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Liebe Freundinnen und Freunde,
Es ist Ostern 2018, der »Kalte Krieg« ist seit fast dreißig Jahren vorbei. Damals hofften wir auf eine »Friedensdividende« einschließlich der raschen Abrüstung von Atomwaffen. Und heute? Heute fällt Spitzenpolitikern von Atomwaffenstaaten nichts Besseres ein, als mit »dem Größten« anzugeben.
Den Auftakt machte an Neujahr der nordkoreanische Staatsführer Kim Jong-un, als er stolz verkündete, auf seinem Schreibtisch befände sich immer der „Atomwaffen-Knopf“. Prompt twitterte US-Präsident Donald Trump, „[...] dass ich auch einen Atomwaffen-Knopf habe, aber der ist viel größer und mächtiger als seiner, und mein Knopf funktioniert!“. Wenige Wochen später zog der russische Präsident Wladimir Putin in seiner »Rede zur Lage der Nation« nach. Er stellte der Weltöffentlichkeit einige neue Atomwaffentypen mit nahezu magischen Fähigkeiten vor – die einen sind real, die anderen wohl eher Wunschfantasien für einen nuklearen Vernichtungskrieg.
Sind das nur drei Männer, die sich benehmen wie Halbstarke auf dem Schulhof? Manche sagen, nimm die doch nicht so ernst. Doch, die nehme ich ernst, das sollten wir alle tun, denn wir sind Zeugen eines neuen, eines gefährlichen Rüstungswettlaufs mit Atomwaffen!
Dass die Zahl der Atomwaffen weltweit langsam sinkt, ist vor allem den noch gültigen Abrüstungsverträgen zwischen den USA und Russland zu verdanken. Dennoch gibt es weiterhin 15.000 nukleare Sprengköpfe auf der Welt, ein Großteil davon viel gewaltiger als die Bomben von Hiroshima und Nagasaki. Und auch die vorhandenen Abrüstungsverträge stehen inzwischen zur Disposition.
Das ist Wahnsinn, das dürfen wir nicht einfach so hinnehmen!
Aufrüstung von Atomwaffen
Vor etwa zwei Monaten wurde die »Doomsday Clock«, die »Weltuntergangsuhr« des Bulletin oft the Atomic Scientist, vorgestellt: auf zwei Minuten vor zwölf. So nahe an Mitternacht stand die Uhr seit 1953 nicht mehr, als die USA und die Sowjetunion ihre ersten Wasserstoffbomben testeten und das Wettrüsten richtig Fahrt aufnahm.
65 Jahre später legte die US-Regierung unter Donald Trump kürzlich ihren »Nuclear Posture Review« vor, ihre »Überprüfung des nuklearen Einsatzkonzeptes«. Das Dokument sieht für die USA „eine maßgeschneiderte nukleare Strategie und flexible [nukleare] Fähigkeiten“ vor, u.a. mit neuen Raketen und Marschflugkörpern für U-Boote. Atomwaffen aller Größen sollen das US-Arsenal bestücken – von Megatonnen bis zu »mini nukes«. Selbst eine neue Stationierung von Mittelstreckenraketen bei uns in Europa wird nicht ausgeschlossen – es droht eine neue Nachrüstungsdebatte. Um seine Nuklearstrategie umzusetzen, braucht Trump Geld, viel Geld. Schon unter Obama sah die Langfristplanung der USA für die nächsten 30 Jahre mehr als eine Billion US-Dollar für die nukleare Bewaffnung vor. Trump fordert vom Kongress dafür noch deutlich mehr Geld.
Alle anderen Atomwaffenstaaten rüsten ihre Arsenale ebenfalls auf. Beispiel Russland. In seiner »Rede zur Lage der Nation« kündigte der russische Präsident mehrere neue Waffensysteme an, darunter eine besonders große und schwere Interkontinentalrakete und einen Raketentyp, der mit Hyperschallgeschwindigkeit fliegen soll. Die neuen Waffen nannte Putin „fantastisch“ und versprach, sie könnten die Raketenabwehr der USA austricksen und umfliegen. Der Sender RT Deutsch kommentierte dies wie folgt: „Die Demonstration der neuen Waffen zeigt ganz eindrücklich, dass Russland sich zur Friedenssicherung nicht mehr nur auf das Geschick von Diplomaten verlässt, sondern mehr und mehr auch sein militärisches Gewicht in die Waagschale wirft.“
Diese Art der »Friedenssicherung« wollen wir aber nicht!
