Redebeitrag für den Ostermarsch Rhein-Ruhr in Düsseldorf am 3. April 2021

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

in jeder Stunde, die wir hier auf der Ostermarschdemonstration zusammenstehen werden 2 Kinder auf dieser Welt Opfer kriegerischer Auseinandersetzungen: sie werden getötet oder schwerst verletzt. Tausende werden entführt und als Kindersoldaten rekrutiert, Hundertausende sind schwerst traumatisiert. Das sagen uns die Zusammenstellungen der SOS-Kinderdörfer.

Und die Zahlen steigen seit Jahren laut den Erhebungen der UN. Die Kinder sind Leidtragende

  • Bei der Durchsetzung ökonomischer Interessen und des Kampfes um Einflusszonen
  • Sie werden getötet und verletzt mit Waffen, die den Rüstungsexporteuren horrende Profite garantieren
  • Oft unter dem Deckmantel von Religionen und Ideologien, gleich welcher Couleur

Die Wenigsten konnten für sich und ihre Familien in diesen Konflikten ein mehr an Gleichheit und Freiheit erhoffen. Auch wenn die Kriegsparteien dies zur Rechtfertigung der Gräueltaten postulierten.

Ich stelle dies an den Anfang meines Beitrages, weil uns die ganze Menschverachtung des Satzes von Clausewitz vor Augen geführt wird - der Krieg sei nur die bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. NEIN. Krieg steht für das rationale Versagen der Politik. Und Aufrüstung heißt das Vorspiel. Und beide sind ein Verbrechen an der Menschheit.

Ich gebe zu, dass wenn ich auf die Ereignisse in der Welt schaue,

  • das Anwachsen der Rüstungsproduktion,
  • die Ausweitung der Nuklearpotentiale,  
  • die Kriege und Stellvertreterkriege,
  • die Vervielfachung von Scharmützeln mit Todesfolgen
  • die militärisch unterfütterten Drohgebärden sehe,

wird mir angst und bange. Die Suche nach einem zivilisierten Ausgleich von Interessen, nach der Rückführung der Militärausgaben zugunsten von Lösungen wirklicher Menschheitsprobleme oder gar tatsächlicher Abrüstung, ist der Politik entfremdet.

Wir erleben den internationalen Abgesang auf eine Politik der Abrüstung, Entspannung und einer neuen multilateralen Weltordnung. Alle Hoffnungen, die sich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs einstellten sind zerstreut. Nationalismus und Militarismus greifen wieder um sich und setzen neue Spiralen der Aufrüstung in Gang.

Ein dreiviertel Jahrhundert nach dem Abwurf der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki im August 1945 erreicht der nukleare Rüstungswettlauf ungeahnte Ausmaße. Alle neun Atommächte stecken Unsummen in die Modernisierung ihrer Nukleararsenale. Allenfalls zarte Hoffnungen konnte mit der von Joe Biden angestoßenen Verlängerung des russisch-amerikanischen „New Start“-Vertrages entstehen. Die weiteren Rüstungskontrollregime für Atomwaffen sind ausgelaufen.

Ich befürchte, dass es nur ein kurzes Aufhellen war, als Ende Oktober der 50ste Staat der Weltgemeinschaft dem Vertrag zum Verbot von Atomwaffen beitrat. Nach den Regularien der UN entwickelte er mit diesem Quorum seine rechtliche Gültigkeit. Zur Vollständigkeit zählt jedoch, dass dieses Abkommen von den Atommächten und weiterer Staaten – darunter Deutschland – boykottiert wird.

Die ablehnende Haltung der deutschen Bundesregierung diesem UN-Vertrag über das Verbot von Atomwaffen beizutreten wurde zuletzt in der Debatte über die Erneuerung deutscher Trägerflugzeuge für US-amerikanische Atombomben deutlich. Und doch sollten wir beharrlich dabeibleiben, und zumindest einfordern, dass unser Land als akkreditierter Beobachter teilnimmt.

Für mich als Mitteleuropäerin ist ganz klar, dass es keine Notwendigkeit für die Stationierung taktischer amerikanischer Atomwaffen in Europa gibt, genauso wenig wie für russische. Für mich macht die alte Forderung nach einem atomwaffenfreien Europa und einer vollständigen Abrüstung der landgestützten Nuklearwaffen in Europa weiter Sinn. Massenvernichtungswaffen führen nicht zu mehr Sicherheit. Denn ich frage mich: Hat die unterstellte Abschreckung jemals die Nuklearmächte beschränkt, immer neue Planspiele in Realoptionen zu formen, die einen Atomwaffeneinsatz doch möglich und gewinnbar machen sollen. Ein atomarer Schutzschirm entwickelt nur scheinbare Sicherheit.

Allerdings brauchen insbesondere die Staaten des Baltikums, Polen und die Ukraine Garantien, die ihre Souveränität und lang erkämpfte staatliche Eigenständigkeit garantieren. Nach der Annexion der Krim und der Besetzung der Ostukraine durch russische Söldner ist dort die Basis für eine europäische Friedensordnung geschrumpft. Jedoch auch die Osterweiterung der NATO schuf neue Ungleichgewichte. Deshalb ist es umso wichtiger, alle Anstrengungen darauf auszurichten Säbelrasseln durch Verhandlungslösungen zu ersetzen. Freund-Feind denken hilft nicht weiter.

