Redebeitrag von Heiner Kockerbeck für den Ostermarsch Rhein Ruhr am 31. März 2018

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde der Friedensbewegung,

in der Bundesregierung gibt es Pläne, die Militärausgaben im Bundeshaushalt auf 2% des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. Dies würden 30 Milliarden Euro mehr sein, die unsere Gesellschaft in Militär und Rüstung stecken soll. Um Widerstand dagegen zu leisten, gab es in letzter Zeit gute Initiativen. Der DGB Köln/Bonn hat zum Beispiel vor der Bundestagswahl eine Unterschriftensammlung unter dem Titel "#No2Percent" gemacht. Und im Netz steht immer noch der bundesweite Aufruf "Abrüsten statt Aufrüsten" (www.abruesten.jetzt). Mittlerweile haben ihn 35.000 Bürger*innen online oder offline unterschrieben. Das ist sehr gut. Es sollten im Verlauf dieses Jahres noch viele, viele hinzukommen! Denn Abrüstung ist tatsächlich das Gebot der Stunde. Statt einer zunehmenden Militarisierung der internationalen Politik und unserer Gesellschaft müssen die Ausgaben für Bildung, Soziales, Gesundheit u.a. erhöht werden. Es geht dabei nicht nur darum, der zunehmenden Gefahr zerstörerischer Kriege, einige davon gefährlich nahe an Europa, zu begegnen. Es geht auch darum, unsere Gesellschaften solidarischer und freundlicher, demokratischer und ökologischer zu machen. Es geht um eine positive Perspektive durch Frieden: das gute Leben für alle Menschen, in allen Ländern. In den Kölner Stadtvierteln kann man dagegen deutlich sehen, wie die Entwicklung der letzten 25 Jahre, die außenpolitisch durch zunehmende Kriege unter mittelbarer oder direkter Beteiligung deutscher Soldaten geprägt ist, mit einer sich vertiefenden Spaltung unserer Gesellschaft zwischen Reichen und Armen einhergeht. In Köln unterwerfen die Ratsparteien, die neoliberalen Vorstellungen folgen, dabei die städtischen Einrichtungen seit Jahren einem harten Sparkurs. Die Ergebnisse kennen wir alle. Sie sind verheerend:

  • Neu anzumietende Wohnungen sind in Köln für Bezieher geringer und kleiner Einkommen kaum noch bezahlbar. Sozialer Wohnungsbau, der am Wohnungsmarkt insgesamt preisdämpfend wirkt, findet seit Jahrzehnten kaum noch statt. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft GAG erhält vom Rat nicht genügend Geld, um mehr preiswerte kommunale Wohnungen zu bauen.
  • Die Bundesrepublik hat als Folge u.a. der Hartz-IV-Politik einen Niedriglohnsektor von fast einem Viertel der Beschäftigen. Das Ergebnis ist erschreckend: 31.000 Kölner Kinder unter 15 Jahren - das sind 27% - wachsen 2016 in einer Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaft auf. Diese Kinder sind vielfach von dem ausgeschlossen, was andere als einen normalen Lebensstandard ansehen. Sie haben früh in den Schulen schlechtere Bildungschancen, besuchen seltener Sportvereine und Musikunterricht. Sie haben kein eigenes Kinderzimmer, keinen Ort für Schularbeiten, essen kaum Obst und Gemüse oder überhaupt weniger, wie aktuelle Studien zur Kinderarmut zeigen.
  • Letztlich erfordern diese Probleme eine bundespolitische Wende hinzu mehr gesellschaftlicher Solidarität. Wenn Kommunen wie Köln jedoch bei Sozialem, Bildung, Gesundheit und Verkehr sparen, lassen sie kommunale Möglichkeiten zum Gegensteuern ungenutzt.
  • Ein deutlich preiswerterer oder sogar fahrscheinloser öffentlicher Nahverkehr kommt Gering- und Normalverdienern entgegen. Er muss auch aus ökologischen Gründen in der Fläche massiv ausgebaut werden. Was passiert? Nichts.
  • Die Stadt Köln schafft es nicht, genügend Kindertagesstätten zu eröffnen. Gerade in den ärmeren Stadtteilen ist die Kitaversorgung am schlechtesten. Das trifft Alleinerziehende, die dann keine Erwerbsarbeit aufnehmen können. Das trifft alle Familien, die sich keine teure private Kita leisten können.
  • Ein weiteres Beispiel: Die soziale Spaltung der Gesellschaft wird durch das dreigliedrige Schulsystem verstärkt. Zahlreiche Studien zeigen, dass die frühe Aufteilung der zehnjährigen Kinder auf verschiedene weiterführende Schulen dazu führt, das die soziale Herkunft heute immer noch über die Chance eines Kindes entscheidet, einen höheren Bildungsabschluss zu erwerben. Doch obwohl Kölner Eltern und Kinder zunehmend Gesamtschulen wünschen, fehlen in Köln neun bis zehn Gesamtschulen. Fast 1000 Kinder, die aktuell für das kommende dort Schuljahr an Kölner Gesamtschulen angemeldet wurden, konnten dort keinen Platz bekommen. Seit 2006 konnten fast 10.000 Kinder in Köln diese Schulform trotz Anmeldung nicht besuchen. Eine Gesamtschule zu bauen, kostet die Stadt rund 50 Millionen Euro. Die regierenden Parteien sagen, für den schnellen Bau weiterer Gesamtschulen reiche das Geld nicht. Die Stadt sei verschuldet.
  • Insgesamt sind die Kölner Schulen baulich in einem miserablen Zustand, wie im ganzen Land. Das Problem ist bekannt: Der Putz bröckelt, Fenster sind nicht zu öffnen, Schulen warten jahrelang auf die benötigte Mensa oder die neue Sporthalle. Ein Grund dafür ist: Bei der städtischen Gebäudewirtschaft, die für Sanierungen und den Bau von Schulen zuständig ist, wurde jahrelang gespart. Ständig sind 80 - 100 Stellen von 600 Stellen dort nicht besetzt. Es herrscht aufgrund knapp bemessener Gehälter eine hohe Personalfluktuation.