Nukleare »Abschreckung« folgt einer Sicherheitslogik des letzten Jahrhunderts, die auf immer mehr Waffen und »Abschreckung« baut. Wir setzen hingegen auf Diplomatie und auf die Logik des Friedens!
Dazu bedarf es der raschen Abrüstung und ernsthafter Schritte in Richtung atomwaffenfreie Welt!
Abrüstung ist keine Forderung im luftleeren Raum, die Atomwaffenstaaten haben sich dazu schon vor 50 Jahren im Atomwaffensperrvertrag verpflichtet!
"Iran-Deal"
Vor wenigen Tagen setzte US-Präsident Trump seinen Sicherheitsberater vor die Tür und vergab den Job an John Bolton. An den erinnern wir uns gut. Er war in der Regierung von George W. Bush zunächst Staatssekretär für Rüstungskontrolle. In dieser Rolle versuchte er, die damaligen Gespräche zum nordkoreanischen Nuklearprogramm zu unterminieren. Später wurde er von Bush gegen den Willen des US-Senats zum Botschafter der USA bei den Vereinten Nationen in New York ernannt – also genau der Institution, der er schon mal die obersten zehn Stockwerke ihres Hauptquartiers wegsprengen wollte, weil es ohnehin niemand merkt.
In einem Punkt sind sich Präsident Trump und sein neuer Sicherheitsberater einig: Das Iran-Abkommen von 2015 muss weg. Donald Trump hatte die Vereinbarung im Wahlkampf und als Präsident wiederholt als „schrecklich“ bezeichnet, als „eine der schlechtesten und einseitigsten Vereinbarungen, auf die sich die Vereinigten Staaten je eingelassen haben“. Er hat die vom Kongress geforderte Bestätigung, dass Iran seinen Verpflichtungen aus dem Abkommen nachkommt, verweigert. Dabei werden sämtliche nukleare Aktivitäten des Iran von der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) eng kontrolliert, und die IAEO hat dem Iran regelmäßig die volle Umsetzung des Abkommens bescheinigt.
Klar, niemand kann wissen, welche Pläne die iranische Regierung für die Zeit nach dem Abkommen hat, das wird sicherlich von der politischen Konstellationen im Jahr 2030 abhängen. Genau klar sind aber zwei Dinge: Erstens zeigt der Fall Iran, wie eng die zivile und die militärische Nutzung von Atomenergie miteinander verknüpft sind. Jedes Land, das auf Atomenergie setzt und dazu die nötige Anreicherungs- oder gar Wiederaufarbeitungstechnologie aufbaut, kann potentiell Atomwaffen bauen – sei es Iran, Deutschland oder Japan. Deshalb muss die Atomenergie rasch zum Auslaufmodell werden – nur eine Welt ohne Atomenergie kann auch eine Welt ohne Atomwaffen werden!
Zweitens ist klar, dass Präsident Trump mit der Verhängung neuer, noch schärferer Sanktionen das Iran-Abkommen verletzt. Frankreich, Großbritannien und Deutschland haben das Iran-Abkommen federführend mitverhandelt. Das Abkommen verhindert auf lange Zeit, dass Iran Atomwaffen baut. Die Bundesregierung muss klarstellen, dass sie an dem Abkommen festhält und dass es keinerlei »Nachverhandlungen« geben kann. Die Bundesregierung muss ihrem Bündnispartner USA auch klarmachen, dass Trump eine Vereinbarungen, die von der gesamten EU ratifiziert wurde, nicht einfach für ungültig erklären kann! Deutschland darf hier nicht einfach aus wirtschaftlichen Gründen einknicken!
Und John Boltons Träumen, Iran zu bombardieren und einen unliebsamen Gegner auf diese Weise auszuschalten, muss die Bundesregierung ebenfalls eindeutig entgegentreten. Probleme werden niemals mit Bomben gelöst.
Verbotsvertrag
Dem ganzen Aufrüstungswahnsinn und der neuen Eskalationsspirale setzen nicht nur wir, die Friedensbewegten, die Forderung nach Abrüstung und Diplomatie entgegen. Im Juli letzten Jahres kamen Verhandlungen über ein völkerrechtlich abgesichertes, vollständiges Verbot von Atomwaffen zum Abschluss. 122 Staaten vereinbarten bei den Vereinten Nationen in New York einen entsprechenden Text. Der Vertrag liegt seit September 2017 zur Unterzeichnung auf, und 57 Staaten haben ihre Unterschrift bereits hinterlegt. Sechs hatten bis Mitte März schon ratifiziert, und vor wenigen Tagen wurde die Ratifizierung auch in Österreich beschlossen – das ist wunderbar!
