Redebeitrag für den Ostermarsch Marburg am 22. April 2019

 

- Sperrfrist: 22. April 2019, Redebeginn: 11 Uhr -

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

mein Name ist Michael Heiny, und ich spreche für die Marburger Geschichtswerkstatt. Die Geschichte des Deserteurdenkmals hier ist sehr eng mit unserem Verein verbunden. Ein wenig davon will ich ihnen erzählen. Vor allem, weil das Denkmal in diesem Jahr 30 Jahre existiert und nun 20 Jahre hier steht. Lasst uns dazu im Geiste den heutigen Weg bis zum Schülerpark schon einmal laufen:

Um den 1. September herum feierten auch 1989 die Marburger Jäger ihre Jägertage an ihrem Denkmal. Es sollte am Sonntagmorgen dort eine Feldandacht geben, Samstag nachmittags wurden schon Bundeswehrsoldaten für die geplante Kranzniederlegung gedrillt.

Wir stellten gleichzeitig auf der anderen Seite der Rasenfläche das Deserteurdenkmal auf, das so zum ersten Mal das Licht der Öffentlichkeit erblickte.

Jo Kley, ein heute deutschlandweit bekannter Künstler, hatte den auf eine Panzersperre gefesselten Torso geschaffen. Es gab eine kleine Einweihung, unterstützt vom DGB, unter dem Motto: „Fahnenflucht statt Heldentod“.

Am Sonntag stellten wir uns mit Plakaten, darauf Namen und Daten von Opfern der Wehrmachtsjustiz, zwischen die Reihen der Marburger Jäger, der teilnehmenden Bundeswehrsoldaten. Erschienen waren auch spezielle Freunde der Jäger, österreichische Gebirgsjäger-Veteranen aus dem Regiment von Hitlers Lieblingsgeneral Dietl. Die hatten wir schon 1985 in der Elisabethkirche kennengelernt, als sie, um Hindenburg zu ehren, ihre Orden und Ehrenzeichen aus NS- Zeiten angelegt hatten. Damals hatten sogar wichtige Marburger Lokalpolitiker auch der SPD am Preisschießen der Jäger teilgenommen.

Als Fotograf mischte ich mich auch unter die Österreicher, und ich hörte hier ganz böse nazifreundliche, auch antisemitische Äußerungen. Wir wurden als Störenfriede verunglimpft, auch, weil das Jägerdenkmal mit dem Zitat Tolstois versehen war: Soldat sein ist ein schändlicher Beruf“ .

Am nächsten Tag war das Deserteurdenkmal verschwunden. Wir erfuhren, dass es als illegal von den Stadtwerken abgeräumt und in den Bauhof verbracht worden war.

In den nächsten Jahren erhielt es Asyl vor dem ehemaligen Gerichtsgefängnis, in der ESG, vor dem KFZ und zur Wehrmachtsausstellung auch vor dem Hörsaalgebäude. Dies allerdings nur für ein kurzes Wochenende. Montag Morgen, kaum war die Uni-Spitze an der Arbeit, wurde die Abräumung verfügt.

Nach 10 Jahren ohne feste und sichere Bleibe gab die Stadt Marburg dem Denkmal endlich diesen Platz. Und er ist unseres Erachtens genau der richtige: Hier am Kämpfrasen, wo sich Marburger Krieger, gezwungene und leider oft genug auch freiwillige, häufig versammelt haben, ganz nah an der Standortkommandantur der Jägerkaserne, wo abweichendes Verhalten von Soldaten registriert und den Militärgerichten gemeldet wurde.. Anfangs wurde es als Provokation empfunden: Schon vor der Einweihung wurde das Denkmal beschmiert, etwas später sogar mit einem Hakenkreuz.

Dies ist die äußere Geschichte dieses Denkmals hier.

