Redebeitrag für den Ostermarsch Oberndorf  am Neckar am 5. April 2021

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Mitte 2020 waren über 80 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg, Konflikten und Verfolgung.[1] Auf Migrant*innen reagieren leider viele Menschen aversiv. Nicht die flüchtenden Menschen müssen bekämpft werden, sondern die Fluchtursachen. Das haben erfreulicherweise viele Politiker*innen im Ansatz begriffen: Angela Merkel[2], Heiko Maas[3] und Christian Lindner[4], um nur drei bekannte zu nennen, sprechen sich jeweils dafür aus, dass Fluchtursachen bekämpft werden müssten.

Wie werden Fluchtursachen bekämpft? Was sind überhaupt Fluchtursachen? Ich möchte versuchen, mit einem einfachen Vergleich meine Sichtweise zu erläutern. Stellen wir uns eine große Familie vor. Viele Menschen leben gemeinsam in dieser Familie. Doch wo Menschen aufeinandertreffen, gibt es Konflikte. Das liegt meiner Meinung nach in der Natur des Menschen. Nun streiten sich zwei Geschwister, zwei Mädchen. Sie streiten sich sehr intensiv und schaffen es nicht, die Position des anderen zu verstehen oder zumindest zu akzeptieren und stehen zu lassen. Verzweifelt, weil die andere Meinung unerträglich ist, wendet sich das eine Mädchen an den gemeinsamen Onkel und bittet um Rat.

Der Onkel hört sich die Erzählung an und gibt dann seiner Nichte folgenden Rat: Du musst aufpassen. Diese Meinungsverschiedenheit ist gefährlich. Ich bin mir nicht sicher, ob deine Schwester dir Schaden möchte. Du solltest für deine Sicherheit sorgen. Ich habe hier ein Messer für dich. Setze es ein, um dich selbst zu verteidigen.

Das Mädchen geht nun sicherer in die nächste Diskussionsrunde. Als es wieder brenzlig wird, sagt sie ihrer Schwester beiläufig: Und komm ja nicht auf die Idee, mich anzugreifen! Ich habe ein Messer von Onkel bekommen um mich zu schützen. Dabei zeigt sie die scharfe Klinge. Die Schwester ist hiervon sichtlich geschockt – Gewalt war nie in ihrem Sinne. Sie bricht die Diskussion ab und sucht ihren Onkel auf, um ebenfalls nach einem Messer zur Selbstverteidigung zu verlangen.

Bis sich die Schwestern wieder treffen, vergeht eine Weile. Doch beim nächsten Treffen, wird die Meinungsverschiedenheit sofort wieder zum Thema und mit harten Worten ausdiskutiert. Die andere Schwester erwähnt nun auch, dass sie ein Messer habe, falls sie angegriffen werde. Da erwidert die Schwester, die ihr Messer als erste erhielt: Warum sollte ich dich angreifen? Wenn dann, muss ich mich vor DIR schützen. Mit gezückten Messern stehen sie sich in einer bedrohlichen Situation gegenüber. Dieses Mal passiert zum Glück nichts – beide werden ihr Messer wegstecken und ihre Diskussion ohne physische Gewalt beenden. Aber die drei kleinen Brüder haben die Situation beobachtet und zittern vor Angst. Die drohende Gewalt hat sichtbare Spuren hinterlassen. Verängstigt gehen die drei kleinen Brüder zum Onkel, weil sie sich bei ihm sicher fühlen.

Der Onkel nimmt zwei der drei Brüder zu sich, für den Dritten habe er jedoch keinen Platz. Traurig, verängstigt und einsam bleibt dieser zurück mit der Angst, dass das nächste Mal die Gewalt eskaliert…

Zugegeben, diese Vergleichsgeschichte ist sehr vereinfacht dargestellt. Aber dennoch zeigt sie meiner Meinung nachfolgende drei Punkte schonungslos auf.

Erstens: Wer käme auf die Idee, bei einem familiären Streit den Konfliktparteien Waffen zu geben? Innerhalb der Familie würde doch jeder Mensch darauf hinwirken, den Konflikt gewaltfrei und kommunikativ zu lösen. Selbst bei stark verhärteten Fronten würde doch niemand Waffen ins Spiel bringen…

In der internationalen Politik ist das offenbar anders. Als Ultima Ratio ist Gewalt akzeptiert. Doch auch international gilt es im Sinne einer Familie zu handeln. Diese internationale Familie ist viel größer und bunter, aber dennoch verdient sie es, dass wir Konflikte friedlich lösen.

Zweitens: Die Rolle des Onkels in der Geschichte ist unklar. Hat er aufrichtig Angst um seine Nichten? Warum schenkt er dann Waffen, die eine gewaltsame Eskalation wahrscheinlicher machen. Jedenfalls bleibt festzuhalten, dass wir in dieser Hinsicht schlimmer sind: Wir verteilen Waffen in der Welt und wir bereichern uns daran. Wir verdienen ein Schweinegeld damit, dass anderswo das Gewalt- und Eskalationsrisiko stark steigt. Im Jahr 2020 wurden Rüstungsgüter im Wert von fast 5 Milliarden Euro exportiert.[5] Diese Exporte wurden von der Bundesregierung genehmigt. In diesem Zusammenhang ist es einfach nur zynisch, wenn die Kabinettsmitglieder Merkel und Maas die Bekämpfung von Fluchtursachen fordern. Ich kann verstehen, wenn jemand aus Angst vor Gewalt und Tod flieht. Aus diesem Grund muss ich ganz klar feststellen: Hier bei Rheinmetall und heute morgen bei Heckler&Koch – da werden Fluchtursachen produziert! Fluchtursachen bekämpfen, heißt Rüstungsexporte stoppen! Fluchtursachen bekämpfen, heißt Rüstungskonversion vorantreiben.

Als dritter Punkt wird aus der Geschichte folgendes deutlich: Der Onkel hat, bewusst oder unbewusst, zur drohenden Gewalteskalation beigetragen und somit die Angst der kleineren Brüder mitverursacht. Aufgrund dieser Verantwortung wäre es seine Pflicht gewesen, sich um alle drei zu kümmern. Das bedeutet im übertragenen Sinne: Solange wir uns mit Rüstungsexporten die Taschen vollstopfen, solange haben wir die Verantwortung zu tragen und jeden einzelnen flüchtenden Mensch, der aufgrund unserer Waffen um sein Leben fürchten muss, hier aufzunehmen. Schluss mit der Doppelmoral! Wer die Bekämpfung der Fluchtursachen fordert, muss sich zuerst den Konsequenzen stellen – und dann die Fluchtursachen nachhaltig bekämpfen!

Ich wünsche mir, dass mehr Menschen sich darüber klar werden, dass deutsche Rüstungsgüter einen maßgeblichen Anteil an den vielen weltweit flüchtenden Menschen haben. Es ist an der Zeit, hierfür endlich Verantwortung zu übernehmen.

Danke für eure Aufmerksamkeit!

 

Tobias Raffelt ist aktiv bei der ÖDP.

 

Anmerkungen: