Redebeitrag für den Ostermarsch Bremerhaven am 20. April 2019

 

- Sperrfrist: 20. April 2019, Redebeginn: 12 Uhr -

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
sehr geehrte Damen und Herren,

ich begrüße nun auch die, die am Roten Sand noch nicht dabei waren. Ich heiße Werner Begoihn und spreche für die Initiative „Mut zum Frieden”, die seit 2002 in jedem Jahr in Bremerhaven zum Ostermarsch aufruft, in diesem Jahr also bereits zum 18. Mal. Ich mache mal mit Jahreszahlen und Jubiläen weiter: Die NATO besteht 2019 seit 70 Jahren. In Festreden wird sie als erfolgreiche Friedenssicherin gelobt. Das ist sie aber nicht.

Seit 1955 gibt es Spannungen zwischen den NATO-Partnern Griechenland und der Türkei, die zum Teil auch militärisch ausgetragen wurden.

Fast auf den Tag genau vor 20 Jahren überfiel die NATO Jugoslawien und brachte damit wieder Krieg nach Europa. Übrigens durfte dieser Krieg nicht Krieg genannt werden, weil das völkerrechtliche Konsequenzen gehabt hätte, die man vermeiden wollte, und weil das Grundgesetz nur Verteidigungskriege zulässt und Jugoslawien hatte niemanden überfallen. Man nannte ihn humanitäre Intervention und er war medial durch eine Verteufelung Serbiens vorbereitet worden – z. B. sprach der damalige Verteidigungsminister Scharping (SPD) von gegrillten Föten, die serbische Soldaten schwangeren Frauen aus dem Leib geschnitten hätten.

Der Afghanistan-Krieg, 2001 von den USA begonnen, sollte den Führer von Al Kaida, Bin Laden, festnehmen, weil man ihn für die Planung der Terroranschläge auf das World-Trade-Center verantwortlich machte, und Al Kaida sollte zerschlagen werden. Später nahm man noch die Entmachtung der Taliban dazu, weil sonst mit dem Tod Bin Ladens der Grund für die Intervention entfallen wäre. Die UN mandatierte Ende 2001 die NATO im Rahmen des ISAF (das steht für International Security Assistance Force) friedenserzwingende Maßnahmen vorzunehmen. Bekanntlich konnte der Frieden nicht erzwungen werden – heute sieht man sich genötigt, mit den Taliban zu verhandeln.

Zwei Nebenbemerkungen:

Julian Assange, der als Gründer und Betreiber von Wikileaks Verbrechen der US-Armee in Afghanistan publik gemacht hat, ist in Gefahr durch die britische Regierung an die USA ausgeliefert zu werden, nachdem sein Asyl in der ecuadorianischen Botschaft nach fast sieben Jahren vor kurzem aufgehoben wurde. Es ist zu befürchten, dass sich die Rechte in den USA an ihm rächen wird.

Zweite Nebenbemerkung: Viele Menschen, die die US-Armee – ob zu Recht oder nicht – mit Al Kaida in Verbindung brachte, sind noch heute im Internierungslager Guantanamo auf Kuba gefangen. Ihnen ist jede Möglichkeit genommen, durch ein ordentliches Gerichtsverfahren ihre Freiheit zurückzuerlangen – das zur Beachtung der Menschenrechte durch die USA.

Die auf Betreiben Frankreichs erfolgte Intervention der NATO in Libyen 2011 führte bekanntlich zum Sturz und zur Ermordung Gaddafis und zum staatlichen Chaos, dessen Nachwirkungen gerade heute wieder zu besichtigen sind. In einem Staat, dessen Bürger den höchsten Lebensstandard in Afrika hatten, bekriegen sich heute feindliche Milizen in einem Bürgerkrieg. Zur deutschen Ehrenrettung muss ich erwähnen, dass Deutschland sich an dieser NATO-Aktion nicht beteiligte – wofür der damalige deutsche Außenminister Westerwelle allerdings von rechten politischen Kreisen in Deutschland angefeindet wurde.

