Redebeitrag für den Ostermarsch Hamburg am 5. April 2021

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Rüstungsexporte sind ein tödliches Geschäft, deshalb braucht Deutschland endlich ein Rüstungsexportkontrollgesetz

 

Liebe Friedensfreundinnen und Freunde hier in Hamburg,

letzten Dienstag hat der Bundesgerichtshof die Bankrotterklärung der deutschen Rüstungsexportkontrolle festgestellt. Das sogenannte „Endverbleibsregime“ ist null und nichtig.

Dieses Urteil ist ein politisches Erdbeben. Bislang hat die Bundesregierung stets argumentiert, Endverbleibserklärungen seien Teil einer Rüstungsexportgenehmigung und könnten sicherstellen, dass aus Deutschland exportierte Waffen nicht an unerwünschte Empfänger weitergegeben werden.

Mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs zum Fall der Lieferung von G36-Sturmgewehren von Heckler & Koch nach Mexiko und dort auch in Provinzen, für die keine Genehmigung vorlag, ist klar, dass Endverbleibserklärungen nicht Bestandteil der Exportgenehmigung sind. Damit wird ein bisheriges Kernstück der deutschen Rüstungsexportkontrolle ad absurdum geführt.

Jetzt sind es nicht mehr nur wir von der Kampagne „Aktion Aufschrei –Stoppt den Waffenhandel!“, die seit Jahren kritisieren, dass Endverbleibserklärungen das Papier nicht wert sind, auf dem sie gedruckt wurde. Endverbleibserklärungen dokumentieren gegenüber den deutschen Genehmigungsbehörden vorab, wo die exportierten Waffen eingesetzt werden dürfen. Jetzt ist es Bundesgerichtshof amtlich. Endverbleibserklärungen waren bloß ein Feigenblatt für heikle Geschäfte, ein schlechter Versuch der Beruhigungspille. Damit ist jetzt Schluss.

Im Fall der illegalen Rüstungsexporte von Heckler & Koch (H&K) nach Mexiko hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe am 30.03.21 die Revision der Staatsanwaltschaft und der Angeklagten verworfen und damit das Urteil aus vorheriger Instanz weitgehend bestätigt. Von Heckler & Koch werden mehr als drei Millionen Euro aus dem illegalen Mexiko-Geschäft eingezogen. Endverbleibserklärungen sind nicht Teil von Exportgenehmigungen nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz. Dies ist ein wegweisendes Urteil mit Sprengkraft für die gesamte deutsche Rüstungsexportkontrolle.

Mit diesem Urteil ist die bisherige deutsche Rüstungsexportkontrolle am Ende! Jetzt kommt keine Bundesregierung mehr darum herum, ein Rüstungsexportkontrollgesetz auf den Weg zu bringen. Das genau fordert „Aktion Aufschrei –Stoppt den Waffenhandel!“nun schon seit 10 Jahren.

Wie ist es zu diesem Urteil gekommen? Jürgen Grässlin und Holger Rothbauer, mit denen ich im Mai 2011 gemeinsam die Kampagne gegründet habe, hatten schon 2010 Strafanzeige gegen Heckler & Koch gestellt. Und wir haben Öffentlichkeitsarbeit dazu gemacht. Schon 2015, als fünf Jahre nach der Strafanzeige nicht geschehen war, sind wir nach Stuttgart vors Landgericht gezogen, unter dem Motto: Der Tod dankt dem Staatsanwalt. Denn das ist mal klar: Die Leidtragenden der deutschen Rüstungsexportpraxis sind die Betroffenen in den Empfängerländern. Hier geht es um Menschenrechte der Menschen, die da leben, wohin deutsche Waffen geliefert werden. Auch die Ausrüstung von Polizei kann ein Risiko sein wie dieser Fall zeigt. Denn schon damals war Mexiko geprägt von Gewalt, Menschenrechtsverletzungen, Korruption und Straflosigkeit. Trotzdem wurde geliefert.

