Redebeitrag für den Ostermarsch Wiesbaden/Mainz in Mainz am 3. April 2021

 

- Sperrfrist: 3. April 2021, Redebeginn: 12.30 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Corona in Kriegs- und Krisengebieten - und was macht eigentlich die Friedensbewegung in Zeiten einer Pandemie?
 

Liebe Friedensfreunde und- freundinnen,

herzlich willkommen zum Ostermarsch 2021!

Die Pandemie, und eben das macht eine Pandemie aus, betrifft uns alle, weltweit, mehr oder minder schwer. Ich selbst kann heute leider nicht hier stehen, weil ich nach wie vor die Öffentlichkeit meide, da ich zu einer Risikogruppe gehöre. Noch dazu bei diesen hohen Inzidenzwerten derzeit.

Also was macht nun die Friedensbewegung in Zeiten der Pandemie? In gewisser Weise tut sie so, als sei nichts. Wir konferieren (nur jetzt halt per Video-Schalte), wir halten Mahnwachen ab, wie im Dezember zum Tod von Erwin Tinz, wir organisieren Demonstrationen, “auch, wenn sie – sorry – manchmal eher wie Karikaturen von Demonstrationen aussahen“, wie Cornelia Mannewitz, aktives Mitglied der DFG-VK Mecklenburg-Vorpommern, vor kurzem in der ZivilCourage, der Verbandszeitschrift der DFG-VK schrieb und heute eben diesen Ostermarsch.

Der Mainz-Wiesbadener Ostermarsch 2020 fand „virtuell“ statt, habt Ihr die Bilder gesehen? Und ja, das machen wir, wir sind kreativ, wir schreiben und reden gegen Kriege und ihre Ursachen an. Wir unterstützen die, die sich wegen ihrer Einstellung gegen Kriege verhaften und einsperren lassen müssen, wie Ruslan Kotsaba in der Ukraine, dessen Prozess wir am 21. und 22. Januar mit Mahnwachen und Reden in Mainz und Berlin begleiteten und medial aufarbeiteten. 

Mehr Infos zu Ruslan Kotsaba und unsere weiteren Unterstützungsaktionen, findet Ihr am Info-Stand der DFG-VK.

Und überhaupt, Medien: Einige benutzen das Radio als Sprachrohr, andere ihren YouTube-Channel. Wir füllen unsere Homepages mit unseren Aktionen und ja, auch Grußkarten, die wir an die Gefangenen für den Frieden im Dezember schrieben, sind ein Medium.

Wir haben eines der besten Gesundheitssysteme der Welt und trotzdem läuft seit Beginn der Pandemie so einiges falsch. Nutzen Mund-Nase-Masken etwas oder nicht? Und wenn ja, was taugen die, oft in solidarischer Zusammenarbeit genähten, Stofflappen? Schulen und Kitas auf oder zu? Richtig gute Hygienekonzepte in der Gastronomie, oder doch besser gar nicht Essen gehen? Impfen ja, aber wen und mit was …

Und was macht das alles mit unseren Grundrechten fragt sich „Rechts“ und „Links“?

Ist so ein Stück Stoff vor dem Gesicht tatsächlich eine Grundrechtseinschränkung? Ich glaube nicht!

Was aber ist mit Demonstrationseinschränkungen oder uneinhaltbaren Auflagen? Und hier meine ich nicht die Nichteinhaltung von banalen Hygieneregeln, sondern die bisweilen willkürlich anmutende Begrenzungung der Teilnehmer:innenzahl.

Was ist mit Drohnenüberflügen über Parks? Was hat es mit dieser merkwürdigen Besuchsregelung auf sich? Ich darf kurz zu Nachtbars rüberschauen, aber Nachbars nicht zu mir?

Warum dürfen Menschen nicht zur Beerdigung ihrer eigenen Mutter, die sie monatelang vorher schon nicht mehr sehen durften?

