Redebeitrag für die Auftaktveranstaltung in Köln des Ostermarschs Ruhr am 3. April 2021

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

Sklaverei ist in Europa erst seit 1926 verboten;

kann sich jemand von euch daran erinnern, dass der Ehemann seiner Frau noch vorschreiben konnte, ob und wo sie arbeiten konnte – bis 1958 war das möglich!

Könnt ihr euch daran erinnern, wann die Prügelstrafe in Schulen abgeschafft wurde? – 1973 und das Recht auf gewaltfreie Erziehung verkündet wurde? 2000

Warum ich daran erinnere?

Weil wir im Jahr Eins sind:

Es ist das erste Jahr, in dem der Atomwaffenverbotsvertrag gilt.

Und die deutsche Bundesregierung weigert sich, ihm beizutreten.

Es ist das erste Mal, dass wir als Friedensbewegung auf einem Ostermarsch den Abzug der Atomwaffen der Vereinigten Staaten von Amerika aus Deutschland, aus Büchel fordern, und haben diesen völkerrechlich wirksamen Vertrag auf unserer Seite.
Aber die deutsche Bundesregierung, unsere Regierung, weigert sich ihm beizutreten.

Dass es den Atomwaffenverbotsvertrag überhaupt gibt, ist bereits ein Erfolg der Friedensbewegung:

Zahllose Menschen haben weltweit dafür gekämpft und gearbeitet,

dass der Ansatz gewählt wird bei dem, was Atomwaffen für Menschen bedeuten, was ihre Auswirkungen waren und sind auf Betroffene, nicht nur bei Einsätzen, sondern auch durch Tests.

Unendlich viele Gespräche mussten geführt werden, damit der Vertrag ausgehandelt und 2017 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 7. Juli auf Weg gebracht wurde.

Nachdem ihn 50 Staaten ratifiziert hatten, ist er seit dem 21. Januar dieses Jahres gültig.

Das wurde in ganz Deutschland von der Friedensbewegung gefeiert und es sollte auch im nächsten Jahr gefeiert werden und gefordert werden: dass die Bundesregierung dem Atomwaffenverbotsvertrag beitritt, statt zuzulassen, dass sie aufgerüstet werden.

Die Atomwaffen der Vereinigten Staaten von Amerika, die in Büchel, bei Cochem, in der Südeifel lagern, sollen aufgerüstet werden zu lenkbaren Waffen.

Statt der Vernunft und dem Gewissen zu folgen, und den Atomwaffen abzusagen, sollen sie aufgerüstet werden!

Atomwaffen sind Massenvernichtungswaffen und gehören geächtet wie alle anderen Massenvernichtungswaffen auch.

Aber was sind die Ursachen dafür, dass die Bundesregierungen gleich welcher Couleur sich seit Jahrzehnten weigern, den Atomwaffen abzusagen, obwohl eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung dafür ist?

  • Weil noch nicht genug dafür auf die Straße gegangen wird! Denn nur was an der Wahl-Urne und auf der Straße geschieht, ist für die meisten Politiker real.
  • Weil wir noch nicht genug Soldaten dafür gewonnen haben, ihrem Gewissen zu folgen und den Atomwaffen abzusagen.
  • Weil wir noch nicht genug Richter dafür gewonnen haben, sich dafür einzusetzen, was das selbstverständliche ist, dass die Atomwaffen geächtet werden und alle geschützt werden, die sich gegen ihre Lagerung, Androhung und Anwendung aussprechen.

Aber das alles wird nicht ausreichen, wenn wir den unterirdischen Fluss, der fortwährend den Atomwaffenirrsinn bewässert, nicht austrocknen.

Dieser Fluss unterhalb der Oberfläche, der den Atomwaffenglauben bedient.

Er wird zum Beispiel von dem Glauben an die Macht des Stärkeren gespeist: Wer dem Glauben an die Macht des Stärkeren nicht abschwört, beschwört die Ungeister der Atomwaffen.

Zu diesem unterirdischen Fluss gehört das Pochen auf Besitz und Eigentum.

Wer Eigentum besitzt, will diesen auch schützen.

Dieser Schutz kostet – und koste es was es wolle, soll mein Eigentum meins bleiben.

Solange der Glaube an das Eigentum aufrechterhalten wird, kann der Atomwaffenungeist immer neu daran Feuer fangen. Franz von Assisi hatte recht: ohne Eigentum keine Kriege.

Es sind Allmachtsphantasien, die sich im Atomwaffenglauben austoben:

Solange nicht die Würde der Ohnmacht, die Macht der Geduld und die unzerstörbare Wirkungsweise der Liebe meines Bruders Jesu, dessen Sieg wir morgen feiern werden, erkannt, geglaubt und gelebt werden, solange kann der Atomwaffenglaube die Menschen verwirren und narren.

Und wenn Ungerechtigkeit bagatellisiert und noch schlimmer: nicht wahrgenommen wird

  • dann geht uns das Sensorium verloren wie sehr die Atomwaffen heute schon Schrecken und Zerstörung für Mensch, Mitwelt und das Klima bewirken.

Darum verneige ich mich heute

  • vor den Opfern der Corona-Pandemie weltweit und ihren Angehörigen,
  • ich verneige mich vor den Opfern der Gier Europas und Nord-Amerikas, dass immer noch täglich fast 30.000 Menschen sterben, weil sie nicht rechtzeitig an sauberes Wasser und Medikamente gelangen,
  • ich verneige mich vor dem Leiden der Obdachlosen weltweit und auch hier in Köln,
  • ich verneige mich vor den Opfern der Atombombenanwürfe auf Hiroshima und Nagasaki und den Leidtragenden,
  • ich verneige mich vor den Opfern der Atombombentests und den Leidtragenden ihrer Auswirkungen bis heute.

Wie gelingt es, unserer Abscheu gegen Atombomben – und Krieg! – so Ausdruck zu verleihen, dass es ganz selbstverständlich die Kultur unseres Landes prägt, die Atmosphäre bestimmt und das Milieu prägt, so dass sich jeder und jede, der oder die Atomwaffen verteidigt, sich dafür schämen muss wie jemand, der behauptet, es sei normal, Menschen zu versklaven, Kinder zu prügeln und Frauen hinter der Küchentür einzusperren?

Wie können wir so einfach und wirkungsvoll zeigen: Atomwaffen gehören geächtet! Die Bundesregierung hat dem Atomwaffenverbotsvertrag beizutreten?

Vielleicht, indem wir in jedem Brief, bei jeder E-Mail bei jedem Telefonat am Ende erklären: „Und im Übrigen: Die Atomwaffen sind zu ächten, Deutschland hat dem Atomwaffenverbotsvertrag beizutreten“?!

 

Pfarrer Dr. Matthias Engelke ist aktiv beim Versöhungsbund.