Redebeitrag für den Ostermarsch Heidelberg am 3. April 2021

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

 „Wir ziehen jetzt eine zweite Generation von Kindern groß, denen seit ihrer Geburt kein Mensch sagen kann, wie lange sie auf dieser Erde leben dürfen. So eine Fragestellung hat es noch nie in der Geschichte gegeben. Sie ist abscheulich und unannehmbar!“

Liebe Freundinnen und Freunde des Ostermarsches!

– das sind ganz aktuelle Worte und doch sind sie über 30 Jahre alt. Als ich gestern meine Unterlagen für den heutigen Redebeitrag sortierte, entdeckte ich ein Redemanuskript. Die Sätze entstammen einer Grußadresse von Prof. George Wald, emeritierter Prof aus Havard und Nobelpreisträger für Medizin an den Heidelberger Ostermarsch im Jahre 1989!

Seither hat sich die Welt geändert, aber die Qualität der Bedrohung des Gattungslebens, des Überlebens der Menschheit und seiner natürlichen Lebensgrundlagen blieb nicht nur erhalten, nein, die Tendenz hat sich massiv verschärft. Wir leben in einem Zeitalter, in dem die Möglichkeit eines „Zeitenendes “ konkret und real geworden ist.

In nahezu allen Bereichen des internationalen und gesellschaftlichen Zusammenlebens brauchen wir den Aus- oder den Umstieg, eine Wende um 180 Grad, wie es im Volksmund heißt.

Gegenwärtig gewinnen die Destruktivkräfte die Oberhand, ob nun in Fragen der Energie, der Ökologie, der sozialen Gerechtigkeit oder der Aufrüstung. Die Ampel droht auf Rot zu springen! – Und das alles auf dem Hintergrund einer wachsenden und sozialen Ungleichheit - sowohl im Weltmaßstab als auch im Inneren der Gesellschaften. Die gegenwärtige Pandemie illustriert dies auf eine geradezu perverse Weise. Ich spiele damit nicht nur auf die Unmoral der individuellen Bereicherung einzelner Politiker beim Maskenkauf aus der Partei mit dem großen ‚C‘ im Namen an, vielmehr offenbart die Pandemie die massive Unterfinanzierung und Aushöhlung des Gesundheitsbereichs sowie des gesamten Sektors der Daseinsfürsorge.

Die Spannungen nehmen überall auf der Welt zu und gefährden den Zusammenhalt des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Als Gewerkschafter muss ich betonen, dass die weltweite Desintegration des Arbeitsmarktes in einem ungeheuren Ausmaß voranschreitet. Unvorstellbare 60% arbeiten im informellen Sektor ohne Arbeits- und gewerkschaftliche Rechte, ohne ausreichenden sozialen Schutz. Stets sind Frauen am stärksten betroffen.

Spannungen und Zerreißproben, wohin wir auch schauen! Die geopolitischen Interessen führen gegenwärtig zu Spaltungen, die uns näher an einen Krieg bringen. Die Kriegsgefahr weitet sich aus und ist deutlich erhöht, auch wenn wir uns hier, im schönen Heidelberg in Frieden wähnen. Die USA mit ihren Verbündeten, der EU, bringen sich durch eine massive Aufrüstungs- und Einkreisungspolitik in Stellung. Die Rüstungsetats steigen ins Unermessliche, die Modernisierung der Waffengattungen, wird fortgeführt. Und Joe Biden? – Ein Hoffnungsträger? – Machen wir uns nichts vor. Er ist nicht Trump, aber auch Biden hält am Atomwaffenprogramm fest. Strategisches Ziel: Die Erlangung der Fähigkeit eines atomaren Erstschlags.

Was ist davon zu halten, wenn Biden sein russisches Gegenüber öffentlich als einen ‚Killer‘ brandmarkt. Da schlägt er doch die Tür bereits schon zu, bevor es zu möglichen Gesprächen kommt! Hier wird gezielt eskaliert und nicht deeskaliert. – Wo sind die politischen Kräfte, die aufbegehren, wo die Persönlichkeiten in der Politik, die aufschreien? – Unser deutscher Außenminister übt sich in Unterwürfigkeit! – In dieser Hinsicht, ein totaler Ausfall.

Wer ergreift endlich die Initiative für eine neue Entspannungspolitik? Wer setzt eine Politik der Abrüstung ganz oben auf die politische Tagesordnung? – Ich bin mir sicher, dass niemand vom Himmel fallen wird. Als vor über 30 Jahren die Abrüstungsverhandlungen zwischen den USA und der Sowjetunion in Reykjavik festgefahren waren, sprach Gorbatschow: „Jetzt müssen die Völker sprechen!“ – Es ist unser Anliegen, das Anliegen der Bewegung ‚von unten‘ der Politik Beine zu machen. In Deutschland will das eine deutliche Mehrheit von 75%, aber im Bundestag trifft genau dieselbe Mehrheit gegenteilige Entscheidungen. – Das muss sich ändern – Das müssen wir ändern!

Wir brauchen dringend einen Ausstieg aus dem Atomwaffenprogramm. Atomwaffen sind toxisch, existenzbedrohend und zutiefst unmoralisch.

Wir brauchen zwingend eine neue Sicherheitsarchitektur und neue Wege der Konfliktlösung, wie auch der Abrüstung.

Die Waffenschiebergeschäfte bei Heckler&Koch haben es jüngst wieder gezeigt. Der Rüstungsexport und das Rüstungsgeschäft mit dem Tod müssen ein Ende haben. Die Arbeitsplätze müssen transformiert und konvertiert werden. Dazu braucht es sicher Geld, aber in erster Linie einen politischen Willen. Die Billionen, die jährlich für die Rüstung ausgegeben werden sind öffentliche Steuergelder! – Wir brauchen diese Gelder dringend für den Gesundheitssektor, für Bildung und Erziehung, für die Existenzsicherung unserer Gesellschaft.

Wir brauchen eine massenhafte Moral der Veränderung! Jede einzelne Person ist hier gefordert. Denn auch das lehrt uns die Pandemie. Die Risiken und Bedrohungsszenenarien machen vor keinen Grenzen halt und es stellt sich die Frage: Wie hälst du es mit dem Überleben der Menschheit und der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen?

Wir wollen leben! – Wir wollen leben in einer Welt des Friedens, einer Welt, die sich aufmacht, um Klimagerechtigkeit herzustellen, die sich sozial-ökologisch ausrichtet und zu einer sicheren Welt wird.

Setzen wir uns dafür ein! – Kämpfen wir weiter!

Danke für eure Aufmerksamkeit!

 

Dr. Jörg Götz-Hege ist aktive bei der GEW Heidelberg und auch im DGB.