Warum nehmen wir Einschränkungen verfassungsrechtlich verbriefter Rechte auf Versammlungsfreiheit, Demonstrationsfreiheit und auf die freie Wahl des Aufenthaltsortes in Kauf? Der Verfassungsrechtler Christoph Möllers sagt hierzu, dass dies möglich sei, weil es in Deutschland stattfinde. Es sei „unsere obrigkeitsstaatliche Tradition, die sich hier offenbart: zu meinen, der Staat sei jemand anderes“, 

Ich kann diese Sicht auf die Dinge nicht teilen. Es steht jedem frei, gegen verfassungsrechtlich bedenkliche Maßnahmen zu klagen. Ich persönlich bin Teil dieser Gemeinschaft, und fühle mich der Gemeinschaft verpflichtet. Ich denke, dass es zur Zeit einfach gegeben ist, auf bestimmte, nicht lebensnotwendige Rechte, zu verzichten. Das heißt nicht, dass ich unachtsam bin.

Ein Ziel der DFG-VK ist es, u.a. die Auflösung der Bundeswehr voranzutreiben. Und Schwupps, haben wir allerorten „Einsätze der Bundeswehr im Inneren“. Steht dazu nicht auch etwas in unserer Verfassung? 

Die IMI (Informationsstelle Militarisierung) schreibt dazu:

„Der größte Einsatz der Bundeswehr findet aktuell nicht in Afghanistan oder in Mali, mit jeweils über 1.000 Soldat*innen, sondern in Deutschland statt. In gewohnt reißerischem Tonfall berichtete die Bildzeitung bereits von der 'Corona-Front' der Bundeswehr und die FAZ vom 'Kampfeinsatz gegen das Virus'.“

Wir alle erinnern uns wahrscheinlich noch an die Bilder sandsackschleppender Soldat:innen bei den großen Hochwasserkatastrophen an der Elbe 2002 und 2013. 

Damals wie heute rückt so die Bundeswehr als Positivbeispiel ins Bewusstsein „der Bevölkerung“. Impfzentren und Behelfskrankenhäuser werden aus dem Boden gestampft. Soldat:innen helfen in oder übernehmen die Corona-Verwaltungen in Gesundheitsämtern. Sanis der Bundeswehr testen reihenweise auf Sars-Cov-2, sortieren und speichern die Daten und ausgebildete Militärärzte wetzen die Spritzen zur Impfung.  

Ich war ehrlich gesagt erbost darüber, dass neben uns am Tisch wohl Dagobert und Daisy Duck saßen, die gemütlich gegessen haben, als dies im Sommer 2020 noch möglich war. Ich hielt die Kontaktformulare, wenn auch nicht für alle Gäste einsehbar, für ein gutes Mittel der Kontaktverfolgung. Aber, was bitte haben meine Daten in den Händen der Bundeswehr und seien es auch nur einzelner Soldat:innen zu suchen?

Warum in dieser rechtlichen Grauzone gehandelt wird, hat die IMI folgendermaßen zusammengefasst: 

„Im Gegensatz zur Entsendung von Verwaltungsangestellten, Lehrkräften, Polizei- und Finanzbeamt*innen der Länder können Soldat*innen unkompliziert und schnell, per Befehl, einsatzverpflichtet werden. Zudem reißt die Abwesenheit dieser Soldat*innen von ihrem eigentlichen Job nicht unmittelbar Löcher in die Umsetzung anderer staatlicher Aufgaben. Für die Länder ist der Einsatz von Soldat*innen zudem attraktiv, weil sie, im Gegensatz zu eigenem Personal oder Angehörigen des Katastrophenschutzes, bisher keine Lohnkosten zahlen müssen.“ 

Sagte ich nicht vorhin, wir hätten eines der besten Gesundheitssysteme der Welt? Diese Pandemie, zu dieser Zeit, konnte niemand voraussehen, Konzepte und Pläne und zwar solche die nicht grundgesetzwidrig sind, hätte es trotzdem fertig in diversen Schubladen geben müssen. Ein Gesundheits- und Pflegesystem, das weitestgehend privatisiert wurde, das durch Einsparungen bei Personal und angemessenen Löhnen auf der einen Seite und durch die hohen Erlöse für die Großkonzerne des Gesundheitswesens auf der anderen Seite hervorsticht, soll und darf es m.E. nach dieser Pandemie nicht mehr geben. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Weniger hoffnungsfroh schaue ich auf die Kriegs- und Krisengebiete dieser Welt, die, so scheint es mir, in dieser pandemischen Zeit völlig in den Hintergrund treten und in Vergessenheit zu geraten drohen.