Ein paar Aspekte zur inneren: Für was steht diese Denkmal? Während im 1. Weltkrieg in Deutschland 20-50 Todesurteile wegen „Fahnenflucht“ verhängt wurden, gibt es für den 2. Weltkrieg Zahlen von 30000, von denen ca. 20000 auch vollstreckt wurde. (Zum Vergleich in der US-Armee 146, für andere westliche Armeen gibt es ähnliche, in Vergleich zu Deutschland verschwindend geringe Zahlen).

Ursachen dafür lagen in der von militaristischen Kreisen als Trauma erlebten Niederlage von 1918, den Desertionen von kriegsmüden Soldaten, dem Aufstand der Matrosen. Die Nazis, zum Krieg entschlossen, verfolgten Pazifismus als Treuelosigkeit gegen Volksgemeinschaft und Führer mit aller Brutalität, bauten eine furchteinflößende und menschenverachtende Wehrmachtsjustiz auf, die vor allem zu Kriegsende wütete.

(Zitat eines Richters aus einer Stellungnahme zu einem Urteil: „Sein Leben, das bisher keinen Wert hatte, wird dann vielleicht nicht nutzlos gewesen sein, wenn er jetzt durch seinen Tod anderen Kameraden ein abschreckendes Beispiel gibt“.)

An vorderster Front beteiligt: unser Marburger Wehrmachtsjurist Erich Schwinge, der Manneszucht und die Notwendigkeit unbedingten Gehorsams zum Kern des Militärstrafrechts erklärte..

Schwinge machte wie so viel NS-Beamte im Zuge der Restauration nach dem Krieg weiter Karriere als Dekan der juristischen Fakultät und sogar als Rektor unserer Universität. Er war Mitglied im Stadtparlament und auch stellvertretender Landesvorsitzender der FDP. Er baute in Marburg ein Netzwerk ehemaliger Militärjuristen auf und bestimmte jahrzehntelang den Blick auf NS-Miltärjustiz und Deserteure. Diese wurden weiter als Schwächlinge und Vaterlandsverräter verunglimpft, die Todesurteile gegen sie für angemessen und notwendig erklärt. So behauptete Schwinge noch 1980: „Die 10000-12000 Todesurteile waren… der Preis dafür, dass Westeuropa vor der bolschewistischen Überflutung verschont blieb.“ In diesem Klima war der Vorwurf der Wehrkraftzersetzung oder gar der Fahnenflucht ehrenrühriger als der, in der SS gewesen zu sein.

Es waren Außenseiter der wissenschaftlichen Forschung, die dies Bild erschütterten: Die Geschichtswerkstatt lud Fritz Wüllner zu einem Vortrag nach Marburg ein. Wüllner ursprünglich Manager, widmete sich der Geschichte der Wehrmachtsjustiz, um der Ermordung seines Bruders im Emslandlager Esterwegen 1941 auf die Spur zu kommen. Ein von ihm aufgefundenes Urteil ist das von Schwinge 1944 in Wien verhängte, nach dem der erst 17jährige Anton Reschny aufgrund des Diebstahls von 2 Uhren, einer Geldbörse, einer Brieftasche und eines Rings nach einem Bombenangriff unter - nach Wüllner - schwerster Rechtsbeugung auch der NS-Justiz unter anderem aufgrund der sog „Volksschädlingsverordnung“ zum Tode verurteilt wurde. Reschny überlebte durch einen Gnadenerweis Himmlers.

Schwinge allerdings schaffte es bis zu seinem Tod, jeden Angriff auf sein Tun juristisch abzuwehren.

Er starb 1994, von vielen hochgeachtet und geehrt auch da noch durch einen positive Würdigung in der FAZ.

Wir aber hatten hier in Marburg schon einen Kongress veranstaltet, auf dem lange vor der Wehrmachtsaustellung von Kriegsverbrechen und Greuel der Wehrmacht berichtet wurde. Wir erlebten Ludwig Baumann und andere Deserteure, hatten mit Wolfgang Abendroth hier auch ein sehr prominentes Beispiel vor Ort gehabt, und fanden auch erste Vertreter politischer Parteien, die das Interesse nach Entschädigung für Opfer der Wehrmachtsjustiz aufnahmen. Dies gelang erst 1997, Anträge dafür konnten aber nur bis 1999 gestellt werden.

