Redebeitrag für den Ostermarsch Büchel am 22. April 2019

 

- Sperrfrist: 22. April 2019, Redebeginn: 14 Uhr -

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Atomwaffengegner, liebe Atomwaffengegnerinnen,

da sind wir wieder, die unentwegt Ostermarschierenden, und ich freue mich sehr, dass ihr dabei seid. Es ist ja heute wichtiger als seit langem, dass gegen den Skandal dieser Massenvernichtungswaffen protestiert wird. Möglichst zahlreich, möglichst bunt und möglichst vernehmlich. Der INF-Vertrag ist gekündigt, allerseits wird aufgerüstet. Ausdrücklich will man die hier lagernden Atombomben „besser einsetzbar“ machen. Was so ein Einsatz an Menschenleben und Menschenleid kosten würde, will ich uns gar nicht näher ausmalen. Seit Hiroshima und Nagasaki wissen wir es doch.

Aber es wird verdrängt. Von der Politik, von der Bevölkerung und weitgehend auch von den Medien. Ich empfinde das als sehr bedrückend. Immer wieder frage ich Menschen in meinem Umfeld, ob  sie überhaupt wissen, dass hier weiterhin Atomwaffen lagern, dass die Bundeswehr täglich den Atomkrieg übt, dass die Bomben hier aufgerüstet werden sollen, um sie lenkbar und darum „besser einsetzbar“ zu machen. Nein, die allermeisten wissen es nicht. Also habe ich mich entschlossen, meine Aktionen Zivilen Ungehorsams zu intensivieren, um so mehr Öffentlichkeit zu erreichen. Gemeinsam mit der Gruppe „Büchel Neun“ bin ich im Juli vorigen Jahres im Rahmen der Prozesskampagne „Wider§pruch“ auf die Startbahn der Tornados gegangen, mit denen deutsche Soldaten hier in Büchel den Atomkrieg üben.  So haben wir für eine kurze Zeit diesen schauerlichen Übungsbetrieb behindert. Die Presseresonanz war so ergiebig wie schon lange nicht: ZDF, Spiegel, die Zeit und der Focus waren neben der lokalen Presse dabei. Wir hatten auf der Rollbahn gesungen und musiziert, das Banner „Atomwaffen abschaffen jetzt!“ entrollt  und „Saatbomben statt Atombomben“ gestreut. Dafür erhielten vier von uns vom Amtsgericht Cochem 30 Tagessätze Strafe, einer als „Wiederholungstäter“ 60 Tagessätze, ersatzweise Haft. Alle haben wir Berufung eingelegt. Alle erwarten wir jetzt den Folgeprozess vor dem Landgericht Koblenz. Dort werden wir erneut die Atombombenpolitik der Bundesregierung anklagen.  Das Ziel ist, bis vor  das Verfassungsgericht zu gelangen. Wenn das es wieder ablehnt, sich mit dem Thema zu befassen, ziehen wir vor den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof.

In meiner Einlassung vor dem Amtsgericht Cochem habe ich dem Richter erklärt:

„Die Bundesregierung weigert sich, die sogenannte Nukleare Teilhabe aufzugeben. Ebenso weigert sie sich hartnäckig, den Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen zu unterzeichnen. Sie verstößt damit gegen das Grundgesetz Artikel 2, der lautet: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“, und ebenso verstößt sie gegen Artikel 3 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen. Er lautet: „Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.“

Dies alles, obwohl der Internationale Gerichtshof in Den Haag in seinem Gutachten 1996 Atombomben generell als völkerrechtswidrig eingestuft hat.

Sie mögen dies alles als irrelevant ansehen, da für Sie die Regelwidrigkeit namens Hausfriedensbruch im Vordergrund steht. Ich erachte diesen aber als das geringere zu schützende Rechtsgut gegenüber den übergeordneten Werten Schutz von Leben und Gesundheit und dem friedlichen Zusammenleben der Völker.“

Und in meinem Schlusswort vor dem Amtsgericht hier in Cochem führte ich aus:

„Ich möchte mich dem ehemaligen Staatschef und Initiator der Beendigung des Kalten Krieges, Michail Gorbatschow anschließen. Er hat 1988 die Weltuntergangsuhr um zehn Minuten zurückgedreht, die jetzt fatalerweise wieder auf zwei Minuten davor vorgerückt ist.

„Die größte Gefahr“, so Gorbatschow zur Premiere des Dokumentarfilms „Meeting Gorbatschow“ von Werner Herzog am 29. Oktober 2018, „die größte Gefahr ist die Rückkehr zur Konfrontation, der Beginn eines neuen Wettrüstens. Man redet über den Atomkrieg inzwischen so, als wäre das etwas durchaus Denkbares, man bereitet sich darauf vor, es werden unterschiedliche Szenarien besprochen. Ich bin fest davon überzeugt, dass der neue Kalte Krieg gestoppt werden kann, und werde dafür alles unternehmen.“

Und das tun wir auch.