In den vergangenen Tagen (ich schreibe dies Mitte Januar 2021), las ich in diversen Medien über die Flusspferde des ehemaligen Drogenbarons und Exzentrikers Pablo Escobar. Völlig alleine gelassen, vermehren sie sich prächtig. Einerseits könnten sie ein Touristenmagnet sein, andererseits sind sie lebensgefährlich. Was also tun? Erschießen? – Da seien die Tierschützer:innen vor. Einfangen und kastrieren? - Zu gefährlich und zu teuer. Allein im Forum von spiegel.de gibt es bislang 194 Kommentare zu dem Thema. Hat Kolumbien keine anderen Sorgen?

Unabhängig von den hohen Infektions- und Todeszahlen zeichnet sich schon seit spätestens 2019 ab, dass der Frieden im Land mehr als trügerisch ist. Die Guerrilla-Organisation Nationale Befreiungsarmee (Ejército de Liberación Nacional, ELN), nutzt laut einer Studie der TU Braunschweig  die Pandemie gezielt dazu aus, um durch das Versagen der Regierung bei der Bekämpfung der Krise an Aufmerksamkeit zu gewinnen. Während die ELN einen Waffenstillstand aus humanitären Gründen vom 30. März bis zum 1. Mai 2020 einhielt, dem die Regierung nie zugestimmt hatte, stellten auch die Regierungstruppen, wohl eher zur Schonung von Resscourcen, auch ihrerseits die Kampfhandlungen weitestgehend ein. Die ELN nutzte und nutzt die Zeit, um vor allem Menschen, die durch die Pandemie ihr Einkommen verloren haben, für sich zu rekrutieren. Ähnliches geschieht, so Tobias Ide vom Institut für Internationale Beziehungen der TU Braunschweig, in Afghanistan. In dem Versuch einer Analyse („Covid 19 and  Armed Conflicts“ – Covid 19 und bewaffneter Konflikt), wie und warum sich Kampfhandlungen durch die Pandemie verändert haben, stellt er aber auch heraus, dass viele Taliban-Kämpfer schlicht und ergreifend an Covid erkrankt sind, wohingegen auch hier die Gegenseite alles dafür tut, Ressourcen zu sparen, um die Bevölkerung irgendwie durch die Pandemie zu bringen.

Dass dies zu einem generellen Ende der Konflikte führen könnte, davon geht Ide jedoch nicht aus, was z.B. die verstärkte Rekrutierung neuer Kämpfer:innen der ELN zeige. Ide schreibt weiterhin über Jemen, Indien, Pakistan, die Philippinen, Thailand, Libyen und Irak. Weiterführendes findet ihr wie immer auf unserer Homepage.

Bislang schrieb ich aber nur über die Auswirkungen der Kriegshandlungen auf die Soldat:innen und Kämpfer:innen. Was aber macht die Pandemie mit den nicht an den Kriegshandlungen beteiligten Menschen? Wie lebt es sich in z.T. schon seit Jahren von Kriegen und Krisen geschüttelten Gebieten dieser Erde?

Ich denke, die Frage erübrigt sich. Ohne Dach über dem Kopf, in zerbombten Häusern, ohne sauberes Wasser, ohne jegliche Infrastruktur und medizinische Versorgung hat das Virus leichtes Spiel. Was bleibt, ist für die, die es noch können, die Flucht. Aber fliehen wohin?

Ich denke, die Bilder aus Griechenland, der Türkei oder aus Bosnien haben sich in unsere Hirne gebrannt. Spenden ist das eine, das andere ist eben auch das, wofür wir als Mitglieder der DFG-VK einstehen: Wir sind der Meinung, dass der Krieg ein Verbrechen an der Menschheit ist. Und sind daher entschlossen, keine Art von Krieg zu unterstützen und an der Beseitigung aller Kriegsursachen mitzuarbeiten.

Vielen Dank.

 

Tina Gewehr ist aktiv bei der DFG_VK Gruppe in Mainz.