Redebeitrag für den Ostermarsch Berlin am 3. April 2021

 

- Sperrfrist: 3. April 2021, Redebeginn: 13.30 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

nun befinden wir uns seit über einem Jahr in einer außergewöhnlichen Situation. Unser gesellschaftliches Leben trudelt von einem Lockdown in den nächsten. Wir sind entwurzelt, vereinzelt, deprimiert oder platzen vor Wut. Und kein Ende in Sicht.

Polititisches Agieren erfordert ungeheure Kreativität und eine hohe Frustrationstoleranz.

Und selten wurde das Wort Solidarisch-Handeln so inflationär missbraucht wie in diesen Zeiten der Pandemie.

Die sozialen Katastrophen sind noch gar nicht alle abzusehen, die Corona verursacht. Und manchmal kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass nicht nur Unvermögen der politisch Verantwortlichen hinter dem Chaos steckt. Sondersendungen, Nachrichten und Talkrunden über Covid 19, Sars Cov 2, die Pandemie, die Mutanten, verschiedene Worte für denselben Inhalt, nehmen andere wichtige Weltereignisse aus dem Focus.

Wir aber haben auf dem Schirm, was unter dem Radar von leeren Worten wie „Wir müssen jetzt alle zusammenstehen in dieser schwierigen Zeit“ ausgekungelt und verhandelt wird: Ein riesiges Aufrüstungsprogramm, eine aggressive Außenpolitik, der Abbau demokratischer Rechte und eine ungeheure Umverteilung von unten nach oben.

Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich kotzen möchte und gar nicht alles aufzählen, was an Schweinereien gerade läuft:

Zum Beispiel Aufrüstung: Aus dem Corona-Konjunkturpaket von Juni 2020 sollen u.a. „neue Rüstungsprojekte mit hohem deutschen Wertschöpfungsanteil“ sofort umgesetzt werden. Wie bitte? Rüstungsprojekte aus dem Corona-Konjunkturpaket???  Wäre da nicht eine angemessene Gehaltserhöhung für Pflegekräfte angebrachter?

In der Tagesschau am 7. Februar 2021, zu einer Zeit, wo viele noch auf ihre Überbrückungsgelder für vergangenen November warten, wird stolz verkündet, dass Deutschland der NATO ihre aktuellen Verteidigungsausgaben gemeldet hat, die eine Steigerung von 3,2% zu 2020 darstellen.

Mathias Mogge von der Welthungerhilfe schreibt in der Neuen Osnabrücker Zeitung am 7.12.2020: „Aktuelle Studien zeigen, dass jährlich 40 bis 50 Milliarden Euro für die kommenden zehn Jahre ausreichen würden, um den Hunger in der Welt bis 2030 zu besiegen. Das heißt, dass der Jahresumsatz der 25 größten Firmen im Rüstungsgeschäft fast ausreichen würde, um keinen Menschen mehr hungern zu lassen“.

AKK bekräftigt eifrig, dass sie das 2% Ziel 2031 erreichen will, was dann etwa 90 Milliarden Ausgaben für die Bundeswehr bedeuten werden. Das Doppelte, was man bräuchte, um alle Menschen satt zu machen!

Anderes Beispiel: Neue Aufgaben der Bundeswehr: Die Terrorismusbekämpfung steht nun nicht mehr im Vordergrund, sondern die Landesverteidigung. Genau. Mit Heer, Marine und Luftwaffe gegen den Feind.

Ist das Russland? Wenn es nach dem Tenor unserer Qualitätsmedien und dem Außenminister geht: Ja. Nach Biden sowieso, der Putin als Mörder bezeichnet und nach dem Kommentator der FAZ Klaus-Dieter Frankenberger, der am 18.3.2021 ins gleiche Horn bläst: „Biden will den Zerfall des Westens stoppen. Dazu gehört es, dessen Feinden die Stirn zu bieten. Einen skrupellosen Herrscher wie Putin beeindruckt Leisetreterei nicht, mögen seine westlichen Söldner auch anderes behaupten.“ Damit ist eins klar: Wenn wir sagen: Stoppt die Feindbilder Russland und China, sind wir also westliche Söldner.

Mit solchen martialischen Sprüchen wird versucht, das Land „sturmreif“ zu schreiben und die realen Fakten zu verschleiern.

Denn diese sagen was anderes: Die NATO hat ein immenses Übergewicht in allen Kampfsystemen gegenüber Russland (außer bei den Panzern und der Artillerie): Bei der Luftwaffe 4,8 zu 1, auf dem Meer zwischen 2,5 und 9 zu 1 und unterm Wasser 3,2 zu 1. Soldaten haben sie sowieso viel mehr. Allein in Europa stehen mehr als 3x soviele NATO-Soldaten wie russische.