In Umfragen sind jedes Mal um die 80 Prozent der Bevölkerung für die Abschaffung der Atomwaffen. Der Verbotsvertrag der Vereinten Nationen will sie erreichen. Die International Campaign to Abolish Nuclear Weapons Ican ist 2017 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Es gibt viele gute Absichtserklärungen. Aber, wie schon der Philosoph  Georg Wilhelm Friedrich Hegel wusste: Die Wahrheit einer Absicht ist die Tat!  Und an Taten mangelt es. Insbesondere auch der hiesigen Politik.

Das Unerhörte ist alltäglich geworden. Die Gefahr wird verdrängt. Die Passivität obsiegt Resignation scheint allgegenwärtig.

Dem möchte ich entgegentreten. Seit den frühen 80er Jahren demonstriere ich gegen den Atomwaffenwahnsinn. Ich habe mehrfach die Zufahrten zu den Atomwaffenlagern blockiert, in Mutlangen und hier in Büchel. In Mutlangen ist es schließlich gelungen - durch den 1987 von Ronald Reagan und Michail Gorbatschow geschlossenen INF-Vertrag, aber eben auch aufgrund der Aktionen der Friedensbewegung  -, die Atomraketen zu vertreiben. Yeah!

Aber hier wird gemauert, hier wird der Völkerrechtsbruch beschwiegen. Artikel 1 der UN-Charta verlangt, (ich zitiere) „den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und zu diesem Zweck wirksame Kollektivmaßnahmen zu treffen, um Bedrohungen des Friedens zu verhüten und zu beseitigen…“

Pustekuchen! Die Realität ist von diesem Ziel weit entfernt, besonders jetzt nach der Aufkündigung des INF-Vertrags durch Donald Trump und Wladimir Putin. Und indem die Bundesregierung in unguter Gemeinschaft mit den Atomwaffenstaaten sich hartnäckig weigert, dem Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen beizutreten.

Biologische und chemische Waffen sind geächtet. Atomwaffen aber bis heute nicht!!

Das zu skandalisieren sehe ich als meine Aufgabe, ebenso wie die Studentin und Friedensaktivistin Clara Tempel von „Junepa“, dem „Jungen Netzwerk für politische Aktionen“. Sie war für ihr Go In hier in Büchel 2016 am 21. März diesen Jahres ins Gefängnis gegangen. Hundert Unterstützende haben sie in Hildesheim begleitet. Ich war dabei. Die örtliche Presse und das Fernsehen des Norddeutschen Rundfunks auch.

In Claras Einlassung vor dem Landgericht erklärte sie: „Ziviler Ungehorsam war nie von der ersten Stunde an anerkannt –das macht ihn wohl auch aus. Aber wer wären wir, zu sagen, dass das Mädchen mit der Spange im Haar in der Nazizeit keine Flugblätter hätte verteilen sollen, weil sie damit gegen ein Gesetz verstoßen hat? Wer wären wir, zu sagen, dass die unterdrückten Menschen in Amerika den Busplatz für die Weißen hätten freimachen sollen, weil sie mit ihrem Sitzenbleiben gegen Gesetze verstoßen haben? Wer wären wir, zu sagen, dass Menschenrechtler_innen in der Türkei nicht mehr ihrer Arbeit nachgehen sollen, weil sie damit gegen irgendwelche irrsinnigen Gesetze verstoßen? Ja, ich stelle uns mit diesen Menschen in eine Reihe, denn für mich sitzen all die Menschen, auch die Menschen, deren Namen wir nicht kennen, heute neben uns auf dieser Anklagebank. Weil sie für ein besseres Leben gekämpft haben und nicht müde geworden sind.“

Katrin Vogler, Bundestagsabgeordnete der Partei „Die Linke“ und Mitglied der DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegnerinnen) unterstützte unsere Prozesskampagne mit den Worten:

„Nicht der zivile Ungehorsam gegen Atomwaffen gehört bestraft, sondern die Bereitschaft diese einzusetzen! Es wird Zeit, diese Waffen zu vernichten, bevor sie die Menschheit vernichten.“

Wir von der Prozesskampagne Wider§pruch sehen uns in der Tradition mutiger Menschen, die in vielen historischen Unrechtssituationen Zivilen Ungehorsam ausgeübt haben. Und wir stimmen Hannah Arendt zu, die aufgrund ihrer Beobachtung des Eichmann-Prozesses in Jerusalem 1961/62  befand: „Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen!“

Zum Schluss möchte ich noch die Schlusszeilen des Gedichts „Alle Tage“ von Ingeborg Bachmann mit euch teilen:  (Der Stern der Hoffnung)

„…wird verliehen

für die Flucht von den Fahnen,
für die Tapferkeit vor dem Freund,
für den Verrat unwürdiger Geheimnisse
und die Nichtachtung
jeglichen Befehls.“

Ich danke euch für eure Aufmerksamkeit.

 

Ariane Dettloff ist aktiv beim Kölner Friedensforum.