Und gegen diese unerträglichen Verharmlosungen stehen wir heute hier, gegen diese elenden Beschönigungen sagen wir heute hier: Nie Wieder! Wir wollen keinen Krieg!

Wir sagen der Einsatz dieses Massenvernichtungsmittels ist nichts als schnöder Massenmord durch den US-Präsidenten Trump. Sagte ich Massenmord? Ja richtig Massenmord! Und die Bundesregierung leistet hier auch noch Beihilfe, indem sie die US-Basen hier offenhält, über die der Nachschub läuft und sich am Krieg in Afghanistan beteiligt. Und wir wollen, dass diese Beihilfe zum Massenmord endlich beendet wird. Wir wollen die Schließung der US-Basen hier in Deutschland! Wir wollen, dass die Bundeswehr endlich aus den Auslandseinsätzen zurückholt wird, ob in Mali, Syrien oder Afghanistan.

Oft wird ja um die Auslandseinsätze der Bundeswehr zu rechtfertigen, darauf verwiesen, es handele sich dabei um humanitäre Interventionen, also den Einsatz von Militär zu humanitären Zwecken. Das ist, wenn man so will, die säkulare Variante des früher auch in Europa religiös verbrämten gerechten Krieges, der sich die Bundesregierung aus Union und SPD verpflichtet fühlt. Lassen wir einmal das Argument außer Acht, das Bomben selbstverständlich keinen Frieden schaffen, sondern lediglich den Nährboden für den Terror befruchten. Aber wenn wir die Bundesregierung einmal ernst nehmen, mit ihrer Verpflichtung auf humanitäre Interventionen, dann frage ich mich, warum diese Bundesregierung angesichts der schlimmsten Hungerkrise in vier Ländern auf der arabischen Halbinsel und in Afrika, Nigeria, Südsudan, Somalia und Jemen, von der rund 20 Millionen Menschen betroffen sind, allein im Südsudan akut 100.000 vor dem Hungertod stehen, nicht einmal bereit ist, die Bitten der UN für die humanitäre Soforthilfe zu erfüllen, damit nicht hunderttausende Menschen bis zum Sommer dort verhungern. Warum tut die Bundesregierung dies nicht? Warum ist sie nicht bereit, diese Menschenleben zu retten? Warum lässt sie die Menschen dort einfach sterben? Warum schaut sie zu? Warum ist ihr dies keine humanitäre Intervention wert?

Schaut die Bundesregierung hier etwa zu, weil sich mit der Hungerhilfe nicht die Profite deutscher Rüstungskonzerne mästen lassen? Schaut die Bundesregierung hier zu, weil sich mit der Hungerhilfe keine globale Machtprojektion zur Erleichterung von Rohstoffzugängen und Marktöffnungen in die Wege leiten lässt? Schaut die Bundesregierung zu, weil sich mit der Hungerhilfe eben kein Regime-Change zur Beseitigung unliebsamer Regierungen machen lässt?

Wir wissen es nicht, aber ich glaube wir können sagen, es gibt starke Indizien dafür, dass dem so ist.

Um hunderttausende von Menschen vor dem Hungertod zu retten, ist kein Geld da, ebenso wenig wie für die Wiederherstellung des Sozialstaats, für sichere Renten und gute Löhne. Dafür ist ja auch kein Geld da. Wofür die Koalition allerdings Geld hat, ist eine Erhöhung des Rüstungshaushalts. Ja dafür ist Geld da. SPD und Union erhöhen die Ausgaben für Militär und Rüstung um sage und schreibe 8% auf 37 Milliarden Euro. Das soll nun jedes Jahr so weitergehen. Und ich finde das angesichts der Hungerkrise und der fehlenden Mittel für soziale Sicherheit ungeheuerlich. Wer so handelt, handelt nicht nur verantwortungslos, nein der weiß, dass seine Politik das Leben vieler Menschen kosten wird.

Und es ist doch perfide, dass SPD und Union zugesagt haben, den Wünschen der NATO nachzukommen und die Rüstungsausgaben auf 2% des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. Das wäre dann fast eine Verdoppelung auf insgesamt 63 Milliarden Euro. Und wenn ich jetzt von Sigmar Gabriel höre, dass wäre jetzt doch etwas viel, man wisse dann gar nicht mit den ganzen Rüstungsgütern wohin, dann kommt einem doch in den Sinn, das in wenigen Monaten Bundestagswahl ist und dass sich eine Verdoppelung der Rüstungsausgaben nicht so gut macht. Aber allein, dass man jetzt einen Rüstungswettlauf in Europa beginnt, ist einfach nicht zu fassen. Der Friedensnobelpreisträger Willy Brandt würde sich im Grabe umdrehen.

Und ich finde das muss sofort aufhören. Wir brauchen Abrüstung statt Aufrüstung! Wir brauchen soziale Sicherheit und humanitäre Hilfe statt Kriegstreiberei und volle Auftragsbücher für deutsche Rüstungskonzerne.

2017 stehen wir mitten in einem neuen Kalten Krieg. Und die Bundesregierung will offenbar ihren Anteil leisten, mit einem Rüstungswettlauf um Russland totzurüsten, um der Gefahr aus Moskau für die NATO zu begegnen. Das ist nachgerade aberwitzig. Die Militärausgaben der NATO liegen beim 13 fachen der russischen Ausgaben. Allein die USA geben jährlich 600 Milliarden Dollar für Rüstung aus. Und die Bundesregierung hat jetzt auch noch zugesagt, zusätzlich zu den massiven von US-Präsident Trump angekündigten Erhöhungen des US-Militärhaushalts, ein Ziel anzustreben, dass Oberhalb der russischen Rüstungsausgaben liegt. Das muss man klar und deutlich benennen, als das was es ist, das ist Kriegstreiberei.

