Redebeitrag für den Ostermarsch Mannheim am 3. April 2021

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

jetzt möchte ich darüber reden.

Wie der Zivilgesellschaft ihre Selbstbestimmung genommen wird.

Wo können wir Bürger*innen in den großen Debatten denn noch mitreden? Bei Frieden, Geld, Recht? Irgendwie, so scheint mir, werden uns unsere Mitspracherechte schleichend entzogen. Von uns gewählte Volksvertreter sollen uns in Regierung und Parlamenten  vertreten, aber vertreten sie wirklich unsere Interessen? Versuchen unsere Volksvertreter, die großen Probleme zu lösen, allem voran der menschengemachte Klimawandel und die Bedrohung durch einen Atomkrieg?

Nein. Deshalb sind wir hier. Trotz Corona – denn auch die Militarisierung geht weiter. Die EU, die Regierungen machen keinen Lock down in der Aufteilung der Welt. Sie setzen voll auf Konfrontation.

Dabei bräuchten wir eine globale Kooperation, um die Erderhitzung zumindest zu begrenzen  und den verheerenden Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft zu begegnen. Corona zeigt überdeutlich, wie in einem Brennglas, wo die Probleme liegen.

Eine handlungsunfähige Regierung trifft auf eine Wirtschaft, die nur ihre Partikularinteressen durchsetzen will, damit ihre Gewinne nicht gefährdet werden.

Die Politik schafft es nicht einmal, grundlegende Dinge zeitgerecht zu organisieren wie Masken, Tests, Impfstoff. Und Corona ist meiner Meinung nach deutlich weniger kritisch als der Klimawandel und die steigende Wahrscheinlichkeit eines Atombombeneinsatzes.

Die Problemkreise Klimawandel, Frieden und Abrüstung hängen eng zusammen, wie Elena eben auch dargelegt hat:

  • Klimawandel erzeugt Konflikte.
  • Militarisierung heizt das Klima an.
  • Bekämpfung des Klimawandels braucht globale Kooperation und Frieden.

Man kann das eine Problem nicht ohne die anderen lösen! Was steht einer Lösung aller Probleme entgegen?

Ich fange mit Frieden an. Über Krieg und Frieden entscheiden Politiker gemeinsam mit den Rüstungskonzernen. Schon US-Präsident Eisenhower klagte Anfang der 60iger Jahre über den Einfluss des militärisch-industriellen Komplexes. Dieser sieht – ganz logischerweise - unsere Sicherheit nur durch eine permanente Aufrüstung gewährleistet. Deshalb sollen wir also auf einmal 2% des Bruttoinlandsproduktes für das Militär ausgeben ohne irgendeine gesellschaftliche Diskussion wieso, wofür und weshalb.

Jetzt soll die EU in Anführungsstrichen ‚Verantwortung‘ übernehmen. Im Klartext heißt das Aufrüsten und weltweit den Frieden militärisch sichern wollen. Aber was dann passiert: Als in Afghanistan Polizei und Militär ausgebildet wurde, stellte die Bundeswehr nach einiger Zeit fest, dass die Taliban auf einmal viel besser schießen konnten! Und in Mali wurde das Militär ertüchtigt und jetzt haben wir gutausgebildete Militärdiktatoren, die vernünftig Englisch sprechen und vielleicht sogar gendern und Müll trennen, liebe Grüne. [Und liebe Frau von der Leyen, vielleicht haben die Diktatoren sogar einen Kindergarten für die Kinder ihrer Soldaten und Soldatinnen.]

Gelernt wird aus solchen Erfahrungen nicht. Die EU baut gerade eine Friedensfaszilität auf – im Klartext eine EU-Armee. Man traut sich offensichtlich nur nicht, das Ganze klar zu benennen. Es ist nämlich nichts anderes als ein radikaler Paradigmenwechsel, denn die EU wurde als Friedensprojekt gegründet und 50 Jahre so gefeiert. Diese Armee ist aber für Interventionen gedacht, kann Waffen an andere Länder liefern und soll 5 Mrd. € bis 2027 erhalten. EU wird also Militärmacht, mit Wirkung auch auf ihre Handels- und Industriepolitik.

Mit Handelspolitik möchte die EU-Führung zusammen mit den großen Wirtschaftsakteuren ihre Machtansprüche durchsetzen. Wie soll das gehen? Über die sogenannten Freihandelsabkommen! Von diesen steht CETA, das Abkommen zwischen EU und Kanada bald auf der politischen Agenda in Deutschland. Mit CETA sollen Investorschiedsgerichte umfassend eingeführt werden. Diese stehen über dem deutschen Recht, quasi als Völkerrecht. Aber sie sind total einseitig, nur Investoren können ihre Profitinteressen einklagen, auch so etwas wie entgangene Gewinne. Klimaschutz, Menschenrechte, Gemeinwohlinteressen? Sind nicht einklagbar! Man braucht nicht zu spekulieren, was unter CETA passieren wird. Schon heute gibt es ganz eingeschränkt in Deutschland Möglichkeiten für Konzerne, den Staat zu verklagen und sie nutzen es wo immer sie können. So kommt es, dass LEAG, ein tschechisches Braunkohleunternehmen, vom Staat 1,873 Mrd. € wegen  des Kohleausstieges erhält! Das ist das 50ig-fache des tatsächlich entstandenen Schadens, nur damit LEAG nicht vor einem Investorschiedsgericht klagt.