Und beim Militärbudget wird’s noch krasser: Über 1.000 Milliarden Dollar NATO-Ausgaben zu 60 Milliarden, also 18 mal soviel!!! Die Russen haben gerade mal 1,6 Milliarden Dollar Mehrausgaben als Deutschland!

Noch ein Beispiel: Manöver: In diesem Jahr wird versucht, nachzuholen, was Covid 2020 verhinderte. Mit Defender 2021 übt die NATO gerade mal wieder den Krieg gegen Russland, in Mittel und Osteuropa, mit 31.000 Soldaten aus 26 Ländern zeitgleich in mehr als 30 Trainingsgebieten. Und Deutschland ist die Drehscheibe für diese Truppenbewegungen. Das ist das Gegenteil von Entspannung!

Also Russland will UNS angreifen? Das ist lächerlich.

Richtig ist, dass die Vormachtstellung der USA in der Welt droht, flöten zu gehen und mit ihr die hoch gepriesenen Werte der westlichen Welt. Worin diese bestehen? In einem solidarischen Miteinander, dem Schutz des Schwächeren, Dialog und Menschlichkeit, Demokratie? Nein.

Sie bestehen in der Ausbeutung der Länder des Südens, im Fernhalten von Menschen, die, aufgrund eben dieser Ausbeutung und der Kriege, die der Wertewesten in ihren Ländern angezettelt hat, es zu Hause nicht mehr aushalten und zu uns kommen wollen. Sie bestehen in der Zusammenarbeit mit Diktatoren und Regimes, die das Wort Menschenwürde, Freiheitsrechte oder gar demokratische Mitbestimmung gar nicht kennen. Diese Zusammenarbeit floriert solange sie nach den Regeln der ehemaligen Kolonisatoren spielen. Erst wenn das nicht mehr passiert, mutieren solche Länder zu Feinden.

Um diese Vormachtstellung geht es. Auch Deutschland will wieder mitmischen. Nicht mehr am Katzentisch sitzen, wegen der 12 Jahre Fliegenschiss.

Sie will mitspielen bei der NATO, klar. Statt endlich die Forderung zu erheben, die Kommandozentralen und Stützpunkte der USA, die Relaisstation für Drohnenangriffe sind, zu schließen und die stationierten Atomwaffen der USA abzuziehen, werden diese erneuert und 45 neue Fliegerbomber für die Bundeswehr angeschafft, die diese Atombomben ins Ziel tragen sollen, damit Deutschland weiterhin nuklearer Teilhaber ist.

Aber jetzt soll auch ein bisschen mehr Verantwortung für Europa hinzukommen:

Nicht für ein gemeinsames, europäisches, friedliches Haus von Lissabon bis Wladiwostok, wie Anfang der Neunziger Jahre kurz angeträumt.

Nein, militärische Verantwortung soll es sein. Mit ehrgeizigen Projekten wie der Entwicklung und dem Bau der sogenannten Eurodrohne, von der die Bundeswehr ab 2028 21 Exemplare erhalten soll. Die können sehr detaillierte Landkarten anfertigen und die gesamte elektronische Kommunikation der militärischen und politischen Führung eines Landes ausspionieren im Radius von 400 km. Die sollen aber auch bewaffnet werden. Und das sollte bereits im Haushalt 2021 festgeklopft werden. Das konnten wir tatsächlich bisher verhindern! Die SPD hat bisher nicht mitgemacht! Bravo! Leider ist die Eurodrohne dennoch nicht vom Tisch, sondern ihre Entwicklung soll nach Willen der CDU/CSU und FDP und auch Teilen der SPD noch vor der Wahl im Haushalt verankert werden, damit auch zukünftige möglicherweise andere Regierungskoalitionen daran gebunden sind.

Weitere Großprojekte sind in der Pipeline von Merkel und Macron, um eine strategische Autonomie der EU zu erringen.

Die Wahlen stehen vor der Tür. Um den Wahnsinn zu stoppen, der noch viel mehr an Horror bereithält, müssen wir vom Sofa runter. Dürfen wir uns nicht einlullen lassen. Müssen wir einen klaren Kopf behalten. Wir kämpfen gegen Windmühlen. Aber vielleicht drehen sich diese mal in die richtige Richtung und bringen uns dann so richtig in Schwung.

Vielen Dank.

 

Jutta Kausch ist aktiv bei der Friedenkoordination Berlin (FriKo).