Redebeitrag von Wiltrud Rösch-Metzler für den Ostermarsch Fulda am 31. März 2018

 

- Sperrfrist, Redebeginn: 31.03.2018, ca. 11 Uhr -

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Ostermarsch-Teilnehmende,
liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

Gewerkschaften und Kirchen beginnen wieder sich dem Frieden zuzuwenden. Und in Parteien und Parlament mehren sich die Stimmen, die militärische Vorhaben kritisch sehen. So erhielt das Bundeswehrmandat für Syrien und Irak, das sog. "Anti-IS-Mandat" im Bundestag kürzlich zwar noch eine Mehrheit. Aber im Vergleich zur selben Abstimmung vor einem halben Jahr waren dieses Mal bereits 77 Abgeordnete weniger für diesen Militäreinsatz.[i] Es gibt also Grund zur Hoffnung, dass die Linke auf ihrem tapferen Anti-Kriegskurs bald nicht mehr allein ist!

Ein Umdenken setzt auch in der katholischen Kirche in Deutschland ein. Nachdem diese im Jahr 2014 unter dem Eindruck eines möglichen Völkermords an den Jesiden Waffenlieferungen an die Kurden im Nordirak befürwortet hatte[ii], lehnt sie jetzt eine weitere Belieferung der Peschmerga im Nordirak mit Waffen aus Deutschland ab. Zusammen mit der evangelischen Kirche fordert sie den Deutschen Bundestag sogar dazu auf, auch das Mandat für die Ausbildung der Peschmerga durch die Bundeswehr nicht weiter zu verlängern[iii].

Aber wir brauchen diese breite gesellschaftliche Unterstützung auch, liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde, denn wir stehen vor einem knallharten neuen Wettrüsten. Wer hätte gedacht, dass es nach der Auflösung des Warschauer Pakts und der Sowjetunion noch einmal zu einer solchen Aufrüstung kommen wird, weltweit und in Deutschland?  Auf zwei Punkte möchte ich besonders eingehen, auf die skandalöse Steigerung der Rüstungsausgaben und auf die Aufrüstung mit Atomwaffen.

Als Friedensbewegung kritisieren wir die Ausgaben fürs Militär, die in anderen Bereichen, etwa für zivile Konfliktlösungsmechnismen wie UNO und OSZE und in der Entwicklungszusammenarbeit fehlen. 45 Jahre lang hinkte das reiche Deutschland der UN-Verpflichtung hinterher, 0,7 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Entwicklungszusammenarbeit auszugeben. Erst im Jahr 2016 schaffte die Bundesregierung dieses Ziel. Allerdings nur, weil die Kosten für Flüchtlinge in Deutschland stark gestiegen waren, nämlich um 5,5 Milliarden Euro. Wären diese Kosten nicht anrechenbar, hätte Deutschlands zivile Quote in jenem Jahr bei lediglich 0,52 Prozent gelegen.[iv]

Weil die Bevölkerung in Deutschland einer Aufrüstung mehrheitlich nicht zustimmt[v], haben sich die Regierungsparteien etwas einfallen lassen. Im Koalitionsvertrag sind die Ausgaben für die Entwicklungszusammenarbeit, Krisenprävention, auswärtige Kulturpolitik und humanitäre Hilfe nun fest an die Ausgaben für die Bundeswehr geknüpft. Steigen die Ausgaben für Rüstung, müssen im selben Maße auch die Ausgaben für Entwicklung steigen und umgekehrt.[vi] Wir stehen also vor der paradoxen Situation, sollten wir mit unserer Forderung nach mehr Geld - etwa für eine gerechte Entwicklung in Afrika oder für die Integration von Flüchtlingen in Deutschland - Erfolg haben, lösen wir damit ungewollt eine Steigerung des Verteidigungshaushalts aus. Dies ist wie wenn die Steigerung von Bio-Eiern an die Steigerung von Massenhühnerhaltungs-Eiern gekoppelt würde.

Diese Kröte dürfen wir nicht schlucken!  Dieses System akzeptieren wir nicht! Es verleitet nur dazu, dass wir uns entsolidarisieren.  Eine gerechte Welt ist Grundlage für den Weltfrieden, und eine solche Welt erreichen wir nicht, indem Deutschland gegen Klimaziele verstößt und Rohstoffe billig importiert, sondern nur über das Teilen von Geld und Gütern.

Weshalb rüstet Deutschland auf? Obama und nun Trump verlangen es. Die Nato-Staaten selber inklusive Bundesregierung wollen es. 2% der Wirtschaftsleistung soll ins Militär gesteckt werden.   Was bedeutet das? Deutschland muss jährlich 30 Milliarden mehr fürs Militär ausgeben. Knapp ein Fünftel des Bundeshaushalts ist dann Rüstung.

Wenn Deutschland das tatsächlich tut, ist es, nach oder neben Russland die stärkste Militärmacht in Europa. - „nach oder neben Russland“ deshalb, weil wir nicht wissen, wie Russland bei der Aufrüstung mithalten kann - Deutschland hat seine Rüstungsausgaben im Jahre 2016 gegenüber dem Vorjahr um mehr als zehn Prozent erhöht. Der Verteidigungshaushalt lag 2016 bei 35,1 Milliarden Euro. 2017 waren es bereits über 37 Milliarden Euro[vii]. (1999 waren es noch 24,3 Milliarden Euro.) Russlands Militärausgaben lagen im Jahr 2016 bei 60 Milliarden Euro.[viii]

Eifrig wird für die Aufrüstung geworben. Aufrüstung wird uns nun als die Erneuerung Europas verkauft. So errechnet der Bericht "More European, More Connected and More Capable“ (Europäischer/verbundener und fähiger)" der Münchner Sicherheitskonferenz in Kooperation mit McKinsey und der Berliner Privatuni Hertie School of Governance, dass beim jetzigen Ausgabenstand EU-weit 272 Milliarden Euro fürs Militär zusammenkommen,  bei 2% des europäischen Bruttosozialprodukts wären es 386 Milliarden. Zwischen 77 und 116 Milliarden davon könnten für Ausrüstung ausgegeben werden. [ix] Im Dezember 2017 haben die allermeisten EU-Staaten  dann das Ende der militärischen Enthaltsamkeit der EU beschlossen. Die "Ständige strukturierte Zusammenarbeit" (PESCO) soll gemeinsame Rüstungsprojekte einzelner EU-Länder regeln. Diese sollen aus einem EU-Fonds bezuschusst werden. [x]  

Nun kommt also zur Wirtschafts-Union die Militär-Union dazu. Wo bleibt die Sozialunion, wo bleibt die EU der Gerechtigkeit? Die Tugend des Teilens kann für mehr Wohlstand sorgen, für mehr Sicherheit und mehr gesellschaftlichen Frieden. Sie ist eine vergessene europäische Leitkultur schreibt Heribert Prantl in der Süddeutschen und nimmt den Heiligen Martin als Vorbild. Der Heilige Martin könnte der Europäischen Union auch in anderer Hinsicht Vorbild sein: als Kriegsdienstverweigerer widersetzte er sich dem Militärdienst.

Die EU hat sich über Jahrzehnte als ‚Friedensmacht’ und damit als Vorbild für andere Staaten und Staatenorganisationen verstanden. Vor allem hierfür ist sie mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Wir protestieren dagegen, dass die verstärkte EU-Kooperation in der Verteidigungspolitik (PESCO) zum Vorwand genommen werden soll, Rüstungs- und Verteidigungsausgaben erheblich zu erhöhen! Wir fordern eine starke Erhöhung der Mittel für zivile Konfliktverhütung und -bearbeitung, für Friedenskonsolidierung, für Friedensforschung, für Friedensbildung, für Friedensdiplomatie und für Entwicklungszusammenarbeit. Nur so kann Gewalteskalation vorgebeugt, können Konfliktursachen beseitigt und kann die EU ihrem Anspruch, ‚Friedensmacht’ zu sein, gerechter werden. Das EU-Parlament ist hierfür in der Pflicht! Es muss die von ihm beschlossene Ausweitung des sog. Stabilitätsinstruments auf militärische Komponenten wieder zurücknehmen! [xi]