Deutschland allerdings lehnt die Vereinbarung ab und will auf keinen Fall beitreten. Ein Verbot von Atomwaffen würde den Atomwaffensperrvertrag unterminieren, heißt es. Wie absurd! Mit dem Verbotsvertrag wurde Artikel VI des Atomwaffensperrvertrags, der Verhandlungen über die vollständige Abrüstung von Atomwaffen vorschreibt, doch vorbildlich umgesetzt. Der Verbotsvertrag wurde überhaupt erst notwendig, weil die Atomwaffenstaaten ihre Abrüstungsverpflichtungen nicht erfüllen!
Der Vertrag tauge nichts, heisst es, weil die Atomwaffenstaaten nicht dabei sind. Welch jämmerliche Ausrede! Mit dem Vertrag haben nahezu Zweidrittel aller Staaten Atomwaffen einen klaren Stempel aufgedrückt. Auf diesem Stempel steht „völkerrechtswidrig“. An dieser Norm kommt kein Staat mehr vorbei – nicht die Atomwaffenstaaten und auch nicht Deutschland!
Der Verbotsvertrag spricht Atomwaffen jegliche Legitimität ab, da sie unterschiedslos Menschen töten und darauf abzielen, katastrophalen Schaden anzurichten. Bei den Verhandlungen und im Vertrag selbst wird auf das humanitäre Leid verwiesen, die jeder Einsatz von Atomwaffen mit sich bringen würde. Genau aus diesem Grund hat sich die Zivilgesellschaft für das Zustandekommen des Vertrages so stark eingesetzt – ICAN wurde dafür vergangenen Dezember zurecht mit dem Friedensnobelpreis geehrt! ICAN ist auch in Deutschland aktiv, und die Kampagne »Büchel ist überall! atomwaffenfrei jetzt« ist Teil des ICAN-Netzwerks.
Die Bundesregierung stellt sich mit ihrer Weigerung, dem »Vertrag über das Verbot von Kernwaffen» beizutreten, ins abrüstungspolitische Abseits.
Wir fordern den Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbot ohne Wenn und Aber – nicht in ferner Zukunft, sondern jetzt!
Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt
Die Mehrheit aller Staaten hat mit ihrem Bekenntnis zum vollständigen Verbot von Atomwaffen gezeigt, dass Fortschritte in Richtung atomwaffenfreie Welt möglich sind. Die Bundesregierung behauptet im neuen Koalitionsvertrag zwar, „Ziel unserer Politik ist eine nuklearwaffenfreie Welt“. Von den 180 Seiten oder 8.377 Zeilen des Koalitionsvertrages befassen sich aber nur 13 Zeilen überhaupt mit dem Thema Atomwaffen. Die Verantwortung für das Thema wird auf andere abgeschoben, Russland wird sogar namentlich eine Verletzung des INF-Vertrages unterstellt (Zeilen 7045-7046).
Für unser Land, für Deutschland, ist der Bundesregierung aber vor allem dieses wichtig: „Solange Kernwaffen als Instrument der Abschreckung im Strategischen Konzept der NATO eine Rolle spielen, hat Deutschland ein Interesse daran, an den strategischen Diskussionen und Planungsprozessen teilzuhaben. Erfolgreiche Abrüstungsgespräche schaffen die Voraussetzung für einen Abzug der in Deutschland und Europa stationierten taktischen Nuklearwaffen.“
Das sind sperrige Sätze, sie besagen zweierlei: Deutschland verfolgt weiterhin eine Politik der Abschreckung und will in der Nuklearen Planungsgruppe der NATO mitreden. Außerdem lehnt sie jegliche eigene Initiative zum Abzug der 20 US-Atomwaffen aus Büchel ab. Keineswegs braucht es Abrüstungsgespräche zwischen den USA und Russland, um die Bomben aus Büchel wegzuschaffen – auch wenn wir natürlich auf solche Gespräche drängen. Um die Atomwaffen aus Büchel weg zu kriegen, muss die Bundesregierung lediglich Rückgrat zeigen und der US-Regierung mitteilen, dass sie die Waffen nicht länger beherbergen will. Natürlich gäbe es dann Krach im transatlantischen Gefüge und in der NATO – na und? Die Regierung ist jedoch zu feige, das Thema bei den USA und der NATO auch nur anzusprechen. Nein, noch schlimmer: Sie verteidigt die Stationierung von Atomwaffen mitten in Deutschland sogar unter Verweis auf die »Abschreckung«.
