Redebeitrag für den Ostermarsch Hannover am 20. April 2019

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Friedens- statt Rüstungsunion EUropa!

 

„Liebe Freundinnen und Freunde,

ich freue mich sehr, dass wir heute hier in Hannover zusammengekommen sind um gemeinsam gegen den Krieg und für den Frieden zu demonstrieren.

Ich beginne mal mit einem Zitat:

„Die EU befindet sich in einem historischen Moment. Entweder Europa wird erwachsen, oder wir werden das europäische Lebensmodell in der globalisierten Welt nicht verteidigen können. [...] Diese europäische Leitkultur müssen wir verteidigen und wenn möglich, global behaupten. [...] Die gemeinsame Verteidigung ist ein Muss! [...] Dies ist neben dem Euro die zweite große Weiterentwicklung Europas, die jetzt konkret ansteht.”

Das sind Worte von Manfred Weber, dem Spitzenkandidaten der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP). „Europa muss erwachsen werden“, sagt er. Wenn das erwachsen sein soll, dann frage ich mich einmal mehr, welche Vorbilder junge Menschen bekommen. Weber wird aktuell als aussichtsreichster Kandidat für die Nachfolge Jean-Claude Junckers als nächster EU-Kommissionspräsident gehandelt. Das zeigt leider ein bisschen, auf was wir uns wohl nach den EU-Wahlen am 26. Mai einstellen müssen. Weber steht ganz klar dafür, den eingeschlagenen Kurs der Europäischen Union zur militärischen Supermacht fortzusetzen.

Und genau das wollen wir nicht liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde!

Dieser Kurs ist nicht nur eine Absichtserklärung. Es sind schon verschiedene Schritte unternommen worden, die in diese Richtung gehen. Lange tat sich hier relativ wenig, weil Großbritannien alle Versuche, den EU-Militärapparat auszubauen, aus Sorge um seine machtpolitische Beinfreiheit torpediert hatte. Dies ist seit dem Brexit-Referendum 2016 nicht mehr der Fall und nun ist die Bahn frei die EU zu einer Rüstungsunion umzubauen. Und das in schwindelerregendem Tempo.

In einem ersten Schritt wurde im Juni 2016 eine neue EU-Globalstrategie verabschiedet. Es ist schon bemerkenswert wie offen es darin heißt, worum es geht. Wie offen gesagt wird, es geht darum Zugang zu den natürlichen Ressourcen sicherzustellen. Der freie Handel müsse geschützt werden. In Zentralasien, in Afrika und zur See bis hin zum Südchinesischen Meer und der Straße von Malakka.

Ich frage: Ist das das Friedenprojekt EU, von dem so viele reden??? Ich sage nein, das hat mit Frieden nichts zu tun, das muss aufhören. Denn wer dann also solche Pläne hat, der will sie dann weiterhin umsetzen. Was heißt das? Aufrüsten heißt das.

Etwas vornehmer steht es so in der Globalstrategie: „Die Mitgliedstaaten [benötigen] bei den militärischen Spitzenfähigkeiten alle wichtigen Ausrüstungen, um auf externe Krisen reagieren und die Sicherheit Europas aufrechterhalten zu können. Dies bedeutet, dass das gesamte Spektrum an land-, luft-, weltraum- und seeseitigen Fähigkeiten, einschließlich der strategischen Grundvoraussetzungen, zur Verfügung stehen muss.“

Militärische Spitzenfähigkeiten zur weltweiten Durchsetzung von EU-Interessen. Das ist das Programm, das sich hinter der EU-Globalstrategie nur wenig versteckt verbirgt. Nochmal in aller Klarheit: Diese militärischen Fähigkeiten sollen aufgebaut werden um sie dann auch einzusetzen. Das ist brandgefährlich, liebe Freundinnen und Freunde und dagegen müssen wir aufstehen!

Für diese Einsätze wurde inzwischen ein EU-Hauptquartier eingerichtet, von dem aus seit Ende 2018 Einsätze mittlerer Intensität geleitet werden können. Dann wurde mit der „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit““ – englisch abgekürzt „PESCO“ – ein Rahmen für die Umsetzung großer Rüstungsprojekte geschaffen. Viele EU-Politiker und Politikerinnen loben PESCO als historischen Meilenstein; und leider haben sie damit Recht. Mit der bewaffneten Eurodrohne wurde ein erstes Rüstungsgroßprojekt in den PESCO-Rahmen überführt. Das ist deshalb wichtig, weil PESCO-Projekte künftig bevorzugt aus dem Europäischen Verteidigungsfonds finanziert werden sollen.

Am letzten Donnerstag (18.04.2019) stimmte nun die Mehrheit des europäischen Parlamentes einem europäischen Verteidigungsfonds zu. Bislang war der EU-Haushalt für die Rüstungsfinanzierung weitgehend tabu! Und das muss auch so bleiben!

Ein von der linken GUE/NGL Fraktion im Europaparlament - also von uns - in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten ergab, dass dieser Verteidigungsfonds illegal ist. Dass dieser Fonds - zu einem guten Teil finanziert aus EU Steuermitteln - gegen den EU Vertrag verstößt.

Die EU Verteidigungsunion wird auf den Trümmern des Rechts aufgebaut. Rüstungskonzerne sollen nun also mit Steuergeldern bei der Entwicklung von unter anderem bewaffneten Drohnen massiv subventioniert werden. Ich sage hier auf dieser Friedenskundgebung: Das dürfen wir uns nicht gefallen lassen, liebe Freundinnen und Freunde!

