ungehaltener Redebeitrag für den Bodensee Ostermarsch in Überlingen am 5. April 2021

 

(Der Bodensee Ostermarsch fällt kurzfrist aus wegen der veränderten Coronalage in Überlingen)

 

Sicherheit neu denken – ab 2040 keine Bundeswehr

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Liebe Friedensbewegende am Bodensee! Ich bin Theodor Ziegler und grüße Sie auf diese virtuelle Weise aus Baiersbronn im Nordschwarzwald. Lasst uns am Fest der Auferstehung Christi aufstehen gegen die todbringende militärische Sicherheitspolitik.

Als vor vierzig Jahren die Nato-Nachrüstung beschlossen worden war, kreierte der Karlsruher Lehrer Uli Thiel das Motto „Frieden schaffen ohne Waffen“.

Helmut Kohl konnte sich dieser klaren Forderung, die damals viele Menschen teilten, nicht ganz entziehen. Seine Antwort: „Frieden schaffen, mit immer weniger Waffen“. Er fand das Ziel einer entmilitarisierten Welt offenbar für erstrebenswert und meinte, dies schrittweise realisieren zu können.

Heute müssen wir feststellen, dass seine Epigonen für immer mehr Geld immer mehr Rüstung anschaffen wollen. Milliarden-Summen, die fehlen für die Bekämpfung der wirklichen Probleme wie die Klimaerwärmung und Pandemie.

Schaut man die Planungen des Verteidigungsministeriums an, dann wird klar: Die führenden Politiker*innen denken im Traum nicht daran, auf eine entmilitarisierte Welt hinzuarbeiten. Und diejenigen Politiker*innen, die an der militärischen Sicherheitsideologie Zweifel anmelden, gelten auf Bundesebene als nicht politikfähig und damit auch nicht als koalitionsfähig.

Diese militärische Sicherheitspolitik erfordert, dass wir aufstehen und ein klares Nein zu dieser Vorbereitung kommender Kriege sagen. Dass wir Nein sagen zu den globalen Nachschublieferungen, die von Deutschland ausgehen. Aber die vielen wichtigen Neins reichen nicht aus. Irgendwie scheinen sich die sogenannten Sicherheitspolitiker*innen an unsere Kritik gewöhnt zu haben.

Ungeniert fordert die Verteidigungsministerin, dass die Pandemie den Rüstungshaushalt nicht beeinträchtigen dürfe, dass mittelfristig sogar noch mehr Geld erforderlich sei als geplant1 und schickt deutsche Kriegsschiffe in den indo-chinesischen Bereich.

Damit sich nach sechs Jahrzehnten Ostermarsch endlich etwas verändert, halte ich es für notwendig, dass wir aufzeigen, wie es anders, besser, gehen könnte. Und dass wir dafür mit aller Kraft werben.

Das war auch das Rezept der Bürgerinitiativen gegen das in Wyhl geplante Atomkraftwerk. Sie ergänzten ihr Nein, indem sie Einsparmöglichkeiten und die regenerativen Energiequellen aufzeigten. Aus zunächst selbst gebastelten Anlagen entstand ein ganz neuer Industriezweig.

Damit wurde das Nein zur Atomenergie plausibel. Man konnte in Zahlen aufzeigen, wie eine Energieversorgung umweltfreundlich möglich ist. Und nächstes Jahr wird der Atomausstieg vollendet sein – ein wichtiger Meilenstein zu einer nachhaltigen Energiepolitik.

Diese Erfahrung mit dem gesetzlich beschlossenen Ausstieg aus der unseligen Atomenergie hatte 2013 die badische Landessynode ermutigt, auch für den Bereich der Politik einen Ausstieg aus der militärischen Friedenssicherung entwerfen zu lassen. Die damit betraute Arbeitsgruppe drückte es positiv, konstruktiv aus: Es geht darum, Sicherheit neu zu denken! Anstelle des bisherigen militärischen Denkens, das von Feindbildern ausgeht, bedarf es einer zivilen Sicherheitspolitik, die die Menschenrechte aller Menschen in allen Ländern respektiert und die die Kriegsursachen an den Wurzeln abbaut. Dieses Ziel gilt es klar zu benennen. Es ist das Ziel, das sich die Vereinten Nationen schon bei ihrer Gründung 1945 in ihre Charta geschrieben haben: Künftige Generationen vor der Geißel des Krieges zu bewahren.

Die Sicherheitspolitik sollte von der Klimapolitik lernen: Nachdem die Umweltschützer und vor allem die Versicherungswirtschaft wegen der Unbezahlbarkeit der Umweltschäden Alarm geschlagen haben, ist die Politik aufgewacht. Man setzte sich zum Ziel, den CO2 Ausstoß bis zum Jahr 2050 auf 1,5° im Vergleich zum Wert vor der Industrialisierung zu reduzieren und die Erde bis zum Jahr 2100 CO2-neutral zu machen. Zwischenziele wurden benannt für 2020 und 2030. Jedes Land weiß nun, um wieviel Tonnen es seinen CO2-Ausstoß bis zu welchem Termin zu reduzieren hat.2(Leider hat Deutschland das 2020er-Ziel nur wegen der Pandemierestriktion erreicht.)