Wir sagen klar: Wir brauchen nicht Abschreckung, sondern Abrüstung. Die Atomwaffen von Büchel müssen weg, und das rasch!
Vergangenen Montag, am 26. März, startete vor dem Tor des Atomwaffenstandorts Büchel eine neue Aktionspräsenz der Kampagne »Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt«, die bis zum Nagasaki-Tag am 9. August durchgeführt wird. Daran kann sich jede und jeder beteiligen. Auf der Website buechel-atombombenfrei könnt Ihr im Aktionskalender sehen, welche Termine frei sind. Bildet eine Gruppe und fahrt hin, oder schließt Euch einer der Gruppen vor Ort an. Aktive Teilnahme ist nicht schwer, Ihr müsst nicht über den Zaun klettern und die Verhaftung riskieren, Ihr könnt einfach mit einem Plakat vor das Tor stehen. Beim Politstammtisch zu maulen über die Atomwaffen in Deutschland ist nicht gut genug!
Kommt nach Büchel, sagt zu den Atomwaffen »nein«, zeigt mit Eurer Präsenz, dass Euch das Thema wichtig ist!
Der Friedensnobelpreisträger Joseph Rotblat widmete sein Leben der Abschaffung von Atomwaffen. Er beschloss seine öffentlichen Reden stets mit diesem Satz: „Remember your humanity, and forget the rest.“ „Erinnert Euch Eures Menschseins und vergesst alles andere!“
Das ist ein gutes Motto zum Schluss. Vergesst aber nicht, zur Aktionspräsenz nach Büchel zu kommen!
Quellenangaben
[1] Shannon N. Kile and Hans M. Kristensen: Trends in world nuclear forces, 2017. Stockholm Peace Research Institute (SIPRI), July 2017; https://www.sipri.org/publications/2017/sipri-fact-sheets/trends-world-nuclear-forces-2017.
[2] U.S. Department of Defense: Nuclear Posture Review – NPR, February 2018; https://media.defense.gov/2018/Feb/02/2001872886/-1/-1/1/2018-NUCLEAR-POSTURE-REVIEW-FINAL-REPORT.PDF.
[3] LIVE: Wladimir Putin hält Rede zur Lage der Nation. Übertragung der Rede mit deutscher Übersetzung, online gestellt von RT Deutsch, 1.3.2018; https://www.youtube.com/watch?v=cdR_o1_mSqE.
[4] Ulrich Heyden: Rede zur Lage der Nation ‑ Wie Putin den Westen wieder an den Verhandlungstisch bringen will. RT Deutsch, 2.3.2018; https://deutsch.rt.com/russland/65993-wie-putin-westen-wieder-an/.
[5] Siehe z.B. Amerika Dienst: US-Präsident Trump zur Iran-Strategie der Vereinigten Staaten ‑ Rede des Präsidenten vom 13.10.2017. https://de.usembassy.gov/de/iran-strategie/.
[6] Vertrag über das Verbot von Kernwaffen. Amtliche deutsche Übersetzung unter http://www.un.org/Depts/german/conf/a-conf-229-17-8.pdf.
[7] ICAN Germany: Atomwaffen ächten. https://www.icanw.de/wp-content/uploads/2018/01/2017-01_Atomwaffen-aechten_web.pdf.
[8] icanw.de und atomwaffenfrei.de.
[9] Ein neuer Aufbruch für Europa ‑ Eine neue Dynamik für Deutschland ‑ Ein neuer Zusammenhalt für unser Land. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. 7. Februar 2018. Online z.B. unter https://www.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/koalitionsvertrag_2018.pdf?file=1.
[10] 2018 den Protest verstärken! Büchel ist überall ‑ atomwaffenfrei jetzt! 20 Wochen gegen 20 Bomben! https://buechel-atombombenfrei.jimdo.com/
[11] Dieser Satz stammt aus dem Russell-Einstein-Manifest vom 9. Juli 1955.
Autorin: Regina Hagen (Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt") - freigegeben zur Verwendung und Veränderung für Redebeiträge beim Ostermarsch 2018