Redebeitrag für den Ostermarsch Kassel am 3. April 2021

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

eigentlich wollten wir im vergangenen Jahr anlässlich des Ostermarsches an den 75. Jahrestag der Befreiung von Faschismus und Krieg in Kassel erinnern.

Angesichts der Pandemie-Entwicklung mussten wir es ins Virtuelle verlagern, wer Interesse hat, kann die Beiträge auf unserer Homepage kassel.vvn-bda.de nachlesen.

Es waren die Ostertage 1945, als amerikanische und britische Einheiten das Kasseler Becken erreichten und nach wenigen Tagen den letzten Widerstand von Wehrmacht, Volkssturm und SS-Verbänden zerschlugen. Fast auf den Tag vor 76 Jahren, am 4. April 1945 kapitulierten die letzten deutschen Truppen, nachdem sie noch mehrere Tage – also bis 5 Minuten nach 12 – unsinnigen Widerstand geleistet hatten und damit den Tod weiterer Menschen zu verantworten hatten.

Sie waren mitverantwortlich dafür, dass auf Befehl des Leiter der Kasseler Gestapo Franz Marmon

am Karfreitag 1945 zwölf Häftlinge des Zuchthaus Wehlheiden, darunter Wolfgang Schönfeld, der 1944 als Deserteur verhaftet worden war, ohne irgendein Urteil auf dem Wehlheider Friedhof liquidiert wurden,

am Ostersamstag 78 italienische Zwangsarbeitern und ein sowjetischer Häftling angeblich wegen Plünderung standrechtlich erschossen wurden

und ebenfalls am Ostersamstag 28 Häftlinge des Arbeitserziehungslagers Breitenau, darunter 16 sowjetische, 10 französische und 2 niederländische Gefangene von SS-Leuten in den Fuldabergen bei Guxhagen ermordet wurden.

Ich erinnere an diese Verbrechen, um Geschichtsverfälschungen wie „die Deutschen seien doch auch Opfer gewesen“ in Frage zu stellen. Ja, die Zerstörung der Stadt im Gefolge der Bombardierung hat die Kasseler Zivilbevölkerung massiv betroffen, es war aber die Konsequenz der faschistischen Kriegspolitik, ihrer Aggression gegen Nachbarstaaten und der dabei begangenen Kriegsverbrechen.

Und wer damals die Augen öffnete, sah, dass in dieser Stadt etwa 30.000 ausländische Zwangsarbeiter zum Funktionieren der faschistischen Kriegsproduktion und zur Beseitigung der Trümmer in der Stadt eingesetzt waren.

Und nicht wenige Kasseler Nazis hatten sich mit „Herrenmenschen-Ideologie“ im Kopf bis zuletzt als Schinder erwiesen. Sie konnten im April 1945 tatsächlich Angst haben, dass die Drangsalierten diese Torturen mit gleicher Münze heimzahlen würden.

Doch selbst für Mitläufer und Mittäter des NS-Regimes waren der 4. April in Kassel und der 8. Mai 1945 ein Tag der Befreiung.

Eröffnete er ihnen doch die Möglichkeit aus dem faschistischen System und den Fesseln der „Volksgemeinschaftsideologie“ auszubrechen und nun einen neuen Weg zum Aufbau einer demokratischen und friedlichen Gesellschaft mitzugehen. Einige von ihnen haben diese Möglichkeit ergriffen.

Und in diesem Sinne ist und bleibt für uns der 8. Mai 1945 der Tag der Befreiung und wir wollen – im Sinne eines Appells der Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano, dass der 8. Mai ein Feiertag wird. Schon mehrere 10.000 Menschen haben diese Forderung in einer Petition unterstützt.

Wenn wir an die Befreiung erinnern, dann erinnern wir immer auch an diejenigen, die – gegen den gesellschaftlichen Mainstream, gegen die faschistische Alltagsideologie – bereit waren, unter Einsatz ihres Lebens, ihrer Freiheit und ihrer Gesundheit sich dem faschistischen Terror entgegenzustellen.

Mit Stolpersteinen wird an verschiedenen Stellen unserer Stadt das Gedenken an sie lebendig gehalten. Ich nenne jetzt nur ganz wenige Namen Traugott Eschke, Paula Lohagen, Kurt Finkenstein oder Konrad Belz, ohne damit andere ausschließen zu wollen. Sie alle traten ein für ein anderes Deutschland, eine bessere Zukunft, eine solidarische Gesellschaft und eine friedliche Welt.

In ihrem Sinne setzen wir als Antifaschisten uns heute und morgen dafür ein, dass das Vermächtnis der Überlebenden: „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“ hier in Kassel lebendig bleibt.

Das bedeutet konkret einzutreten für ein Ende der Kriegsproduktion in unserer Stadt und für Rüstungskonversion. Mit Rüstung wurden und werden enorme Profite gemacht. Aber damals wie heute wissen wir, dass solche Profite Blutgeld sind – bezahlt mit dem millionenfachen Tod der Zivilbevölkerung, mit den Opfern auch in dieser Stadt, wie die Folgen der Bombardierung im Oktober 1943 zeigten.

Und wie wichtig die Losung „Nie wieder Faschismus!“ ist, muss ich angesichts des neofaschistisches Mordterrors des NSU – am 6. April ist der 15. Todestag von Halit Yozgat – und der Ermordung des damaligen Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke nicht weiter begründen.

Unser politischer Widerstand heute richtet sich nicht nur gegen die gewaltbereiten Neonazis, sondern auch deren geistigen Wegbereiter. Und deshalb sind wir sehr froh, dass bei der letzten Kommunalwahl nicht nur in Kassel die AfD deutlich an Stimmen verloren hat. Lasst uns gemeinsam daran arbeiten, dass dieses Ergebnis auch bei der kommenden Bundestagswahl erreicht wird.

 

Ulrich Schneider ist aktive bei der VVN-BdA Kassel.