Es geht nicht nur um Rohstoffe und Handel. In allen Strategien können wir es nachlesen.

Es geht auch um die Abwehr von Menschen, die aus Kriegen flüchten, die vor Hunger und vor den Klimakatastrophen flüchten.

Als ich neulich in einer Schule zu einer Diskussionsveranstaltung war, fragte mich ein Lehrer:

„Brauchen wir nicht angesichts der Flüchtlingswellen eine Europäische Armee?“ Und die Schüler riefen empört: „Das sind Menschen und keine Wellen.“

Das hat mir Hoffnung gebracht. Bei allen Veranstaltungen in Schulen habe ich gemerkt, dass junge Menschen auch für eine Zukunft eintreten wollen, in der solche Worte wie „wertebasierte Europäische Union“ wirklich ernst genommen werden. Dass man unter Werten nicht versteht, dass die heimische Industrie am Hindukusch oder wo auch immer verteidigt werden muss. Dass man das nicht unter „erwachsen werden“ versteht.

Ein Fokus der EU-Außenpolitik und der EU-Militärpolitik sind Maßnahmen zur Abwehr von Flüchtenden, zum Beispiel in der Mission EUCAP Sahel. Da loben deutsche PolitikerInnen ganz besonders die gute Arbeit, dass diese EUCAP Sahel Truppen zum Beispiel Wasserlöcher in der Wüste sichern.

Aber was heißt das im Klartext? Hier wird mit Hilfe der EU dafür gesorgt, dass flüchtende Menschen, die in der Wüste Wasser suchen, verdursten. Mittlerweile ist die Wüste als neues Massengrab zum Mittelmeer dazugekommen. Dort werden dann in Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache Menschen daran gehindert das Meer zu überqueren. Und wer sie vor dem Tod durch Ertrinken rettet kommt ins Gefängnis. Letzte Woche hat auch eine Mehrheit der EU Abgeordneten zugestimmt Frontex auf 10 000 Grenzbeamte aufzustocken. Alles im Dienste diese sogenannte Friedensunion vor den Menschen zu retten, die vor den Kriegen der EU fliehen.

Nun nochmal zurück zur Rüstungsunion:

Ganz frisch, am 19. März 2019, wurden die ersten 525 Mio. Euro aus dem Vorläuferfonds des Europäischen Verteidigungsfonds - englisch kurz EDIDP - für die Erforschung und Entwicklung von Rüstungsgütern bereitgestellt. 100 Mio. Euro davon dienen allein als Anschub Finanzierung für die Eurodrohne!

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

was passiert, wenn hier erst einmal der Damm gebrochen ist, zeigen die Vorschläge der Kommission für den nächsten EU-Haushalt von 2021 bis 2027.

Darin sind bis zu 48,5. Milliarden Euro für die Erforschung und Entwicklung von Rüstungsgütern eingestellt. Dazu kommen noch 6.5 Milliarden Euro um Verkehrsinfrastruktur für die schnelle Verlegung von Truppen nach Osteuropa zu schaffen. Weitere Töpfe kommen hinzu. Wir sprechen von über 65 Milliarden Euro aus dem EU Haushalt.

Wie schon gesagt: Bislang war der EU-Haushalt für die Rüstungsfinanzierung weitgehend tabu! Und noch eines müssen wir bedenken: Der EU Haushalt wir ja nicht mehr, alle diese Milliarden werden anderen zivilen Projekten weggenommen. Etwa den Strukturfonds oder der Entwicklungshilfe, der zivilen Konfliktverhütung und der Armutsbekämpfung.

Und noch etwas müssen wir bedenken: All diese Gelder sind zusätzlich zu den üppigen Anstiegen der nationalen Rüstungshaushalte.

 

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

im Jahr 2017 haben die EU-Staaten Waffen im Wert von knapp 20 Milliarden Euro exportiert. Ein Großteil davon in Krisengebiete. Allein an Saudi-Arabien gingen Exporte im Umfang von 5,5 Milliarden Euro. Das Schlimme ist: Diese Exporte sind zwingend notwendig, um die anvisierten nächsten Rüstungsgroßprojekte realisiert zu bekommen. Das sind ein deutsch-französischer Kampfpanzer mit einem geschätzten Gesamtvolumen von 100 Milliarden Euro und ein deutsch-französisches Kampfflugzeug, von dem sogar ein Umsatz von 500 Milliarden erwartet wird.

 

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

ein europäischer Rüstungskomplex bedeutet also nicht nur, dass immer größere Milliardenbeträge verpulvert werden, die dann sozialen Belangen nicht mehr zur Verfügung stehen. Er bedeutet auch: mehr Kriege und mehr Rüstungsexporte, was beides zu noch mehr Chaos und Konflikten, zu Leid und Elend beiträgt.

 

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

eine solche EU wollen wir nicht! Wir wollen eine echte europäische Friedensunion. Und das bedeutet, dass mit all diesen wahnwitzigen Vorhaben Schluss sein muss! Lasst mit unseren Rufen für den Frieden all das Kriegsgetrommel übertönen.

Vielen Dank!

 

Sabine Lösing ist Mitglied des Europäischen Parlamentes für die Partei Die Linke.