Ohne Russland wird es nicht gelingen zu einer europäischen Friedensordnung zu gelangen. Auch jenseits von Sanktionspolitik muss alle Kraft darauf ausgerichtet sein, die Gesprächsfäden nicht abreißen zu lassen. Friedenssichernde Politik braucht die Fähigkeit sich in die Interessen und Beweggründe des Gegenübers hineinzuversetzen.

Dabei ist die Wirklichkeit nicht auszublenden. Mir ging das Herz auf bei den Bildern von den mutigen Demonstrantinnen und Demonstranten in Belarus. Und es wuchs Ernüchterung bei der Inhaftnahme von Navalny. Doch ich zweifele ob eine zugespitzte Konfrontation dem Willen nach Änderung förderlich ist. Änderung wie sie hundertausendfach bei eisiger Kälte und großem Risiko, insbesondere von jungen Menschen, verlangt wurde. Ich setze mittel- und langfristig auf den alten entspannungspolitischen Leitspruch Egon Bahrs, den Wandel durch Annäherung zu beflügeln.

Hält man eine solche Sicht aufrecht wird man mittlerweile allzu oft – auch in gewerkschaftlichen Zusammenhängen - einem Rechtfertigungsdruck unterworfen. Die vermeintlichen sicherheitspolitischen Wahrheiten kritisch zu hinterfragen bleibt eine Herausforderung. Trotzdem bleibe ich dabei

  • die These von der nuklearen Teilhabe zu verwerfen,
  • die Zukunft der atomaren Abschreckung zu verneinen,
  • die Bewaffnung von Drohnen, mit ihrer Perspektive zum automatisierten Krieg, abzulehnen
  • den Umgang Deutschlands mit dem Vertrag zum Verbot von Atomwaffen zu verurteilen

und werbe um Unterstützung. Dabei darf es nicht um bedingungslose Zustimmung gehen, sondern darum Türen aufzustoßen und Menschen in Bewegung zu setzen. So wie das die Friedensbewegung in den 80er Jahren vorgemacht hat und wie es der Frankfurter Apell jetzt tut.

Rüstungsproduktion und Rüstungsexport dienen nicht nur der Schaffung immer neuer militärischer Drohpotentiale und dem tödlichen Einsatz in Konflikten. Die Produktion von Rüstungsgütern ist auch ein Riesengeschäft. Dieses Geschäft bindet Produktions- und Forschungskapazitäten, wie auch staatliche Finanzmittel, die für dringende soziale, gesundheitspolitische und ökologische Herausforderungen notwendig wären.

Mitte März 2021 veröffentlichte die Rheinische Post Daten zur Entwicklung von Rheinmetall mit Sitz in Düsseldorf. Dort stellte Vorstandschef Armin Papperger heraus, dass der Rüstungskonzern sich beim Verkauf von Panzern auf einem starken Wachstumskurs sieht. Den Umsatz des Militärgeschäfts sieht er von 3,7 Milliarden € im vergangenen Jahr auf voraussichtlich 5,5 Milliarden € im Jahr 2025 steigen. Der hier erwartete Umsatzzuwachs entspricht in etwa dem jährlichen Geschäft, das die international führenden Drägerwerke in der Medizintechniksparte in 2020 weltweit mit 1,74 Milliarden Euro einfuhren (!)

Und die Erwartungen von Papperger wachsen im Bericht noch weiter. Mit Blick auf Panzer und Militärlastwagen sieht er in den nächsten zehn Jahren ein Auftragspotential, dass zwischen 30 und 60 Milliarden € groß ist. Und kein Bereich soll im Unternehmen bleiben, der nicht eine Mindestrendite von zehn Prozent im Jahr 2025 verspricht. Es folgt die Aufzählung von nichtmilitärischen Geschäftsfeldern die künftig wegfallen.

Die weit zurückliegenden Debatten um Rüstungskonversion, die Drive bekamen in der sogenannten „Friedensdividende“ der 90er Jahre, sind vergessen. Betriebsräte und Belegschaftsmitglieder hatten damals tausende von Ideen entwickelt, wie maritime und landgestützte Rüstung in friedliche Produkte und Großanlagen umgewandelt werden könnten. Vieles hätte sicherlich helfen können der Klimakatastrophe entgegenzuwirken. Die damaligen Einsparungen in der Rüstungsbeschaffung wurden jedoch nicht umgeschichtet, sondern dienten allenfalls allgemeinen Einsparungen des Staates. Auch wir haben nur erwartungsvoll auf die Verkleinerung der Bundeswehr von über einer halben Million in der Wendezeit auf noch 250.000 Mann im Jahr 2010 geschaut. 

Und die heutigen Erwartungen von Rheinmetall und anderer Rüstungsproduzenten basieren auf der politisch forcierten Absicht weltweit steigender Rüstungsausgaben. In Deutschland hat sie Symbolgestalt angenommen im Tanz für das Goldene Kalb der Anhebung der Rüstungsausgaben auf 2% des Bruttosozialprodukts.