Ich empfehle ja immer, Fragen zu stellen, insbesondere solche, die in den Medien nicht oder zu leise gestellt werden. Die Fragen hier:

Woher hat der General Haftar Geld und militärisches Gerät, um der von der UN anerkannten Regierung gefährlich zu werden?

Wie hoch war der Wert der Rüstungsexporte, die vor 2011 nach Libyen gegangen sind und wo sind die Waffen nach Gaddafis Sturz geblieben?

Und auch in Syrien ist die NATO beteiligt.

Soviel fürs Erste zur glorreichen Geschichte der NATO.

Deutschland spielt eine wichtige logistische Rolle in der NATO und bei US-amerikanischen Kriegsvorhaben. Um das zu verstehen, erläutere ich den Wollfadentest. Bekanntlich ist die Erde in guter Näherung eine Kugel. Eine Kugeloberfläche kann nicht ohne Verzerrungen auf Karten abgebildet werden. Wer also den kürzesten Weg zwischen zwei Orten wissen will, sollte sich einen Globus hernehmen und einen Faden zwischen diesen Orten spannen, der Faden zeigt dann die kürzeste Route für Flugzeuge. Ich lade die Menschen, die einen Globus zu Hause haben, ein, das selbst mal zu versuchen. Sie werden sehen, dass Deutschland unter diesem Faden liegt, wenn man ihn zwischen Houston und Kuwait spannt. Deshalb ist und war Ramstein so wichtig für die Logistik der USA bei ihren Militäreinsätzen im Irak und Afghanistan. Und es gibt keine Bestrebungen seitens der Bundesregierung diese Nutzung von Ramstein zu unterbinden – auch nicht während des Irak-Krieges 2003.

Die Bundesregierung ist außerdem seit einigen Jahren darüber unterrichtet, dass von Ramstein aus Menschen in Afrika von US-amerikanischen Drohnen getötet werden. Die Frage hier: Muss Deutschland nicht verhindern, dass Killer von deutschem Boden aus operieren?

Die Rolle für die Logistik soll noch weiter ausgebaut werden, ein Schritt dazu ist das Manöver „Antlantic Resolve” in dem alle 9 Monate NATO-Streitkräfte in Osteuropa ausgetauscht werden. Wir haben das im Bremerhavener Appell von Ende 2016 als Säbelrasseln bezeichnet, das den Frieden in Europa nicht sicherer macht.

An dieser Stelle mache ich auf einen schlechten Scherz von Claus Kleber aufmerksam, der am 4. April 2019 das „heute journal“ mit diesen Sätzen anmoderierte: „Guten Abend. Zu Wasser und zu Luft sind heute nacht amerikanische, deutsche und andere europäische Verbündete unterwegs nach Estland, um die russischen Verbände zurückzuschlagen, die sich dort wie vor einigen Jahren auf der Krim festgesetzt haben. – Keine Sorge. Das ist nicht so. Das ist nur eine Vision. Aber eine realistische.“ – so geht Meinungsmache.

Aktuell sind deutsche Soldaten an der Luftaufklärung im Syrienkrieg beteiligt. Auch dazu zwei Fragen: War es mit der Luftaufklärung nicht möglich, den Weg des Erdöls zu verfolgen, mit dessen Verkauf sich der IS finanziert hatte? Und Dienten die Ergebnisse der Luftaufklärung der türkischen Armee bei der Planung ihrer Überfälle auf kurdische Gebiete in Syrien? – ich gehe davon aus, dass die Antwort in beiden Fällen „ja” lautet.

Wie die Beispiele gezeigt haben, sind militärische Interventionen zur Lösung humanitärer Probleme oder zur Beseitigung von Menschenrechtsverletzungen ungeeignet – die Behauptung, sie seien es, ist bloße Propaganda, die die wirklichen Interessen der beteiligten Akteure verdeckt als da sind: einen Status der Überlegenheit aufrecht zu erhalten, Zugriff auf Ressourcen zu sichern, mit der Rüstung Geschäfte zu machen, Entwicklungen, die das gefährden, zurückzudrehen oder aufzuhalten.