Am 26. September 2014 schoss die Polizei in Iguala im Bundesstaat Guerrero auf Busse mit Demonstranten und tötete dabei sechs Lehramtsstudenten. Später wurde eine Studentengruppe vermutlich von der Polizei eingekesselt und anschließend an eine kriminelle Gang namens "Guerreros Unidos" übergeben. 43 dieser Studenten werden noch immer vermisst und sind vermutlich nicht mehr am Leben. Bei dieser Polizeiaktion waren G36-Gewehre im Einsatz.

2015 ist es uns gelungen, den Regisseur Daniel Harrich auf diese skandalösen Lieferungen aufmerksam zu machen. Er hat einen Film darüber gedreht, der in der ARD auf allen Sender gelaufen ist: Der Meister des Todes“.

Erst 2018 und 2019 hat das Landgericht Stuttgart den Fall illegaler Waffenexporte von H&K verhandelt. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Genehmigung für den Export von mehr als 4.200 Sturmgewehren nach Mexiko mit bewusst falschen Endverbleibserklärungenerschlichen worden war. Wir hatten damals gemeinsam den Bruder von Aldo Gutiérrez, der seit den Schüssen in Iguala im Koma liegt nach Stuttgart eingeladen. Aber wir standen nur draußen vor der Tür, in der Verhandlung wurde Leonel nicht angehört. Einmal mehr ein Grund, warum ich hier stehe und den Opfern deutscher Rüstungsexporte eine Stimme gebe.

Stoppt den Waffenhandel! Den Opfern Stimme und den Tätern Name und Gesicht!Zu den Tätern gehören die Bundesregierungen aller Farben der letzten Jahrzehnte.

Und jetzt brauche ich eure Hilfe:

Wenn der politische Wille fehlt, die Rüstungsexporte zu stoppen,wenn mit Ländern Waffengeschäfte gemacht werden, die Krieg führen oder Menschenrechte und Völkerrecht mit Füßen treten -und nichts Anderes sehen und dokumentieren wir seit Jahren - dann braucht es ein Gesetz, das die Bundesregierungklar und deutlich in ihre Schranken weist.

Wir brauchen eindeutige Verbote. Die müssen im Rüstungsexportkontrollgesetz festgeschrieben werden. Alle Hintertüren und Schlupflöcher, die die unheilvolle Kombination von Kriegswaffenkontrollgesetz und Außenwirtschaftsgesetz geschaffen haben, müssen geschlossen werden. Die Kluft und die Widersprechende Logik dieser beiden Gesetze, die dazu geführt haben, dass Deutschland stets zu den sieben größten Waffenhändlern und Rüstungsexporteuren der Welt gehört muss endlich geschlossen werden. Deshalb fordern wir ein Rüstungsexportkontrollgesetz. Ein einziges Gesetz, das klip und klar, den Artikel 26.2 des Grundgesetzes umsetzt. Artikel 26 GG bestimmt das Friedensgebot des Grundgesetzes. Und Absatz 2 schreibt vor, dass Produktion und Export von Kriegswaffen nicht erlaubt ist, es sei denn, die Bundesregierung habe es ausdrücklich genehmigt.

Viel zu viel haben die Bundesregierungen seitdem genehmigt und dabei munter gegen ihre eigenen Richtlinien zum Rüstungsexport aus dem Jahr 2000 verstoßen.Wir stehen heute hierauch dafür, dass es in hoffentlich naher Zukunft ein Rüstungsexportkontrollgesetz geben wird, das dem Skandal der Verantwortungslosigkeit ein Ende setzt.

Wir fordern ein Gesetz, das durch klare Regeln und Verbote dem Ermessensspielraum der Bundesregierung Grenzen setzt. Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel! Stellt konkrete Ansprüche an das neu zu schaffende Gesetz. Es muss folgende Aspekte enthalten:

  • Ein Exportverbot von kleinen und leichten Waffen und dazugehöriger Munition.
  • Keine Rüstungsexporte in Kriegs- und Krisengebiete oder an Staaten, die die Menschenrechteund das Völkerrecht verletzen.
  • Ein Verbot der Lizenzvergabe sowie der Weitergabe von Waren und Informationen, die Nachbau und Weiterentwicklung deutscherWaffen und Rüstungsgüter ermöglichen.
  • Exportgenehmigungen müssen begründet werden und könnenjederzeit widerrufen werden.
  • Keine Vergabe staatlicher Exportkreditgarantien für Rüstungsgeschäfte (Hermesbürgschaften).
  • Verbandsklagerecht, um Rüstungsexportgenehmigungen richterlich überprüfen lassen zu können.
  • Rüstungskonversionsfonds, zur Förderung der Umstellung von militärischer auf nachhaltige zivile Produktion.
  • Das Rüstungsexportkontrollgesetz ist das einzige Ausführungsgesetz zu Art 26.2 GG.