Damit die eigene Bevölkerung Aufrüstung schluckt, werden Ängste vor Bedrohungen geschürt. Seit dem 11. September ist das der islamistische Terrorismus. Die Antwort darauf war der Krieg gegen den Terror, auf den Anschläge auch in den EU-Ländern folgten. Wohin sollen diese Spiralen führen? Der Krieg gegen den Irak im Jahr 2003, der die Urquelle für den IS und die weiteren Kriege im Nahen und Mittleren Osten ist, gilt heute laut einem offiziellen britischen Untersuchungsbericht als voreilig und planlos. Er habe die Region ins Chaos gestürzt. Was ist mit dem Krieg in Afghanistan? Die Bundesregierung muss endlich den Abzug vorbereiten will sie nicht wie im Kosovo auf Dauer Besatzungsmacht bleiben.[xii]

Heute bedroht angeblich Russland den Westen. Das Verteidigungsministerium hat daraus die Strategie Abschreckung und Dialog gegenüber Russland entworfen, nachzulesen im Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr. Auch BND-Chef Kahl warnt vor Moskau. Bis 2020 sollen 70 Prozent der russischen Streitkräfte modernisiert werden. Russland versuche seine Führungsrolle auf dem europäischen Kontinent zurückzugewinnen. Russland wolle die EU schwächen, die USA zurückdrängen und einen Keil zwischen beide treiben. Der BND-Chef sagte:  „Statt einem Partner für die europäische Sicherheit haben wir in Russland heute eine potentielle Gefahr.“ [xiii]

Dabei weiß auch BND-Chef Kahl um die Überlegenheit des Westens ökonomisch wie militärisch: ein Viertel des globalen Bruttoinlandsprodukts wurden 2016 von den USA erwirtschaftet; Russland und China kamen zusammen auf 16,5 Prozent; Deutschland, Frankreich und Großbritannien zusammen auf 11,3 Prozent. Die Anteile an den globalen Verteidigungsausgaben 2016 sind noch aussagekräftiger zugunsten der USA: Die USA ist absoluter Spitzenreiter mit 40,2 Prozent, die europäischen Staaten - ohne Russland und Eurasien – folgen mit 16,5 Prozent. Dann kommt China mit 9,6 Prozent und schließlich Russland mit 3,1 Prozent.

Statt strategische Gegensätze zu verfolgen, fordern wir hier eine neue Weltinnenpolitik unter Einbeziehung möglicher Gegner. Letztlich ist das eine Art ‚goldene Regel‘ in der Außenpolitik. Im Fall Russlands bedeutet eine solche Rückkehr zur Weltinnenpolitik, bzw. zu Michail Gorbatschows Vorstellung von einem gemeinsamen Haus Europa eine Erneuerung der Entspannungspolitik. Das erfordert auch einen deeskalierenden Umgang mit Russland nach dem entsetzlichen Mordanschlag auf Vater und Tochter Skripal in Großbritannien. Beschuldigungen aufgrund von unbewiesenen Behauptungen erinnern an den Beginn des Irakkriegs 2003 und waren damals kriegsauslösend.

Über 30 000 Menschen haben die verschiedenen Aufrufe gegen eine Erhöhung des Verteidigungshaushalts unterzeichnet. Sammeln wir weiter Unterschriften unter die Aufrufe „Abrüsten statt Aufrüsten“ oder »Mehr fürs Militär? Nicht mit uns!« oder ähnliche Aufrufe. Lasst uns diese Idee verbreiten, wo wir tätig sind, von Parteien über die Kirchengemeinden bis zu Umwelt-, Eine Welt‘ und Flüchtlingsinitiativen.

Auf einen Aufrüstungsbereich möchte ich noch eingehen: die Atomwaffen. Durch den Friedensnobelpreis an ICAN wurde vielen erst wieder bewusst, dass immer noch Atomwaffen die Menschheit bedrohen. Auch Deutschland ist darin verwickelt. Die Bundeswehr ist über die atomare Teilhabe eingebunden in den Umgang mit in Deutschland lagernden US-Atomwaffen. Außerdem liefert die Bundesregierung atomwaffenbestückbare U-Boote an Israel. Dabei gehört Deutschland zu den Unterzeichnern des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrags. Den neuen UN-Atomwaffenverbotsvertrag hat die Bundesregierung noch nicht unterzeichnet, da sie sonst die atomare Teilhabe aufgeben müsste. In dieser Legislaturperiode steht vermutlich zur Entscheidung an, durch was die bisherigen atombombenfähigen Tornados ersetzt werden. Hier gilt es wachsam zu sein und ein atombombenfähiges neues Trägersystem zu verhindern.