So sind Waffenexporte nach Saudi-Arabien wichtiger als das Leben der Menschen im Jemen.

So wird die durch ausländische Boykotte herbeigeführte Versorgungslage in Venezuela benutzt, um eben diese Versorgungslage gegen die amtierende Regierung ins Feld zu führen – wer ist schon so naiv zu glauben, der Parlamentspräsident ernennt sich selbst zum Interimspräsidenten, ohne sich vorher der Unterstützung durch die USA versichert zu haben.

Die meisten der oben genannten Interessen sind teuer. Die USA haben ihren Rüstungsetat von 1999 bis 2008 um 66 % gesteigert. Jetzt wird Druck auf die anderen NATO-Partner gemacht, die Rüstungsausgaben auf mindestens 2 % des BIP zu steigern – für Deutschland würde das fast eine Verdoppelung der jetzigen Ausgaben bedeuten. Daran kann die deutsche Bevölkerung kein Interesse haben.

Ich denke, nach dem bisher Gesagten verstehen sich diese Forderungen auf unserem Aufruf von selbst:

  • Senkt die Rüstungsausgaben!
  • Baut keine EU-Armee auf!
  • Beendet die Auslandseinsätze der Bundeswehr!
  • Verhandelt mit Russland statt militärisch zu drohen!

Zu den Entwicklungen, die in jüngster Zeit große Besorgnis erregen, gehört die Kündigung des INF-Vertrags durch die USA und in der Folge auch durch Russland. Der Vertrag, ursprünglich zwischen der Sowjetunion und den USA geschlossen und nach dem Ende der Sowjetunion von Russland übernommen, sieht vor, dass keine atomar bestückbaren Raketen mit einer Reichweite über 500 km von den Vertragsmächten vorgehalten werden dürfen. Nach Vertragsabschluss wurden tatsächlich zahlreiche Raketen auf beiden Seiten verschrottet. Der Vertrag war auch im Interesse der europäischen Staaten, weil durch ihn die Gefahr gebannt war, dass Europa zu einem atomaren Schlachtfeld wird. Diese Gefahr entsteht nun erneut, deshalb verstehe ich auch die Seelenruhe nicht, mit der Regierungsvertreter die Kündigung des INF-Vertrags hinnehmen.

Die UN hat 2017 einen Vertrag zum Verbot von Atomwaffen beschlossen. In der geschilderten Situation sollten wir uns dafür einsetzen, dass er auch in Deutschland ratifiziert wird.

Leider kommt in jedem Jahr noch etwas Besorgnis Erregendes dazu, doch ich möchte dass die Forderungen, die die Militarisierung der Gesellschaft verhindern oder mindestens behindern sollen, nicht in Vergessenheit geraten:

Keine öffentlichen Gelöbnisse bei der Aufnahme von Rekruten und Rekrutinnen in die Bundeswehr!

Keine Bundeswehr an den Schulen und keine Rekrutierung von Minderjährigen

Am Ende möchte ich noch auf das Material aufmerksam machen, das mir zur Vorbereitung dieses Ostermarschs geschickt wurde und euch bitten, Unterschiften zu sammeln unter die Forderungen nach der Ratifizierung des UN-Atomwaffenverbotsvertrags und „abrüsten statt aufrüsten”, zu der schon über 130.000 Unterschriften gesammelt wurden. Auch dass in Deutschland immer noch Atomwaffen lagern, ist ein Skandal, zu dem ich auch Informationsmaterial habe.

Ich danke euch für eure Aufmerksamkeit und beende hiermit die Kundgebung.

 

Werner Begoihn ist aktiv der Gruppe "Mut zum Frieden" in Bremerhaven.