All das brauchen wir, weil die Folgen deutscher Waffenexporte tödlich sind.

Wir sehen: Zerstörte Städte in Nordsyrien. Wie die Stadt Afrin, die völkerrechtswidrig von der Türkei angegriffen wurde. Dabei setzte die Türkei Panzer „Made in Germany“ ein. Offiziell erhält die Türkei jetzt nichts mehr, was sie in Syrien einsetzen könnte, alles andere aber schon. Aber die Türkei ist nicht nur in Syrien militärisch unterwegs, sondern auch im Nordirak und in Bergkarabach und die Türkei verstößt gegen das Waffenembargo in Libyen. Das Waffenembargo für das sich die Bundesregierung so stark gemacht hatte. Die Türkei wird trotzdem weiter mit Waffen beliefert.

Wir sehen: Zerstörte Städte im Jemen. In Sadaa und Aden setzte Saudi-Arabien nachweislich deutsche Waffen ein. 30% der saudischen Luftangriffe gelten zivilen Zielen, wie Schulen oder Krankenhäusern. Saudi-Arabien fliegt diese Luftangriffe auch mit den europäischen Eurofightern Tornado und Typhoon. Und trotz des Exportstopps gegen Saudi-Arabien werden diese Kampfflugzeuge weiterhin mit Ersatzteilen und Technik aus Deutschland versorgt. Auch jetzt in diesem Moment, denn der Jemen-Krieg hält bis heute an.

Nie verhängte Deutschland einen Exportstopp für all die anderen Länder, die an der Seite Saudi-Arabiens Krieg im Jemen führen. Sie bekommen bis heute deutsche Rüstungsgüter, obwohl ihnen genauso wie Saudi-Arabien massive Völkerrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Zu diesen Ländern gehören z.B. Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate. 2019 waren diese beiden unter den Top 20 der größten Empfänger deutscher Waffenexporte. Ägypten auch im Jahr 2020. Und sie sind nicht nur Teil der Kriegskoalition, sondern ihnenwird auch vorgeworfen, das Waffenembargo in Libyengebrochen zu haben.

Fassen wir also zusammen:

Deutschland liefert weiterhin Waffen an Länder, die Krieg führen und dabei Menschenrechte und Völkerrecht verletzen. Deutschland liefert weiterhin Waffen an Länder, die gegen das Waffenembargo für Libyen verstoßen.

Und das pikante daran:

Deutschland beliefert beide Seiten, die gegeneinander kämpfen: Die Türkei unterstützt die anerkannte Regierung in Libyen. Die Vereinigten Arabischen Emirate und Jordanien unterstützen General Haftar, der gegen genau diese Regierung kämpft.

Wer so Geschäft mit dem Krieg macht, macht sich selbst zum Kriegsprofiteur. Und gleichzeitig veranstaltet die Bundesregierung in Berlin 2020 die Libyenkonferenz und drängt auf Einhaltung des Waffenembargos.

Das ist keine restriktive Politik, das ist widersprüchliche Politik.Denn die Bundesregierung unterstützt zwar das diplomatische Bemühen für eine friedliche Lösung im Jemen und stellt Hilfsgelder in Millionenhöhe bereit, genehmigt aber weiter Waffenexporte an die Länder der Kriegskoalition-inklusive Saudi-Arabien. Denn -obwohl der offizielle Exportstopp für Saudi-Arabien anderes vermuten lässt, sind Re-Exporte und Sammelausfuhrgenehmigungen nicht von dem Rüstungsexportstopp erfasst und so werden die saudischen Eurofighter, die bis heute auch zivile Ziele bombardieren, weiterhin mit Technik `Made in Germany ́ versorgt.