Die Beschreibung der verheerenden Folgen der Politik von Schuldenbremse und Haushaltskonsolidierung in der Stadt ließe sich fortführen. Diese Politik ist bekanntlich verbunden ist mit massiven Steuersenkungen bei Konzernen und Reichen. Durch die großen Steuersenkungen von Rot-Grün zu Beginn des Jahrtausends fehlen dem Staat nach Berechnungen jährlich 50 - 60 Milliarden Euro an Steuereinnahmen. Der Sparkurs bei Krankenhäusern, Schulen und Hochschulen, Bibliotheken, öffentlichem Nah- und Fernverkehr ist die Kehrseite der seit Jahren steigenden Vermögen bei der Oberschicht.

Und nun wird seit vergangenem Jahr darüber diskutiert, die Militärausgaben im Bundeshaushalt um 30 Milliarden anzuheben, nämlich auf die viel diskutierten 2% des Bruttoinlandsprodukts. Das Argument, dass es sich hier um einen verbindlichen Beschluss der NATO handele, ist schon widerlegt. Aktuell hat die neue CDU-SPD Koalition dieses Ziel zunächst zurückgestellt, aber den Militäretat bis 2021 schon einmal um zwei Milliarden erhöht: Aber auch das sind zwei Milliarden zu viel!

Interessant ist aber, dass alle Parteien des Bundestags seit 15 Jahren angeblich entschlossen fordern, die Ausgaben für Bildung in Deutschland zu erhöhen. Denn ein internationaler Vergleich des Anteils der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt zeigt, dass die deutschen Bildungsausgaben seit Langem unter dem Durchschnitt der Industriestaaten der OECD liegen - schon gar im Vergleich zu skandinavischen Ländern wie Norwegen oder Schweden.

Vor zehn Jahren, im Jahr 2008 hatte deswegen Bundeskanzlerin Merkel zum einem "Bildungsgipfel" geladen. Sie sagte, sie wolle diesem allerseits festgestellten Missstand abhelfen. Jedoch: Der "Gipfel" endete ergebnislos und wurde seitdem nicht wiederholt. Denn die zum Gipfel eingeladenen Bundesländer wollten angesichts ihrer Haushaltslage, dass der Bund die Mehrkosten übernimmt. Doch Kanzlerin Merkel und ihr Finanzminister wollte gerade die Länder darauf verpflichten, die zusätzlichen Gelder aufzubringen. Fazit: Alle wissen, dass das deutsche Bildungssystem unterfinanziert ist. Die Blockade liegt jedoch im System, in den politischen und gesellschaftlichen Machtverhältnissen begründet.

Interessant ist aber jedoch, dass heutzutage nicht mehr über eine grundsätzliche Erhöhung der deutschen Bildungsausgaben gesprochen wird. Nein, die Zeiten haben sich gewandelt und ganz offensichtlich nicht zum Guten. 2017, 2018 und möglicherweise in den Folgejahren sprechen wir stattdessen über eine Verdoppelung der staatlichen Ausgaben für Armee und Rüstung. An welchen Entwicklungen kann man deutlicher zeigen, wohin die Reise geht und wie wichtig die Friedensbewegung, wie wichtig die Ostermärsche sind!

Wir müssen uns also zukünftig kräftiger als bisher wehren. Wir müssen die Militarisierung und den Rüstungsstaat bekämpfen. Wir müssen stattdessen eine positiven Begriff von Frieden entwickeln: Für das gute Leben aller Menschen, für einen Wiederaufbau des Sozialstaats.
Abrüsten statt Aufrüsten!

 

Heiner Kockerbeck ist Ratsmitglied der Partei Die Linke Köln.