Redebeitrag für den Ostermarsch Kassel am 3. April 2021

 

- Sperrfrist: 3. April 2021, Redebeginn: 11 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

in den letzten Wochen, Monaten habe ich immer mehr mit Gefühlen von Empörung, Zorn, Ohnmacht zu kämpfen. Wie viele Zeichen der Ungerechtigkeit müssen wir erleben!

Die gesunkenen Zahlen der Asylbewerber werden regelmäßig wie Siegesmeldungen in den Medien verkündet.

2015 – das Jahr, in dem wir für einige Wochen Zeichen echter Menschlichkeit erleben konnten – darf sich nicht wiederholen, weil es den Untergang Deutschlands bedeuten würde.

Gleichzeitig sollen und werden die Rüstungsausgaben hochgefahren, um irgendwelche obskuren Versprechen zu erfüllen, die die Regierungen bei den Zusagen zur Entwicklungshilfe schon seit Jahrzehnten keinen Deut mehr interessieren.

Wir erleben, wie schmachvoll Menschen an den Außengrenzen Europas in menschenunwürdigen Lagern sich allein überlassen werden

wie Frontex und andere Europaschützer Menschen mit sog. Push-backs in ihr Verderben jagen.

Die Aufzählung der politischen und moralischen Versagen der deutschen Regierung, der EU könnte leider noch lange fortgesetzt werden.

Manches davon ist hier schon genannt worden. Vieles könnte in der Analyse so mancher unglaublichen Zustände ergänzt werden.

Was mir besonders nahe geht, ist die Situation der Menschen, die hier bei uns um Hilfe bitten. Flüchtlinge, die vor Krieg und Gewalt geflohen sind und weiterhin fliehen, vor Kriegen und vor Gewalt, die nicht zuletzt durch die Waffen möglich sind, die durch die EU und allen voran auch von Deutschland auch in die Krisenregionen unserer Welt geliefert werden.

Die Hauptursache für dieses skandalöse Verhalten liegt in dem egoistischen Wunsch, dass die Reichen (also wir) sich selber schützen und uns die Anderen egal sein können. Frieden und Gerechtigkeit ja, aber scheinbar nur für uns. Und da auch für die Privilegierten. Aber das ist ein Trugschluss: Frieden und Gerechtigkeit gibt es nicht partiell, gibt es nicht national, nicht nationalistisch. Das gibt es nur universal.

Das und viele andere Themen ist bei den Ostermärschen der vergangenen Jahre und bei anderen Gelegenheiten oft benannt worden. Das ist wichtig und muss auch so bleiben. Und doch ist dann oft  Ohnmacht und Zorn das, was zurückbleibt.

Ich möchte dabei nicht dabei stehen. Ich möchte nicht in die Resignation, nicht in Zynismus verfallen, der selber nur bitter macht und lähmt.

Ich will auch die anderen Erfahrungen wahrnehmen und mich an ihnen aufrichten.

Ich denke an Moria auf Lesbos, wo wir bei Besuchen so viele junge Menschen aus aller Herren Länder erlebt haben. Junge Menschen, die sich haben anrühren lassen von der Not. Die dort helfen, Bote aus dem Meer zu evakuieren, durchnässte und hilflose Menschen in Empfang zu nehmen, Jugendliche, die in den Camps arbeiten, junge Menschen, die Monate, manchmal 1, 2 Jahre Lebenszeit zur Verfügung stellen, um da vor Ort zu sein, wo sie gebraucht werden.

Ich sehe so viele junge Leute, die bei Fridays for future aufstehen und um ihr Lebensrecht kämpfen, Menschen, die für diese Erde kämpfen und die nicht mehr akzeptieren, dass Profit und Wachstum der eigentliche Lebensmotor sein sollte.

Ich sehe Kassel, wo bei der Letzten Kommunalwahl die AFD gerade mal so eben noch über die 5 % Hürde gerutscht ist. Die Menschen erkennen zunehmend die Lügen und den Rassismus, der sich dort im bürgerlichen Gewand verstecken will. Bei der nächsten Wahl werden sie dann hoffentlich ganz aus unserem Parlament rausgekickt.

Ich sehe wiederum Kassel, wo viele Tausend Menschen aufgestanden sind, um gegen den Mord am Regierungspräsidenten Dr. Lübke und gegen ein paar Rassisten, die sich hier in Kassel zeigen wollten, zu zeigen: Wir wollen Vielfalt! Wir sind lebendig!

Und noch einmal Kassel, wo ich immer wieder erlebe, dass eigentlich konservative, brave Bürger und Bürgerinnen sich für Benachteiligte, für Flüchtlinge einsetzen und ihnen gegen alle Widerstände helfen.

Und ja: ich erlebe das auch in vielen Bereichen der Kasseler Verwaltung und auch bei so manchen unserer Kommunal und Landespolitiker hier in der Stadt. Und ich bin froh darüber, immer wieder diese Zeichen der Menschlichkeit sehen zu können.

Mir macht das Mut. Das gibt mir Kraft und Zuversicht, nicht aus den Augen zu verlieren, was alles noch getan werden muss, weil es eben auch die vielen anderen Erfahrungen gibt. An diese Zeichen der Hoffnung möchte ich heute besonders erinnern.

Heute ist Karsamstag. In der christlichen Tradition ist das ein besonderer Tag. Ein Tag der Stille, der Ruhe und der Einkehr.

Ein Tag auch der Trauer und der Erschütterung angesichts der unmenschlichen und brutalen Gewalt, die diese Welt immer wieder erlebt und die an Jesus von Nazareth exemplarisch deutlich geworden ist.

Aber auf die Ohnmacht, auf die Trauer folgt – Ostern. Morgen schon erwachen wir aus der Schockstarre und feiern, dass das Leben siegt. Wir feiern, dass die Hoffnung lebendig ist. Wir feiern, dass Hass und Gewalt nicht das letzte Wort haben.

Diese Hoffnung hält mich lebendig – und ich sehe ihre Kraft – trotz allem – an vielen Orten dieser Welt.

Diese Hoffnung auf Menschlichkeit, Frieden und Gerechtigkeit lassen wir uns nicht nehmen. Eine Hoffnung, die sich nicht nur auf Kassel, nicht nur auf Europa richtet.

Frieden und Gerechtigkeit gibt es nur universal. Für alle.

Und dafür treten wir hier ein.

 

Pfarrer Harald Fischer ist Gemeindepfarrer der Kath. Pfarrei Sankt Familia in Kassel.