Vermutlich modernisieren alle Atommächte derzeit ihre Atomwaffen bzw. Trägersysteme. Das größte Programm hat die USA aufgelegt durch die Entwicklung neuer Trägersysteme und die Entwicklung von kleineren und zielgenaueren Atomwaffen. Die gerade veröffenlichte neue Nuklearstrategie der USA sieht vor, auch bei nichtnuklearen Cyber- und Weltraumangriffen u. U. mit einem nuklearen Erstschlag zu drohen.

Aufrüstung und Atomwaffen sind Todesorientierung und damit das Gegenteil von Auferstehung und Ostern. Gestern habe ich eine E-Mail von einem pazifistischen Rabbiner-Freund aus Jerusalem erhalten: Er sieht in dem Einsatz von über 100 Scharfschützen gegen den gewaltfreien Widerstand in Gaza ein Verbrechen. Bis heute Morgen waren es bereits 17 Tote und über 1000 Verletzte.  Tun wir wirklich genug, wenn Menschen anderswo gewaltfrei Gerechtigkeit, Freiheit und Würde erlangen möchten, wie es derzeit im eingeschlossenen Gaza-Streifen der Fall ist?

Für unser Handeln gibt uns Martin Luther King auf den Weg: „Die Feigheit fragt: „Ist es angebracht?“ Der Eigennutz fragt: „Ist es politisch?“ Die Eitelkeit fragt: „Ist es populär?“ Das Gewissen fragt: „Ist es richtig?“ Und dann kommt der Punkt, wo man Position beziehen muss, nicht weil es sicher, politisch sinnvoll und populär ist, sondern, weil das Gewissen sagt, dass es richtig ist. Ich glaube, dass heute alle Menschen guten Willens bewusst handeln müssen im Sinne des alten Spirituals „ Wir werden den Krieg nicht mehr lernen/We ain’t goin’ study war no more." Vor dieser Herausforderung steht der Mensch heute. [xiv]

Was wir in diesen Zeiten des Wettrüstens tun können möchte ich mit den Worten von John Dear, dem Mitbegründer von pax christi USA zusammenfassen: "die Wahrheit sagen, gegen Krieg und Ungerechtigkeit Widerstand leisten, Gewaltfreiheit üben, den Armen beistehen, alle Menschen lieben, beten und die Vision einer neuen Welt ohne Krieg, Armut und Atomwaffen aufrechterhalten. Wir sind berufen, dem gewaltfreien Jesus auf der Straße des Friedens zu folgen." Das ist die Botschaft von Ostern.

Ich danke euch fürs Zuhören.

 

Anmerkungen:

[i] http://www.macht-frieden.de/

[ii] https://www.dbk.de/nc/presse/aktuelles/meldung/erklaerung-des-staendigen-rates-der-deutschen-bischofskonferenz-zur-situation-im-mittleren-osten/detail/

[iii] http://www3.gkke.org/78.html

[iv] http://venro.org/uploads/tx_igpublikationen/Studie_ODA_2017_final2_DIGIT...

[v] http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/umfrage-mehrheit-der-deu...

[vi] https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertr...

[vii] https://www.bundeshaushalt-info.de/#/2017/soll/ausgaben/einzelplan.html

[viii] https://www.sipri.org/sites/default/files/Milex-constant-2015-USD.pdf

[ix] https://www.securityconference.de/en/news/article/more-european-more-con...

[x] https://www.bmvg.de/de/aktuelles/pesco--ein-meilenstein-auf-dem-weg-zur-...

[xi] http://www.paxchristi.de/meldungen/view/5219772488744960/Protest%20gegen...

[xii] http://www.dw.com/de/bericht-zum-irakkrieg-vernichtungsschlag-f%C3%BCr-t...

[xiii] https://de.scribd.com/document/366965375/Rede-Dr-Bruno-Kahl-Hanns-Seidel...

[xiv] https://kinginstitute.stanford.edu/king-papers/publications/knock-midnig...

 

Wiltrud Rösch-Metzler ist  pax christi-Bundesvorsitzende.