Sollte Deutschland tatsächlich 2024 zwei Prozent des Bruttosozialprodukts ausgeben, hätte das zur Folge, dass der Verteidigungsetat auf über 70 Mrd. US-Dollar steigen würde. Das wäre dann soviel, wie die aktuellen Etats von Italien und Frankreich zusammen. Deutschland würde Russland vom derzeitigen vierten Platz im Ranking der weltweiten Militärausgaben verdrängen. Laut dem Londoner SIPRI-Institut gab Russland 65,1 Mrd. Dollar im Jahr 2019 für sein Militär aus, was allerdings 3,9 % des BIP gleichkommt. Hier tritt die deutlich geringere Wirtschaftskraft des Riesenreiches gegenüber seinen westlichen Konkurrenten zum Vorschein. Verbirgt sich also im gewaltigen westlichen Rüstungsaufbau eine Wiederauflage des „Totrüstens“ aus der Niedergangsphase der Sowjetunion?

Russland ist zweifellos kein militärischer Zwerg und seine Rüstungsanstrengungen gelten der Durchsetzung geopolitischer Interessen und der Fortentwicklung seines militärisch industriellen Komplexes. Schließlich nimmt das Land Platz zwei ein bei den weltweiten Marktanteilen des Exports von konventionellen Waffen. Während die USA unbestritten mit 37 % Weltmarktanteil Platz 1 einnehmen, folgt Russland mit 20% vor Frankreich und Deutschland – letzteres hält 5,5 % Marktanteil.

Die Corona-Krise führt drastisch vor Augen, wie verantwortungslos diese Geldverschwendung ist. Besonders deutlich zeigt sich dies im Globalen Süden. So sind etwa in vielen Ländern Afrikas und Lateinamerikas große Bevölkerungsteile schutzlos dem Virus ausgesetzt, weil es an einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung fehlt und die dortige Klassen-Medizin Angehörige der Ober- und Mittelschicht privilegiert. Gleichzeitig sind die Rüstungsausgaben in der Region in jüngster Zeit stark angestiegen – Geld, das für den dringend nötigen Ausbau der Gesundheits- und Sozialsysteme fehlt.

Aber auch im Falle Deutschlands legt die Corona-Krise schonungslos offen, wie gravierend die Fehlverteilung öffentlicher Mittel war und ist. Der Bundeshaushalt 2020 sah vor, ursprünglich 12 Prozent der Ausgaben für den Verteidigungsetat aufzuwenden, während nur ein Drittel davon in das Gesundheitssystem fließen sollte.

Es ist höchste Zeit, das Ruder herumzureißen! Die Pandemie, der Klimawandel, die Digitalisierung – all diese gewaltigen Herausforderungen bedrohen den gesellschaftlichen Zusammenhalt und vergrößern die soziale Ungleichheit.

Wir müssen gegensteuern! Dafür sind neben einem starken und solide finanzierten Sozialstaat immense öffentliche Investitionen nötig – in Gesundheit und Pflege, in unser Bildungssystem, in eine sozial-ökologische Gestaltung der Energie- und Verkehrswende, in die kommunale und digitale Infrastruktur und in den sozialen Wohnungsbau.

Auch deshalb bleibt die Bundesregierung aufgefordert, sich endgültig von der Zwei-Prozent-Vorgabe der NATO zu lösen. Die für Rüstungsausgaben vorgesehenen Mittel sind in ein sozial gerechtes Deutschland und Europa mit nachhaltigen Zukunftsperspektiven zu investieren.

Schließen möchte ich mit den Worten von Erich Fried aus seinem Gedicht „Worauf es ankommt“:

Es kommt nicht darauf an
was man ist
Moslem, Christ, Jude, Freigeist:

Ein Mensch
der Mensch ist
kann nicht schweigen
zu dem was geschieht.

Wir schweigen nicht zu dem was geschieht!

Ich schweige nicht.

Für mein Kind Nele – denn ich will, dass sie niemals Krieg erleben muss. Ich will, dass sie glücklich lebt – in Freiheit und ohne Angst. Sie soll blühen und die Welt gestalten.

Für meine Mutter Marlis, die heute noch Angst hat mit dem Aufzug zu fahren, weil sie an die Bombeneinschläge denken muss, damals im Bunker.

Für die vielen noch heute vom Krieg und Flucht traumatisierten Menschen.

Für Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter weltweit, denn im Krieg treten Arbeitsrecht, Lohnpolitik und die Gestaltung von besseren Lebensbedingungen hinter dem Kampf ums nackte Überleben zurück. Tod, Gewalt, Unmenschlichkeit statt solidarisches Miteinander und Kampf um Tarifverträge und Gute Arbeit.

Und für mich und meinen Liebsten Gustav. Denn ich möchte in Frieden mit ihm alt werden.

Glück auf und Freundschaft!

 

Stephanie Peifer ist Geschäftsführerin des  ver.di Bezirk Düssel-Rhein-Wupper.