CETA sei der Goldstandard für neue Handelsverträge, so die Aussage führender Wirtschaftsvertreter und Politiker. Wenn CETA zugestimmt wird, sollen alle anderen Handelsverträge dieselbe Option von Investorschiedsgerichten erhalten.

Warum brauchen wir solche Handelsverträge? Es geht nicht um Schaffung von Wohlstand durch Handel. Die Studie der EU selbst zeigt, dass der Effekt nur minimal sein kann. Sogar der Präsident des Bundes der Deutschen Industrie hat gesagt, dass es nicht um Wirtschaftswachstum geht. Ich habe mal einer öffentlichen Anhörung des Wirtschaftsausschusses zu diesem Thema gelauscht. Es geht ihnen um den großen geopolitischen Kampf, um wirtschaftliche Einflusssphären. Das zeigt schon die Militarisierung in ihrer Sprache: Deutschland würde sich als zahnloser Tiger in der Welt zeigen, wenn es nicht einmal schafft, so etwas wie einen Handelsvertrag abzuschließen.

CETA (und nachfolgende Verträge) würden gebraucht, damit wir als westliche Wertegemeinschaft unsere Standards setzen können.

Oder gleich ganz in militärischer Analogie hören wir inzwischen: Wir brauchen eine Wirtschafts-NATO. Wird hier am Ende wieder ein kalter Krieg erklärt, damit die Zivilgesellschaft ruhig bleiben muss?

Die Mitspracherechte werden uns meistens mit solchen Regeländerungen im Hintergrund entzogen. Das wirkt nicht so spektakulär, weil die Auswirkungen erst später offenbar werden und man auch von oben versucht, es schnell und leise durchzuziehen. Die Elite – so nenne ich einfach mal den Klüngel aus hochrangigen Politikern und Wirtschaftsführern - rechnet mit so einem Vorgehen deshalb mit weniger Widerstand aus der Zivilgesellschaft. Leider, oder sogar mit Absicht, klären große Medien nicht wirklich bei Regeländerungen auch über deren Wirkungen auf. Ich möchte  vier aktuelle Beispiele nennen:

  • EU wird Militärmacht
  • Deutschland möchte offiziell wieder im Atommonopoly mitspielen.
  • Die Welt wird wieder in militärisch-wirtschaftliche Blöcke und Einflusssphären aufgeteilt, Industrie- und Handelspolitik wird danach ausgerichtet.
  • Mit der Zustimmung zu CETA werden unsere Demokratie und unser Rechtssystem ausgehöhlt, Klima und Menschenrechte abgedrängt.

Und die meisten Politiker*innen verhalten sich bei diesen Fragen wie formbare Knetmasse ohne eigene Haltung, weichgeknetet von tausenden Lobbyisten. Corona zeigt es überdeutlich. Aber wir haben Superwahljahr, Chancen für neue Weichenstellungen.

Ich möchte meine Rede mit sechs Forderungen beenden, was dringend zu tun ist, um national und international wieder mehr Kooperativität und Stabilität zu erreichen:

  • Atomwaffenverbotsvertrag unterschreiben!
  • Abrüsten, nicht aufrüsten! Liebe Grüne, auch eine emissionsärmere Bundeswehr wird weder klimakonform, noch kann sie Probleme lösen.
  • Keine Auslandseinsätze mehr! Auch mit EU-Streitkräften nicht! Aber wie sichern wir dann unsere Rohstoffversorgung, wird die große Wirtschaft fragen, also auch CDU, FDP, SPD. Ganz einfach mit Forderung:
  • Konsequent erneuerbare Energien ausbauen, Rohstoffverbrauch durch Kreislaufwirtschaft senken, Umbau der Wirtschaft zur Klimaneutralität. Das lässt sich allerdings massiv durch Investorschiedsgerichtsklagen torpedieren. Deswegen:
  • CETA und alle weiteren Handelsverträge nicht ratifizieren, aus bestehenden Verträgen mit Investorschiedsgerichten aussteigen, damit die Zivilgesellschaft ihre demokratischen Rechte zur Mitbestimmung über ihr Gemeinwesen behält.

Das benötigte Geld ist da. Deshalb Forderung 6:

  • Trockenlegung der Steueroasen, Transparenz in der Besteuerung großer Konzerne – damit könnte man zumindest sofort mal anfangen.

Das Jahr wird spannend. Es geht darum, ob wir erreichen, dass eine kooperative Welt geschaffen wird, in der Lösungen zur Klimaproblematik, Frieden und der Pandemie gefunden werden, und Lebenschancen gerechter verteilt sind. Sonst leben wir in einer Welt, aufgebaut auf der Konfrontation von zwei gigantischen Machtblöcken USA und China, wo wir nur noch warten können, ob uns zuerst die Atombombe oder die Klimakrise trifft.

Mischen wir uns ein! Stellen wir als Zivilgesellschaft unsere Forderungen! Reden wir mit Leuten, die von uns gewählt werden wollen.

 

Dr. Sibylle Brosius ist Vorstandsmitglied von NatWiss e.V., Verantwortung  für Frieden und Zukunftsfähigkeit  und Scientists for Future (S4F) (Beide Organisationen sehen es als ihre Aufgaben, wissenschaftliche Erkenntnisse in gesellschaftliche Debatten einzubringen.)