Genau dasselbe brauchen wir im Bereich der Friedens- und Sicherheitspolitik. Die alte Methode, immer weiter zu rüsten, neue Waffen zu erfinden und deshalb die jährlichen Rüstungsausgaben auf 2% des BIP zu erhöhen, ist nicht friedensfördernd, sondern kriegstreibend und umweltzerstörend. Ich schätze den militär- und kriegsbedingten Klimaerwärmungsanteil auf mindestens 5 bis 10 %. Mit einer globalen Demilitarisierung wäre schon ein sehr großen Anteil der notwendigen CO2-Reduktion zu erreichen.

Sicherheit muss neu gedacht werden: In einer globalen Welt werden wir Sicherheit nicht mehr gegeneinander erreichen, sondern nur miteinander, gemeinsam.

Die fünf Pfeiler, auf denen sich nun eine zivile Sicherheitspolitik aufbaut, sind:

Ökologisch nachhaltige, soziale und faire Wirtschaftsbeziehungen mit anderen Ländern. Das Lieferkettengesetz ist hierzu ein wichtiger Schritt.

Kooperationen mit den EU-Anrainerstaaten in Nordafrika, im Nahen Osten. Auch mit Russland gilt es die wirkungslose Sanktionspolitik zu beenden und einen neuen Anfang zu machen.

Anstelle der NATO, die für Russland einen wesentlichen Bedrohungsfaktor darstellt, gilt es, die UNO, die OSZE, den Europarat zu stärken. Dazu gehört auch der Aufbau einer Internationalen Polizei auf Ebene der Weltregionen und global bei der UNO.3

Stärkung der Friedens- und Demokratiebildung und um die Qualifizierung in ziviler, sprich gewaltfreier Konfliktbearbeitung, sowohl auf der persönlichen aber auch auf der gesellschaftlichen und politischen Ebene

Konversion der Bundeswehr in ein internationales THW u. eine entsprechende Neuausrichtung der Rüstungsindustrie. Die Einsätze der Bundeswehr bei Naturkatastrophen oder jetzt bei der Pandemiebekämpfung zeigen, dass es viele sinnvolle zivile Betätigungen für Soldat*innen gäbe. Ein weiterer nächster Schritt wäre eine atomwaffenfreie Zone in Mitteleuropa, so dass es zwischen Frankreich, Großbritannien im Westen und Russland im Osten eine große Pufferzone gibt. Diese könnte stetig erweitert werden.

Das Szenario Sicherheit neu denken zeigt einen Weg mit realisierbaren Schritten und Teilzielen auf, so dass das Hauptziel, der Umstieg Deutschlands auf eine zivile Außen- und Sicherheitspolitik bis zum Jahre 2040 erreicht sein kann.

Dazu bedarf es der Mithilfe ganz vieler friedensbewegter Menschen!

So wichtig Mahatma Gandhi und Martin Luther King für die Entwicklung des gewaltfreien Aufstandes waren, wir sollten nicht auf irgendwelche Lichtgestalten und charismatische Führungspersonen warten. Nehmen wir es selbst in die Hand, für eine zivile Sicherheitspolitik zu werben, in persönlichen Gesprächen, in Leserbriefen, in unseren Vereinen und Organisationen.

Ich lade Sie deshalb ein, sich mit dem Szenario Sicherheit-neu-denken näher zu befassen:

Sie finden unsere Internetseite unter www.sicherheitneudenken.de

Und noch etwas: Am 26. September ist Bundestagswahl. Sprechen Sie bitte die für den Bundestag Kandidierenden in Ihrem Wahlkreis an. Stellen Sie Ihnen das Szenario vor. Loten Sie aus, wo es Schnittmengen gibt, auf die sich die Kandidierenden einzulassen bereit sind, auch wenn sie das Hauptziel, die Transformation des Militärs für zivile lebensdienliche Aufgaben nicht oder noch teilen.

Ich wünsche Ihnen und mir, dass es nicht nur beim Sicherheit-neu-denken bleibt, sondern dass wir die Zivilisierung der Sicherheitspolitik voranbringen, Schritt für Schritt.

Viel Erfolg und vielen Dank!

 

Dr. Theodor Ziegler ist Religionspädagoge, Lehrbeauftragter an der Evang. Hochschule Freiburg, Mitglied des Forums Friedensethik in der Evang. Landeskirche in Baden und des Koordinationskreises der Initiative Sicherheit neu denken.

 

Anmerkungen:

1 Schwarzwälder Bote vom 30.3.2021

2 https://www.bundestag.de/resource/blob/543798/743f401f49bea64a7af491c6d9...

3 Hierzu wird vom 22. bis 24. in Bad Herrenalb eine Akademietagung stattfinden.