Und einige von uns begannen unter unserem Motto “Grabe, wo du stehst“ mit unseren begrenzten Mitteln über die Geschichte des Marburger Kriegsgerichts zu forschen (Was bis dahin in der etablierten Forschung offensichtlich niemand für nötig befunden hatte). Die Ergebnisse waren erschreckend: Bei 2296 Verfahren, die seit Oktober 1939 in Haus der Turnerschaft Saxonia in der Lutherstraße 9 verhandelt und abgeschlossen wurden, sind 93 Todesurteile verhängt, 80 davon auch vollstreckt worden. 10 Opfer, so der damalige Stand, wurden in Marburg erschossen, im Steinbruch Drei Linden über Ockershausen (Auch das war hier weitestgehend vergessen, verdrängt worden) Die anderen wurden in Frankfurt-Preungesheim enthauptet (Das galt als besonders ehrverletzend), um die Leichen stritten sich die Anatomien in Frankfurt, Gießen und Marburg. Nahezu alle Spuren der Hingerichteten sollten getilgt werden, auch über den Tod hinaus.

Sich den an und hinter der Front begangenen Greueltaten des NS-Systems, der Mordmaschine des Krieges, dem System von Drill und Unterordnung verweigert zu haben, dafür steht dieses Denkmal.

Und es ist auch ein Gegen-Denkmal gegen all die vielen Kriegerdenkmäler in Marburg, die nicht danach fragen, ob Soldaten freiwillig ihr Leben ließen, ob sie auch Täter waren, wofür sie letztlich ihr Leben verloren. ( Mehr dazu sicher später am Jägerdenkmal.)

Wohl auch durch unsere Forschungen beeinflusst, begann sich die Einstellung zu diesem Denkmal in der Marburger Öffentlichkeit und Politik zu ändern: Die rot-grüne Stadtregierung gab ihm 1999 hier einen Ort im öffentlichen Raum. Und 2018 hat das Stadtparlament auf Antrag der SPD seine bauliche und inhaltliche Aufwertung beschlossen hat: Nach bisherigen Planungen soll das Denkmal selbst weitgehend unverändert bleiben, vor allem nicht erhöht gestellt werden. (Diese Art von Heldengedenken scheint uns unpassend) Allerdings ist geplant, die Umgebung stärker auf das Denkmal zu beziehen um ihm mehr Raum und Aufmerksamkeit zu sichern (Gleichzeitig sollen aber auch nicht zu viele Parkplätze wegfallen.)

Zudem sollen Informationen vor Ort Hinweise auf weitere Orte der Wehrmachtsjustiz und ihres Terrors geben: So auf das Standortgericht in der Lutherstraße 9 und den Erschießungsort im Steinbruch Drei Linden.

Auch sind weitere Forschungen zum Marburger Kriegsgericht notwendig. Der Stand von 1994 erscheint längst als überholt.

Inzwischen wissen wir von über 100 vollstreckten Todesurteilen, und auch genauere Erkenntnisse über einzelne Urteile und ihre Opfer sind gewonnen oder könnte recherchiert werden. Dazu hat Albrecht Kirschner der Stadt Marburg eine Recherche vorgeschlagen, die weiteres Licht in dies dunkle Kapitel Marburger Geschichte bringen und Opfer und ihre Geschichte aus dem Dunkel des Vergessens holen könnte. Geld für diese Forschungen scheint mir entschieden besser angelegt als z.B. für dubiose private Beratungsfirmen der Bundeswehr oder marode Segelschulschiffe…

Vielen Dank.

 

Michael Heiny ist aktiv bei der Marburger Geschichtswerkstatt.