Und man muss wahrlich kein Freund der russischen Außenpolitik sein oder des russischen Präsidenten Wladimir Putins, dass es nicht Russland war, wie einige so gern behaupten, das an die NATO herangerückt ist, sondern die NATO durch kontinuierliche Erweiterungen an Russland herangerückt ist. Und es ist ein friedenspolitischer Offenbarungseid dieser Bundesregierung, dass jetzt 65 Jahre nachdem Überfall Nazideutschland auf die Sowjetunion, deutsche Soldaten an der russischen Westgrenze stehen. Das ist geschichtsvergessen und trägt lediglich zu einer weiteren Eskalation bei.

In der heutigen Zeit ist es angesichts der US-Aggression und der Beihilfe der Bundesregierung nicht übertrieben, von einer wachsenden Weltkriegsgefahr zu sprechen. Man muss sich nur einmal vorstellen, beim nächsten Raketenschlag Trumps werden auch russische Soldaten in Syrien getroffen oder Trump setzt seine Pläne für einen Präventivkrieg gegen Nordkorea um.

Der kategorische Imperativ dieser Zeit ist: Wer den großen Krieg verhindern will, der muss den Kriegstreibern im eigenen Land in den Arm fallen. Wir dürfen die Trumps und ihre Helfershelfer mit ihren mörderischen Kriegsszenarien nicht durchkommen lassen! Die Kriege Trumps und seiner Oligarchen-Clique sind schlicht imperialistische Interessendurchsetzung. Sie zielen letztendlich darauf, für Großkonzerne den Zugang zu billigen Rohstoffen und besten Verwertungsbedingungen zu garantieren. Darum geht es und um nichts anderes!

Die NATO aber, in der diese imperialistischen Interessen ausgeglichen und gebündelt werden sollen, ist nicht nur ein Kriegsführungsbündnis. Es ist auch ein Militärpakt, der nie ein Problem damit hatte Diktaturen in seinen Reihen zu wissen. Aktuell ist es die Türkei. Erdogan will mit dem Referendum, das morgen stattfindet, seine Diktatur legalisieren. Der Ausnahmezustand soll zum Normalzustand werden. Um eine Mehrheit für das Ja zu erreichen, ist ihm nahezu jede Manipulation recht. Die Nato hat hingegen es nicht einmal für nötig befunden, Erdogans permantem Putsch auch nur mit einer Sitzung in Brüssel zu begegnen. Zu wichtig ist Ankara und Erdogan für eine Politik des Regime Changes in Syrien und um Syrien für Russland in das Afghanistan der Sowjetunion verwandeln zu können. Jahrelang blickte man vornehm weg, denn über die Türkei lief die Bewaffnung der islamistischen Terrormilizen. Doch nicht nur in Brüssel unterstützte man Erdogan weidlich, auch Berlin wollte nicht zurückstehen.

Vor entscheidenden Abstimmungen konnte sich Erdogan wie jetzt im Februar sicher sein, dass ein Besuch der Kanzlerin ihn entsprechend aufwerten würde und alle Zweifel zu zerstreuen, es handle sich bei hunderttausend Entlassenen und zahntausenden Verhafteten um mehr als ein Kavaliersdelikt.

Ich finde diese Kumpanei unerträglich. Auf die seufzende Frage man könne nichts tun gibt es unmissverständliche Antworten: 1. Der Beitrittsprozess muss gestoppt werden, damit auch die 630 Millionen Euro an Vorbeitrittshilfen für Erdogan eingefroren werden können. 2. Die Bundeswehr muss raus. Die Unterstützung über die Stationierung in Konya und Incirlik ist mehr als perfide. 3. Die Pläne die Zollunion zu erweitern, um Erdogan ökonomisch zu retten, müssen auf Eis gelegt werden.

Allen voran aber muss die Bundesregierung die Rüstungsexporte stoppen! Ich frage mich, warum geht das Gros der Rüstungslieferungen weiter, obwohl diese Waffen in Erdogans Krieg gegen die Kurden in der gesamten Region verwendet werden und die Bundesregierung auf unsere Anfragen hin nicht einmal ausschließen kann, dass damit islamistische Terrormilizen in  Syrien aufmunutioniert werden.

Und wir sind hier in Düsseldorf. Hier ist der Sitz der Rüstungsschmiede Rheinmetall. Und die Bundesregierung stoppt nicht die geplante Beteiligung von Rheinmetall an einer Panzerfabrik in der Türkei nicht einmal in diesen Zeiten. Ich finde anders als die Bundesregierung brauchen wir keinen Pakt mit Erdogan, wir brauchen einen Pakt mit der Opposition in der Türkei, einen Pakt mit den politisch Verfolgten, die sich dieser Diktatur, die sich denjenigen, die die Türkei in einen islamistischen Unterdrückungsstaat verwandeln wollen, mutig entgegenstellen und Nein sagen!

Unsere Solidarität muss konkret sein, Stoppen wird den Merkel-Erdogan-Pakt! Stoppen wir die Rüstungsschmiede Rheinmetall bei ihren Plänen für die Produktion von Panzern in der Türkei, von denen wir sicher sein können, dass damit nur wenig später die Al-Kaida-Schergen in Syrien herumfahren werden!

 

Sevim Dagdelen ist Abgeordnete des Deutschen Bundestag für die Partei Die Linke.