Was bitte hat das mit einem Rüstungsexportstopp zu tun?

Und es geht noch weiter: Die saudischen Eurofighter werden von dem europäischen Unternehmen Airbus gebaut. An diesem hat der deutsche Staat 10% Anteile.Die Bundesregierung versteckt sich gerne hinter dem Argument, dass sie ja nur die Exporte genehmigt und selber gar nicht exportiert. Doch Deutschland hält Anteile an Rüstungsunternehmen. Damit ist sie gleichzeitig Genehmigungsbehörde und rüstungsexportierendes Unternehmen.

Neben diesen Beispielen für skandalöse tödliche Rüstungsexporte gibt es ein grundsätzliches Problem:Die Hälfte aller deutschen Kriegswaffenexporte (keine sonstigen Rüstungsgüter) gingen in den letzten 10 Jahren an Drittstaaten.Und das obwohl in den Politischen Grundsätzen, an die die Bundesregierung immer schwört sich zu halten, steht, dass Kriegswaffen an Drittstaaten nur in Ausnahmefällen geliefert werden, wenn außen-und sicherheitspolitische Interessen überwiegen.

 

Liebe Friedensfreundinnen,

wir müssen dem endlich einen gesetzlichen Riegel vorschieben. Deutschland braucht endlich ein Rüstungsexportkontrollgesetz. Die Bundesregierung hat diese Verantwortung, wenn sie diese Waffenverkäufe genehmigt. Die Rüstungsunternehmentragen diese Verantwortung, wenn sie die Verträge unterschreiben.

Und das ist es, wobei ich eure Hilfe brauche:

Sprecht mit euren Bundestagsabgeordneten! Sprecht mit denen, die für den Bundestag kandidieren! Erklärt ihnen, worum es geht. Der nächste Deutsche Bundestag muss ein Rüstungsexportkontrollgesetz beschließen.

Mit etwas Positivem möchte ich schließen:

Es gibt in Italien Grund zum Feiern für die Aktivist*innen gegen Rüstungsexporte –besonders auf Sardinien: Wie wir hier haben sie jahrelang Kampagnenarbeit gemacht, zahlreichen Petitionen, Demonstrationen, Blockadeaktionen und Gerichtsverfahren angestrengt. Jetzt hat die italienische Regierung beschlossen, die bereits in den letzten Jahren erteilten Genehmigungen von Waffenexporten nach Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabische Emirate nicht nur auszusetzen, sondern ganz zu widerrufen. Zudem werden weiterhin keine neuen Lizenzen für diese Staaten von der italienischen Regierung erteilt.Das ist ein Erfolg, ein Etappensieg,denn auch die Friedensbewegten in Italien arbeiten schon weiter und fordern genau wie wir hier in Deutschland,den Exportstopp von Rüstungsgütern auf alle Mitglieder der saudi-geführten Militärkoalition auszuweiten.

Das ist meine Vorstellung von europäischer Friedenspolitik:

Die Friedensbewegungen erreichen europaweit ihre Ziele und Europa trägt schließlich durch Abrüstung und ein Ende seines Waffenhandels zum Frieden bei.

Dafür stehen wir hier:Für ein Deutschland von dem Frieden ausgeht,für ein Europa von dem Frieden ausgeht Und ich weiß ja, hier zu stehen in Hamburg, in der Stadt der Volksinitiative gegen Rüstungsexporte über den Hamburger Hafen – das ist Eulen nach Athen tragen. Deshalb wünsche ich dieser Volksinitiative absoluten Erfolg –und wenn hier irgendwo eine Unterschriftenliste ist – und wenn auch eine Kölnerin, die in Berlin lebt da mitmachen kann, dann möchte ich da hier und heute unterschreiben.

Mischen wir uns gemeinsam in den Bundestagswahlkampf ein:

Waffenhandel ist tödlich – ein Rüstungsexportkontrollgesetz kann dem ein Ende setzen.

Und kein Transport und Umschlag von Rüstungsgütern über den Hamburger Hafen!

Vielen Dank.

 

Christine Hoffmann ist pax christi-Generalsekretärin und Sprecherin der Kampagne "Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel"